Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1

38 feuilleton FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. OKTOBER 2019, NR. 40


A


ch,Eric Pleskow ist ge-
storben, nachdem er
sehr lange, mehr als 95
Jahre, auf der Erde war. Und
wenn er in diesen Tagen an-
kommt an der Himmelspfor-
te, werden dort, um ihn wür-
dig zu empfangen, Mary Pick-
ford und Charles Chaplin ste-
hen, Douglas Fairbanks junior und Da-
vid Wark Griffith, die vier Künstler,
die vor gut hundert Jahren, im Früh-
jahr 1919, die Firma United Artists ge-
gründet haben, jenes Studio, das Ples-
kow dann in den siebziger Jahren mit
großem Erfolg geleitet hat. Und das er
verließ, bevor dort alles zusammen-
brach, wegen eines Films, dessen Kos-
ten außer Kontrolle gerieten. Und der,
ausgerechnet, „Heaven’s Gate“ hieß.
Als wir uns begegneten, war das im
Frühjahr 1991, kurz bevor „Das Schwei-
gen der Lämmer“ in die Kinos kam.
Ich war mit dessen Regisseur Jonathan
Demme zum Interview verabredet, in
Midtown Manhattan, im Hauptquar-
tier von Orion, jenem Filmstudio, das
die besten Leute und die besten Pro-
jekte von United Artists übernommen
hatte. Vor dem Gespräch, sagte Dem-
me, wolle er mich noch dem Studio-
boss vorstellen, ein paar Stockwerke
weiter oben, dem Himmel näher.
„This is Claudius, he came all the
way from Germany“, sagte Demme.
Und der Studioboss fragte, in schö-
nem Wiener Singsang: „So, Deutsch-
land, wo kommen Sie denn her?“
„München“, sagte ich.
Und der Studioboss fing an, eine
Geschichte zu erzählen: „Mein Name
ist Eric Pleskow, ich kenne München
gut, ich habe es nämlich erobert. Zu-
mindest Teile davon. Ich bin in Wien
geboren, aber 1945 marschierte ich mit
der amerikanischen Armee von Süden
auf München zu. Wir nahmen den
Vorort Geiselgasteig kampflos ein,
und als wir zu den Bavaria-Filmstu-
dios kamen, leistete nur ein Aufnahme-
leiter tapfer Widerstand: Ob wir die
Eroberung der Halle um ein paar Mi-
nuten verschieben könnten, der Regis-
seur Erich Engel wolle die Szene noch
zu Ende drehen. Wir warteten, dann
nahmen wir die Halle ein. Und meine
Vorgesetzten dankten mir für diese mi-
litärische Leistung, indem sie mich
zum Filmoffizier machten. So hat mei-
ne Karriere angefangen.“
Es war, leider, die Zeit, da es auch
mit Orion zu Ende ging; das Studio
hatte unvergessene Filme und gewalti-
ge Erfolge produziert, „10“, „Termina-
tor“, „Der mit dem Wolf tanzt“,
aber noch mehr Flops; und kaum ein
halbes Jahr später war auch Orion
bankrott, trotz des Erfolgs von Dem-

