DER POLITISCHE FRAGEBOGEN
»Ich bin kein
Witze-Erzähler«
Sind Sie lieber dafür oder dagegen? Diese Woche beantwortet
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet unsere 30 politischen Fragen
1 Welches Tier ist das politischste?
Das Pferd. In unserem Landeswappen
sieht man das westfälische Ross. Man
sagt ja, dass Pferde genau wissen, wie sie
Hindernisse überwinden müssen. Und
dass sie sie oft so knapp überwinden, wie
es gerade erforderlich ist. Das erinnert
mich sehr an Politik.
2 Welcher politische Moment
hat Sie geprägt – außer
dem Kniefall von Willy Brandt?
Das waren die Streiks auf der Danziger
Leninwerft 1980. Ich war 19 und aufge-
wachsen in einer Welt, die fest zementiert
schien zwischen den großen Macht-
blöcken, zwischen West und Ost. Und
auf einmal waren da Menschen, die für
Freiheit demonstriert haben. Ich habe
mal eine Studentenzeitung herausge-
geben, die hieß Libertas. Dieses Wort
»Freiheit« prägt mich bis heute.
3 Was ist Ihre erste Erinnerung an Politik?
Ich erinnere mich an 1972, das geschei-
terte Misstrauensvotum von Rainer Bar-
zel, der Willy Brandt als Kanzler ablösen
wollte. Das haben meine Eltern vor dem
Fernseher mitverfolgt. Da war ich elf.
4 Wann und warum haben
Sie wegen Politik geweint?
Wegen Politik eigentlich nie. Aber im
Zusammenhang mit Politik sind mir
Tränen gekommen beim Ende der Stein-
kohle, bei diesem historischen Akt auf
der Zeche Prosper-Haniel im Dezember
2018, als die Bergleute nach 200 Jahren
Industriegeschichte das letzte Stück Kohle
hochholten und wir das Steigerlied
sangen. Das war ein sehr emotionaler
Moment. Und persönlich beim Tod von
Peter Hintze, der mir sehr viel geholfen
hat auf meinem Weg und der am Tag
meiner Nominierung zum Spitzenkandi-
daten für die Landtagswahl starb.
5 Haben Sie eine Überzeugung,
die sich mit den gesellschaftlichen
Konventionen nicht verträgt?
Nein.
6 Wann hatten Sie zum ersten Mal
das Gefühl, mächtig zu sein?
Sie spüren Verantwortung bei jedem
poli tischen Akt, den Sie ausüben, jeden
Tag. Sie entscheiden über das Schicksal
von vielen Tausend Menschen mit dem,
was Sie machen. Aber das Wort mächtig
würde ich darauf trotzdem nicht so di-
rekt anwenden.
7 Und wann haben Sie sich besonders
ohnmächtig gefühlt?
Als Politiker: im Mai 1989, als in China
auf dem Platz des Himmlischen Friedens
mutige Menschen für die Freiheit aufge-
standen waren und dann die Panzer roll-
ten. Und persönlich: immer beim Tod
eines Menschen, der mir sehr nahestand.
Der Tod offenbart die ganze Ohnmacht
des Menschseins.
8 Wenn die Welt in einem Jahr untergeht –
was wäre bis dahin Ihre Aufgabe?
Sie dürfen allerdings keinen Apfelbaum
pflanzen.
Ich würde viel darüber sprechen, dass das
Ende der Welt nicht wirklich das Ende
des Lebens ist. Als gläubiger Christ wür-
de ich das vermitteln wollen.
Der Weltuntergang in einem Jahr würde Sie
nicht in Ihrem Glauben zweifeln lassen?
In meinem Glauben ist klar, dass sie ir-
gendwann untergeht. Wir kennen nur
nicht das Datum.
9 Sind Sie lieber dafür oder dagegen?
Dafür. Immer.
Beim Streit um den Hambacher Forst waren
Sie zuerst gegen den Erhalt. Sie haben den
Wald roden lassen, wegen des mangelnden
Brandschutzes der Hütten der Besetzer.
Dann haben Gerichte die Rodung gestoppt.
Jetzt sind Sie für den Erhalt des Forstes.
Der Hambacher Forst hatte einmal 4100
Hektar, und 3900 sind unter meinen
Vorgängern, die meistens nicht meiner
Partei angehörten, gerodet worden. Bei
den verbliebenen 200 Hektar bemühen
wir uns jetzt, sie zu retten. Die Entschei-
dung zur Rodung war 2016, also noch
vor dem Regierungswechsel, gefallen. So
war auch die Rechtslage. Jetzt, auch mit
dem Ergebnis der Kohlekommission, ist
das Ziel, den Wald zu erhalten.
Also ist Ihnen kein Fehler unterlaufen?
Nein. Der Kohleausstieg, anders als von
Rot-Grün geplant, ist richtig.
