Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

28 DIE ZEIT 42/19


Z EIT: Könnte man sagen, Nele hat Ihnen die
Notwendigkeit genommen, sich zu verstellen?
Winkler: Die hatte ich, glaube ich, nie.
Z EIT: Der Regisseur Bob Wilson hat gesagt,
dass Sie auf der Bühne immer nur 70 Prozent
geben. Wo sind die anderen 30 Prozent?
Winkler: Die halte ich zurück. Wenn es
wichtig ist, wenn es sein muss, dann gehe ich
natürlich schon nach vorn und schreie. Aber
meine Stärke ist, glaube ich, das Zuhören.
Meine Tochter ist eine Rampensau. Ich würde
sagen, dass ich keine bin.
Z EIT: In Zadeks Wiener Inszenierung des
Kirschgartens, in der Rolle der Gutsbesitzerin
Ranjewskaja, haben Sie aber geschrien ...
Winkler: Da habe ich unheimlich geschrien,
mein ganzes Herzblut hab ich gegeben. Es hat
sich mir ja alles umgedreht beim Kirschgarten.
Wenn ich merke, da ist eine Figur fix und
fertig und verzweifelt, dann geht es mit mir
los, dann kämpfe ich wie ein Wildschwein.
Z EIT: Viele Schauspieler hatten traumatische
Erlebnisse mit Peter Zadek, etwa Gert Voss. Er
ist an Zadek verzweifelt, weil der ihn an­
dauernd mit Liebesentzug gestraft hat.
Winkler: Deswegen ist Zadek auch so verhasst
bei vielen. Bei mir hat er das überhaupt nicht
gemacht. Wir haben uns quasi gefunden.
Z EIT: Er hatte für jeden Schauspieler seine
spezielle Bohrmethode, um an das heranzu­
kommen, was er will?
Winkler: Ich weiß noch genau, in Ibsens
Rosmersholm, da hat er Gert Voss und Peter
Fitz ge gen ein an der ausgespielt. Er hat an
einem Tag den gelobt und am nächsten Tag
den anderen. Zadek war so ein Schlaufuchs,
der wollte aus jedem die Wahrheit rauskitzeln,
der wollte Schrägheit und Hysterie, der wollte
alles auf der Bühne haben, alles! Bei der Pre­
miere von Hamlet in Wien, da hat sich der Uwe
Bohm den Fuß verknackst, als wir mit ein an­
der gekämpft haben, wir sind ja auf ein an der
losgegangen, das war alles echt bei Zadek.
Z EIT: Sind Sie eine Kämpferin?
Winkler: Ich habe mich mit meinen Brüdern
gekloppt und Fußball gespielt. Gefochten
haben wir daheim nicht, aber das habe ich
gelernt mit dem Fechtmeister, mit Uwe Bohm
zusammen. Und der Kampf mit ihm war sehr
wild. Ich bin baff, dass ich das geschafft habe,
obwohl ich doch diesen vielen Text hatte.
Z EIT: Wir haben uns zur Vorbereitung auf
dieses Gespräch Ihre Auftritte in der Netf lix­
Serie Dark angeguckt.
Winkler: Wo ich immer nur so dasitze. Und
dann schaue ich bedeutungsvoll diesen Brief­
umschlag an. (sie macht es nach) Und dann
schaue ich auf die Uhr. Punkt zwölf Uhr, dann
darf ich ihn öffnen. Jede Bewegung ist vorge­
schrieben. Gehe ich vier Treppenstufen hoch
oder nur drei? Wann kommt der Blick zur Uhr?

Angela Winkler mit vier Jahren;
2002 an der Pointe du Raz
in der Bretagne; als Paulina
im »Wintermärchen«, 2005 am
Berliner Ensemble; mit Heinz Hoenig
in Reinhard Hauffs Politthriller
»Messer im Kopf«, 1978; vor dem
Elternhaus in Erlangen, bevor sie
nach Berlin ging
(von oben nach unten) Fotos (v.o.l): privat; Andreas Neubauer; imago; ddp; privat

»Meine Tochter ist


eine Rampensau.


Ich würde sagen,


dass ich keine bin«


ANGELA WINKLER
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