mes „Schweigen der Läm-
mer“. Was Pleskow naturge-
mäß auch schon im Frühjahr
1991 ahnte – und vielleicht wa-
ren das ja die Monate, da er
beschloss, nicht länger an sei-
ner Karriere, sondern besser
an seiner Legende zu arbei-
ten. Und wie das bei Legen-
den so ist: Es sind viele Fassungen im
Umlauf, in anderen Gesprächen hat
Pleskow die Geschichte ein wenig an-
ders erzählt.
Sicher ist jedenfalls, dass Eric Ples-
kow, der jüdische Junge, der kaum
sechs Jahre zuvor mit seinen Eltern
aus Wien nach Amerika geflohen war,
jetzt, als 21-Jähriger, von der amerikani-
schen Armee den Auftrag bekam, den
Wiederaufbau der Bavaria-Studios zu
organisieren, was ihm so gut gelang,
dass diese Bavaria bis weit in die neun-
ziger Jahre hinein in Deutschland kon-
kurrenzlos blieb.
Bald darauf wurde Pleskow Verleih-
chef von United Artists für Europa,
pendelte von einem Kontinent zum an-
deren – und, so hat er es später immer
wieder erzählt, erkannte, dass genau
das der Ort war, an dem er sich am
wohlsten fühlte: dazwischen, auf hal-
bem Weg gewissermaßen zwischen Eu-
ropa und Amerika. Er setzte sich in Eu-
ropa für amerikanische Filme ein, in
Amerika für europäische Regisseure,
er glaubte an die Einheit des Westens,
und als er 1973 Co-Chef von United
Artists wurde, war genau das sein Pro-
gramm. In drei aufeinanderfolgenden
Jahren gewann sein Studio den Oscar
für den besten Film, 1975 mit „Einer
flog übers Kuckucksnest“, den der
Tscheche MilošForman inszeniert hat-
te, dann mit „Rocky“, von und mit Syl-
vester Stallone, der ja gleichermaßen
Italiener wie Amerikaner ist; und dann
mit „Annie Hall“ von Woody Allen,
über dessen Gesinnungseuropäertum
alles bekannt und gesagt ist.
Hollywood war, von Anfang an, der
Versuch europäischer Juden, sich zu-
mindest in der Fiktion eine ideale
Welt zu bauen. „Ich war in Paris in
Frankreich, und ich war im Paris der
Paramount. Das Paris der Paramount
ist besser“, soll Ernst Lubitsch einmal
gesagt haben. Und so ähnlich muss
man sich den Himmel des Eric Ples-
kow wohl vorstellen. Draußen, vor der
Stadt, ist Neu-England. Und wenn er
aber von seinem Büro in Midtown aus
dem rechten Fenster schaut, sieht er
unter sich das Quartier Latin, rechts
schaut er auf den Ersten Bezirk. Und
dazwischen leuchtet in schönsten
Herbstfarben der Englische Garten.
Und niemals kommt der Schriftzug:
„The End“.

ERIC PLESKOW


IM HIMMEL


H

annah Arendt ist ein Welt-
star, deshalb sieht man sie auf
dem Cover des Briefwechsels
mit Dolf Sternberger. Ihr
Werk ist die zentrale Bezugsgröße in den
Debatten um Gerechtigkeit, Menschen-
rechte und um die Frage, ob es eines glo-
balen Umsturzes bedarf, um die Spezies
Mensch vor sich selbst zu retten. Daher
das geschickt gewählte Zitat im Titel des
Bandes: „Ich bin Dir halt ein bißchen zu
revolutionär.“
Und Sternberger? Der 1907 Geborene
und 1989 Verstorbene war der führende
Kopf solch bedeutender Nachkriegszeit-
schriften wie der „Wandlung“ und der
„Gegenwart“, dann Ordinarius für politi-
sche Wissenschaften in Heidelberg, zu-
gleich über Jahrzehnte in führenden Äm-
tern zahlreicher wissenschaftlicher und
kultureller Einrichtungen. Zuvor war er
ab 1934 erst Redakteur der „Frankfurter
Zeitung“ bis zu deren Zwangsschließung
durch Goebbels 1943, um dann in den
sechziger und siebziger Jahren ein wichti-
ger Berater dieser Zeitung zu werden.
Nach und nach wurde Sternberger so der
Mann fürs Repräsentative in der Bundes-
republik.
Als Essayist war Sternberger ein Soli-
tär, und seine Wissenschaftsprosa wollte
an ihrer literarischen Qualität erkannt
werden. Beides lässt sich in zahlreichen
Büchern nachprüfen – wenn man sie im
Antiquariat findet. Jetzt ist Sternberger
dank Arendt zurück auf der Bühne. Und
das mit einem beeindruckenden Auftritt.
In den von dem Hamburger Wagnerfor-
scher Udo Bermbach herausgegebenen
Briefen, überliefert sind sie von 1946 bis
zu Arendts Todesjahr 1975, lernt man vor
allem Sternberger besser kennen.
Doch Sternberger hat noch eine ande-
re Geschichte, eine, die das gerade Er-
zählte ins rechte Licht rückt und die die
Wiederbegegnung mit der 1933 aus Ber-
lin geflohenen deutschen Jüdin Arendt
nach dem Krieg erst möglich machte.
Als sich Arendt und Sternberger 1927 in
Heidelberg bei dem gemeinsamen Leh-
rer Karl Jaspers kennenlernten, war sie
in Augustinus vertieft und er bereits ein

