Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1
DIE ZEIT: Herr Spiegel, Sie sind kein Bischof,
trotzdem sitzen Sie jetzt für drei Wochen in der
Bischofsversammlung in Rom. Wieso sind Sie zu­
gelassen – und haben Sie auch Stimmrecht?
Pirmin Spiegel: Ich bin als Gast und Berater dabei,
aus zwei Gründen: Erstens war ich 15 Jahre lang
Priester im Nordosten Brasiliens, an der Grenze zu
Amazonien. Zweitens bin ich Geschäftsführer des
bischöflichen Hilfswerks Misereor, das in sechs der
neun Länder des Amazonasgebietes präsent ist.
Wie jeder der fast dreihundert Teilnehmer bekom­
me ich vier Minuten Rederecht – und am Abend
eines jeden Tages ist eine Stunde Zeit für Fragen,
Eindrücke, Vorschläge. Fast genauso wichtig sind
die informellen Gespräche in den Pausen.
ZEIT: Und haben Sie nun Stimmrecht?
Spiegel: Nein. Abstimmen dürfen nur die Bischöfe
des Amazonasgebietes, dazu die Kardinäle aus den
kontinentalen Bischofskonferenzen sowie die Lei­
ter der Dikasterien in Rom und mehrere Ordens­
männer. Insgesamt gibt es 185 »Synodenväter«.
ZEIT: Warum eine Amazonassynode in Rom –
und was hat das mit Europa zu tun?
Spiegel: Papst Franziskus selbst sagt, dass diese Sy­
node die »Tochter« von Laudato si’ sei, also die logi­
sche Folge seiner Enzyklika von 2015. Darin hatte
er die ökologische und die soziale Frage verbunden
zur »Sorge um das gemeinsame Haus«, das Ganze
der Schöpfung – und das ist in Amazonien auf so
dramatische Weise bedroht, dass wir alle daraus ler­
nen können: Wir müssen unsere Lebensweise ver­
ändern. Die Synode tagt in Rom und nicht in der
Amazonasregion, weil deren Probleme die Welt­
kirche betreffen. Aus meinen Erlebnissen in Brasi­
lien weiß ich, dass Franziskus recht hatte, als er zur
Eröffnung sagte: Die autochthonen Völker Amazo­
niens waren noch nie so bedroht wie heute. Damit
stehen sie auch für andere Völker, etwa im Kongo­
becken, in Indonesien oder in Papua­Neuguinea.

ZEIT: Unsere Lebensweise ändern – das ist ein
großes Wort, das auch auf den Klimademonstra­
tionen in Europa kursiert. Was als Forderung an
andere so leicht über die Lippen geht, ist aber das
Schwerste überhaupt. Wie soll die Kirche, wie will
der Papst es schaffen?
Spiegel: Durch Zuhören, Wahrnehmen, Verstehen.
Konkret heißt das, dass vor der Synode zahllose
Treffen im Amazonasgebiet stattfanden mit mehr
als 80.000 Leuten, deren Sicht in ein Arbeitsdoku­
ment eingeflossen ist, und dieses Instrumentum la-
boris ist nun Grundlage der Debatte in Rom.
ZEIT: Wie kam es eigentlich, dass Sie nach Brasi­
lien gegangen sind? Als Absolvent einer Jesuiten­
hochschule in Deutschland, wo Sie Philosophie
und Theologie studiert haben, hätten Sie auch
eine andere Laufbahn einschlagen können.
Spiegel: Ursprünglich wollte ich Landwirtschaft
studieren, meine Eltern sind ja Landwirte in der
Pfalz, aber bereits nach einem Semester merkte ich,
das passt nicht. Bei einem längeren Aufenthalt in
Brasilien wurde mir dann klar, dass ich Priester wer­
den wollte: Vor allem die Befreiungstheologie be­
geisterte mich, sie war eine Chance, die Welt neu
und den Glauben anders zu verstehen. So lebte ich
von 1990 bis 2003 und von 2010 bis 2012 tatsäch­
lich in Brasilien, die meiste Zeit als Pfarrer in einer
riesigen Pfarrei, die fast 70 Gemeinden mit über
40.000 Menschen umfasste. Da habe ich den Herz­
schlag Amazoniens hören gelernt.
ZEIT: Der Papst sprach in seiner Predigt zum Sy­
nodenstart auch von einem »hörenden Herzen«.
Was meint er damit?
Spiegel: Um andere zu verstehen, sollen wir nicht
nur unseren Verstand gebrauchen, sondern uns
öffnen. Sonst werden wir nicht zu neuen Ideen
und Lösungen kommen. Ich erkläre es Ihnen aus
meiner persönlichen Erfahrung: Das Interessanteste
und Schwierigste in Brasilien war für mich, dass

