Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

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DI E Z E IT: Frau Hustvedt, ist Ihnen Nor­
wegen, die Heimat Ihrer Vorfahren, nahe?
Siri Hustvedt: O ja, o ja. Ich bin beinahe in
jedem Jahr dort. Ich war gerade erst Gast­
professorin an der Universität von Oslo in
einem Programm namens »Literatur, Wahr­
nehmung, Emotionen«, interdisziplinär. Ich
stand am Fenster des Hotelzimmers ...
Z E IT: ... das tun Sie oft, nicht wahr ...
Hustvedt: ... und diesmal dachte ich darüber
nach, wann ich zuletzt in Norwegen gelebt hat­
te: 1972, 1973. Ich ging damals auf ein sehr altes
Gymnasium in Bergen, studierte Deutsch, Eng­
lisch, Norwegisch. Es war ein anderes Norwegen.
Z E IT: Vor dem Ölboom.
Hustvedt: Ja, ehe diese riesigen Ölfelder in der
Nordsee entdeckt wurden. Davor hatte ich

bereits zweimal in Norwegen gelebt, als Vier­
jährige erstmals, als wir die norwegische Fa­
milie meiner Mutter nahe Kristiansand be­
suchten, im Süden. Als ich zwölf war, fuhren
wir erneut, und ich ging in Bergen in die
Rudolf­Steiner­Schule. Ich konnte Norwegisch
sprechen, ehe ich Englisch sprechen konnte.
Z E IT: Norwegen ist das Gastland der dies­
jährigen Frankfurter Buchmesse. Welche
norwegischen Bücher waren die ersten, die Sie
ge lesen haben?
Hustvedt: Wir hatten das Buch von Peter
Christen Asbjørnsen und Jørgen Engebretsen
Moe im Haus, das waren die Brüder Grimm
Norwegens, es war dieselbe romantische Pe­
riode im 19. Jahrhundert, Geschichten wur­
den gesammelt, Märchen entstanden, nur

»We n n


das Licht


z u r ück kom mt«


Fotos: Dag Ole Nordhaug; Spencer Ostrander (r.)

»Das moderne
Norwegen wurde in
der Ära der Romantik
gegründet. Das hatte
mit Natur zu tun,
Norwegens Wäldern,
Bergen und
Schluchten«


Norwegen ist in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse.


Ein Gespräch mit der New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt über


das Land ihrer Familie und ihrer Sehnsüchte – und seine Literatur


VON K L AUS BR INKBÄUMER
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