Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. OKTOBER 2019, NR. 40 wohnen 51


Das wichtigste Stück in
meiner Wohnung ist un-
ser Esstisch. Dort pas-
siert eigentlich alles. Wir
haben diesen hellen Holz-
tisch schon ziemlich lan-
ge. Er war das erste Mö-
belstück, das ich mit mei-
nem Mann, der damals noch mein
Freund war, gemeinsam gekauft habe.
Ich wollte unbedingt einen hellen Tisch,
passend zum Parkett. Wenn man einmal
anfängt, im Internet zu suchen, muss
man sich zwischen 20 000 Angeboten
entscheiden. Choice overload! Den
Tisch habe ich dann als Einzelstück an-
fertigen lassen. Und als wir in die neue
Wohnung gezogen sind, haben wir das
Parkett passend zum Tisch ausgesucht.
Man muss Prioritäten setzen...
Wenn man ein besonders schönes Paar
Schuhe hat, wählt man ja auch das Kleid
danach aus. Und diese Wahl war auf je-
den Fall die richtige, denn der Tisch ist
schön massiv und musste schon so eini-
ges aushalten. Sogar darauf getanzt ha-
ben wir schon. Mein Vater saß hier im-
mer, wenn er zu Besuch war, und mit
meiner Mutter spiele ich heute noch oft
Karten daran.
Sie erzählte mir, es gab mal eine Theater-
inszenierung von Tschechows „Drei
Schwestern“, in der man im Bühnenbild
den Esstisch weggelassen hat als Meta-
pher für die Zerrissenheit der Familie.

Und ich glaube, wenn man nicht mehr
gemeinsam am Tisch sitzt, dann hat man
ein Problem, denn dann entfällt viel
Kommunikation. An unserem Esstisch
trifft sich also die ganze Familie. Wir ha-

ben eine große, offene Küche. Wenn
Freunde vorbeikommen, sitzen sie schon
am Tisch, wenn man noch etwas vorbe-
reitet. Wir spielen gern: Poker, Skat,
Tabu...
An die lange Platte passen locker zehn
Leute. Der Tisch lässt sich nicht auszie-
hen, sondern nimmt immer viel Raum
ein. Und mittlerweile sieht er auch
schön verlebt aus, mit Flecken und Ku-
gelschreiberstrichen, auch Farbe und
Knete haben unsere zwei Kinder schon
darauf verteilt. Für mich ist es aber
auch der Ort, an dem alle wichtigen Er-
eignisse der vergangenen Jahre stattge-
funden haben. Hier ist mein erstes
Buch entstanden. Hier habe ich die
Mails vom Fernsehen bekommen und
die Vorbereitung meiner Sendung ge-
macht. Und den zweiten Roman, der
jetzt im Herbst erscheint, habe ich auch
hier geschrieben. Ich sitze mit meinem
Laptop immer am Kopfende. Wenn ich
schreibe, dann nachts. Da stehen dann
ein paar Kerzen, ich rauche, arbeite am
Roman und schaue über diese lange
Platte, die ist dann so etwas wie meine
Yogamatte oder die blanke Leinwand,
die mich inspiriert.
Protokoll: Maria Wiesner
Laura Karasek ist Autorin, ihr jüngster Roman „Drei Wün-
sche“ ist bei Eichborn erschienen, außerdem moderiert die
studierte Rechtsanwältin die Talkshow „Zart am Limit“.
Eine Auswahl der Kolumnenbeiträge ist unter dem Titel
„Mein Lieblingsstück“ bei Busse Seewald erschienen.