die Antworten, die ich aus Deutschland mitbrachte,
nicht zu den Fragen der Menschen dort passten.
Ich musste erst bei ihnen in die Schule gehen, um
ein guter Seelsorger zu werden. Es war die Zeit
kurz nach der Militärdiktatur und den ersten de­
mokratischen Wahlen. Nicht lange nach meiner
Ankunft wurde ein Gemeindevorsteher ermordet.
Also fuhr ich mit einer Ordensschwester aufs
Land, aber nicht nur, um mit der Gemeinde zu
trauern, zu beten, zu singen, sondern auch um zu
klären, was jetzt zu tun sei: Sollten die Klein bauern
sich zu ihrer Verteidigung bewaffnen? Oder sich
juristischer Mittel bedienen? Um einen guten Weg
zu finden, haben wir immer die Bibel und das
Evangelium reflektiert. So habe ich gelernt, dass
der Glaube politisch ist.
ZEIT: Konservative Kräfte Ihrer Kirche, die schon
vor der Amazonassynode gegen das Treffen Sturm
liefen, fürchten genau das: eine Politisierung der
Kirche und dass sie bestimmte Grundsätze des Ka­
tholizismus verrät, etwa das geltende Verständnis
der Weihe und der Sakramente. Die Progressiven
halten dagegen, dass man auf die Welt, wie sie ist,
reagieren muss, etwa auf den Priestermangel. Im
Amazonasgebiet gibt es Gemeinden, in die nur alle
paar Jahre ein Priester kommt, um die Messe zu
feiern. Wie katholisch war eigentlich das Gebiet,
für das Sie als Pfarrer zuständig waren?
Spiegel: Danach habe ich als Pfarrer nie gefragt,
ich fühlte mich zuständig für alle Menschen der
Region, und wenn ich Hausbesuche machte, habe
ich gewiss nicht zuerst nach der Konfession ge­
fragt. Aber ich schätze, dass 80 Prozent der Leute
katholisch waren. Meine Aufgabe war es, theolo­
gisch gesagt, allem Leben zum Durchbruch zu ver­
helfen. Dafür zu sorgen, dass das Leben glückt und
in Würde gelebt werden kann.
ZEIT: Der Papst hat einen katholischen Synoden­
teilnehmer gerügt, der sich über den Kopfschmuck

