Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

Milchbeben


WIRTSCHAFT


D


ie Bauern sind wütend.
Von dem wenigen Geld für
die Milch ihrer Kühe
könnten sie nicht leben,
klagen sie. Einige haben
wichtige Zufahrtswege ins
Stadtzentrum blockiert.
Um auf ihre wirtschaftliche Lage aufmerksam zu
machen, kippen sie kannenweise Milch auf die
Straße. In kleinen weißen Bächen läuft sie den
Rinnstein entlang.
Neu ist die Szene nicht – mit 136 Jahren ist sie
sogar uralt. Das Magazin Harper’s Weekly beschreibt
sie am 31. März 1883 in Form eines Cartoons. Die
Zeichnung zeigt die Proteste der Milchbauern im
US-Bundesstaat New York und erzählt damit bereits
jene Geschichte, die seitdem weltweit wieder und
wieder erzählt wurde. Sogar die damaligen Gegner
der Bauern ähneln den heutigen: Abseits der Pro teste
zeigt der Cartoon einen feixenden Kutscher, der sich
milk dealer nennt, aber bloß Wasser anbietet, das er
heimlich mit Kreide weiß gefärbt hat.
Mit Kreide geweißtes Wasser verkauft heute zwar
niemand mehr. Produkte, die keine Milch sind, aber
wie Milch aussehen, wie Milch schmecken und wie
Milch verpackt werden, dafür umso häufiger. Die
Verkäufer geben das sogar offen zu. Und sie sind
extrem erfolgreich. Der Milchersatz besteht aus
Hafer, Soja oder Mandeln. Zwar wird noch achtmal
mehr Kuhmilch verkauft. Aber in vielen Industrie-
ländern sinkt der Konsum, in Deutschland etwa um
acht Prozent seit 2011. Das internationale Geschäft
mit Ersatzgetränken hingegen hat sich seit der Jahr-
tausendwende verdreifacht. Und nach Hochrech-
nungen der US-Beratungsfirma Global Market
Insights werden die Verbraucher im Jahr 2025 welt-
weit 37,5 Mil liar den Dollar für Milchersatzprodukte
ausgeben – doppelt so viel wie heute.
Der Angstgegner der Milchindustrie heißt Toni
Petersson. Der 52-jährige Schwede ist Chef des
Haferdrink-Produzenten Oatly. In seinem Büro in
der Hafengegend von Malmö erklärt er, warum die
Zeit der Kuh enden müsse: »Das Ernährungssystem
ist kaputt. Tierische Lebensmittel sind nicht nach-
haltig und verbrauchen viel zu viele Ressourcen.«
Oatly sieht sich als Botschafter einer Welt ohne
tierische Produkte, ohne tierisches Leid. An der
Wand eines Besprechungszimmers hängt, ähnlich
einer Jagdtrophäe, ein goldfarbener Bullenkopf.

Die Haferdrink-Hersteller haben eine
Botschaft, die in die Zeit passt

Department of Mind Control nennt sich das Zen-
trum des Unternehmens, übersetzt etwa: Abteilung
für Bewusstseinskontrolle. Es gehe nicht um Mar-
keting oder um ein Geschäftsmodell allein, sagt
Petersson: »Wir wollen die Welt verbessern, das ist
uns wirklich wichtig.« Dazu müsse Oatly die unter
40-Jährigen erreichen, eine Zielgruppe, die hoch-
gradig vernetzt sei und sich unter anderem durch
ein hohes Umweltbewusstsein auszeichne: »Ihnen
müssen wir erklären, wer wir sind und was wir
wollen.« Das scheint zu gelingen. Im vergangenen
Jahr habe das Unternehmen umgerechnet 96 Mil-
lionen Euro umgesetzt, sagt Petersson, »in diesem
Jahr wird sich unser Umsatz verdoppeln. Und bei
der riesigen Nachfrage könnten wir sogar noch
schneller wachsen.«
Fand man die Haferdrinks in Deutschland
lange nur in ausgewählten Bioläden, stehen sie nun
auch bei Edeka und Rewe. Zehn Prozent Markt-
anteil bei den Milchalternativen hat Oatly hierzu-
lande bereits erobert, seit das Unternehmen vor
eineinhalb Jahren eine Niederlassung in Berlin er-
öffnete. »Der Geschmack entscheidet, aber unsere
wichtigsten Argumente sind Nachhaltigkeit und
der Kampf gegen den Klimawandel«, sagt der
deutsche Co-Geschäftsführer Tobias Goj. Derzeit
bringt das Unternehmen eine Petition beim Deut-
schen Bundestag auf den Weg. Auf allen Lebens-
mitteln solle künftig angegeben werden, wie viele
Treibhausgase ihre Herstellung verursacht hat.
Kaum überraschend: Oatly kommt dabei nach
eigenen Angaben gut weg. Verglichen mit Kuh-
milch verursache die Herstellung der Haferdrinks
nur ein Fünftel an Treibhausgasen, auch der Ver-
brauch von Wasser und Landfläche sei deutlich
geringer. Das bleibt im Gedächtnis. Mind control.
Oatly hat eine Botschaft, die in die Zeit passt.
Gegen den Zeitgeist kann Kirsten Wosnitza nicht
viel ausrichten, ein paar Dinge an diesem Bild kor-
rigieren möchte sie aber schon. Die Milchbäuerin
bewirtschaftet mit ihrem Mann einen Hof in Schles-

