Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

nach der Sendung noch in ein Lokal. Und da kam
plötzlich der Kellner an den Tisch und sagte, ein
Anruf für Sie, ein Herr Carrell. Damals gab es
noch keine Handys. Ich dachte, was soll das, und
blieb sitzen.
ZEIT: Ernsthaft?
Richter: Ich dachte einfach: Jaja, guter Witz!
Dann kam der Kellner noch mal und sagte, bitte
kommen Sie doch mit, der Herr Carrell will Sie
unbedingt sprechen. Ich ging genervt ans Telefon
und hörte diesen holländisch gefärbten Singsang:
»Ich habe Sie gerade im Fernsehen gesehen, ganz
doll. Ich will Sie engagieren.« Ich sagte: »Respekt,
Sie können Herrn Carrell wirklich gut nach­
machen ...« Es hat gedauert, bis ich kapiert habe,
dass es wirklich Rudi Carrell war. Er sagte, er
brauche eine Frau. Und ich sagte, ich mache alles,
was Sie wollen. Das habe ich wirklich gesagt. Und
er hat mich noch am Telefon engagiert.
ZEIT: Sie haben bei unserem letzten Treffen ge­
sagt, Sie hätten heute noch Todesangst, wenn Sie
an Rudi Carrell denken.
Richter: Das ist nicht einfach zu erklären. Rudi
Carrell war der kälteste Mensch, dem ich jemals
begegnet bin. Er war ein großer, dünner Mann,
der sehr viel Bier trank, aber nie betrunken war.
Er war ein Diktator, er wollte immer gewinnen,
was für ihn hieß: Die anderen müssen verlieren.
In jeder Si tua tion. Vielleicht war es für mich be­
sonders schlimm, weil ich seit meiner Kindheit
gewohnt war, mich zu ducken. Das hat er ge­
spürt. Es war für ihn ein Leichtes, seine Sklaven
zu steuern. Er hatte ein sehr gutes Gespür für
die Schwächen anderer Menschen. Er wusste,
wo es wehtat.
ZEIT: Das hört sich schrecklich an. Gab es da auch
eine körperliche Komponente?
Richter: Nein, nein. Carrell war kein Frauenbetat­
scher. Er hat nur eine unglaubliche Kälte ausge­
strahlt. Manchmal hat er mit der Faust auf den
Tisch gehauen. Manchmal hat er geschrien, in
einer Redaktionskonferenz. Man wusste oft nicht,
wen er meint. Er meinte nur die Si tua tion. Ich
habe mich schrecklich vor ihm gefürchtet – das
ging aber nicht nur mir so, auch vielen Männern.
ZEIT: Teilweise sind diese Sketche, die Sie mit ihm
gedreht haben, richtig lustig geworden. Wie geht
so was in einem Klima der Angst?
Richter: Er hat alles geplant. Du hast deine Texte
gelernt, deine Worte, es waren ja oft nur wenige
Worte, die man sagen musste. Beim Zuschauer ist
das nicht angekommen, wir waren ja alle Profis.
Ich hab’s irgendwie immer hingekriegt. Aber mir
ging es dabei auch gesundheitlich nicht gut. Ich
hatte eine schwere Magenschleimhautentzündung,


