Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

»Kurzarbeit wird massiv zunehmen«


Die Industrie steckt in der Rezession, es fehlen Aufträge und jetzt droht auch noch eine Verlagerungswelle,


warnt Roman Zitzelsberger, Chef der IG Metall in Baden-Württemberg


DIE ZEIT: Haben Ihre Leute Angst vor Kurz-
arbeit, Herr Zitzelsberger?
Roman Zitzelsberger: Viele machen sich große
Sorgen, aber nicht alle. Momentan ist Kurzarbeit
auch noch kein Massenphänomen. Fast zwei
Drittel der Beschäftigten in der Industrie haben
noch immer positive Zeitkonten.
ZEIT: Das heißt, sie haben viele Überstunden
angesammelt.
Zitzelsberger: Genau, und dieser Puffer muss erst
aufgebraucht sein, bevor die Arbeitsagentur
Kurzarbeit bewilligt und für den Arbeitsausfall
Geld zahlt. In ein paar Monaten wird das in vie-
len Fällen aber wahrscheinlich so weit sein. Es
kommen zu wenig neue Aufträge nach, deshalb
ist absehbar, dass die Kurzarbeit spätestens zum
Jahreswechsel massiv zunehmen wird.
ZEIT: Was heißt »massiv zunehmen«?
Zitzelsberger: Derzeit sagen zehn Prozent der
von uns befragten Betriebsräte, dass in ihrem Be-
trieb Kurzarbeit geleistet wird. Aber 15 Prozent
geben an, dass sie geplant ist.
ZEIT: Glauben die Beschäftigten, dass das bald
auch wieder vorübergeht?
Zitzelsberger: Das ist sehr unterschiedlich. Es
überlagern sich ja im Augenblick zwei Dinge:
Das eine ist die Konjunktur, die jetzt abklingt.
Wir hatten jahrelang Sonderschichten, und
wenn das nun endet, ist das keine Krise, son-
dern eine Normalisierung.
Das andere sind dauerhafte,
strukturelle Veränderungen,
deren Umfang noch unklar
ist. Ein Beispiel: Gleich hier
um die Ecke ist der Bosch-
Standort Feuerbach. Von
den rund 14.000 Beschäf-
tigten dort arbeiten etwa
8000 an Teilen für Diesel-
motoren, vor allem in der
Entwicklung. Die sorgen
sich um ihre Zukunft.
ZEIT: Müssen sich alle Be-
schäftigten in der Autoin-
dustrie Sorgen machen? Es
heißt ja immer, für die Pro-
duktion eines Elektroautos
brauche man viel weniger
Leute.
Zitzelsberger: Das stimmt
so pauschal nicht. Dort, wo
Autos zusammengebaut werden, also etwa bei
Daimler in Sindelfingen, ist der Umstieg be-
schäftigungsneutral, vielleicht werden da sogar
etwas mehr Leute als bisher gebraucht.
ZEIT: In der Motorenproduktion sieht das aber
sicher anders aus. Ein Elektromotor lässt sich
einfacher herstellen als ein Diesel.
Zitzelsberger: Der E-Motor hat weniger Teile, ja.
Wichtiger ist: Über die Jahre hat sich unter Her-
stellern und Zulieferern eine bestimmte Auf-
gabenteilung eingependelt. Kein Autohersteller
hat zum Beispiel die Kühlung produziert, das
machen heute Zulieferer wie Mahle-Behr. Jetzt
gibt es einen Kampf darum, wer künftig was
macht. Ein Beispiel: Der Antriebsstrang im ak-
tuellen E-Auto von Daimler kommt von ZF. Da
sagen die Daimler-Kollegen in Untertürkheim:
Schweinerei, nicht nur dass das Ding weniger
Teile hat, nun gebt ihr das noch an den Zuliefe-
rer raus!
ZEIT: Woran entscheidet sich, wer was macht?
Zitzelsberger: In erster Linie ist das eine Kosten-
geschichte. Natürlich kämpfen die Betriebsräte
der Hersteller darum, Arbeit in ihr Werk zu ho-
len, und die Betriebsräte der Zulieferer kämpfen
genauso für ihre Leute. Wir als IG Metall müssen
dafür sorgen, dass es fair zugeht. Damit nicht die
einen sagen, wir verzichten auf Weihnachts- und

