- OKTOBER 2019 NR. 40 SEITE 25 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG
Geld&mehr
M–ZU VIEL PAPIER
Der Pro-Kopf-Verbrauch an Papier,
Pappe und Karton ist in Deutsch-
land so hoch wie in keinem anderen
Industrie- oder Schwellenland der
G 20. Im vergangenen Jahr waren es
241,7 Kilogramm. Selbst die Verei-
nigten Staaten kamen mit knapp
211 Kilogramm nur auf Platz zwei.
Ursache sei die starke Zunahme
des Online-Handels und höherer
Verbrauch in den Behörden.
M–BANKSYS GESCHÄFTE
Der Street-Art-Künstler Banksy hat
doppeltfür Aufsehen gesorgt. Sein
Gemälde „Devolved Parliament“,
das Affen im britischen Unterhaus
zeigt, wurde für die Rekordsumme
von elf Millionen Euro versteigert.
Fast gleichzeitig eröffnete er einen
ungewöhnlichen Laden in London.
In den Schaufenstern kann man sei-
ne Werke sehen, doch in den La-
den gehen kann man nicht.
M–GOLD VERLIERT
Das Edelmetall hat in diesem Jahr
einenkräftigen Aufschwung erlebt.
Seit Januar war der Preis teilweise
um bis zu 20 Prozent gestiegen.
Doch seit Anfang September ist
der Anstieg vorerst beendet, und
die Kurse fielen wie-
der leicht bis auf 1500
Dollar je Feinunze.
Vor allem der stärkere
Dollar belastet.
M–HP ENTLÄSST
Mit kräftigen Kursverlusten von
zehnProzent haben die Börsen
die Nachrichten vom Computer-
und Druckerhersteller HP auf-
genommen. Er kündigte den
Abbau von 7000 bis 9000 Stellen
an, das ist fast ein Fünftel der
Mitarbeiter. Das soll eine Milliarde
Dollar einsparen. HP
will sich mehr auf
Dienstleistungen
konzentrieren. Am
- November über-
nimmt der neue
Chef Enrique
Lores(Foto).
M+H&M VERBESSERT SICH
Die Neuausrichtung des Modekon-
zerns Hennes & Mauritz (H&M)
zahlt sich aus. Im dritten Quartal
legte der Gewinn erstmals seit
mehr als zwei Jahren wieder zu.
Er stieg um ein Viertel. Dabei
half auch, dass die Sommerkollek-
tion bei den Kunden gut ange-
kommen ist. Der
Aktienkurs legte zu
und notiert wieder
auf dem Niveau
von Ende 2017
M–COMMERZBANK SINKT
Der Aktienkurs der Commerzbank
hat fast schon wieder sein Rekord-
tief vom August erreicht. In der ab-
gelaufenen Handelswoche ging es
rund acht Prozent nach unten. Der
Strategieschwenk der Bankführung
aus der Vorwoche mit Filialschlie-
ßungen wirkte noch negativ nach.
Hinzu kamen Konjunktursorgen
und dadurch hochkochende Zins-
senkungsphantasien. In Zeiten wirt-
schaftlicher Abkühlung steigen die
Ausfallrisiken für Kredite, die die
Banken vergeben. Zudem hoffen
viele Investoren auf Zinssenkun-
gen. Das Niedrigzinsumfeld belas-
tet die Banken schon seit Jahren,
da es auf die Margen im Kreditge-
schäft drückt.
Quelle: Th. Reuters / F.A.Z.-Grafik pir.
B.B.C@BA <[email protected]@BA
in Euro
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5,8
TOPS UND FLOPS
S
terne geben Orientierung. Seit
Ewigkeiten helfen sie Menschen,
sich in freier Natur zurechtzufin-
den. Eine ähnliche Funktion ha-
ben Sterne heute in der Online-Welt: Als
Bewertungssymbole geben sie Menschen
im besten Fall eine Art Richtschnur, ob
Waren oder Dienstleistungen halten, was
die Anbieter versprechen, und machen
viele Märkte dadurch transparenter.