geistreicher Autor. Als sie sich beide we-
nige Jahre später nach Frankfurt beweg-
ten, war Arendt promoviert und mit
Günther Stern/Anders verheiratet. Stern-
berger hatte zuvor „die Blankenstein“ ge-
ehelicht, wie sie genannt wurde, mit
Arendt als Trauzeugin. Ilse Rothschild,
1900 in Frankfurt in die prominente Ban-
kiersfamilie geboren, war eine Erschei-
nung, die das gebildete Heidelberg faszi-
nierte. Sie gehörte aber nicht zuletzt zu
den feinsinnigsten Kunstkritikerinnen ih-
rer Zeit, wie zahlreiche Artikel in der
„Frankfurter Zeitung“ belegen.
1933 ändert sich dann alles. Der Freun-
deskreis wird getrennt. Arendt ent-
kommt im letzten Moment im Mai 1941
mit ihrem zweiten Mann Heinrich Blü-
cher in die Vereinigten Staaten, Sternber-
ger führt mit seiner Frau zunächst eine
sogenannte „privilegierte Mischehe“, bis
der Deportationsbefehl dank einer un-
dichten Stelle durchsickert. Ilse Sternber-
ger überlebt in einem Versteck bei Freun-
den, während ihre Eltern 1944 hochbe-
tagt in Auschwitz ermordet werden. Da-
nach wird Ilse Sternberger in der Öffent-
lichkeit verstummen, ihr Mann tritt nach
vorn, nicht zuletzt, um sie zu schützen.
„Liebe und verehrte Hannah Arendt!
Ich weiß nicht recht wie ich diesen Brief
beginnen soll“, so eröffnet Sternberger
den ersten Brief am 31. Mai 1946 aus Hei-
delberg nach New York – über den Ab-
grund der Geschichte hinweg. Arendt ist
da mit dem Aufsatz „Organisierte
Schuld“ bereits Autorin von Sternber-
gers Zeitschrift „Die Wandlung“ gewor-
den, der Mitherausgeber Jaspers hatte
vermittelt. Sogleich werden die alten
Freundschaftsbande erneuert. Arendt
schreibt Artikel, schickt Care-Pakete,
Sternberger redigiert und ist ein aufmerk-
samer Chronist des Wiederaufbaus der
Bundesrepublik. In der Schriftenreihe
der „Wandlung“ erscheint „Sechs Es-
says“, Arendts erstes deutsches Buch.
Mit den „Origins of Totalitarism“ von
1951, die vier Jahre später als „Ursprünge
und Elemente totaler Herrschaft“ in
Frankfurt herauskommen, ist sie schlagar-
tig in aller Munde. Sternberger ist nicht