wig-Holstein, auf halbem Weg zwischen Husum
und Flensburg. 120 Kühe leben dort, die klassisch
schwarzbunten, und wenn sie nicht gerade gemol-
ken werden, verbringen sie den Sommer größtenteils
draußen auf der Weide. »Das steigende Interesse an
den Ersatzgetränken ist keine grüne Mode, die ir-
gendwann wieder vorbeigeht«, sagt sie. »Wir Milch-
bauern sollten das Thema ernst nehmen und of-
fensiv damit umgehen. Es gibt nämlich durchaus
ein paar Gründe, die für Kuhmilch sprechen.«
Die Sache mit der Weidehaltung zum Beispiel.
Weiden sind Grünland, das ist ökologisch besonders
wertvoll, bestätigt das Bundesamt für Naturschutz.
Außerdem speichern sie viel Treibhausgas. Wiesen
in Äcker umzuwandeln würde es freisetzen und sei,
so die Behörde, »zum Erreichen der Klimaschutz-
ziele kontraproduktiv«. Am besten sollten die fünf
Millionen Hektar Grünland in Deutschland also
bleiben. »Neben Schafen und Pferden sind grasende
Kühe die beste Möglichkeit, das Weideland zu er-
halten. Gleichzeitig lassen sich so hochwertige
Nahrungsmittel bereitstellen«, sagt Wosnitza.
Kühe als Landschaftspfleger sind ein neues Ar-
gument in der Milchdebatte. Doch Wendungen
wie diese hat es immer wieder gegeben. Auch die
Macher der Pflanzendrinks haben sich stets äußerst
flexibel auf gesellschaftliche Strömungen eingestellt
und ihre Verkaufsstorys angepasst.
In den Achtzigerjahren war Gesundheit das
Megathema, es ging um Laktoseintoleranz, viele
suchten einen Ersatz für Kuhmilch, Soja schien ideal
zu sein. Bis der Ruf der Bohne Kratzer bekam:
Wurden für den Anbau Regenwälder in Südame-
rika gerodet? War Soja nicht die Lieblingspflanze
der Gentechniker? Heute zählen Sojadrinks noch
immer zu den beliebtesten Milchalternativen, ver-
lieren aber an Bedeutung.
Echten Genuss ohne Reue versprach daraufhin
Mandelmilch: Mandelbäume gefährden keine
tropischen Regenwälder. Mandeln stehen nicht
unter Gentechnik-Verdacht. Sie enthalten viele
Vitamine und wenig Fett, sind gut fürs Herz. Doch
die Produktion von Mandeln erfordert viel Wasser.
Ein Glas Mandelmilch entspricht einem Duschbad,
so die gängige Rechnung. Und da ein Großteil der
Mandeln für den Weltmarkt im sonnigen US-Bun-
desstaat Kalifornien angebaut wird, der regelmäßig
unter Dürreperioden leidet, verlor auch dieser Drink
schnell an Glanz.
Hafer ist die jüngste Allroundwaffe gegen die
Kuhmilch – mit Oatly als prominentem Vertreter.
Das Produkt ist so hip, dass Oatly mehrfach Liefer-
schwierigkeiten bekam: 2018 in New York und in
den vergangenen Wochen in Deutschland. Diesmal
passt ja auch wirklich alles: Hafer ist frei von Gen-
technik, wächst fast überall und braucht nicht über-
mäßig viel Wasser. Damit eignet er sich als ideale
Basis für ein Anti-Klimawandel-Getränk, ein poli-
tisches State ment für Frühstücksmüsli und Caffè
Latte. Auch in Deutschland, wie Umsatzanalysen
zeigen: In diesem Sommer hat Hafer alle anderen
Milchersatzdrinks erstmals überholt.
Gestartet ist aber auch Oatly nicht als Klima-
schützer. 1990 entdeckten Forscher der Universität
Lund, wie sich mithilfe von Enzymen Hafer ver-
flüssigen lässt. Sie suchten eine Alternative für
Menschen, die Laktose nicht vertrugen. Der dama-
lige Doktorand Ri ckard Öste erkannte die geschäft-
lichen Möglichkeiten – und gründete Oatly. Peters-
son führt das Unternehmen erst seit 2012, er hat die
grüne Seite hervorgehoben, Oatly steht nun vor
allem für Tier-, Umwelt- und Klimaschutz. Peters-
son betont allerdings, dass es auch dem Gründer
»schon immer um Nachhaltigkeit gegangen« sei.
Was Regionalität angeht, gibt es indes noch Luft
nach oben. Die Haferbasis für seine Drinks produ-
zierte Oatly bislang vor allem in Schweden. Erst im
April ging eine Fabrik in den USA in Betrieb, eine
in den Niederlanden folgt nun, nächstes Jahr soll
eine zweite in den USA und eine in Singapur da-
zukommen.
Die Milchlobby und ihre Gegner kämpfen auch
juristisch mit ein an der. Dass nur Kuhmilch auch
Milch heißen darf, entschied vor zwei Jahren der
Europäische Gerichtshof. Den Werbespruch It’s like
milk, but made for humans (»Ist wie Milch, aber für
Menschen gemacht«) darf Oatly in seinem Heimat-
land nicht mehr verwenden; ein Gericht in Stock-
holm sah darin eine unzulässige Herabwürdigung
von Kuhmilch. Neuen Streit gibt es in Schweden
um die Frage, ob sich Oatly mit seiner aktuellen
Kampagne Spola Mjölken (»Kipp die Milch weg«)
im Ton vergriffen hat. Und in Deutschland wird
wieder gefordert, dass für Pflanzendrinks der gleiche