Doch gibt es einen entscheidenden Un-
terschied zwischen den Sternen in der Na-
tur und denen im Netz: Im Internet sind
Sterne nicht fix wie am Firmament, son-
dern sie werden von Nutzern rund um
die Uhr vergeben und variieren deshalb
in Summe. Der eine Kunde ist unzufrie-
den und vergibt nur einen Stern, der
nächste Käufer desselben Produkts zeigt
sich begeistert und verleiht fünf Sterne.
Der Gesamtwert ist daher in Bewegung,
selbst kleine Abweichungen können gro-
ße Wirkung haben. Ob 4,5 Sterne oder
4,3, das kann einen himmelweiten Unter-
schied ausmachen.
Spätestens hier beginnen die Zweifel:
Welcher Bewertung ist zu trauen? Wel-
che wurde im Affekt verfasst, welche ist
aus echter Zufriedenheit geschrieben und
welche aus Gefälligkeit? Und: Sind viele
Sterne nur eine Mogelpackung vom An-
bieter und damit für Kunden von keiner-
lei Wert? Was zur Orientierung dienen
soll, birgt oft eine Ungewissheit.
Das Bewerten ist in unserer Welt nicht
nur erwünscht, sondern es wird geradezu
gefordert. Es ist ein Imperativ in unserer
„Bewertungsgesellschaft“, so nennt es der
Berliner Soziologie-Professor Steffen
Mau. Auf Ebay bewerten sich Käufer und
Verkäufer, bei Uber Fahrer und Fahrgast,
bei Airbnb Gastgeber und Gast. Das
Gute an den ganzen Meinungsäußerun-
gen ist: Der Kunde hat an Macht gewon-
nen. Er ist nicht länger auf Produktwer-
bung von Unternehmen und Dienstleis-
tern angewiesen oder muss sich Experten-
meinungen suchen, sondern kann auch
auf die Stimmen seinesgleichen hören.
Die Kehrseite: Es ist in der Regel nicht er-
sichtlich, unter welchen Voraussetzungen
und Bedingungen eine Bewertung abge-
geben wurde. Das führt praktisch zu ei-
nem Paradox: Sehr viele Laien lesen Be-
wertungen anderer Laien, bevor sie einen
Fernseher kaufen oder einen Installateur
beauftragen. Zugleich beschleicht laut
Umfragen drei von vier Verbrauchern das
Gefühl, den Online-Bewertungen der an-
deren nicht trauen zu können.
Für die Zweifel gibt es viele gute Grün-
de. Einer davon wird gerade am Münch-
ner Landgericht verhandelt. Dort klagt
das Urlaubsportal Holidaycheck gegen
das Unternehmen Fivestar Marketing,
das Bewertungen erstellen lässt und ver-
kauft. Einige Dutzend Hoteliers in
Deutschland, Österreich und der Schweiz
hatten für so ein falsches Lob bezahlt, um
sich einen Wettbewerbsvorteil zu ver-
schaffen und möglichst viele Gäste anzu-
locken. Holidaycheck meint belegen zu
können, dass Bewerter Herbergen ange-
priesen haben, ohne sie jemals von innen
gesehen zu haben. Das sei Betrug am
Kunden. Sich einfach aus der Affäre zie-
hen kann Fivestar, das seinen Firmensitz
im mittelamerikanischen Belize hat, wohl
nicht. Es gebe „das System der mittelba-
ren Täterschaft“, erklärte der Vorsitzende
Richter. In fünf Wochen steht der nächs-
te Verhandlungstermin an. Ob dann mit
einem Urteil zu rechnen ist, kann das
Landgericht noch nicht vorhersehen.
