Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

DIE ZEIT 42/19 27


DI E Z E IT: Frau Winkler, Sie haben uns zum
Gespräch in dieses Café im Berliner Stadtteil
Neukölln gebeten. Der ist laut Ihrem Buch der
Ort der Hundekacke.
Angela Winkler: Als ich hierhergezogen bin,
hat mich das schon sehr gestört. Wegen der
Kacke habe ich mir auch ein kleines Fahrrad
angeschafft. Um nicht in die Kacke zu treten.
Z E IT: Sie sagten einmal, dass Sie froh seien,
nicht im feinen Charlottenburg zu wohnen.
Winkler: Bin ich. Hier habe ich meine Ruhe,
mich besucht keiner. Es wohnen nicht so viele
Schauspieler meines Alters in Neukölln.
Z E IT: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Thea­
terspielen für Sie mit Kinderkacke zu tun hat.
Winkler: Na, mit dem richtigen Leben. Bei­
spielsweise fuhren wir, meine Familie und ich,
mal im Auto und waren auf dem Weg zu einer
Vorstellung von mir, und plötzlich stand das
Auto still, und in einer Stunde sollte ich auf
der Bühne sein. Dann hat Wigand, mein
Mann, gesagt, gib mir mal deinen Strumpf,
und er hat den Strumpf als Keilriemen be­
nutzt. Aus solchen Situationen heraus musste
ich oft auf die Bühne. In den Garderoben
saßen die Kollegen und haben sich bekreuzigt
oder gesammelt für den Auftritt. Ich habe
mich überhaupt nicht gesammelt, ich kam
immer aus dem vollen Leben rein auf die Bühne.
Dieses »Die Kinderkacke abwischen« – das war
eben immer noch in mir drin.
Z E IT: Haben Sie beim Windelwechseln schon
an den Hamlet gedacht, den Sie abends spielten?
Winkler: Also, beim Hamlet waren die Kinder
schon aus der Kacke raus.
Z E IT: Aber mal grundsätzlich gefragt: Hat es
Ihnen nicht den Familienalltag vergiftet, zu
wissen, dass Sie heute noch auftreten mussten?
Winkler: Nein.
Z E IT: Sie können sich auf die Familie kon­
zentrieren, wenn Sie abends spielen müssen?

Winkler: Ja, bis 16 Uhr. Aber ab 16 Uhr
denke ich ans Theater und will nicht noch auf
der Autobahn sein wie früher (laut lachend)
und meine Perlonstrumpf hose ausziehen.
Z E IT: Sie hatten oft Probleme mit Autos?
Winkler: Es war immer was mit den Autos,
weil sie so alt waren. Einmal, als wir im Win­
ter einen Alpenpass überquerten, ging der
Scheibenwischer nicht, mitten im Schnee­
sturm, da musste ich mich mit einem Hand­
wischer bei minus fünf Grad rauslehnen und
während der Fahrt die Scheibe frei wischen.
Z E IT: Und es gab in Ihrem Leben immer ur­
alte Häuser, die Ihr Mann renoviert hat und
in denen Sie lebten. Was machen Sie, wenn ein
Haus fertig ist? Ziehen Sie dann weiter?
Winkler: Na, Wigand wollte nie ein Haus­
meister sein. Und das verstehe ich.
Z E IT: Ein Therapeut würde sagen, es handelt
sich hier um die Angst vor dem Ankommen.
Winkler: Vielleicht ist es so. Gott sei Dank,
unser Haus in der Bretagne ist immer noch
nicht ganz fertig. Das ist so ein wilder Ort mit
noch wilderem Garten, der ist wunderbar, den
werden wir nicht aufgeben.
Z E IT: Sie galten als »Zadek­Schauspielerin«,
als Angehörige der großen Theaterfamilie des
Regisseurs Peter Zadek. Gibt es solche Künst­
lerfamilien wirklich, oder sind das Legenden?
Winkler: Ich wollte nie in eine Zadek­Familie
und nie in eine Stein­Familie und nie in eine
Bondy­Familie. Ich bin immer wieder abge­
hauen. Ich wollte eigentlich auch nicht zu
Zadek. Der hatte es schon länger probiert. Und
dann kam dieses Angebot von ihm, Tsche­
chows Iwanow zu machen. Und weil ich in der
Auvergne, wo wir damals wohnten, diese gan­
zen Tschechow­Bände in der Übersetzung von
Peter Urban gelesen habe, habe ich gedacht:
»Oh, das möchte ich machen.« Aber: Nein, ich
wollte nicht in eine Künst ler fami lie.

Z E IT: Kann es sein, dass wir Außenstehende
den Zusammenhalt von Künstlerfamilien
überschätzen? Kann man sich nur auf die
Blutsfamilie verlassen?
Winkler: Darauf kann man sich schon gar
nicht verlassen, ich höre nur die schlimmsten
Sachen. Auf Blutsfamilie kann man, glaube
ich, überhaupt nicht zählen.
Z E IT: Aber auf Ihre ja schon, oder? Sie sind
ewig mit Ihrem Mann zusammen.
Winkler: Ich bin aber nicht verheiratet. Ich
bin mit ihm zusammen, und wir haben eine
gute Familie, das glaube ich sagen zu können.
Z E IT: Sie sagten, in Bezug auf das Theater,
den Satz: Ich bin gut im Abhauen.
Winkler: Ja, weil ich dann zu meiner Familie
will, ich werde bei der mehr gebraucht. Ich
habe ja eine Tochter mit Down­Syndrom,
Nele. Sie ist wunderbar selbstständig, trotz­
dem muss man sie auch ein bisschen führen,
man muss da sein. Sie kam dann auch mit ins
Theater, war bei den Proben dabei, hat zuge­
schaut, wie Zadek da inszeniert.
Z E IT: Über die Geburt Ihrer Tochter schrei­
ben Sie: »Ich bin auch auf der Welt und nicht
nur Mutter von einem Mongolenkind.«
Winkler: Ich habe in mein Tagebuch außer­
dem geschrieben: »Jetzt können wir in die
Mongolei ziehen.« Es hieß ja früher Mongolis­
mus, jetzt heißt es Down­Syndrom. Die Mon­
golei ist ein Traumland. Ich habe erst gedacht:
Das Leben ist aus. Ich kann nicht mehr mit
den Buben lachen und singen – die waren ja
schon da. Und unser Abenteuerleben ist jetzt
vorbei. Aber das Gegenteil war der Fall. Ich
habe Nele rot angezogen und gesagt, ich
mache sie zum niedlichsten Menschen mit
Down­Syndrom. Und das denke ich immer
noch, wenn ich sie anschaue – dass sie toll ist.
Jetzt ist sie beim Berliner Theater eine Ramba­
Zamba, sie ist Vollblutschauspielerin.

Gut im Abhauen


Die große Schauspielerin Angela Winkler hat ein Buch über ihr Leben geschrieben.


Ein Gespräch über Widerstand gegen die Staatsgewalt, wilde Gärten und den Schrecken


von Theater­ und Blutsfamilien


VON K ATJA NICODEMUS UND PETER KÜMMEL

Foto: Elena Zaucke

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