Urlaubsgeld und arbeiten fünf Stunden länger.
Am Ende stehen alle schlechter da. Das Schlimme
ist: Einige Zulieferer wollen die Produktion ins
Ausland verlagern, um in diesem neuen Wett-
bewerb noch billiger anbieten zu können.
ZEIT: Schließen oder verlagern viele Unterneh-
men tatsächlich schon Werke?
Zitzelsberger: Ja. Der Mahle-Konzern hat be-
schlossen, hier in Baden-Württemberg einen
Standort dichtzumachen. Conti hatte schon vor
den jüngsten großen Sparplänen angekündigt,
ein Werk zu schließen. Und mehrere kleinere
Zulieferer wollen Stellen abbauen. Das hat alles
nichts mit der Konjunktur zu tun.
ZEIT: Sie meinen, diese Firmen bauen die Pro-
duktion rund um den Verbrennungsmotor ab,
weil der keine große Zukunft mehr hat?
Zitzelsberger: Nein, darum geht es noch nicht
mal. Sondern zum Beispiel um Bauteile, mit de-
nen man die Leistung von Batterien steuern
kann. Es geht also um die neue Technik! So was
wird jetzt ins Ausland verlagert. Das ist sehr be-
unruhigend. Ich glaube, manchen Unterneh-
mern ist gar nicht klar, was sie da anrichten.
ZEIT: Inwiefern?
Zitzelsberger: Die Gefahr ist, dass das stilbildend
wird für den Umbruch, vor dem wir stehen. Wer
sind dann wohl die politischen Nutznießer? Für
uns als IG Metall ist es heute schon schwer, in
den Betrieben den Leuten
ständig zu erklären: Ja,
durch Elektromobilität gibt
es weniger Beschäftigung,
aber wenn wir da nicht mit-
machen, dann kommt das
Auto der Zukunft nicht
mehr aus Deutschland.
Und Klimaschutz ist kein
Witz, den müssen wir wirk-
lich ernst nehmen. Wo im-
mer wir das sagen, kämpfen
wir gegen die Vereinfacher,
die sich in den Betrieben
jetzt breitmachen.
ZEIT: Wen meinen Sie?
Zitzelsberger: Rechtspopu-
listische Gruppen. Das ex-
treme Beispiel sind ein paar
Betriebsräte in Stuttgart-Un-
tertürkheim. Die sagen: Das
ist alles Quatsch, der Diesel
ist gut, der Diesel ist sauber, und beim Klima wer-
det ihr eh alle angelogen. Die IG Metall bezeich-
nen sie als korrupte »Systemgewerkschaft«.
ZEIT: Diese Betriebsräte wurden ja gewählt, also
glauben ihnen viele Arbeiter?
Zitzelsberger: Bisher nur eine Minderheit. Bei
den letzten Betriebsratswahlen bekamen die we-
niger als zehn Prozent der Stimmen. Aber sie er-
zählen die einfachere Geschichte. Und wenn zu
manchem Zweifel an der Klimapolitik die per-
sönliche Betroffenheit kommt, wenn der eigene
Job in Gefahr ist, kann die Stimmung schnell
kippen. Wie Bertolt Brecht es formuliert hat:
Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
ZEIT: Wie verhindert man die Radikalisierung,
vor der Sie warnen?
Zitzelsberger: Vor allem müssen die Unterneh-
men erkennen: Es kann nicht nur darum gehen,
den eigenen Gewinnpegel zu optimieren und
Arbeitsplätze in best cost countries, wie es so schön
heißt, zu verlagern. Also nach Polen, Ungarn,
Rumänien oder zunehmend nach Serbien.
ZEIT: Können Sie als Gewerkschaft etwas dage-
gen tun?
Zitzelsberger: Wir versuchen über Aufsichts- und
Betriebsräte Einfluss zu nehmen, die Belegschaf-
ten und die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Und
natürlich können wir auch mit den Unternehmen

