Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1
dem versteckten wir uns oder kletterten auf ihm herum, bis weit
nach oben. In so einer Welt aufzuwachsen hatte etwas Magisches.
Sie haben eine katholische Schule in dem nahe gelegenen Ort
Cheltenham besucht. Wie streng ging es dort zu?
Sehr streng, aber mir hat das viel gebracht, ganz unabhängig von
meinen religiösen Vorstellungen.
Sind Sie denn katholisch?
Ich bin im katholischen Glauben erzogen worden, habe aber
mittlerweile meine eigene Spiritualität entwickelt. Für mich war
es wirklich wunderbar, eine katholische Schule zu besuchen. Ich
bin sehr dankbar dafür, vor allem für die Werte, die mir dort
nahegebracht wurden. Und das, obwohl meine Schule ein harter
Ort war. Ich wurde dort gemobbt. Sogar sehr gemobbt.
Wie kam es dazu?
Weil ich das einzige dunkelhäutige Mädchen an der ganzen
Schule war. Das Mobbing begann, als ich acht war, und endete
erst mit meiner Schulzeit. Cheltenham ist ein kleiner Ort, in
dem es damals kaum farbige Menschen gab, ich fühlte mich als
Außenseiterin. Gleichzeitig war ich bei uns zu Hause immer
glücklich. Schon wegen der tollen, sehr verschiedenen Musik-
stile, die bei uns zu hören waren: von Jazz über afrikanische
Musik bis Salsa. Sobald ich die Sicherheit dieses Zuhauses ver-
ließ, wurde die Welt für mich zu einer Herausforderung, und
zwar jeden einzelnen Tag. Doch obwohl ich mich in meiner
Schule missverstanden und allein fühlte, hat sie mir eben auch
viel Wunderbares mitgegeben.
Sie haben die Werte dieser Schule erwähnt, welche waren für Sie
besonders wichtig?
Vor allem der Wert harter Arbeit. Das war eine Erkenntnis,
die für mich heute noch unfassbar wichtig und prägend ist.
Die Schule hatte einen Leitspruch, der auf unsere Schuluni-
formen gestickt war: »Strebe immer nach dem Besten.« Jeden
Morgen war das beim Unterrichtsbeginn ein Thema: Nachdem
wir gebetet und Kirchenlieder gesungen hatten, sprachen wir
darüber, was es für uns bedeute, nach dem Besten zu streben.
Die Schule war wie eine Brombeere: süß und sauer zu gleichen
Teilen. Es war diese Dualität, die mich für mein ganzes Leben
geprägt hat.
Hatten Sie damals den Traum, Cheltenham hinter sich zu lassen
und nach London zu gehen?
Natürlich! Und wie! Immer! Seit ich dreizehn war, fuhr ich, so-
oft es nur ging, nach London. Drei bis vier Stunden dauerte die
Zugfahrt. Irgendwann war ich dann jedes, wirklich jedes Wo-
chenende dort. Ich nahm dort Tanzstunden, übernachtete bei
Freundinnen und suchte nach jedem nur erdenklichen Grund,
hinfahren zu können. Diese Ausflüge brachten mir Begegnungen
mit verschiedenen Kulturen, die mir Cheltenham nicht bieten
konnte. Natürlich war London auch viel härter, als ich das aus
der Ferne wahrhaben wollte. Trotzdem bin ich dann, als ich mit
der Schule fertig war, nach Südlondon gezogen. Dort habe ich
sechs Jahre lang gelebt. Das war eine umwerfende Erfahrung, die
mich, so wie meine Schulzeit, ebenfalls tief geprägt hat.
Können Sie sagen, warum diese Zeit für Sie so wichtig war?
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, eine Gemeinschaft gefun-
den zu haben, eine Gruppe, in der ich wirklich dazugehörte. Das

MEET LEE! 18
DIE GESCHICHTE
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