weil ich vor den Auftritten immer nur gekotzt
habe, aus Angst. Dann hab ich gesagt: Jetzt ist
Schluss, ich mach nicht mehr weiter, ich höre auf.
ZEIT: Hat er das akzeptiert?
Richter: Nein. Das hat ihn getroffen, weil er mich
gebraucht hat. Das war nach der ersten Staffel von
Rudis Tagesshow. Er wollte mich umstimmen, er
zeigte sogar so was wie eine Mini­Emotion und
sagte, die erste Staffel seien seine Arschloch­Zeiten
gewesen, das werde jetzt anders. Ich sagte, ich ma­
che nur weiter, wenn er mir kniend, vor anderen,
mit einem Blumenstrauß in der Hand, die Füße
küsst. Das hat er wirklich getan, das war irre. Und
ich habe weitergemacht.
ZEIT: War er danach netter?
Richter: Nein, im Gegenteil. Für diesen Triumph
hat er sich gerächt. Er wurde noch gehässiger.
Ganz hat sich meine Magenschleimhaut nie wie­
der erholt davon. Ich spüre sie heute noch.
ZEIT: Sie haben auch einmal mit Harald Juhnke
gearbeitet.
Richter: Juhnke war ein sympathischer Mann. Er
war ein sehr, sehr begabter Schauspieler und viel­
leicht nicht der Allerschlaueste, was ja manchmal
bei sehr begabten Schauspielern so ist. Wir dreh­
ten gemeinsam eine sechsteilige Serie, eine Parodie
auf die Schwarzwaldklinik, sie hieß Forst arzt. Ha­
rald Juhnke spielte Klausjürgen Wussow, und ich
war Gaby Dohm. Die Serie wurde leider einge­
stellt, warum, weiß ich nicht, aber ich vermute,
dass der Ärger der Schwarzwaldklinik-Fans zu groß
war. Sogar meine Mutter hat mit mir geschimpft:
Wie kannst du nur die schönste Serie aller Zeiten
verunglimpfen?
ZEIT: Juhnke hat bekanntlich viel getrunken.
Merkte man das bei der Arbeit?
Richter: Er war sehr diszipliniert, er hat 18­Stunden­
Drehtage durchgehalten. Nur einmal in den sechs
Wochen kam er morgens um sieben zu den Dreh­
arbeiten, etwas schwankend, und sagte (ahmt den
berlinernden Juhnke nach): »Eigentlich bin ich nur
gekommen, um zu sagen, dass ich jetzt wieder
gehe, wa.«
ZEIT: Ein anderer Ihrer Schauspielpartner in vie­
len Sketchsendungen war Diether Krebs. Auch er
hatte Probleme mit Alkohol und Drogen. Scheint
irgendwie zu dieser Branche dazuzugehören.
Richter: Klar. Ich mochte Diether Krebs, war ein
guter Typ. Er hat immer zu mir gesagt: Du musst
nach dem Dreh mitgehen zum Saufen, sonst ge­
hörst du nie dazu. Er hatte völlig recht, ich hab nie
dazugehört. Ich bin fast nie zum Trinken mitge­
gangen. Ich hatte damals ja auch ein kleines Kind
zu Hause. Ich bin ein Einzelgänger, immer ge­
wesen. Ich hatte nie große Freundschaften, bis

heute nicht. Ich hatte nie Probleme mit Alkohol
oder Drogen, ich bin immer bei meiner Wein­
schorle geblieben. Meine Sucht war, dass ich stän­
dig das Gefühl hatte, ich muss mich behaupten,
und dafür machte ich immer eins zu viel. Ich war
laut, nervig, manchmal unerträglich. Mit der Zeit
ist das besser geworden, aber das Gefühl ist geblie­
ben: Ich bin nichts, ich muss wer sein.
ZEIT: Schauen Sie sich heute im Fernsehen Satire­
oder Sketchsendungen an?
Richter: Ich schaue sehr viel Fernsehen. Und auch
gerne Satire. Ich mag zum Beispiel die heute-show,
ich finde, die haben sehr gute Texte. Was mich al­
lerdings stört: Die arbeiten sehr viel mit Grimas­
sen, immer ziehen sie Grimassen. Sie sollten weni­
ger ihre Gesichter verzerren und mehr auf die
Texte vertrauen.