reduzierte Mehrwertsteuersatz gelten soll wie für
Milch. Zuletzt hatte die Ersatzdrink-Industrie nach
langen Prozessen vor dem Bundesfinanzhof ver-
loren. Weil viele Käufer von Kuhmilch nach dem
Preis entscheiden, hängt von solchen Fragen viel ab.
Und weil in Deutschland weitaus mehr Milch
produziert als verbraucht wird, ist der niedrig. Land-
wirte erhalten für konventionelle Milch je nach
Region und Molkerei zwischen 30 und 36 Cent je
Kilo. Das sind zwar gut zehn Cent mehr als bei der
letzten großen Milchkrise 2016, deckt aber nicht
die Kosten. Die meisten Betriebe können ohne
staatliche Subventionen nicht überleben. Als Fami-
lienbetriebe halten sie durch, weil jeder mitarbeitet,
bis es nicht mehr geht. Jahr für Jahr sterben Höfe.
Die verbleibenden werden größer, in der Hoffnung,
so auf ihre Kosten zu kommen. Die Milchindustrie
bleibt in einer Spirale gefangen, die sich immer nur
nach unten dreht. Im schlimmsten Fall endet sie wie
im Allgäu, wo Behörden aktuell gleich gegen drei
Großbetriebe wegen Tierquälerei ermitteln.
Auch bei den Milchkonkurrenten sind die Her-
stellungskosten nicht unbedingt gedeckt, Oatly
arbeitet jedenfalls nicht profitabel. Die Expansion
und die neuen Fabriken kosten viel Geld. Roh-
stoffe gibt es hingegen so gut wie geschenkt: Haupt-
bestandteil einer Oatly Barista Edition ist Wasser
mit zehn Prozent Hafer. Dazu ein Schuss Rapsöl,
etwas Säureregulator, Kalziumkarbonat, Kalzium-
phosphat, Salz und Vitamine – gängige Zutaten der
Lebensmittelindustrie. Der namensgebende Hafer
kostet am Weltmarkt nur etwa 1,5 Cent pro Liter.
Verkauft wird die Packung bei Rewe für 2,19 Euro.
Davon können selbst Biomilchbauern nur träumen.

