Eine Arbeiterin erntet auf
einer Plantage in Assam
Teeblätter
Foto: Getty
Bitterer Tee
Auf Plantagen im indischen Assam sind Menschenrechtsverletzungen Alltag, sagt eine neue Studie der Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam VON MAREIKE MÜLLER
D
ie Frauen, die auf den Tee-
plantagen im nordindischen
Bundesstaat Assam arbeiten,
schlafen selten mehr als sechs
Stunden. Vor Sonnenauf-
gang, um vier Uhr morgens,
stehen sie auf, holen Wasser,
bereiten Essen für den Tag vor. Gehen zu Fuß zur
Arbeit, manchmal Kilometer weit, oft bei über 30
Grad. Wer zu spät kommt, läuft Gefahr, den Tages-
lohn zu verlieren, umgerechnet etwa zwei Euro. So
steht es in einem neuen Report, den die Ent-
wicklungshilfe-Organisation Oxfam in dieser Wo-
che veröffentlicht und den die ZEIT vorab einse-
hen konnte. Sauberes Trinkwasser und Toiletten
sind demnach rar auf den Teeplantagen in Assam,
Staub und Pestizide reizen Haut und Atemwege
der Arbeiterinnen.
In der Studie mit dem Titel »Schwarzer Tee,
weiße Weste« erhebt Oxfam schwere Vorwürfe
gegen deutsche Teeunternehmen und Supermärk-
te: Durch den Preisdruck, den sie auf ihre Zuliefe-
rer ausübten, machten sie sich mitschuldig an
Menschenrechtsverletzungen auf den Teeplanta-
gen von Assam. Der Report basiert nach Angaben
von Oxfam auf umfassenden Recherchen vor Ort.
Die Organisation ließ demnach 510 Arbeiter und
Arbeiterinnen auf 50 Plantagen von Forschern der
indischen Universität TISS befragen. Zudem wur-
den Daten zum globalen Teemarkt ausgewertet.
Oxfam wirft den Teeunternehmen vor,
ihre Verantwortung abzuwälzen
Die Teeindustrie setzt in Deutschland in diesem
Jahr über 650 Millionen Euro um. Bei den Arbei-
terinnen und Arbeitern kommen gerade einmal
1,4 Prozent des Kaufpreises an – ein Tropfen pro
Tasse. Über 86 Prozent des Endpreises erhalten
laut dem Bericht Supermärkte und die großen
Teefirmen, den Rest Zwischenhändler und Plan-
tagenbesitzer. Mit dem Report kritisiert Oxfam in
erster Linie die Marktführer Teekanne und Ost-
friesische Tee Gesellschaft, OTG, zu der die be-
kannten Marken Meßmer und Milford gehören.
Über die Hälfte des Tees in Deutschland vertrei-
ben Supermarktketten, Assam-Tee auch als Eigen-
marke. Deshalb sieht Oxfam außerdem Aldi Nord,
Aldi Süd, Edeka, Kaufland, Lidl und Rewe in der
Verantwortung.
Dem Bericht zufolge nutzen große deutsche
Teemarken und Supermärkte ihre Marktmacht,
um Lieferanten fragwürdige Vertragsbedingun-
gen abzuverlangen, vor allem durch kurze Lauf-
zeiten. Diese betrügen oft nur sechs oder zwölf
Monate, sagt Barbara Sennholz-Weinhardt, Re-
ferentin für Wirtschaft und Globalisierung bei
Oxfam Deutschland und Verfasserin der Studie.
Um sicherzustellen, dass sie auch in der nächsten
Saison noch Abnehmer finden, hielten die Plan-
tagenbesitzer die Preise niedrig. Ein Kreislauf,
den die großen Teehändler in Deutschland be-
einflussen könnten.
Die Folgen des Preisdrucks sind gravierend:
Die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Planta-
gen verdienen im Schnitt zwischen 137 und 170
indische Rupien, etwa 1,73 bis 2,14 Euro am
Tag. Laut Oxfam ist das weniger als die Hälfte
dessen, was nötig wäre, um die Existenz in die-
sem Teil Indiens zu sichern. Zwei Drittel der
Befragten gaben zudem an, nicht ausreichend zu
essen zu haben. Die Hälfte leide unter Augen-
reizungen, Atemwegserkrankungen oder aller-
gischen Reaktionen, »die durch Staub, Rauch,
Gase und Pestizide verursacht werden können«,
wie es im Bericht heißt. Einen direkten Zusam-
menhang zu den Arbeitsbedingungen kann Ox-
fam aber nicht belegen.