DER


ESSTISCH
VON LAURA KARASEK

MEIN LIEBLINGSSTÜCK


D


erAnblick ist immer noch er-
staunlich. Umgeben von gläser-
nen Bürotürmen, Hotels und
Tiefgarageneinfahrten, steht
das Gängeviertel am Rand der Hambur-
ger Innenstadt wie das berühmte galli-
sche Dorf. Während überall in der City
denkmalgeschützte Gebäude abgerissen
oder entkernt und zu Shopping-Malls
mit historischer Fassade umgebaut wer-
den, trotzt das kleine Ensemble allen Zei-
tenwenden.
Es sind nur zwölf „Gängehäuser“, teil-
weise mehr als 200 Jahre alt, die übrig ge-
blieben sind von den labyrinthartigen
Stadtvierteln, wie sie noch teilweise bis
in die sechziger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts die Gegend zwischen Ha-
fen und Innenstadt prägten: Wohn- und
Geschäftshäuser der Arbeiterschicht,
eng, verwinkelt und mit kleinen Innenhö-
fen, mal aus Fachwerk, mal mit schmu-
cken Gründerzeitfassaden. In diesem klei-
nen Überbleibsel von Alt-Hamburg fin-
det sich heute wieder eine feinkörnige
Mischung aus Wohnungen, Gewerbe,
Cafés, Ateliers, Galerien und Veranstal-
tungsorten – also jene Art Quartier, die
so gefragt ist.
Es ist eine erstaunliche Erfolgsge-
schichte, deren Beginn sich genau datie-
ren lässt: Vor zehn Jahren, am 22. August
2009, hatten 200 Künstler, Grafiker, Ar-
chitekten und Studenten unter der
„Schirmherrschaft“ von Maler Daniel
Richter das damals weitgehend leerste-
hende und abrissbedrohte Areal unter
dem Motto „Komm’ in die Gänge“ be-
setzt, dabei aber tunlichst das Wort „Be-
setzung“ vermieden. Stattdessen spra-
chen sie von „kultureller Inbesitznah-
me“, hängten Bilder an die Wände und
luden die Bevölkerung zur Besichtigung
ein. „Wir waren uns eigentlich sicher:
Das funktioniert nicht, die räumen uns
sofort“, erinnert sich René Gabriel, der
damals als Stadtplanungsstudent dabei
war und mit einer Handvoll anderer Akti-
visten Nachtwache hielt. „Aber irgend-
wann wurde es hell, und vor der Tür
stand kein Räumkommando, sondern in-
teressierte Leute, die Kunst gucken woll-
ten und nach Führungen fragten.“
So ist es im Prinzip geblieben. Räu-
mung droht allerdings keine mehr.
Längst hat sich das Gängeviertel eta-
bliert – für die einen als Ort einer geleb-
ten Utopie selbstbestimmten Lebens, für
die anderen als großes Kulturzentrum
und Partylocation. Als kürzlich das zehn-
jährige Jubiläum der Besetzung gefeiert
wurde, kamen Tausende Hamburger und
Touristen. In Reiseführern steht das Gän-
geviertel heute als „Insidertipp“ für Alter-
nativkultur.
Aus den Besetzern von einst sind Be-
wohner und Ateliernutzer geworden, sie
haben einen Verein und eine Genossen-
schaft gegründet und sich vor ein paar

Monaten mit der Stadt auf einen langfris-
tigen Erbpachtvertrag geeinigt. „Das
Gängeviertel hat sich in den vergangenen
Jahren zu einem lebendigen sozialen und
kulturellen Labor für kreatives Arbeiten
und Leben entwickelt“, begründete Cars-
ten Brosda, Hamburgs Kultursenator
(SPD), bei der Vertragsunterzeichnung
Ende Juni das Entgegenkommen.
Noch gehört das Gängeviertel der
Stadt, die das Areal 2003 zunächst an ei-
nen Investor verkauft hatte, der es nach
einigen Jahren an einen zweiten Investor
weiterverkaufte. Dieser kündigte allen
Mietern, um die Häuser abreißen und
das Areal neu bebauen zu lassen. Wäh-
rend der Finanzkrise von 2008 an konnte
er seine Pläne allerdings nicht umsetzen.
Stattdessen kamen die Künstler „in die
Gänge“ und verhinderten den Abriss der
größtenteils unter Denkmalschutz ste-
henden Häuser.
Die geschickt inszenierte „künstleri-
sche Inbesitznahme“ und das konziliante
Auftreten machten die Aktion anschluss-
fähig an das bürgerliche Lager. Die Lo-
kalpresse berichtete anerkennend von
den „Künstlern, die für den Erhalt histo-
rischer Häuser kämpfen“. Das Gänge-
viertel wurde zum Symbol für den
Kampf gegen Gentrifizierung, Spekulati-
on mit Wohnraum und den Ausverkauf
der Stadt.
Zahlreiche ähnliche Initiativen ver-
netzten sich zur „Recht auf Stadt“-Bewe-
gung. Hamburg musste reagieren und
kaufte das Gängeviertel schließlich zu-
rück. Danach begann ein langwieriger
Prozess, mit zähen Verhandlungen und
der Sanierung erster Häuser noch unter
städtischer Regie. Mit dem nun ausge-