Auf dem Prüfstand steht eine weitver-
breitete Schummelei. Denn Sternehänd-
ler gibt es viele. Oft tragen sie das Wort
Star im Namen und sind für Hotels,
Händler, Makler und alle anderen, die
sich einen Wettbewerbsvorteil erkaufen
wollen, leicht im Internet zu finden. Bei
Fivestar kostet eine Google-Bewertung
12,95 Euro, für eine Lobhudelei auf den
Portalen Tripadvisor und Trustpilot wer-
den 14,95 Euro fällig, auf Amazon als
mächtigstem Online-Händler der Welt
22,95 Euro. Der Sterneverkäufer Goldstar
ist teurer, lässt aber Bewertungen für eine
Reihe weiterer Plattformen schreiben,
darunter Immobilienscout24. Auch Ärzte
können sich Bewertungen kaufen, zum
Beispiel 100 Stück zum „Aktionspreis“
von 2295 Euro. Damit könnten sie sich
vor böswilligen Mitbewerbern schützen:
„Betrachten Sie es als eine Art Notwehr“,
wirbt Goldstar auf seiner Website. Recht-
lich werden solche Angebote als Werbe-
maßnahmen angesehen. Das Problem:
Sie werden gewöhnlich nicht als Wer-
bung gekennzeichnet. Der Verdacht des
unlauteren Wettbewerbs liegt nahe.
Doch sind gekaufte Sterne nicht der
einzige Pfusch, vor dem sich Verbraucher
in Acht nehmen müssen. „Wir haben ei-
nen Wettbewerb bei den Bewertungen.
Und der führt zu großer Kreativität, wie
man Bewertungen generiert“, sagt Rechts-
expertin Tatjana Halm von der Verbrau-
cherzentrale Bayern. Sie hat sich Bewer-
tungsportale genauer angeschaut und
weiß von viel Schindluder zu berichten.
Ärzte, die aus der eigenen Praxis heraus
den Ruf eines Kollegen schädigen lassen;
Hotels, die einen Essensgutschein ver-
sprechen, wenn der Besucher eine loben-
de Bewertung hinterlässt; Unternehmen,
die dafür einen Bonus bieten. Ein Online-
Händler hat sich als besonderer Trickser
erwiesen: Er hat auf Amazon zwei ver-
schiedene Waren miteinander verknüpft,
so dass die hervorragende Bewertung des
einen Produkts auch dem anderen zugute-
kam. Für den Verbraucher war die Mani-
pulation so gut wie nicht erkennbar.
Auch das Bundeskartellamt ist alar-
miert und hat im Mai eine sogenannte
Sektoruntersuchung zu Nutzerbewertun-
gen im Internet begonnen. Man bekom-
me eine Fülle an Hinweisen auf manipu-
lierte Bewertungen und werde Dutzen-
den Portalen und Online-Händlern in
Kürze kritische Fragen stellen, sagte Kar-
tellamts-Präsident Andreas Mundt kürz-
lich der F.A.Z.: „Wir haben den Ein-
druck, dass Fälschungen auf manchen
Portalen kein Einzelfall sind.“
Von der Zahl manipulierter Bewertun-
gen haben Portale und Online-Händler
oft eine Ahnung. Amazon sah sich ge-
zwungen, massenhaft Bewertungen zu lö-
schen. Die Reiseplattform Tripadvisor
hat kürzlich mitgeteilt, dass von den im
vergangenen Jahr eingegangenen Bewer-
tungen jede fünfzigste manipuliert wor-
den sei. Die absolute Zahl der Fake-Be-
wertungen ist aber beeindruckend: 1,4
Millionen hat Tripadvisor gelöscht. Ex-
perten halten es für wahrscheinlich, dass
den Portalen viele weitere Schummeleien
entgehen.
Beim Ärzte-Empfehlungsportal Jame-
da wird etwa jede zehnte eingehende Be-
wertung wegen Manipulation gelöscht.
Verdächtigt das Portal einen Arzt wieder-
holter Manipulation, setzt es einen Warn-
hinweis. Eine Praxis, die unter Juristen
umstritten ist. Jameda musste auch schon
eine Reihe von Ärzten abmahnen, weil sie
sich Fake-Bewertungen besorgt hatten.