10 Welche politischen Überzeugungen
haben Sie über Bord geworfen?
Keine.
Sie denken politisch noch genau das, was
Sie mit 15 auch gedacht haben?
Ich habe meine politischen Grundüber-
zeugungen bewahrt – ich lasse mich aber
auch überzeugen, wenn die Argumente
stimmen oder auf neue Entwicklungen
reagiert werden muss. Die Grundhaltung
und die Grundwerte jedoch bleiben.
11 Könnten Sie jemanden küssen,
der aus Ihrer Sicht falsch wählt?
Ja.
12 Haben Sie mal einen Freund oder eine
Freundin wegen Politik verloren?
Und wenn ja – vermissen Sie ihn oder sie?
Die Freunde, die ich habe, finden das,
was ich politisch mache, entweder gut
oder schlecht. Aber es hat keinen Einfluss
auf die Freundschaft.
13 Welches Gesetz haben Sie mal gebrochen?
Die Straßenverkehrsordnung.
Falsch geparkt, zu schnell gefahren?
Ja, alles. Aber niemals Alkohol am Steuer.
14 Waren Sie in Ihrer Schulzeit beliebt
oder unbeliebt, und was
haben Sie daraus politisch gelernt?
Ich habe am Ende die Abiturrede halten
dürfen. Ich glaube, dass da ein gewisses
Grundvertrauen der anderen in mich da
war.
Können Sie sich an einen Satz aus der Rede
damals erinnern?
Meine bischöfliche Schule hatte damals
nur Schüler. Ich warb dafür, sie für Mäd-
chen zu öffnen. Das ist inzwischen ge-
schehen.
15 Welche politische Ansicht Ihrer Eltern
war Ihnen als Kind peinlich?
Keine.
16 Nennen Sie eine gute Beleidigung für
einen bestimmten politischen Gegner.
Im Wahlkampf habe ich versucht, nicht
persönlich zu werden und nicht zu belei-
digen. Manche sagten: So wirst du nicht
gewinnen, du brauchst mehr Biss. Ich
glaube, dass es am Ende sogar geholfen
hat, respektvoll und ohne Beleidigungen
auszukommen.
Ihr Parteifreund Ronald Pofalla hat mal
zum damaligen CDU-Innenexperten
Wolfgang Bosbach gesagt: »Ich kann deine
Fresse nicht mehr sehen.«
Das war keine Beleidigung, sondern ein
Gemütszustand in einem bestimmten
Moment.
17 Welche Politikerin, welcher Politiker
hat Ihnen zuletzt leidgetan?
Nachdem ich das Buch von Markus Fel-
denkirchen gelesen habe: Martin Schulz.
18 Welche Politikerin, welcher Politiker
müsste Sie um Verzeihung bitten?
Keiner.
Niemand hat Ihnen je übel mitgespielt?
Ich bin kein nachtragender Mensch und
schaue lieber nach vorne. Das macht
vieles einfacher.
19 Welche Politikerin, welcher Politiker
sollte mehr zu sagen haben?
Da fällt mir im Moment keiner ein.
Sollten Sie noch mehr zu sagen haben?
Jeder Politiker denkt ja, dass er eine
Menge beizutragen hat, und deswegen
will jeder Politiker gehört werden. Ich
bin in dieser Hinsicht ganz zufrieden.
20 Welche politische Phrase
möchten Sie verbieten?
Ich sage nur: Meinungsfreiheit.
Okay, dann anders: Welche Phrase möchten
Sie seltener hören?
Es gibt diese wunderbare Loriot-Rede,
wo er eine halbe Stunde redet und nur
Phrasen aneinanderreiht – das versuche
ich in meiner Sprache zu vermeiden. Aber
es gibt Momente, Terroranschläge sind da
ein gutes Beispiel, wo Sie einfach Mitleid,
Betroffenheit, Fassungslosigkeit ausdrü-
cken wollen. Da es aber jeder tut, wirkt es
leicht phrasenhaft. Trotzdem sind in die-
sen Momenten keine anderen Worte da.
21 Finden Sie es richtig, politische Entschei-
dungen zu treffen, auch wenn Sie wissen,
dass die Mehrheit der Bürger dagegen ist?
In bestimmten Situationen ist das not-
wendig. Das sind die Politiker, die mich
am meisten persönlich beeindrucken,
die, die eine Grundidee haben und daran
festhalten, auch wenn die Mehrheiten
nicht da sind. Das fängt an bei Konrad
Ade nau er: Die Westbindung und euro-
päische In te gra tion waren anfangs nicht
mehrheitsfähig. Die Wiederbewaffnung
ebenfalls nicht. Auch der Nachrüstungs-
beschluss hätte keine Mehrheit gehabt
oder die Einführung des Euro. Es gibt
viele Richtungsentscheidungen, die dem
Land gutgetan haben, die aber in Umfra-
gen keine Mehrheit hatten.