minder produktiv und erfolgreich. Mit
der Stabilisierung der Lebensverhältnis-
se wird der Briefwechsel offener, zumal
man sich nunmehr regelmäßig sieht.
„Ilse und Dolf “ gehören bald zum festen
Programm Arendts bei ihren Deutsch-
landbesuchen, man sieht sich privat und
in Sternbergers Seminar. Er kann in den
Briefen das Glück kaum fassen, wieder
im Austausch mit Arendt zu stehen, als
sei mit ihr ein Stück Vergangenheit wie-
dergewonnen worden.
Diese Stimmung ist auch sachlich be-
gründet: Beide sehen im antiken Athen
und der „Politik“ des Aristoteles die
Grundlagen fürs politische Denken ge-
legt, beide interessieren sich für das Un-
tergründige im Aktuellen. Und sie ler-
nen voneinander: Sie begreift mit ihm
Fragen der Repräsentation, die Mechanis-
men einer Demokratie, während Stern-
berger fasziniert ist von Arendts Fähig-
keit, aus der Kritik an der politischen Phi-
losophie die Gegenwart zu erschließen.
Seine Besprechung von Arendts Haupt-
werk „Vita activa oder Vom tätigen Le-
ben“ 1960 in dieser Zeitung ist ein Mark-
stein in deren Rezeptionsgeschichte.
Doch ein solcher Austausch ist nicht
ohne Streit zu haben. Und es sind diese
Auseinandersetzungen, die den Brief-
wechsel so bedeutend machen. Denn mit
Arendt und Sternberger stehen sich zwei
exemplarische Positionen gegenüber. Sie
sieht in den Gewaltexzessen des 20. Jahr-
hunderts einen „Traditionsbruch“, auf
den man mit einer vollständigen Revisi-
on des bisherigen Denkens reagieren
müsse. Er sieht noch die Fäden zu den
Ursprüngen des Politischen geknüpft,
will produktiv an deren Stärkung arbei-
ten. Das klingt abstrakt, im Briefwechsel
hingegen wird leidenschaftlich um den
richtigen Weg gekämpft.
1953 tritt eine Figur ins Bild, die
Arendt und Sternberger schon immer
scharf trennte: Martin Heidegger. Stern-
berger hatte 1934 eine kritische Dissertati-
on zu Heidegger veröffentlicht, deren
Manuskript er mit Arendt diskutiert hat-
te. Jetzt bricht der offene Streit aus,
denn sie besteht darauf – „Du siehst, ich

