M
an kann nicht über
sehen, wie viel Am
bi tion und Bildung
in diesem Debüt ste
cken. Miku Sophie
Kühmel erzählt in
Kintsugi von den ver
worrenen Beziehungen zwischen vier Men
schen, die ein Wochenende in einem Haus im
Märkischen Sand verbringen: ein Paar, der
Archäologe Max und der Künstler Reik, ihr
Freund, der Pianist Tonio, und dessen Tochter
Pega. Kühmel schildert diese Kon stel la tion
mal in auktorialer Erzählweise, mal als Dra
molett, hauptsächlich aber taucht der Roman
tief in das Bewusstsein der einzelnen Figuren,
wo uns all das Unausgesprochene, all der
Neid, Hass und das unterdrückte Begehren
entgegentreten. An erzählerischem Ehrgeiz
mangelt es nicht. Kühmel hat es damit auf die
Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft,
was gerechtfertigt wäre, wenn allein der Form
wille belohnt würde. Der Roman will sehr viel
und zeigt dies sehr deutlich, aber nichts ge
lingt ihm leider richtig. Die Szenen, die an
Yasmina Rezas bürgerliche Katastrophen er
innern sollen, wirken wie Etüden im dramati
schen Schreiben. Die auktorialen Passagen
wie die ausschweifenden Innerlichkeitsmono
loge möchten durch Adjektivüberanstrengung
den Eindruck des Literarischen erwecken:
Kiefern stehen »schweigsam und schwind
süchtig«, man lacht ein »rar gewordenes La
chen«, es sind »regenkalte Fensterscheiben«
zugegen, »flaschengrüne« oder »katzenhafte
Augen« leuchten, und das Parkett liegt »kühl
und glatt und lautlos«. Die stilistischen Unter
schiede der Perspektiven sind nur forensisch zu
ermitteln: Max klingt wie Reik, Reik klingt
wie Tonio, Tonio wie Pega, und in ihren Be
kenntnissen bleibt nichts unerzählt, alle Seelen
trümmer werden bis in die Kindheit begut
achtet. Wenn die japanische Symbolik des
Romans ästhetische Re duk tion suggerieren
soll, so geht das Buch bedauerlicherweise un
ter im opulent hingebreiteten Therapiejargon
wie »Sein unbedingter Wille, Liebe zu geben,
wird von der Sucht danach, geliebt zu wer
den, schlicht übertönt« oder »Neid bringt
Leid«. Kintsugi ist die Kunst, Porzellan mit
Gold zu reparieren. Und das ist natürlich auch
eine schöne Metapher. Noch schöner wäre es,
wenn es mit Literatur genauso ginge.
Uckermärker Porzellan
Miku Sophie Kühmels Debüt »Kintsugi« steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises – zu Recht?
VON DAVID HUGENDICK
Miku Sophie Kühmel:
Kintsugi
Roman; S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2019;
304 S., 21,– €, als EBook 18,99 €
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Roman.Geb. 332 Seiten.€ 24 ,–
»Große Fragen, eindrucksvoll beantwortet.«stern
Suhrkampwww.suhrkamp.de
WasbedeutenVertrauenundVerantwortung?
WiegreifenSchutzundHerrschaftineinander?
WieverhältsichZeugenschaftzurWahrheit?
UndwersitztdarüberzuGericht?
»Schutzzonereihtsicheinindie
SprachedergroßenWeltliteratur.«
TomaszKurianowicz,DieWelt