22 Was fehlt unserer Gesellschaft?
Wir sprechen nicht genug über jene The-
men, die zehn, fünfzehn Jahre in die Zu-
kunft reichen. Wir diskutieren zu viel das
Klein-Klein des Tages. Wir brauchen
auch intensivere Diskussionen. Was soll
aus der EU werden? Was wird denn nach
dem Brexit? Wir suchen immer nur nach
Antworten auf Macron, aber wir könn-
ten ja selbst mal eine These aufstellen, auf
die dann Macron eingeht.
23 Welches grundsätzliche Problem
kann Politik nie lösen?
Alles Menschliche. Liebeskummer zum
Beispiel.
24 Sind Sie Teil eines politischen Problems?
Nein.
25 Nennen Sie ein politisches Buch,
das man gelesen haben muss.
In Europa von Geert Mak. Der Autor ist
ein Jahr lang kreuz und quer durch Eu-
ropa gereist und erzählt die europäische
Geschichte hochspannend anhand von
Orten, an denen diese Geschichte rele-
vant wurde. Für mich ist das ein Buch,
das unsere Geschichte erklärt und zu-
gleich visionär in die Zukunft blickt.
26 Bitte auf einer Skala von eins bis zehn:
Wie verrückt ist die Welt gerade?
Und wie verrückt sind Sie?
Die Welt eine Sieben. Und ich: Eins.
27 Der beste politische Witz?
Ich bin ein sehr humorvoller Mensch,
aber kein Witze-Erzähler.
28 Was sagt Ihnen dieses Bild
(siehe das Foto von Annegret
Kramp-Karrenbauer links)?
Politiker mit Staatsämtern sollten im Kar-
neval, auch in anderen ungewohnten Si-
tuationen, auftreten und sprechen kön-
nen. Und Annegret Kramp-Karrenbauer
hat als Putzfrau Gretel grandiose Auftritte
hingelegt und damit auch den Ton von
Menschen getroffen. Ob diese eine Rede
in diesem Jahr jetzt rundherum geglückt
war, ist eine andere Frage.
Wäre sie eine gute Kanzlerin?
Ja.
Mehrere Unionspolitiker werden als mögli-
cher Nachfolger für die Kanzlerin gehandelt,
auch Sie. Was bedeutet es für diese Personen,
dass die Kanzlerin ja immer noch da ist?
Natürlich spielt das eine Rolle. Immerhin
ist es in 70 Jahren Bundesrepublik noch
keinem Kanzler gelungen, irgendwie ge-
ordnet aus dem Amt zu kommen. Ihr
wird das 2021 gelingen.
Wollen Sie Kanzler werden?
Die Frage stellt sich gerade nicht, ich bin
gern Regierungschef von Nordrhein-
Westfalen.
29 Wovor haben Sie Angst – außer vor
dem Tod?
Ich habe keine Angst vor dem Tod, wir
sprachen ja vorhin über den Glauben.
Aber natürlich habe ich Angst – Angst
um die Menschen, die mir wichtig sind.
Angst davor, dass sie zum Beispiel schwer
erkranken könnten.
30 Was macht Ihnen Hoffnung?
Dass Menschen Dinge verändern können.
Denken Sie an Lech Wałęsa und Solidar-
ność 1980. Oder an die Montagsdemons-
trationen in Leipzig 1989. Da saßen ein
paar Leute zusammen beim Friedensgebet
in einer Kirche und begannen ein paar
Dinge infrage zu stellen. Am Ende fiel die
Mauer. Vor 30 Jahren gab es eine Welt mit
Atomwaffen und zwei verfeindeten Blö-
cken. Nun ist die Bedrohung weg, die
Menschen sind frei, Europa ist vereint.
Wenn ich unsere Probleme und unsere
verzagten politischen Debatten heute
sehe, würde ich am liebsten laut rufen: Du
kannst etwas verändern, wenn du willst!
Die Fragen stellte Marc Brost
Jede Woche stellen wir Politikern
und Prominenten die stets selben
30 Fragen, um zu erfahren, was sie
als politische Menschen
ausmacht – und wie sie dazu
wurden. Und wo sich neue Fragen
ergeben, haken wir nach.
Die Nachfragen setzen wir kursiv.
Das Pferd, ein Politiker
(siehe Frage 1)
Der AKK-Humor
(siehe Frage 28)
Armin Laschet, 58, ist verheiratet und Vater dreier Kinder.
Der ehemalige Journalist ist mit 18 Jahren in die CDU eingetreten
Illustration: Alex Solman für DIE ZEIT; kl. Fotos (v. o.): Gabriele Boiselle; Patrick Seeger/dpa
8 POLITIK 10. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42