Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. OKTOBER 2019, NR. 40 politik 5


V


on dem islamischen Glauben,
in den sie hineingeboren wurde,
will Schirin nicht mehr viel wis-
sen. „Das ist doch die Religion
der Araber“, sagt sie und streift das Kopf-
tuch ab, das zu tragen die Islamische Re-
publik jeder Frau vorschreibt. Schirin ist
mit ihrer Mutter und ihrem kleinen
Sohn nach Cam gefahren, in ein kleines
Dorf, in dem nur Zoroastrier leben. Das
sind Mitglieder einer Religionsgemein-
schaft, die mehr als 2500 Jahre alt ist und
die bis zur Islamisierung die Religion
Persiens gewesen war.
„Ich bin doch Iranerin und nicht Arabe-
rin“, sagt Schirin. Die junge, gebildete
Frau besucht regelmäßig die Dörfer der
Zoroastrier, um sich ihrer persischen
Identität zu vergewissern. Sie will diesen
Geist an Orten wie Cam einatmen, wo sie
nicht, wie in der nahe gelegenen Groß-
stadt Yazd, der geschäftige Alltag ablen-
ken könnte. Zwar bleibt der Feuertempel
der Zoroastrier in Cam der Öffentlichkeit
verschlossen. Die Zypresse im kleinen In-
nenhof, der eine spirituelle Kraft nachge-
sagt wird, ist aber von weitem sichtbar.
„Das hier ist doch unsere Geschichte“,
sagt Schirin. Sie spricht damit aus, was
viele junge Menschen in Iran denken, de-
nen der staatlich verordnete Islam fremd
geworden ist. „Das Feuer, das für die Zo-
roastrier so wichtig ist, das Licht, das es
gibt, und seine Wärme – das alles ist
doch so menschlich“, sagt sie. „Und an-
ders als im Islam, wo etwa zum Opferfest
Tiere geschlachtet werden.“
Dieses Mal war der schmale Weg frei,
der nach Cam führt. Aber an vielen Ta-
gen, an denen die Zoroastrier ihre Feste
feiern, blockiere ihn die Polizei, sagt Schi-
rin. Wie im vergangenen Winter, beim
großen Fest „Sadeh“, für das die Zoroas-
trier über Monate Holz sammeln, um es
dann zu einem Feuer zu entfachen. Sie
sei, wie alle anderen, die sich auf den
Weg gemacht hatten, befragt worden,
was sie hier suche, und dann abgewiesen
worden. Die Polizei wolle verhindern,
dass die Feste der Zoroastrier populär
würden, sagt Schirin. Aber ein Video
vom Entfachen des Feuers wurde über
die sozialen Medien vielfach verbreitet.
In wenigen Tagen werden die Zoroa-
strier wieder feiern, diesmal „Mehregan“.
Das ist die persische Version eines Ernte-
dankfestes. Es findet etwa ein halbes Jahr
nach „Nouruz“, dem wichtigsten Fest,


dem Beginn des Frühlings und des neuen
Jahres, statt. Schirin will dann wieder
nach Cam kommen – wenn die Tische
farbenprächtig mit Obst und Weinen ge-
deckt sind, mit Rosenwasser und Süßig-
keiten, und es nach Weihrauch duftet. Na-
türlich wird es auch wieder ein großes
Feuer geben. „Iran ist doch ganz anders,
als ihr es im Westen glaubt“, sagt Schirin.
Das Dorf Cam ist tagsüber wie ausge-
storben. Die Alten verlassen ihre Häuser
nicht, und die Jungen arbeiten 20 Kilome-
ter entfernt in Yazd. Nur Rostam Bahma-
ni wacht über den Feuertempel. Jeden
Morgen komme ein Priester aus Yazd
und lege ein Scheit Holz auf das Feuer,
sagt er. Abends prüfe der Priester, ob die
Glut bis zum nächsten Morgen anhält.
In Yazd befindet sich das geistliche
Zentrum der Zoroastrier. Stifter der Reli-

gion war Zarathustra, der irgendwann
zwischen 1800 und 600 vor Christus ge-
lebt haben muss und über dessen Biogra-
phie wenig bekannt ist. Auch das Buch
„Also sprach Zarathustra“ von Friedrich
Nietzsche ist Fiktion. Zarathustra hat die
Zweiteilung der Welt in Gut und Böse
gelehrt. Der Mensch habe sich in dem
universalen Ringen zwischen Gut und
Böse zu entscheiden und nach Wahrhaf-
tigkeit zu streben. Der Kampf finde zwi-
schen dem Schöpfergott Ahura Mazda
und dem Dämon Ahriman statt. Dem
Reich des Lichtes stehe der Abgrund der
Finsternis gegenüber.
In vorislamischer Zeit waren Men-
schen weit über das persische Hochland
hinaus dem zoroastrischen Glauben ge-
folgt. Große achämenidische Herrscher
wie Xerxes waren Zoroastrier. Mit der

