Harald Martenstein
Über eingedeutschte Begriffe und die Kunst des Smalltalks
Das Wort »Smalltalk« haben wir Germans eingedeutscht, ähnlich
wie »Service«, »Stand-up-Comedy« und »Brainstorming«. Ich habe
mir im (eingedeutschten) »Internet« die lange Liste eingedeutschter
englischer Wörter angeschaut. Offenbar deutschen wir besonders
gern Wörter ein, die etwas bezeichnen, worin wir im internationalen
Vergleich nicht gut sind. Auf die Idee, Nörgeln durch »Grumbling«
zu ersetzen oder Anpöbeln durch »Insulting«, ist bei uns jedenfalls
niemand gekommen. Bei diesen Kulturtechniken können wir in-
ternational mithalten. Es gibt sicher Ausnahmen, beim Nordic
Walking zum Beispiel sehe ich bei uns keinen nennenswerten Nach-
holbedarf im Vergleich zur anglofonen Welt. Womöglich gilt dies
sogar beim Sex, aber da möchte ich mich nicht festlegen.
Früher haben wir statt »Smalltalk« meistens das lateinische Lehnwort
»Konversation« verwendet, das auch die Anglofonen geklaut haben,
oder das Verb »plaudern«. Eine Konversation ist tatsächlich etwas
anderes als Smalltalk. Man kann durchaus eine Konversation über
politische Themen führen, für den Smalltalk ist Politik Gift. Manch-
mal kommt die Eindeutschung auch einer Kapitulations erklärung
gleich. Solange wir bei der Entwicklung solcher Maschinen vorn mit-
hielten, sagten wir zum Computer »Elektronengehirn«.
Stimmt das überhaupt? Können wir keinen Smalltalk? Beim Small-
talk handelt es sich um ein beiläufiges Gespräch ohne Tiefgang, das
dem gegenseitigen Kennenlernen oder dem beiderseitigen Wohl-
behagen dient. Neulich habe ich mit meinem kleinen Sohn ein
Motorboot geliehen. Als Pfand musste man den Ausweis dalassen.
Als wir wieder anlandeten, durchaus pünktlich, war der Verleih ver-
waist. Wir setzten uns in eine nahe gelegene Strandbar. Nach zehn
Minuten kam der Verleiher und sagte: »Ihren Ausweis wollen Sie
wohl nicht wiederhaben«, drehte sich um und ging die etwa 50 Me-
ter zurück zu seinem Büro. Dort wartete der Ausweis auf mich. Das
ist deutscher Smalltalk. Er ist kurz. In den USA zum Beispiel hätte
das ewig gedauert. Der Verleiher hätte den Ausweis mitgebracht,
sich wortreich für seine Abwesenheit entschuldigt, sich nach dem
Verlauf der Fahrt erkundigt, harmlose Scherze gemacht, einen schö-
nen Tag gewünscht et cetera.
Kürzlich lernte ich in einer Spielbank eine Dame kennen, die klas-
sische Smalltalk-Situation. Sie sagte als Erstes: »Sie haben einen
furchtbaren Haarschnitt.« Ich sagte: »Danke für Ihre Offenheit.«
Sie: »Sind Sie Künstler?« Ich: »In gewisser Weise schon.« Sie: »Das
dachte ich mir.« Dann ging sie. Die Funktion, dass man einander
ein wenig kennenlernt, erfüllt der deutsche Smalltalk also durchaus,
aber in viel kürzerer Zeit.
Im Thekengespräch mit einem jungen Mann stellten wir erfreut
fest, dass wir uns beide für Fußball interessieren, ein gutes Thema
für Smalltalk. »Was ist denn dein Lieblingsverein?« – »Mainz 05. Ich
bin da aufgewachsen.« Ein Brite hätte jetzt wohl gesagt: »Terrific,
congratulations, I adore Jürgen Klopp.« Der Deutsche sagte: »Die
steigen ab. Sogar Hamburg ist besser.«
Beim deutschen Smalltalk kommt es darauf an, immer genau das
auszudrücken, was man gerade denkt oder fühlt. Wir sind total ehr-
lich, ohne Filter, und ecken damit an, zu Recht, aber man weiß
sofort, woran man ist. In gewisser Weise ähnelt unser Smalltalk
den Tweets von Donald Trump. Man merkt halt doch, dass er von
Deutschen abstammt. Wir sind politisch natürlich völlig anders ge-
polt als er, aber falls jemand gebraucht wird, der Grönland vor der
Klimakatastrophe rettet, kaufen wir Grönland. Harald Martenstein ist Redakteur des »Tagesspiegels«
Zu hören unter http://www.zeit.de/audio
Illustration Martin Fengel
Martenstein auf Englisch: im »ZEITMAGAZIN – THE BERLIN STATE OF MIND«. Diese Kolumne erscheint am
- Oktober weltweit auf Englisch in unserer neuen »International Issue«. Die ist an ausgewählten Verkaufsstellen auch
in Deutschland erhältlich (26 0 S., 8,90 €). Und sie kann per E-Mail bestellt werden: [email protected]
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