Frauen leiden besonders unter den Zuständen
auf den Plantagen. Während die Verarbeitung
der Ernte in den Fabriken meist Männern vor-
behalten bleibt, arbeiten die Frauen auf den Fel-
dern, was körperlich anstrengender ist und
schlechter bezahlt wird. Selbst während Schwan-
gerschaft und Mutterschaft fallen ihnen keine
leichteren Aufgaben zu – nicht einmal, so be-
richtete eine Arbeiterin der Organisation Oxfam,
am Tag nach der Geburt ihres Kindes.
Deutsche Unternehmen wälzen laut Oxfam
ihre Verantwortung ab, indem sie sich auf Zerti-
fikate verlassen. Diese Siegel vergeben externe
Organisationen. Ein Bericht der Universität
Sheffield von 2018 zeigt allerdings, dass auf vie-
len zertifizierten Plantagen der Zugang zu saube-
rem Wasser und Toiletten sogar schlechter war
als auf nicht zertifizierten. Rainforest Alliance,
eine der wichtigsten Zertifizierungsorganisatio-
nen, verweist darauf, dass bei den Kontrollen der
Plantagen strenge Richtlinien herrschten. Die
Anschuldigungen nehme man aber sehr ernst, in
einigen Wochen werde man über einen Aktions-
plan zu Assam berichten.
Für die Kunden sei es derzeit fast unmöglich,
die Lieferkette nachzuvollziehen, sagt die Ox-
fam-Forscherin Sennholz-Weinhardt. Die Her-
steller würden mit Fairness werben, doch Auf-
schriften wie »hergestellt in Deutschland« oder
»Beim Einkaufen achten wir auf faire Entloh-
nung und gute Arbeitsbedingungen« seien irre-
führend. Sie ist sich sicher: »Die Teeunterneh-
men wissen, von welchen Plantagen sie ihre
Ware beziehen. Uns gegenüber haben sie die Si-
tuation in Assam nie bestritten.« Daher fordert
Oxfam die Firmen zum Handeln auf – wohl-
wissend, dass im harten Verdrängungswettbe-
werb jeder Cent zählt.
Annemarie Leniger, Geschäftsführerin der
OTG, kennt die Vorwürfe. »Haben wir Einfluss
auf die Löhne? Nein. Die werden in Indien in ei-
nem komplexen Prozess unter Beteiligung der Re-
gierung und der Gewerkschaften ausgehandelt«,
sagt sie. Da könne man schlecht mitreden. Und:
»Mit weniger als 0,1 Prozent Anteil am Absatzvolu-
men können wir alleine wenig ausrichten.« Tee-
kanne verweist auf eigene Besuche bei Lieferanten:
»Die von Oxfam angeprangerten drastischen Miss-
stände wurden hierbei zu keiner Zeit festgestellt.«
Man werde sie aber dennoch überprüfen.
Helfen könnte ein Gesetz, das die globale
Lieferkette besser kontrolliert
So lautet die Strategie der Unternehmen: freiwil-
lige Selbstverpflichtungen. Die OTG betont die
Mitgliedschaft in der Ethical Tea Partnership. Tee-
kanne und Aldi Nord, Aldi Süd, Kaufland und
Rewe verweisen auf Zertifikate, eigene Leitlinien
oder Risikoanalysen, einige Unternehmen unter-
stützen Projekte vor Ort.
Oxfam geht das nicht weit genug. »Es braucht
politische Lösungen, ein Lieferkettengesetz«, for-
dert Sennholz-Weinhardt. Zusammen mit 63
weiteren Organisationen will Oxfam die Bundes-
regierung dazu bewegen, Unternehmen zur Ein-
haltung von Menschenrechten und Umweltstan-
dards im Ausland zu verpflichten. »Geschädigte
müssen auch vor deutschen Gerichten ihre Rechte
einklagen können«, heißt es auf der Website des
Bündnisses. Eine Petition dazu haben schon
46.000 Menschen unterschrieben.
N
achhaltigkeit ist das beherrschen-
de Thema der Gegenwart. Junge
Menschen protestieren weltweit
gegen die Verschwendung von
Ressourcen. Aktivisten tanzten im
britischen Birmingham vor einer Primark-Filiale,
um auf den maßlosen Konsum aufmerksam zu
machen, zu dem der Anbieter von Billigmode
seine Kunden aus ihrer Sicht verführe.
Nun plant das US-amerikanische Pendant zu
Primark, die Modekette Forever 21, etwa 350
Filialen zu schließen, das Unternehmen hat In-
solvenz angemeldet. Auch H&M
und Topshop machten bereits
Dutzende Filialen dicht.
Hat das Konzept der Billig-
mode ausgedient, weil Konsumen-
ten nachhaltig einkaufen?