der Indigenen lustig machte, die auch im Peters­
dom zugegen waren. Franziskus sagte: Was gibt es
denn für einen Unterschied zwischen einem Fe­
derschmuck und einem Birett, wie es einige von
uns in den Dikasterien des Vatikans tragen?
Spiegel: Bei Gottesdiensten inmitten indigener Völ­
ker habe ich mich stets wohlgefühlt, so auch jetzt in
Rom. Aber wahrscheinlich war das für den Peters­
dom eine Premiere. Vor dem Hauptaltar standen
Indigene aus Lateinamerika zusammen mit Bischö­
fen, Kardinälen und anderen Synodenteilnehmern
im Kreis, stützten einander und sangen »Tuto esta
connectado«: Alles ist miteinander verbunden im
gemeinsamen Haus. Papst Franziskus begrüßte uns,
die Indigenen sagten, was sie von Synode und Kir­
che erwarten, und dann pilgerten wir in einer Pro­
zes sion, an der Spitze ein kleines Kanu, in die Sy no­
den aula. Das war für mich ein starkes Bild für das
gemeinsame, synodale Unterwegssein.
ZEIT: Franziskus warnte, die Kirche müsse »neue
Kolonialismen vermeiden«. Hat er auch die Ver­
brechen der Missionare angesprochen?
Spiegel: In den Eröffnungsreden des Papstes und
des Generalrelators der Synode, Kardinal Claudio
Hummes, haben beide die Beteiligung der Kirche
am Leid der indigenen Völker Amazoniens aner­
kannt. Die Kirche verspricht, ihre Komplizenschaft
bei der wirtschaftlichen und technologischen Aus­
beutung aufzukündigen. Die Spuren des Kolonia­
lismus in sich tragend, müsse die Kirche bereit sein,
kulturelle Verschiedenheit nicht nur anzuerkennen,
sondern zu fördern. Dazu gehört auch, was das
Zweite Vatikanische Konzil über die Beziehung
von Kirche und Welt sagt: Unsere Botschaft ist eine
Botschaft in der Welt und für die Welt.
ZEIT: Katholisch sein bedeutete schon immer Ein­
heit in Vielheit. Warum fällt das einigen so schwer?
Spiegel: Vielleicht weil die Buntheit und Vielheit
uns so nahe rücken. Franziskus sagt, die Kirche

brauche ein amazonisches Gesicht. Das heißt nicht,
dass die Kirche in Deutschland werden soll wie die
in Amazonien, sondern dass es mehr als eine Form
und einen Ausdruck von Kirchesein gibt. Ein Jesuit
aus Zentralafrika sagte mir einmal, der berühmte
Satz von Descartes, »Ich denke, also bin ich«, sei
einfach nicht afrikanisch. In Afrika definiere man
sich nicht zuerst über die Ratio, sondern über die
Beziehung zum Nächsten: Ich bin, weil du bist.
ZEIT: Es heißt, die Amazonas­Bischöfe seien sich
einig, dass der Pflichtzölibat für Priester abge­
schafft gehöre. Auch verheiratete Männer, die viri
probati, dürften das Priesteramt versehen.
Spiegel: Ob das mehrheitlich so ist, weiß ich nicht.
Aber es gibt in der Synode die Meinung: Ja, der
Zölibat ist und bleibt ein Geschenk. Daneben
sollten Laien, bewährte Männer aus der Gemein­
de, der Eucharistie vorstehen. In den informellen
Gesprächen habe ich sehr unterschiedliche Mei­
nungen aus Amazonien gehört.
ZEIT: Und was denken Sie über die Frauen­
ordination?
Spiegel: Ich persönlich finde nicht, dass, wer über
Zölibat und Frauenordination nachdenkt und offen
diskutiert, an die Substanz des Glaubens geht. Diese
Fragen liegen auf dem Tisch, und die Synode wird
in den nächsten Tagen über beides sprechen. Ich
hoffe auf Zuhören, Lernbereitschaft und Geduld.
ZEIT: Viele reformwillige Katholiken sind mit ih­
rer Geduld am Ende. Auch bei dem ganz anders
gelagerten Thema Klima finden viele, es sei fünf
nach zwölf. Wie bringen Sie das zusammen?
Spiegel: Es gibt eine große Dringlichkeit, dass wir
uns bewegen. Das schließt aber das Hinhören ein.
Deshalb gibt es in der Synode Räume für Stille
und Kontemplation. Wenn wir in Panik verfallen,
wird das nichts.

Die Fragen stellte Evelyn Finger

Kirche mit amazonischem Gesicht


Wie es in der umstrittenen Synode des Papstes wirklich zugeht. Ein Gespräch mit Pirmin Spiegel, Chef von Misereor, der im Vatikan dabei ist


Franziskus inmitten von Teilnehmern der Amazonassynode. Vor dem Petersdom, 7. Oktober 2019

Fotos: Voices of Faith/Wolfgang Schmidt; dpa (u.)