Nach zwei Gesprächen hat man das Gefühl,
dass man alles und doch immer noch zu wenig
über Bea trice Richter erfahren hat. Manchmal
wird sie sehr ernst, dann scheint sie das Ernste
nicht mehr auszuhalten und macht sich darüber
lustig. Auch zum dritten Gespräch kommt sie
mit ihrer Sonnenbrille und nimmt sie nicht ab.
Beatrice Richter hat nach den Achtzigerjahren
weiter als Schauspielerin gearbeitet, sie war in
vielen großen Formaten des deutschen Fern-
sehens zu sehen: »Tatort«, »SOKO«, »Groß-
stadtrevier«. Am meisten im Gedächtnis
geblieben sind die »Sketch up«- Sen dun gen: Das
Charakteristische waren die Szenen zwischen
Mann und Frau, es ging oft um die Kämpfe,
die Missverständnisse, die Spießigkeit des
Zusammenseins. Richter sagt, sie lebe allein,
und das sei auch gut so.

ZEIT: Glauben Sie, Ihr Leben wäre einfacher ge­
wesen, wenn Sie ein Mann wären?
Richter: Ich bin beiden Geschlechtern nicht be­
sonders zugetan. Ich würde kein Mann werden
wollen, ich wollte auch nie eine Frau werden. Ich
bin nie so furchtbar gerne auf der Welt gewesen.
Wenn ich schon die Wahl hätte, dann vielleicht
ganz was anderes. Vielleicht ein Elefant?
ZEIT: Haben Sie nicht den Eindruck, dass es
Männer in der Liebe leichter haben? Die leiden
nicht so sehr.
Richter: Vielleicht leiden Männer lächerlicher als
Frauen.
ZEIT: Haben Sie mal so richtig schlimm an der
Liebe gelitten?
Richter: Ja. Das war wahrscheinlich ein Knack­
punkt in meinem Leben. Ich erzähle euch die Ge­
schichte. Ich hatte mein erstes En gage ment in Ba­

den­Baden, ich war 21, und ich lernte einen viel
älteren, ziemlich hässlichen Mann kennen. Er war
Regisseur, ziemlich bekannt, ziemlich mächtig, er
lebt noch, deshalb sage ich seinen Namen nicht.
Ich dachte, ich habe mich in ihn verliebt, aber ich
habe mich verliebt in das, was er gemacht hat. Das
war bei mir immer so. Wir lebten zusammen in
einem großen Haus, und er war viel unterwegs.
ZEIT: Wie lange waren Sie ein Paar?
Richter: Sechs Jahre. Alle wussten, dass er mich
dauernd betrügt, nur ich wusste es nicht. Dann
hat man es mir erzählt. Und ich bin ihm nach­
gefahren. Ich kürze ab: Ich habe ihn in flagranti
erwischt. Es war furchtbar für mich. Der ultima­
tive Verrat. Er fand das alles lustig. Dieses Erleb­
nis, dieser tiefe Verrat, das hat mich nie wieder
losgelassen. Ich bin da nie wirklich drüber weg­
gekommen.
ZEIT: Sie haben später in New York einen Psy­
chiater geheiratet.
Richter: Ich wollte nach dem Bierglas­Drama
mit Waldleitner unbedingt weg aus Deutschland
und landete in New York. Ich liebte diese Stadt
vom ersten Moment an. Ich ging in eine Tanz­
schule, um Jazztanz zu lernen. In einer Bar habe
ich dann einen Mann kennengelernt, schon wie­
der sehr hässlich, ich liebe hässliche Männer. Ich
fand ihn unglaublich spannend, ein Intellektuel­
ler durch und durch, er konnte Griechisch und
Latein, der Vater war Sizilianer, die Mutter Irin.
Von Beruf Psychiater. Er hatte ein geiles Apart­
ment in Central Park West, und er konnte wun­
derbar Klavier spielen, Debussy und so. Wir hei­
rateten, unsere Trauzeugen waren die Heraus­
geber der New York Times, ich dachte: das große
Los. Was mir vielleicht schon hätte auffallen
können: seine Wutausbrüche, seine Stimmungs­
schwankungen und die Berge von weißem Pul­
ver, die er sich reinzog.
ZEIT: Wir ahnen schon: Ging nicht gut aus, die
Geschichte.
Richter: Ich muss das Ende schnell und kurz er­
zählen, sonst packt mich wieder die Angst. Er fing
an, mich zu verprügeln, und irgendwann eskalierte
es an einem Abend entsetzlich. Er ging auf mich
los, verletzte mich am Rücken. Später floh ich,
über die Feuerleiter. Kurz drauf habe ich New
York verlassen und bin wieder zurück nach
Deutschland.
ZEIT: Puh. Sagen Sie: Gab es auch eine glückliche
Geschichte in Ihrem Privatleben?
Richter: Ja, eine sehr glückliche. Es begann damit,
dass mich ein Arzt in Frankfurt, zu dem ich ge­
gangen war, weil mir immer schlecht war, an­
schaute und sagte: »Ei, Mädche, du hast nichts am