gemeinsam nach Lösungen suchen und schauen, wie
sich Kosten senken und Mitarbeiter qualifizieren
lassen. Aber wenn jemand einfach nur sagt, wir
machen hier dicht, fehlt dafür die Grundlage.
ZEIT: Die Arbeitgeber wollen, dass Sie bei Ihren
Lohnforderungen bescheidener werden. Das goldene
Jahrzehnt sei jetzt vorbei, verkündete gerade der
Geschäftsführer der bayerischen Metall-Arbeit-
geber, Bertram Brossardt. Hat er vielleicht recht?
Zitzelsberger: Angesichts der Konjunkturlage wer-
den wir bei der Tarifrunde im März aller Voraus-
sicht nach über andere Zahlen reden als in den vo-
rangegangenen Jahren. Dafür muss man kein Pro-
phet sein. Wir sollten jetzt aber erst mal die Ent-
wicklung beobachten. Und mehr Einkommen ist
auch nur ein Teil von Tarifpolitik. Wir haben ja ein
ausgeklügeltes Instrumentarium für Krisen: Tarif-
verträge, mit denen man die Arbeitszeit und parallel
den Lohn senken kann, um Beschäftigung zu si-
chern, einen Tarifvertrag für die Zuzahlung bei
Kurzarbeit, einen Vertrag für eine tarifliche Kurz-

arbeit, wenn die gesetzliche Kurzarbeit nicht mehr
greift. Vielleicht brauchen wir noch etwas Neues
für die Transformation unserer Wirtschaft.
ZEIT: Woran denken Sie dabei?
Zitzelsberger: Ein Vorschlag ist ein Kurzarbeiter-
geld für die Transformation. Ein Beispiel: Nehmen
wir einen Ingenieur, der bisher Teile für den Ver-
brennungsmotor entwickelte, aber den seine Firma
jetzt an anderer Stelle brauchen könnte, um die
Steuerungselektronik für ein batterieelektrisches
Fahrzeug zu entwerfen. Um dafür qualifiziert zu
werden, benötigt er 6 bis 18 Monate. Wäre es da
nicht sinnvoll, ihn nicht erst in die Mühlen der
Arbeitslosenverwaltung zu schicken, sondern ihn
gleich in seinem Betrieb zu schulen, mit einem fi-
nanziellen Zuschuss von der Arbeitsagentur? Da-
durch wird er nicht arbeitslos, und das Unterneh-
men hat nach überschaubarer Zeit einen qualifizier-
ten Mitarbeiter.
ZEIT: Wie viele Beschäftigte bräuchten so eine
Qualifizierung?

Zitzelsberger: Eigentlich alle. Deshalb reden wir ja
von einer Transformation. Klar ist: In 15 Jahren
werden die Beschäftigten in der Autoindustrie
komplett andere Aufgaben haben. Auch wegen der
Digitalisierung und wegen künstlicher Intelligenz.
Heute werden ja im Fahrzeugdesign noch immer
Modelle aus Ton geformt, sogar im Maßstab 1 : 1.
Das wird nicht so bleiben. Wir können im Com-
puter Modelle entwerfen, wir können Bauteile
drucken, und in der Montage werden in Zukunft
immer häufiger Roboter Seite an Seite mit dem
Menschen zusammenarbeiten.
ZEIT: Das finanzielle Polster der Arbeitslosenversi-
cherung reicht für eine Massen-Umschulung sicher
nicht.
Zitzelsberger: Nein, aber die Politik muss sich jetzt
entscheiden, wie wichtig ihr diese Industrie mit
850.000 Beschäftigten ist. Die darf sie nicht im
Stich lassen.

Das Gespräch führte Kolja Rudzio

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20
11

7
7

6

9

Te x t i l i e n
elektronischen Ausrüstungen
Metallerzeugnissen
Maschinen
Kraftwagen und Kraftwagenteilen

Papier, Pappe und daraus hergestellte Waren

Hersteller von .... Geschäftserwartung

(^0) Z E I T-GRAFIK/Quelle: Ifo-Institut
3
6
9
12
90
95
100
105
Kurzarbeit angeordnet Kurzarbeit geplant Beurteilung der heutigen Lage
Anteil der Industrie-
betriebe, die Kurz-
arbeit nutzen oder
in den nächsten drei
Monaten planen
(in Prozent)
Anteil der Unternehmen,
die heute Kurzarbeit nutzen
(ausgewählte Branchen,
in Prozent)
Wie Unternehmen
ihre Geschäftslage
beurteilen
(Ifo-Umfrage)
Rasanter Anstieg Industriezweige in der Krise Schlechte Aussichten
»Manchen
Unternehmern ist
gar nicht klar, was sie
da anrichten«
Roman Zitzelsberger
Grafik: DZ; Foto [M]: Getty Images/iStockphoto; kl. Foto: IG Metall



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42 WIRTSCHAFT 25


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