Niederlage gegen die muslimischen Ara-
ber in Qadisiyya im Jahr 637 setzte die Is-
lamisierung ein, und die Zoroastrier zo-
gen sich in die Wüste zurück, wo sie in
Yazd ihren Feuertempel errichteten. In
der Stadt leben heute noch knapp 10 000
Zoroastrier. In ganz Iran sollen es mehr
als 25 000 sein. Nach langen Jahren des
Niedergangs werden es wieder mehr.
„Nicht das Feuer wird angebetet“,
sagt Sepanta Niknam, der Vorsitzende
der zoroastrischen Gemeinde in Yazd,
„sondern das Licht, das vom Feuer aus-
geht.“ Tagsüber wird das Gebet zur Son-
ne hin verrichtet, nachts zum Licht des
Feuers. Das Licht ist gut und rein. Frü-
her, erzählt Sepanta Niknam, sei es nicht
einfach gewesen, Feuer zu machen. So
wurde der Tempel errichtet, in dem das
Feuer nie erlöschen sollte. Das Feuer

wurde zum Symbol für die Zoroastrier,
wie es das Kreuz für die Christen ist.
Jeden Tag kurz vor Morgengrauen legt
ein in Weiß gekleideter Priester im Feuer-
tempel ein Holzscheit auf das Feuer. Ein
Tuch vor dem Mund verhindert, dass sein
unreiner Atem das Licht verunreinigt.
Neben dem Feuer sind den Zoro-
astriern auch die Luft, das Wasser und
die Erde heilig. Um die nicht zu verun-
reinigen, bestatteten die Zoroastrier
ihre Toten bis in das 19. Jahrhundert auf
zwei Hügeln, die sich am Stadtrand aus
der Wüste erheben. Es sind die „Türme
des Schweigens“. Dort wurden die
Leichname in „Himmelsbestattungen“
den Geiern überlassen.
Sepanta Niknam ist 34 Jahre alt und
erfolgreicher Unternehmer. Seit sechs
Jahren ist er Mitglied im Stadtrat von

Yazd. Die meisten Stimmen habe er bei
seiner Wiederwahl von Muslimen be-
kommen, sagt er. Die Beziehungen sei-
ner Gemeinschaft zu den Muslimen be-
schreibt er als gut. Wenn es Spannun-
gen gebe, dann seien sie persönlicher
Natur und nicht systematisch gegen die
Zoroastrier gerichtet.
Als das politische Oberhaupt der Zo-
roastrier trägt er die Verantwortung für
die Schulen und die Altersheime, die die
Zoroastrier in Yazd betreiben. Daneben
gibt es in einer „Sonntagsschule“ Religi-
onsunterricht für die Kinder und Jugend-
lichen, die an den öffentlichen Schulen
vom Islamunterricht befreit sind, sowie
eine Ausbildungsstätte für Priesternach-
wuchs. Nur Angehörige der Religions-
gemeinschaft besuchen die Schulen der
Zoroastrier und unterrichten an ihr. Zu-
grunde gelegt werden die staatlichen Lehr-
pläne. Außer in „sensiblen staatlichen Posi-
tionen“, so Sepanta Niknam, gebe es kei-
ne Arbeitsbeschränkungen für Iraner, die
dem zoroastrischen Glauben folgen. Zo-
roastrier sind vor allem als Freiberufler er-
folgreich – und damit auch wohlhabend.
Weit mehr Zoroastrier als in Yazd und
ganz Iran leben in Indien, vorwiegend in
Bombay. Dorthin ausgewandert sind sie
in den ersten Jahrhunderten nach der Isla-
misierung Irans. Die Unternehmerfami-
lie Tata gehört zu ihnen, der Dirigent Zu-
bin Mehta entstammt ebenfalls den Par-
sen, wie sich die Zoroastrier in Indien
nennen. Ihre Beziehung zu Persien ist nie
abgerissen. Davon zeugen viele Gebäude,
die sie in Yazd gestiftet haben, Wasser-
speicher ebenso wie Krankenhäuser.
Heute wandern die Zoroastrier, wie
viele andere Iraner, auf der Suche nach
einem besseren Leben nach Los Ange-
les und Vancouver aus. So lebten im
Dorf Mobarakeh, das auf der Landstra-
ße nach Cam folgt, vor nicht allzu lan-
ger Zeit 60 Familien. Heute sind es nur
noch fünf. Die Familie von Azadmehr
Arianfachr ist ebenfalls nach Nordameri-
ka ausgewandert, seine Geschwister und
alle Söhne. Sie sind Akademiker und
reich geworden. Er aber, ein ehemaliger
Schifffahrtsmakler, will das Anwesen sei-
ner Familie neu beleben und ein Garten-
restaurant einrichten. Er will dort blei-
ben, wo Zarathustra gelebt hat und wo
das Feuer brennt, welches das reine und
gute Licht verbreitet.

Foto Helmut Fricke

Immer mehr junge Iraner wenden sich einer alten Religion zu – die nicht der Islam ist.Von Rainer Hermann


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