Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

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BELLETRISTIK


DIE ZEIT 42/19

Günter und sein Godot


In Jan Peter Bremers absurdem Roman warten zwei Alte auf die Erlösung durch Jugend


VON URSULA MÄRZ

M


al angenommen,
Sa muel Beckett weil­
te noch unter den
Lebenden und wür­
de gebeten, drei
deutschsprachige Ge­
genwarts autoren zu
nennen, deren Bücher ihm besonderes Ver­
gnügen bereiten, es wäre nicht ausgeschlossen,
den 1965 geborenen Jan Peter Bremer in der
Auswahl zu finden.
Vielleicht würde Beckett noch schmun­
zelnd anmerken, er fände es erstaunlich, dass
seit je Franz Kaf ka und Robert Walser als li­
terarische Ziehväter dieses Bremer gelten. Da
habe man ihn wohl vergessen. Was die Kunst
der existenzphilosophischen Blödelei betreffe,
dürfe er ja wohl zumindest als Miterfinder
gelten. Immerhin habe er ein Theaterstück
namens Warten auf Godot verfasst.
Tatsächlich klang Becketts Parabel bereits
in Bremers Roman Der amerikanische In ves­
tor (2011) an. Erzählt wird dort von einem
Schriftsteller, der mit Schrecken beobachtet,
wie sich Wände und Böden seiner Wohnung
absenken. Seine Briefe an den namenlosen
Hauseigentümer bleiben unbeantwortet. Sie
erreichen ihn nicht einmal, da der amerika­
nische Investor keine Postadresse hat. Sein
Wohnsitz ist ein Privatjet, er selbst eine Paro­
die des Demiurgen als um den Globus düsen­
der Geschäftshai.
Jan Peter Bremers neuer Roman Der junge
Doktorand enthält anderes Personal, kreist
aber um ein ähnliches Sujet: ein Porträt des
Künstlers als Absturzfigur. Das Buch ist mit
160 Seiten recht kurz, und es bewegt sich in
einer Spirale zunehmender Absurdität. Bremer
ist ein Meister der Komik, die sich aus Alltags­
geschwätz, Alltagshandlungen und Alltags­
Slapstick entwickelt – sie unterhält allerdings
eine Verbindung zu einem großen Thema der
Moderne, der Sinnlosigkeit.
Hier liegt der Beckett­Faktor der Ge­
schichte. Wie die zwei Landstreicher auf einen
gewissen Godot warten, so hier die Senioren
Natascha und Günter Greilach auf den Be­
such eines Kunststudenten. Günter ist ein
bildender Künstler, dessen bessere Zeiten,
wenn es sie je gab, Jahrzehnte zurückliegen.
Natascha ist seine Ehefrau. In einer Mühle
am Rand einer Kleinstadt bewirtschaften die

beiden das Museum ihres Lebens. Zu sagen,
Günter und Natascha gingen einander auf
die Nerven, wäre eine Untertreibung. In der
Disziplin des vor Gift, Galle und Gemeinheit
triefenden Paardialogs stellen die Greilachs
neue Rekorde auf.
Doch eines Tages dringt eben ein Licht­
strahl in die Finsternis: Ein Kunststudent
kündigt sich an. Er wolle, teilt er mit, seine
Promotion über das faszinierende Werk

Günter Greilachs verfassen und sich deshalb
für einige Zeit bei ihm einquartieren. Die
Greilachs können sich vor Verzückung kaum
fassen. Günter erträumt sich späten Ruhm
durch den Doktoranden, Natascha erträumt
sich einen Familienzuwachs, der die Damen­
runde im Eiscafé erblassen lässt. Allerdings
sind seit der Ankündigung des Besuchs be­
reits zwei Jahre vergangen. Ein halbes Dut­
zend Mal hat der junge Doktorand den Ter­
min seines Eintreffens wieder abgesagt, mit
immer irrwitzigeren Erklärungen. Den Illu­
sionen kann das nichts anhaben. Im Gegen­
teil, je länger und fiebriger sie auf den jungen
Mann warten, desto mehr verklärt sich sein
Bild zum König des Kunstsinns, zum Genie.
Sagen wir es deutlich: zum Erlöser.
Bis hierhin ähnelt die Handlung dem
Warten auf Godot – welcher bekanntlich nie­
mals eintrifft. Jan Peter Bremer aber, und das

ist der Clou, lässt ihn eintreffen! Eines Nachts
klingelt es an der Haustür: Der Doktorand
ist da. Mit einer Lichtgestalt hat er allerdings
nicht das Geringste zu tun. Am Früh stücks­
tisch lümmelt am nächsten Morgen ein mü­
der, maulfauler Bengel, der nichts anderes im
Sinn hat als sein Smartphone. Der Leser ahnt
es: Von Promotion kann keine Rede sein. Auf
den Weg zum Maler hat sich der Lümmel nur
gemacht, weil seine Mutter ihn dazu verdon­
nerte. Das Kunststudium hat er ohnehin an
den Nagel gehängt.
Das Dauergezänk der zwei Alten lässt der
junge Mann wie fernes Donnergrollen an sich
vorbeiziehen. Er wartet nur auf den richtigen
Moment, wieder zu verschwinden. Günter
und Natascha sind aber nicht bereit, ihn
herzugeben: besser ein Smartphone­ Junkie
als gar kein Besuch. Und für einen Moment
sieht es aus, als ginge die Handlung in einen
Thriller über, mit Gefangennahme und
Hausarrest. Doch drastische Plots sind Jan
Peter Bremers Sache nicht. Er setzt auf den
diskreten Charme jener Absurdität, die den
Kontakt zum Realismus keineswegs abbricht.
Alles, was in seinem Roman geschieht, könnte
sich in der Wirklichkeit ebenso ereignen. An
Altersverblendung leidende Künstler gibt es
zuhauf, Alibistudenten nicht minder.
Was in der deutschen Literatur oft so be­
müht wirkt, gelingt Bremer mit leichter Hand:
einen Bezug zu aktueller Gesellschaftspolitik
herzustellen. In Der amerikanische Investor
nahm er die Debatte um die Wohnungs­
misere vorweg. Der junge Doktorand wirft
den Blick auf die Zuwanderung durch Flücht­
linge. Der Besucher hat es nämlich auch des­
halb eilig, weil er Sinnvolleres zu tun hat, als
verstaubte Gemälde zu betrachten. Er arbeitet
in einem Sprachcafé mit Flüchtlingen. Dass
dieses Seitenthema die Vergnüglichkeit der
Komödie nicht behindert, liegt auch an Jan
Peter Bremers wundervoller Prosa. Jeder Satz
ist ein eleganter Auftritt der deutschen Syntax
und bedeutet großen Lesegenuss.

Jan Peter Bremer:
Der junge Doktorand
Roman; Berlin Verlag,
Berlin 2019; 176 S., 20,– €,
als E­Book 16,99 €

»Glauben Sie nicht


doch, dass es besser


ist, wenn ich jetzt


einfach fahre?«


JAN PETER BREMER

Foto: Andreas Hornoff/Piper Verlag
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