schreibe rücksichtslos offen“ –, dass er
Heideggers Versuch, die philosophische
Tradition radikal zu reformieren, wenigs-
tens anerkenne. Sternberger bleibt hart:
Heidegger bleibt für ihn aufs nackte Sein
fixiert, kann nicht einmal den bloßen Be-
griff „Mensch“ denken.
Die Freundschaft übersteht die Ausein-
andersetzung, es kommt Mitte der sechzi-
ger Jahre zu einer Einladung Sternber-
gers an die University of Chicago, wo
Arendt für fünf Jahre als sehr einflussrei-
che Professorin am elitären „Committee
on Social Thought“ lehrt. Sternberger
widmet Arendt sogar ein Buch, sie for-
dert ihn immer wieder auf, doch an der
Freundschaft festzuhalten, auch wenn sie
lange schweige. Man ringt miteinander
ums Gemeinsame. Letztlich behält die ge-
genseitige Wertschätzung die Oberhand.
Doch in den Debatten wird von
Arendts Seite die Grenze der Freund-
schaft genau markiert. Heidegger und
auch der alterswilde Kritiker der Bundes-
republik, Karl Jaspers, sind tabu. Bücher,
vor allem das über Heinrich Heine, viel-
leicht Sternbergers schönste Studie ne-
ben dem Essayband „Gefühl der Frem-
de“, sind hingegen direkt an Arendt
adressiert. Sie versteht das auch. Doch
während Sternberger etwa im Heine-
Buch seine These einer emanzipatorisch
gedachten Traditionsverlängerung in die
Gegenwart ausbreitet und damit Arendt
herausfordert, schweigt sie inhaltlich.
Über das Eichmann-Buch diskutiert
man zuvor offensichtlich heftig in Chica-
go, wie andere Briefwechsel belegen.
Sternberger habe es nicht verstanden,
schreibt Arendt dort und ist zutiefst ent-
täuscht, dass er sich angeblich nicht für
sie einsetzt. Offen muss bleiben, was Ilse
Sternberger zu der Schrift sagte. Arendt
wiederum wird nicht zur Festschrift
Sternbergers beitragen.
Das alles könnte man als Prominen-
ten- und Gelehrteneitelkeiten abtun,
Hauptsache das Menschliche obsiegt.
Doch so einfach liegen die Dinge nicht,
zum Glück des Lesers. Beide schrieben,
um das komplizierte Ineinander von Le-
ben und Denken aufzuhellen, beide be-
glaubigten ihre Schriften durch ihre Bio-
graphien. Und es fasziniert nachzulesen,
wie die beiden Briefpartner dies voreinan-
der ausbreiten.
Die Einleitung Bermbachs ist instruk-
tiv und zeichnet das Wesentliche der
Korrespondenz nach. Als Kenner der
Ideologiegeschichte des 19. und 20. Jahr-
hunderts und Schüler Sternbergers
kennt er die Bezüge, die der Lehrer auf-
ruft. Und dennoch kann hier nicht ver-
schwiegen werden, dass die Kommentie-
rung und Präsentation der Briefe desa-
strös ist. Man würde gerne über die zahl-
losen Druckfehler, die ausbleibenden Er-
läuterungen, die nicht hergestellten Bezü-
ge und die sinnentstellenden Fehler bei
Namensschreibungen und Titelangaben
hinwegsehen, wenn darin nicht ein gene-
relles Desinteresse an den Personen zum
Ausdruck käme. Warum zum Beispiel
ein Brief gleich zwei Mal unter verschie-
denen Daten abgedruckt wurde, bleibt
unerfindlich. Im Anhang stehen ohne nä-
here inhaltliche Begründung zwei leicht
zugängliche Texte Arendts aus der
„Wandlung“, während etwa Sternbergers
aufschlussreiche Artikel aus dieser Zei-
tung über das Chicagoer „Committee“
und Arendts dortige Lehrtätigkeit feh-
len. Nicht ein einziger weiterer Brief-
wechsel Arendts wurde genauer ausge-
wertet; dass Sternbergers Austausch mit
Jaspers vorliegt, weiß Bermbach offenbar
nicht.
So ist der aktive Leser gefragt. Trotz
alledem: Mit dem Briefwechsel zwischen
Arendt und Sternberger liegt jetzt ein
wichtiges Freundschaftsdokument vor,
das die Frage nach den Möglichkeiten
und Grenzen intellektuellen Austausches
scharf und präzise stellt.
THOMAS MEYER
Hannah Arendt / Dolf Sternberger: „Ich bin Dir halt ein
bißchenzu revolutionär“. Briefwechsel 1946 bis 1975.
Herausgegeben von Udo Bermbach. Rowohlt Berlin,
480 Seiten, 38 Euro