Staatsgeld und Biermilliardäre finanzieren
den globalen Kampf gegen die Kuh

Eine Analyse der niederländischen Rabobank ergab
für die Jahre 2012 bis 2016, dass die Rendite auf das
eingesetzte Kapital bei Alternativprodukten weit
höher liege als bei konventioneller Milch. »Starke
Wachstumsraten und bessere Ertragsmöglichkeiten
haben die Aufmerksamkeit von Nahrungsmittel-
konzernen, Start-ups und Investoren erregt«, so die
Bank. Am auffälligsten war das bei White wave,
dessen Gründer 1977 ein Darlehen über 500 Dollar
aufnahm und früh eine in den USA erfolgreiche
Sojamilch entwickelte. 2017 wurde White wave für
zehn Mil liar den Dollar an Danone verkauft, einen
der größten Nahrungsmittelkonzerne der Welt. Ihm
gehört auch die Marke Alpro, die das Pflanzendrink-
Segment in deutschen Supermärkten dominiert.
2016 hatte Coca-Cola für 400 Millionen Dollar
China Green Culiangwang übernommen, einen in
China sehr populären Hersteller von pflanzlichen
Proteingetränken. Und fünf Jahre zuvor war Nestlé
mit 60 Prozent bei der chinesischen Yinlu Group
eingestiegen, die auf Erdnussmilch spezialisiert ist.
Auch Oatly ist nicht allein. Ende 2016 kauften
sich zwei Großinvestoren bei den Schweden ein:
der staatliche Mischkonzern China Resources aus
Hongkong und die Finanzierungsgesellschaft
Verlinvest aus Brüssel, hinter der die belgischen
Familien Spoelberch und de Mévius stehen. Die
sind überaus verschwiegen, gehören international
zu den reichsten Familien und verdanken ihre
Vermö gen dem weltgrößten Brauereikonzern
AB InBev. Nach Angaben von Petersson besitzen
China Resources und Verlinvest heute jeweils
rund ein Drittel an Oatly. Staatsgeld und Bier-
milliardäre finanzieren also den globalen Kampf
gegen die Kuh. Auf Fragen der ZEIT zu den
Eigentümerfamilien reagierte Verlinvest nicht.
An Kirsten Wosnitza und ihren 120 Kühen
gehen Kapitalströme dieser Größenordnung vor-
bei. Auf die neuen Konkurrenten müssen die
Milchbauern also neue Antworten finden. Ob
die klassischen Formen des Protests und Appelle
an Verbraucher ausreichen? Wosnitza ist da skep-
tisch. »Wir müssen den Menschen wieder einen
Grund dafür geben, Milch zu kaufen«, sagt sie,
»und das könnte ihre Natürlichkeit sein. Milch
ist schließlich immer noch ein Naturprodukt.«
In den Laboren indes reifen derweil ein paar
ganz andere Ideen heran, die eines Tages sowohl
den Milchbauern als auch Firmen wie Oatly ge-
fährlich werden könnten. Das Berliner Unter-
nehmen Legendairy Foods zum Beispiel ent-
wickelt ein Verfahren, um Milchbestandteile bio-
technisch und ganz ohne Kühe herzustellen. Das
wäre kein Ersatz mehr, sondern das echte Zeug.
Erst Käse, dann Joghurt, dann Milch – die ersten
Illustration: Anna Gerdes; ZEIT-GRAFIK/Quelle: Euromonitor, Oatly Produkte sollen in drei Jahren marktreif sein.


Die Pflanzen
Rohstoffe der Milchalternativen

30 % 27 % 25 % 7 % 6 % 5 %


Hafer Soja Mandeln Kokosnüsse Reis Rest

Marktanteile großer Pflanzenmilch-Marken
in deutschen Supermärkten

Die Unternehmen

Alpro (Danone) Eigenmarken des Handels Oatly Alnatura Rest

45 % 30


(^10 87)
Konkurrenz für
das Euter
Die Milch
von morgen
Der Haferdrink-Produzent Oatly will
eine Welt ohne Kühe und entwickelt sich zum
Albtraum der Milchbauern. Die kämpfen
um ihre Existenz VON MARCUS ROHWETTER
Milchbeben
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  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42

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