GLAUBEN & ZWEIFELN


DIE ZEIT: Frau Franken, vor der Amazonassyno­
de trafen katholische Frauen sich in Rom zu einer
Konferenz über Frauenrechte. Auch Sie. Warum?
Regina Franken: Weil es uns nicht gefällt, dass wir
wieder kein Stimmrecht in der Synode haben. Ein
Ordensbruder, der nicht Priester ist, darf abstim­
men. Die zwanzig Ordensfrauen, die eingeladen
wurden, dagegen nicht. Sie sind, wie die anderen
15 Frauen (Repräsentantinnen der Indigenen,
Theologinnen, Wissenschaftlerinnen), nur Gäste.
ZEIT: Nunja, es heißt Bischofssynode.
Franken: Aber warum soll das Stimmrecht an die
Weihe gebunden sein? Auf der Tagung von »Voices
of Faith« in Rom haben Theologinnen gezeigt,
dass es kirchenhistorisch keinen Grund gibt, Frauen


von Leitungsentscheidungen auszuschließen. Jahr­
hundertelang nahmen Äbtissinnen bischöfliche
Aufgaben wahr: setzten Priester ein, gründeten
Gemeinden, bestimmten über die Lehre, sprachen
Recht. Alte Gemälde zeigen Ordensfrauen mit
Mitra und Bischofsstab. Dass Frauen in der katho­
lischen Kirche keine Rechte haben, ist ein eher
modernes Konstrukt. Ich möchte aber unterschei­
den zwischen Leitungsbefugnissen und Weihe.
ZEIT: Sie lehnen die Frauenordination ab?
Franken: Nein, darum geht es nicht. Das Arbeits­
dokument der Synode anerkennt ja die leitenden
Funktionen der Frauen. Und es besagt: Auch in
Amazonien sind es die Ordensfrauen, die den Glau­
ben lebendig halten und Seelsorge leisten. Aber Sa­

kramente spenden dürfen sie nicht: keine Kranken
salben, keine Beichte abnehmen. All das verspricht
die Synode zu diskutieren. Aber beim Entscheiden
sind die Frauen außen vor. Der Papst sagte gestern,
es sei kein Unterschied zwischen Birett und Feder­
schmuck. Wieso dann zwischen Mitra und Schlei­
er? Seit heute gibt es in der Amazonassynode eine
Initiative von Bischöfen, die Stimmrecht für die
Frauen fordert. Kardinal Hummes als Generalrela­
tor hat es bekannt gegegben. Und bei Kardinal Bal­
disseri als Generalsekretär wurde ein Antrag gestellt.
ZEIT: Kritiker der Synode sagen, Frauenthemen
seien ein westlicher Spleen, der Weltkirche fremd.
Franken: Das stimmt absolut nicht. Auf unseren
Konferenzen sind alle Kontinente zugegen. »Voices

of Faith« ist eine internationales Netzwerk. Als
Politikwissenschaftlerin ärgert es mich, dass Frauen
jetzt wieder alle Kraft darauf verwenden müssen,
Gleichberechtigung einzufordern, statt andere
Probleme anzugehen.
ZEIT: Und was ist nun mit der Frauenordination?
Franken: »Voices of Faith« fordert sie nicht, son­
dern will zunächst, dass Frauen sich nicht mehr
nur den Bischöfen unterordnen müssen. Frauen
haben das Recht, selber Leitungspositionen zu
übernehmen und zu entscheiden. Ich denke, die
Weihe für Frauen muss kommen, wenn unsere
Kirche glaubwürdig sein will.

Die Fragen stellte Evelyn Finger

Und Sie, Schwester, was sagen Sie dazu?


Ordensfrauen fordern Stimmrecht in der
Bischofssynode. Petersplatz, 2. Oktober

Katholische Frauen haben bei Synoden im Vatikan bislang kein Stimmrecht. Die deutsche Politikwissenschaftlerin Regina Franken erklärt, warum das falsch ist



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42


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