Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1

22 wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. OKTOBER 2019, NR. 40


W


as verbindet einen Holly-
wood-Star mit dem gemei-
nen europäischen Unterneh-
mensgründer? Alle brauchen
sie Ideen, Kraft, Energie. Immer spielt
Geld als Motivation eine maßgebliche
Rolle. Und bisweilen zählt der Schein
mehr als das Sein. Für dies alles gibt Jessi-
ca Alba ein beredtes Beispiel ab.
Die 38 Jahre alte Kinoheldin, inzwi-
schen etliche Millionen schwer und ne-
benbei höchst erfolgreiche Kosmetikun-
ternehmerin, beehrte vorige Woche die
Münchner Gründermesse „Bits & Pret-
zels“. Dort warb sie für ihre Produkte
wie für sich selbst, obendrein gewährte
sie abseits der Bühne Audienzen für Jour-
nalisten, was so lange gut ging, solange
es beim Glamour und Schein blieb. Das
Zicken-Potential in Hollywood ist
enorm, bei den Stars selbst und in ihrer
Entourage erst recht. Dazu später mehr.
Die Europa-Expansion ihres Unter-
nehmens zu befeuern, das war das Ziel
von Jessica Albas Besuch in Deutschland.
Ökologische Ware für das Baby ist ihr
Metier. Klingt edel, ist jedenfalls hoch-
profitabel. Junge Eltern schauen, wenn
es um das Wohl des Babys geht, nicht
auf jeden Cent.
Albas Online-Shop führt „saubere
Baby-Pflegemittel“, wie sie gerne be-
tont, Haushaltsmittel und Beauty-Pro-
dukte. Alles ohne Gift, alles ohne die ach
so schädliche Chemie. Der fürsorgliche,
ökologisch-korrekte Kunde glaubt es ger-
ne. Alba hat ihre Marktlücke gefunden.
„The Honest Company“ heißt ihr La-
den, die „aufrichtige Firma“, geschätzter
Wert ihrer Anteile daran: irgendwas zwi-
schen 200 und 300 Millionen Dollar.
Vor gut zehn Jahren, nach der Geburt
ihrer ersten Tochter, hat sich Alba ihre
ersten Gedanken über ein eigenes Ge-
schäft gemacht, die Schauspielerei ruhte

nach der Schwangerschaft. In der Baby-
Versorgung erspähte sie ihre Marktlü-
cke, sie hatte in ihrer Filmpause reichlich
Zeit, sich in das Thema einzuarbeiten,
die juristischen Grundlagen für ihr Un-
ternehmen zu legen, die passende Grün-
derlegende, immer gut für ein Start-up,
hatte sie passenderweise gleich parat;
schlimme Erfahrungen während der eige-
nen Schwangerschaft.
Auf der Suche nach sauberen Produk-
ten für Babys nämlich, so erzählt sie die
Geschichte bis heute, habe sie allergisch
auf ein Waschmittel reagiert, das extra
mild für Baby-Sachen sein sollte. Sie be-
kam überall Pusteln und dachte: „Oh
Gott, wie würde mein Baby darauf reagie-
ren, wenn es mich als Erwachsene schon
so trifft?“
Die Schauspielerin selbst hatte als
Kind chronisches Asthma, Lungenent-
zündungen, Lungenembolien. Die Am-
bulanz ist regelmäßig mit dem Blaulicht
vorgefahren. Ihr Vater, ein Pilot bei der
Air Force, hatte zum Glück eine vorzügli-
che Krankenversicherung, die Tochter
verbringt viel Zeit im Krankenhaus. Hol-
lywood war weit weg damals: Jessica Alba
ist ein einsames, kränkelndes Mädchen,
muss vieles allein lernen, um in der Schu-
le zu bestehen.
Ihr Leben ändert sich zum Besseren,
als sie als Teenie einen Schauspielwettbe-
werb gewinnt. Von da an tritt sie in Wer-
bespots und kleineren Filmproduktionen
auf. Ihr Durchbruch wird die Science-
Fiction-Serie „Dark Angel“, ausgestrahlt
zur Jahrtausendwende. Jessica Alba spielt
darin eine genetisch manipulierte Super-
soldatin und kämpft in einem postapoka-
lyptischen Amerika für das Gute.
Die Serie wird nach zwei Staffeln ab-
gesetzt, Jessica Alba aber wird dadurch
zum Superstar, die amerikanische
Klatschpresse handelt sie mittlerweile

gar als die bestbezahlte Schauspielerin
der Welt.
Als sie in Hollywood davon spricht,
ihr Geschäftsgebaren um einen Kosme-
tikladen zu erweitern, raten ihr alle ab;
Agenten, Anwälte, Kollegen. Die Leute
im Showbusiness denken nicht wie nor-
male Unternehmer. Für gewöhnlich stei-
gern erfolgreiche Schauspielerinnen ihr
Vermögen auf andere Art: Sie machen ih-
ren Namen, ihr Gesicht zu Geld, indem
sie Lizenzen für allerlei Produkte an Fir-
men verkaufen. Jessica Alba wollte das
nicht, stattdessen trennte sie sich von ih-
rem Agenten, der ihr die Start-up-Idee
auszureden versuchte, und legte los mit
dem Versand von Kosmetikpaketen.
Chaotisch und stressig ging es zu am
Anfang, bis heute ist die Chefin jeden Tag
im Büro, sofern sie nicht irgendwo dreht.
Dann bestellt sie sich Geschäftspartner
ans Set. Momentan dreht Alba eine Fern-