„Ob Bewertungen in den Räumlichkeiten
des Arztes abgegeben wurden, lässt sich
technisch leicht durch die verwendete IP-
Adresse erkennen“, heißt es von Jameda.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?
So einfach ist es nicht. Vergleichsporta-
le stehen weiter unter Verdacht, alle jene
im Ranking zu bevorzugen, die eine An-
zeige schalten. Doch bei so manchen Por-
talen und Händlern setzt sich allmählich
das Bewusstsein durch, dass falsche oder
irreführende Bewertungen ihren Ruf be-
schädigen. Vorbildliche Portale setzen
jetzt schon ein dreistufiges Verfahren ein,
um Mauscheleien vorzubeugen: Zum ei-
nen prüft ein Algorithmus verdächtige Be-
wertungen anhand verschiedener Krite-
rien. Zum anderen erhalten Verbraucher
die Möglichkeit, mutmaßlichen Miss-
brauch zu melden. Zu guter Letzt haben
die besten Portale eine Reihe von Mitar-
beitern, die über Zweifelsfälle entschei-
den. So ideal eine Kombination aus den
drei Prüfungen ist: Manche Plattformen
verzichten darauf, weil es ihnen vorrangig
um eine möglichst große Masse an Bewer-
tungen jeder Art geht. Verbraucher soll-
ten deshalb stets darauf achten, dass es ei-
nen Missbrauchsmelde-Button gibt.
Wer es als Unternehmer ernst meint
mit den Bewertungen, der wendet sich an
einen wie Michael Ambros. Der Mittdrei-
ßiger hat 2008 die Firma Ekomi gegrün-
det, die Bewertungen sammelt, analysiert
und bei Unstimmigkeiten zwischen Be-
werter und Bewertenden als Mittler auf-
tritt. Banken und Versicherungen schwö-
ren auf Ekomi, ebenso Google, das seine
Bewertungssterne von dem deutschen
Start-up plazieren lässt. Ambros’ Firma
arbeitet auch mit dem TÜV Saarland zu-
sammen und vergibt ein Echtheitssiegel.
Worauf Verbraucher bei jeder Sternen-
schau unbedingt zu achten haben: Jeder
Bewertung sollte ein verifizierter Kauf zu-
grundeliegen. Und je mehr es davon gibt,
desto besser können sich Verbraucher ein
Bild machen. „Alles andere, zum Beispiel
auf Portalen wie Tripadvisor oder Yelp,
sind nur Kommentare, die mit Vorsicht
zu genießen sind“, sagt Ambros.
Echtheitssiegel sind schön und gut, fin-
det Verbraucherschützerin Halm. Aber
längst nicht alle bieten Gewähr. „Es gibt
vielfältige Bewertungsmanipulationen,
die kaum nachvollziehbar sind“, sagt die
Rechtsexpertin. Für den Verbraucher be-
deutet das wohl oder übel: „Ein Rest-
Misstrauen wird immer bleiben müssen.“
Was sich zu kaufen lohnt und was nicht,
steht nicht immer in den Sternen.
Schummelei
mit Sternen
Ob Hotels, Handwerker oder Handys: Viele Online-Bewertungen
sind gefälscht oder gekauft. Wie kann man sie erkennen?
Von Thomas Klemm
R) Mehrfachnennungen.
Quellen: IFH; Splended Research; Verbraucherzentrale Bayern / F.A.Z.-Grafik Brocker
So beeinflussen Online-Bewertungen die Kaufentscheidung
Welche Bewertungsformen
sind Ihnen wichtig?
in Prozent der BefragtenR)
Kundenrezensionen in Textform
AB
Produktfotos
A@
Sterne- oder Skalenbewertung
BD
in Prozent
der Befragten
in Prozent
der Befragten
GVoll und ganz
GG Eher
Ja, ich kaufe das andere Produkt
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Nein, ich kaufe trotzdem das geplante Produkt
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Illustration F.A.S.
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