Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

DIE ZEIT 42/19 29


Z E IT: Sie sagen das eher widerwillig.
Winkler: Ich bin bei Dreharbeiten nicht frei,
deswegen mag ich das alles nicht so gern, also
die Filmarbeit. Das ist gleich aus meinem Kopf
raus. Ich bin doch ein Theatermensch.
Z E IT: Haben Sie verstanden, worum es in
Dark geht?
Winkler: Ich habe keinen Fernseher und habe
nichts von der Serie gesehen. Nur bei der
Premiere, wo die ersten drei Folgen gezeigt
wurden, habe ich so ein bisschen geguckt.
Z E IT: Sie sehen sich Ihre Filme nicht an?
Winkler: Nee. Ein paar Filme habe ich aber
schon angeschaut. Die verlorene Ehre der
Katha ri na Blum von Volker Schlöndorff und
Margarethe von Trotta, 1975 war das. Auch
Schlöndorffs Blechtrommel und Peter Fleisch­
manns Jagdszenen aus Niederbayern, das ist
mein Lieblingsfilm, den finde ich wunderbar.
Z E IT: Der Film ist hart. Er zeigt eine ver­
rohte Dorfgemeinschaft. Sie spielen Hanne­
lore, die Hure, die am Ende umgebracht wird.
Winkler: Das war mein erster Film, 1969.
Und ich habe da beim Spielen nicht überlegt.
Je älter man wird, desto mehr Erfahrung
kommt hinzu, und desto komplizierter wird
es. Damals bin ich halt einfach so vor der Ka­
mera rumgelaufen, alles ist spontan passiert.
Z E IT: Diese junge Frau wird vom ganzen
Dorf missbraucht.
Winkler: Ich bin in dem Film so eine Her­
gelaufene, und man kann machen mit mir, was
man will. Trotzdem habe ich einen un heim­
lichen Trotz, eine große Wut in dem Film. Das
gefällt mir, denn ich bin selbst nicht lieb.
Z E IT: Haben wir jetzt auch nicht vermutet.
Winkler: Nein? Also, ich habe diesen Trotz
und auch eine große Wut im Bauch.
Z E IT: Es gab mal in italienischen Zeitungen
die Schlagzeile, eine Deutsche habe zwei
italienische Polizisten krankenhausreif ge­
schlagen. Die Deutsche waren Sie.
Winkler: Ich drehte mit Franco Nero in Ita­
lien Un altare per la madre. Den Film habe ich
übrigens auch nie gesehen. Nach Drehschluss
habe ich mir einen Käse gekauft und eine
Weinf lasche, und plötzlich kommt Polizei,
stürzt aus dem Auto raus und packt mich. Tu
è stupido, habe ich gesagt, ich habe doch nichts
gemacht. Mir wurde der Arm umgedreht, ich
wurde ins Auto reingehievt, und dann sind
die mit Karacho zum Polizeipräsidium ge­
fahren. Da kam, wie in Die verlorene Ehre der
Katharina Blum, eine Frau, hat mich auf die
Toilette geholt und wollte mir in den Unterleib
fassen. Ich habe mich aber gewehrt und saß
dann einen ganzen Tag im Polizeipräsidium in
einem fensterlosen Kabuff. Irgendwann habe
ich dann meinen Wein aufgemacht und
meinen Käse gegessen.
Z E IT: Sie hatten noch Ihre Einkäufe dabei?