Modeketten wie Forever 21 aus
den USA, H&M aus Schweden,
Zara aus Spanien oder Topshop
aus Großbritannien setzen auf so-
genannte Fast Fashion, also auf
schnelle Mode. Statt zweimal pro
Jahr bringen sie fast wöchentlich
neue Kollektionen in die Läden. So haben sie die
Kunden dazu erzogen, ständig neue Kleidung zu
kaufen. Vor allem bei Jugendlichen waren die
Marken lange Zeit sehr beliebt.
Doch die Ware stammt meist aus Asien, wo
sie häufig unter fragwürdigen Ar-
beitsbedingungen produziert wird.
Neben den schwierigen sozialen
Fragen hinterlässt die Fast-Fa-
shion-Industrie auch ökologische
Spuren: Die weltweite Produktion
von Kleidung und Schuhen hat
sich zwischen 2000 und 2015
etwa verdoppelt, heißt es in einem
Report der britischen Ellen Mac-
Arthur Foundation. Allein 2015
hat die Textilproduktion demnach
1,2 Milliarden Tonnen Treibhaus-
gase ausgestoßen, mehr als der Flug- und
Schiffsverkehr zusammen.
Diese Probleme rücken zunehmend in das
Bewusstsein der Kunden. Laut der aktuellen Stu-
die Pulse of the Fa shion Industry, veröffentlicht
von der dänischen Nichtregierungsorganisation
Global Fashion Agenda, finden 75 Prozent der
Befragten aus den USA, Großbritannien, Frank-
reich, China und Brasilien Nachhaltigkeit bei
Mode sehr wichtig. Dennoch hat diese Auffas-
sung geringe Auswirkungen auf ihr Handeln:
Nur für sieben Prozent der Befragten ist Nach-
haltigkeit das wichtigste Kriterium, wenn sie
Kleidung einkaufen. 23 Prozent finden gute
Qualität entscheidend, während 17 Prozent vor
allem erfolgreich aussehen wollen.
Für die Insolvenz von Forever 21 gibt es offen-
bar auch andere Gründe als ein bewussteres Kon-
sumverhalten der Kunden. Die Kette ist nach
eigenen Angaben zu schnell gewachsen. Inner-
halb von sechs Jahren expandierte sie in 47 Län-
der. Den Insolvenzdokumenten zufolge betrieb
das Unternehmen zuletzt mehr als
800 Geschäfte in 57 Ländern.
Nun will sich Forever 21 wieder
auf das Kerngeschäft in den USA
konzentrieren, wo das aus Süd-
korea stammende Ehepaar Do Won
Chang und Jin Sook Chang das
Unternehmen vor 35 Jahren ge-
gründet hatte. Ihr Aufstieg galt
als Inbegriff des Amerikanischen
Traums. Noch vor drei Jahren
machte Forever 21 einen Umsatz
von 4,4 Milliarden Dollar. Aus
Deutschland hat sich die Kette allerdings schon
vor zwei Jahren zurückgezogen.
Die Modeindustrie wird noch von einem an-
deren Trend durcheinandergewirbelt: Immer
mehr Kunden bestellen ihre Kleidung im Inter-
net. Das bringt Einzelhändler wie
Forever 21 unter Druck und zwingt
sie zu einem Strategiewechsel, der
bislang nicht allen gelingt. Reine
Online-Konkurrenten wie Ama-
zon, Zalando und Asos setzen aus-
schließlich auf den Verkauf im In-
ternet und graben so den Ketten
einen Teil ihrer Kunden ab.
Auch H&M kämpfte in den
vergangenen Jahren mit sinkenden
Gewinnen und investiert nun zu-
nehmend ins Internetgeschäft.
Ebenso der Konkurrent Zara, dessen Mutterkon-
zern Inditex den Umbrüchen in der Industrie
zum Trotz steigende Gewinne meldet.
Der Umsatz von Forever 21 mit dem On-
line-Geschäft lag bis dato nur bei 16 Prozent.
Das ist wohl ein weiterer Grund für die Insol-
venz des Unternehmens. Er hat weniger mit
dem Wunsch der Kunden nach Nachhaltigkeit
zu tun und mehr mit den veränderten Ursachen
in der Modebranche.
Die amerikanische Textilkette Forever 21 ist insolvent.
Ist das Geschäft mit der schnellen Mode am Ende? VON LARA JANSSEN
Schluss mit billig
350
Filialen will Forever 21
schließen. Die US-
Modefirma war zu
schnell gewachsen
75
Prozent der Befragten
einer Studie finden
Nachhaltigkeit bei Mode
sehr wichtig
- OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42 WIRTSCHAFT 31
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