handelten Erbpachtvertrag geht die Ver-
antwortung an die Genossenschaft über.
„Damit geht die Arbeit für uns eigent-
lich erst richtig los“, sagt René Gabriel,
der als Besetzer der ersten Stunde und zu-
nächst als Vereinsvorsitzender und später
im Aufsichtsrat der Genossenschaft die
Verhandlungen mit der Stadt während
der zehn Jahre mitgeführt hat.
Saniert ist schon das Herzstück des
Viertels, die „Fabrik“, in der mal Gürtel
und Schnallen produziert wurden. Sie ist
heute ein soziokulturelles Zentrum. Auf
fünf Stockwerken befinden sich unter an-
derem eine Probebühne, Ausstellungs-,
Veranstaltungs- und Seminarräume.
„Das ist ein offenes Haus mit niedrig-
schwelligen Angeboten“, erklärt René
Gabriel die Idee. Dort finden vielfältige
kulturelle Veranstaltungen, Seminare
und Workshops statt, häufig „in Koope-
ration mit Schulen und sozialen Trä-
gern“, sagt Gabriel, der gerade sein Stu-
dium abschließt und mit Bildungsprojek-
ten sein Geld verdient. Die Kurse sind
oft ebenso kostenlos wie die Konzerte
und anderen Veranstaltungen, Spenden
aber ausdrücklich erwünscht. Auch ne-
benan, in der vom Gängeviertel-Verein
betriebenen „Jupi-Bar“, arbeiten die Mit-
glieder ehrenamtlich, und Gäste zahlen,
was sie wollen.
In den zwei anderen schon sanierten
Häusern gibt es neben gewerblichen Nut-
zern – darunter ein Friseur, ein veganes
Café und ein feministischer Sexshop –
auch sechzehn öffentlich geförderte
Wohnungen mit Eingangsmieten von
5,80 Euro je Quadratmeter. Wer hier
wohnen will, braucht einen Wohnberech-
tigungsschein und muss Mitglied der Ge-

nossenschaft sein. Auch René Gabriel
wohnt hier mit seiner Freundin und der
gemeinsamen Tochter. Weitere 59 geför-
derte Wohnungen sollen in den neun
noch zu sanierenden Häusern entstehen,
darunter zahlreiche Atelierwohnungen
für Künstler.
„Dabei geht es aber nicht nur um
günstiges Wohnen in der Innenstadt“,
versichert Gabriel, „die Leute sollen
sich einbringen, um das Gängeviertel als
soziokulturelles Projekt für die Stadt am

Leben zu halten.“ 400 Mitglieder hat
die Genossenschaft heute, darunter vie-
le Fördermitglieder, die die Ideen gut
finden und sie finanziell unterstützen.
Bei allem Idealismus dürfte die Vergabe
der Wohnungen in den kommenden Jah-
ren „noch zu Konflikten führen“, wie
eine Künstlerin am Rande der Jubiläums-
feier sagt. „Ich bin froh, dass ich das
nicht entscheiden muss.“ Auch inwie-
weit sich der Wunsch nach Freiräumen
dauerhaft mit den Zwängen als verant-

wortlicher Vermieter vereinbaren lässt,
muss sich noch beweisen.
Grundsätzlich ist die Zukunft des
Gängeviertels aber gesichert, und Ham-
burg hat dazugelernt, dass „nicht nur
Künstler solche Orte brauchen, sondern
auch die Stadt selbst“, wie René Gabriel
sagt. Kultursenator Carsten Brosda hatte
es nach der Einigung ähnlich formuliert:
„Im Herzen der Stadt sind hier die für
Kunst und Kultur so wichtigen Räume
und Freiräume entstanden.“

Hamburg pflegt sein Soziotop


HausdesMonats EineAktiondesBundesverbandesDeutscherFertigbaue.V.


Wer durch die idyllische Landschaft des
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der würde nicht vermuten, dass hier
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Vor zehn Jahren


haben Künstler das


Gängeviertel in der


Hansestadt vor


dem Abriss bewahrt.


Hat sich das Einlenken


der Stadt gelohnt?


Von Rainer Müller


Freiraum Gängeviertel: Kunst, Kultur und günstiges Wohnen Foto Plainpicture

Fotos Michael Kretzer; privat
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