Winkler: Die haben sie mir nicht abgenom­
men. Die Leute von der Produktionsfirma be­
freiten mich dann und machten einen Riesen­
aufstand, und die Polizisten haben, um sich zu
schützen, behauptet: »Die hat uns kranken­
hausreif geschlagen.« Und ich hatte einen Pro­
zess am Hals. Damals habe ich 1000 Mark
gezahlt.
Z E IT: Sie haben nach Ihrer Rolle als Katharina
Blum viele Briefe bekommen, in denen Sie als
Kommunistensau und Terroristenschlampe be­
zeichnet wurden. Hat das Ihr Verhältnis zu
Deutschland verändert?
Winkler: Nein. Ich bin ja immer wieder bei der
Polizei angeeckt. Auch weil ich immer so alte
Autos fuhr. Immer wieder ist die Polizei hinter
mir hergefahren. Sie ist auch nachts in meine
Wohnung am Stuttgarter Platz eingedrungen.
Mit Vollmaske und Taschenlampe.
Z E IT: Und warum?
Winkler: Die Zeit war so hysterisch damals.
Und die wussten, dass bei mir viele Leute
wohnen. Ich war viel weg, und dann waren
halt Freunde oder irgendwelche Leute in der
Wohnung. Die wurden dann aufgescheucht.
Z E IT: In Ihren Filmen ging es immer wieder
um Staatsgewalt, Staatsterror, Ma ni pu la tion
der öffentlichen Meinung. Haben Sie diese
Rollen magisch angezogen?
Winkler: Vielleicht liegt es daran, dass ich so
einen Trotz in mir habe, eine Gegenrichtung.
Es gibt da in mir ... wie sagt man?
Z E IT: Widerstand.
Winkler: Widerstand dagegen, einfach etwas
hinzunehmen. Heute mache ich den Mund auf.
Das habe ich früher nie gemacht. Aber seit ich
meine Tochter geboren habe, werde ich immer
mehr zu meiner Mutter, die den Mund aufge­
macht hat (lacht). Ich will halt wissen, warum
etwas geschieht, was ich falsch finde. Es ist dann
vielleicht ein bisschen anstrengend mit mir
manchmal. Einmal bin ich mit meinen Kindern
in der Auvergne durch den Wald gefahren, wir
saßen alle im Auto und sangen, da hielt uns die
Polizei an. Die sagten: Blasen Sie mal. – Warum?
Ich bin hier mit meinen Kindern und singe, uns
geht es gut. – Sie sind auf der linken Straßen­
seite gefahren. Und wieder: Blasen Sie mal! Ich
sage, die Straße ist so schmal, ich bin in der
Mitte gefahren. Na, dann haben sie mich auch
schon wieder gepackt, und ich hatte auch wieder
einen Prozess am Hals, Widerstand gegen die
Staatsgewalt.
Z E IT: Aber ein bisschen versteht man die
Polizisten, denn Sie können auch sehr un­
heimlich sein. In dem Film Hell ...
Winkler: Ja! (lacht laut auf)
Z E IT: ... da spielen Sie die Mutter einer Kan­
nibalenfamilie. Man kriegt eine Heidenangst,
wenn Sie auftreten.
Winkler: Ja, ich habe Fantasie.

Z E IT: Was heißt das jetzt?
Winkler: Dass ich mir alles vorstellen kann,
alle Gruseligkeiten. Sonst wäre ich keine
Schauspielerin.
Z E IT: Spielen Sie auch, wenn Sie allein sind?
Winkler: Ich singe sehr gern, wenn ich allein
bin. Oder ich spreche mir den Dialog vor, an
dem ich arbeite. Wenn ich nachts aufwache,
male ich gern, oder ich klebe Blütenblätter auf
Papier. Vielleicht tue ich das, um nicht allein zu
sein. Diese Tätigkeiten sind so was wie Selbst­
gespräche. Wenn ich in der U­Bahn sitze, schrei­
be ich Geschichten – über die Mitreisenden.
Deswegen fahre ich auch gern U­Bahn.
Z E IT: Wie ist es, wenn Sie erkannt werden?
Winkler: Von jungen Leuten werde ich wegen
Dark erkannt. Von Älteren kriege ich so Blicke,
aber die sprechen mich nicht an. Vor ein paar
Jahren haben mich noch welche angesprochen,
inzwischen aber nicht mehr, viele sind wohl
auch gestorben, die früher gesagt haben: Wissen
Sie, Frau Winkler, wir werden mit Ihnen alt.
Z E IT: Wir wollen noch einmal auf Peter
Zadek zurückkommen. Einmal hatten Sie mit
Ihrem liebsten Regisseur doch Ärger. In Ihrem
Buch beschreiben Sie eine unvergessliche
Bühnen situation. 2002, bei der Wiener Pre­
miere von Tennessee Williams’ Stück Die
Nacht des Leguan, Regie führte Zadek, sind Sie ...
Winkler: Das war die Premiere, wo ich abge­
hauen bin? Hilfe!
Z E IT: ... ja. Da sind Sie mitten in der Vor­
stellung von der Bühne geeilt und ließen Ihre
Kollegen, unter anderem Ulrich Tukur und
Eva Mattes, zurück. Ihnen fehlte ein Requisit,
eine Brosche, die Sie auf der Bühne Eva Mattes
hätten übergeben sollen. Sie gingen hinter die
Kulissen und suchten die Brosche.
Winkler: Der Vorhang fiel. Ich bin nach hin­
ten gegangen, und ich merkte, es war ein
Riesenrummel hinter der Bühne: Wo ist die
Brosche, wo ist die Brosche? Alles stolperte
über ein an der, der Regieassistent fiel in
Ohnmacht. Wirklich! Zadek ist wutentbrannt
abgehauen und hat gesagt, du hast die ganze
Premiere geschmissen, Angela.
Z E IT: Hätten Sie nicht so tun können, als hiel­
ten Sie die Brosche in der Hand, um sie dann
pantomimisch Ihrer Kollegin zu übergeben?
Winkler: Wenn ich Mutter Courage gespielt
hätte, hätte ich es bestimmt so gemacht. Aber
die Figur, die ich gespielt habe, war fast eine
Heilige. Die hätte niemals gelogen. Da konnte
ich auch nicht lügen.

Angela Winkler:
Mein blaues Zimmer
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019;
240 S., 22,– €, als E­Book 18,99 €
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