VON CLAUDIUS SEIDL

ProfilingWieder ein neuer
Adorno, diesmal mit bisher
unveröffentlichten „Bemer-
kungen“ zu der 1950 erschie-
nenen, fast tausendseitigen
Studie „The Authoritarian
Personality“, die der Philo-
soph zusammen mit drei
Psychologen in Berkeley ver-
fasst hatte (herausgegeben
von Eva-Maria Ziege, Suhrkamp,
18 Euro). Gegenüber der eher positi-
vistischen Ausrichtung seiner Mitauto-
ren wollte Adorno in diesem als Nach-
wort konzipierten Text den Bezug der
Untersuchung zurKritischen Theo-
rieherausstreichen. Interessant sind
da vor allem die Passagen, in denen sei-
ne Kulturkritik das Profiling untermi-
niert, das die Studie selbst zur Identifi-
zierung von autoritären, faschismus-
anfälligen Charakteren anwendet: „Je
mehr die Menschen ,sozialisiert‘, das
heißt durch totale Anpassung an die
Gesellschaftsstruktur gemodelt wer-
den, desto mehr Ergebnisse – relevant
für das Wesen der Gesellschaft als sol-
cher – können mit der Analyse der
Mitglieder dieser Gesellschaft gewon-
nen werden.“ Die soziale Typisierung,
mit deren Hilfe der Pluralismus und
die Individualität verteidigt werden
soll, funktioniert also nur, wenn die In-
dividuen sich zuvor in die bestehen-
den Gesellschaftsmuster „total“ einge-
passt haben und dadurch ausrechen-
bar geworden sind. Wieder mal so ein
Adorno-Satz, der heute, da Big Data
das Profiling perfektioniert hat, aktuel-
ler ist als zu der Zeit, als er geschrie-
ben wurde. Si.
* * *
Profi Der Australier Garry Disher
langweilt sich mit Helden, die wie wei-
ße Ritter, Erlöser oder soziale Vorbil-
der daherkommen. Lieber einKrimi-
neller, der seinen Beruf beherrscht
wie ein kompliziertes Handwerk. Ein
Mann, ein Dieb wie Wyatt, der in
„Hitze“ (Pulp Master, 14,80 Euro)
nicht zum ersten Mal auftaucht. Er
soll an Australiens Goldküste ein Ge-

mälde stehlen. Raubkunst, an-
geblich. Er ist nicht der einzi-
ge Interessent. Aber er ist der
einzige Profi, weil er minuti-
ös plant, weil er antizipiert
und weiter denkt, wie ein
Schachspieler, weil er an al-
lem zweifelt, außer an seiner
Erfahrung und seinen Instink-
ten. Das lässt ihn einsam wer-
den – und überleben. Dishers klare,
präzise Sätze sind genau die Prosa, die
zu einem wie Wyatt passt. pek
* * *
Profit Im ersten Dialog von„Sky-
lines“wird das Sehnsuchtsobjekt der
Serienfiguren gleich mit vielen Wor-
ten beschrieben: Kohle, Cash, Mone-
ten. Während man sich amüsiert, dass
Frankfurter Rapper in Serien auch
2019 Sätze sagen wie: „Ich will meine
Scheißmoneten“, wo Frankfurter Rap-
per in echt seit ungefähr 2014 sagen:
„Ich will Para machen“, während man
lacht über die ganzen Rap-, Frankfurt-
und Krimi-Klischees, saugt einen „Sky-
lines“ ein in seine Serienwelt aus Blau-
licht und Rotlicht, ins Krankfurt 069.
Umgeben von der Krassheitsaura des
Bahnhofsviertels entfaltet die vierte
deutsche Netflix-Produktion einen
Plot zwischen Rap, Drogen und
Finanzdeals: Der Produzent Jinn be-
kommt einen Vertrag bei „Skyline Re-
cords“, Label von Kalifa, dem melan-
cholischen Rap-König der Stadt. Als
dessen Gangster-Bruder Ardan auf-
taucht und im Studiokeller so blitzar-
tig einen Heroinhandel hochzieht,
dass ihm der Gründerpreis Rhein-
Main zustünde, eskaliert der Macht-
kampf. Logisch gibt es auch eine kaput-
te Kommissarin mit persönlicher Ver-
bindung zu den Brüdern, und manch-
mal läuft ein echter Rapper (Azad,
Nura, Olexesh) durchs Bild. Nichts an
„Skylines“ ist subtil, aber subtil ist ja
auch der Rap aus Frankfurt nicht, und
spätestens, wenn mal wieder ein paar
Zeilen des echten Rap-Königs Haft-
befehl kommen, machen die sechs Fol-
gen trotzdem Spaß. flos.

Wie verhält man sich
zum Traditionsbruch durch

den Nationalsozialismus?
Der Briefwechsel zwischen
Hannah Arendt und
Dolf Sternberger aus den
Jahren1946 bis 1975

KLEINE MEINUNGEN


Streit stärkt die Freundschaft


Dolf Sternberger (1907–1989) Foto Ullstein Hannah Arendt (1906–1975) Foto Getty

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