sehserie, „L.A. Finest“. Sie spielt eine Er-
mittlerin und ist gleichzeitig Produzentin,
was bedeutet: Sie arbeitet nach eigenen
Angaben 14 bis 18 Stunden am Tag.
Das alles bringt sie nur unter einen
Hut, weil ihr Mann ein „Feminist“ ist,
wie sie in München offenbart: „Er macht
viel im Haushalt und mit den drei Kin-
dern.“ Ansonsten kümmert der Gatte
sich um eigene Firmen, verkauft etwa
Funktionssocken und Strümpfe, während
Jessica Alba sich Respekt in der Ge-
schäftswelt verschafft, als Frau noch dazu
ohne ökonomische Vorbildung.
Ein College hat sie nie besucht, zu-
dem steht sie unter permanentem Glit-
zer-Verdacht: Schauspielerin leistet sich
Firma als Hobby, so in der Art klingen
anfangs die abschätzigen Urteile. Die
Vorurteile bekommt sie zu spüren, so-
bald sie mit gestandenen Managern ei-
nen Raum betritt.

Dazu muss erwähnt werden: Auch in
Amerika sind Gründerinnen noch im-
mer selten, weniger als ein Prozent des
Wagniskapitals geht an Firmen, die von
einem weiblichen Chef gegründet wer-
den, bei einem Termin mit namhaften In-
vestoren in New York passierte Alba, wo-
von auch andere Frauen schon berichtet
haben: Es gab dort nicht einmal eine Da-
mentoilette. Frauen sind in dem Gewer-
be nicht wirklich vorgesehen. Auf der an-
deren Seite winkt umso mehr Publicity,
wenn es doch mal eine schafft, noch
dazu eine Schauspielerin.
So wächst Jessica Albas Baby-Unter-
nehmen in einem Wahnsinnstempo vor
sich hin, bald gibt es Gerüchte, dass der
Großkonzern Unilever mit einem Über-
nahmeangebot winkt oder ein Börsen-
gang naht. Schätzungen zufolge ist „The
Honest Company“ inzwischen mehr als
eine Milliarde Dollar wert, für die Expan-
sion hat Alba mehrfach potente Investo-
ren an Bord geholt.
Eine Erfolgsgeschichte fast so schön
wie ein Märchen, wenn nur diese blöden
Rechtsstreitigkeiten nicht wären. Und
da wird es heikel für Jessica Alba, es gab
in Amerika mehrere Klagen gegen ihre
Firma, der Vorwurf: Die Ware ist nicht
so „clean“ wie behauptet. Kein einziger
Fall geht vor Gericht, wie die Schauspie-
lerin ein ums andere Mal klarstellt. Ver-
gleiche schaffen die Streitigkeiten aus
der Welt, in einem Fall im Jahr 2017 zahl-
ten sie 1,55 Millionen Dollar, um eine
Sammelklage abzuschmettern. Eine
Sprecherin sagte damals, man sei den
Vergleich eingegangen, „um weitere
Kosten und Ablenkungen für unser Un-
ternehmen zu minimieren“.
An diesem Punkt wird sie biestig, dar-
auf will die Schauspielerin heute nicht
mehr näher eingehen. Auf jeden Fall
scheint er so unangenehm, dass ihr ame-

rikanisches Management es im Nachhi-
nein untersagt, das Interview zu veröf-
fentlichen.
Dabei war die Stimmung während des
Gesprächs in einem Münchener Luxus-
hotel entspannt, in professioneller Plau-
derlaune erzählt Jessica Alba ihre Ge-
schichte, greift zwischendurch nach herz-
haften Häppchen und pariert auch die
heikleren Fragen, wenngleich sie mit je-
der Minute mehr durchscheinen lässt,
wie wenig Lust sie auf diesen Teil hat.
Somit bleiben wir an dieser Stelle eini-
ge Antworten schuldig auf Fragen, die
künftige Kunden der Marke „Honest“
in Europa durchaus hätten interessieren
können: Ob Alba die Vergleichszahlun-
gen in irgendeiner Weise als Eingeständ-
nis ihrer Schuld sieht? Ob sie den Na-
men „aufrichtig“ für ihr Unternehmen
noch mal wählen würde? Ob womöglich
ihr Promi-Status die Kläger erst angezo-
gen hat, ob die Konkurrenz sie zu schä-
digen versucht und wie sie darauf rea-
giert hat?
Doch ist der Druck eben besonders
hoch im Falle eines Unternehmens, das
sich die Ehrlichkeit auf die Fahnen ge-
schrieben hat, das von einem ökologisch
einwandfreien Image lebt. Die Konse-
quenzen, die Alba aus den Skandalen be-
zogen hat, sprechen für sich: Inhaltsstof-
fe wurden geändert, das Budget für For-
schung und Qualitätskontrollen gewaltig
aufgestockt.
Zweck ihrer Europa-Reise war es, die
Expansion hierzulande zu beflügeln. Der
Start ist offenbar gelungen. Die Dou-
glas-Drogerien hat Jessica Alba als Part-
ner gewonnen, in England die Drogerie-
Kette Boots. Nach allem, was zu hören
ist, entwickelt sich die Nachfrage präch-
tig. In Holland wurde ein zusätzliches La-
gerzentrum gemietet, um der Nachfrage
Herr zu werden.

Hollywood-Star Jessica Alba kassiert als


Schauspielerin Millionen. Nebenbei gründet


sie einen Baby-Shop, der heute eine


Milliarde Dollar wert ist. So was geht nicht ohne


Biss und Biestigkeiten.Von Bettina Weiguny


Foto Action Press

In der Serie „Dark Angel“ spielte Jessica Alba die Max Guevara – und wurde zum Star. Foto Fotex

Das Doppelleben


der Jessica Alba


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