Magen, du bist ein bisschen schwanger.« Ich bin
runter auf die Straße und richtig gehüpft vor Freu­
de: Ich bin schwanger. So ist es geblieben, auch
wenn die Beziehung mit dem Vater, der ebenfalls
Schauspieler war, nicht lange gehalten hat. Meine
Tochter Judith ist die größte Freude und die große
Liebesgeschichte meines Lebens.
ZEIT: Sie spielen mit Ihrer Tochter zusammen
Theater, unlängst in dem Stück Zuhause bin ich
Darling am Berliner Schillertheater. Sie haben jetzt
mehr als 50 Jahre in dieser Branche gearbeitet.
Sind Sie eine reiche Frau?
Richter: Nein, um Gottes willen. Ich bin auch
nicht gut in Zahlen, ich kann sie nicht gut lesen.
Ich habe oft gut verdient, aber so wahnsinnig viel
war es auch nicht. Wenn ich mich richtig erinnere,
bekam ich damals für zwei Sketch up- Sen dun gen
25.000 Mark brutto. Ich komme gut klar. Ich füh­
re ein eher bescheidenes Leben. Ich gehe abends
gerne in sehr einfache Kneipen. Ich bekomme
auch eine Rente. 870 Euro. Kann man nicht kla­
gen, nach 50 Jahren Berufsleben, oder?
ZEIT: Sie haben auch Geld mit Ihrem Aussehen
und Ihrem Körper verdient. Sie haben Nacktfotos
gemacht für den Playboy und für Pent house. In
einem Interview damals haben Sie gesagt: »Ich
habe meinen Po gern gezeigt.«
Richter: Das war eine tolle Sache. Vor allem für
Pent house, da war der Fotograf großartig, ein alter
Chinese. So leicht habe ich nie Geld verdient.
ZEIT: Sie sind heute 70 Jahre alt.
Richter: Ich mag diese 7 nicht. Mit der 5 konnte
ich leben, mit der 6 auch noch. Aber die 7? Ich
finde, die passt irgendwie nicht zu mir. Dann eher
wieder die 9.
ZEIT: Haben Sie Probleme mit dem Älterwerden?
Richter: Schreckliche Probleme! Ich finde Alt­
werden das Schrecklichste, Unappetitlichste, Wi­
derwärtigste, was es gibt. Mir fehlen die Worte
dafür. Ich spüre die Verwesung. Wehe, ich höre
noch irgendjemanden sagen: Alt werden ist doch
schön. Es ist eine einzige Katastrophe.
ZEIT: Manche Menschen versuchen, den Gang
der Zeit durch den Weg zum Chirurgen aufzuhal­
ten. Haben Sie das jemals gemacht?
Richter: Nein. Allein die Vorstellung, was da mit
einem geschieht, lässt mich erschaudern. Und es
gibt ja genügend schreckliche Beispiele von
Frauen, die das versucht haben. Nein. Ich habe
eine andere Lösung. Meine faltigen Arme? Meine
Beine? Kein Mensch wird sie je mehr zu sehen be­
kommen. Ich trage hochgeschlossene Kleidung.
Auch der Hals verschwindet weitgehend. Ich fin­
de, das ist eine gute Kompromisslösung, zwischen
mir und der Welt.

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  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42 DOSSIER 17


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