Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1

56 wissenschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. OKTOBER 2019, NR. 40


M


igranten passen sich der Kul-
turund dem Lebensstil der
Mehrheitsgesellschaft irgend-
wann an. Das ist weniger eine normati-
ve Erwartung im Sinne eines „Ihr
müsst euch assimilieren!“ als eine empi-
rische: Arbeitswelt, Schule, Konsum
und das Fernsehen würden dafür schon
sorgen. Aber ist diese Erwartung ge-
rechtfertigt? Die Soziologen Jürgen
Gerhards und Florian Buchmayr ha-
ben diese Frage jetzt mit einem schlich-
ten, aber aufschlussreichen Forschungs-
design überprüft. Ihre Antwort: Ja, in
der deutschen Gesellschaft haben sich
die symbolischen Grenzen zwischen
Mehrheitsgesellschaft und zugewander-
ten Minderheiten aufgeweicht. Die
zweite Generation, das bestätigen ei-
gentlich alle Studien, ist kulturell wie
sozial immer besser integriert als die
erste. Nur gilt das, so Gerhards und
Buchmayr, eben nicht für alle.
Die beiden haben dazu Gruppenin-
terviews mit 55 in Deutschland leben-
den Migranten verschiedener Her-
kunft (Türkei, Serbien, Bosnien, Po-
len, Russland, Italien, Vietnam, China,
Libanon und Syrien) durchgeführt, die
sie noch durch weitere Interviews mit
Eltern und deren Kindern ergänzten.
Hat sich die Wahrnehmung der symbo-
lischen Grenze zwischen Mehrheitsge-
sellschaft und migrantischer Minder-
heit im Übergang von der ersten zur
zweiten Generation der Migranten ver-
ändert? Gerhards und Buchmayr kon-
zentrierten sich dabei auf den Umgang
mit Vornamen, da diese eine kulturell
hohe Signalfunktion hätten. Wenn wir
im deutschsprachigen Kontext auf die
Namen Alexios, Omar, Phuong oder
Kim stoßen: Was empfindet die Mehr-
heitsgesellschaft, welche Intentionen
verbinden die migrantischen Eltern,
die ihren Kindern diese Namen gege-
ben haben?
Gerhards und Buchmayr bringen
die Erfahrungen der zweiten Migran-
tengeneration auf die Formel „multi-
kulturelle Selbstverständlichkeit“: Die
Vergabe fremder Vornamen sei in der
deutschen Gesellschaft „entpolitisiert“,
sie signalisiere keine Gruppenidentität
mehr, sondern sei eine Geschmacksfra-
ge geworden. Wenn Kinder Lennox,
Malia, Fiete und Hailey heißen können
oder Aurora, Gustav und Emma, dann
sind sie endgültig ein Gegenstand nur
noch für die Kultursoziologie, aber
nicht mehr für Migrationsforscher. In-
sofern mittlerweile mehr als ein Fünf-
tel der Gesamtbevölkerung einen Mi-
grationshintergrund hat und nichtdeut-
sche Namen daher omnipräsent sind,
war das erwartbar.
Das Problem ist nur, dass diese Ent-
politisierung an türkischen und arabi-
schen Migranten offenbar vorbeigegan-
gen ist. Für diesen Befund greift die
Studie auf den Begriff der postmigran-

tischen Gesellschaft zurück, mit der
die Migrationsforscherin Naika Forou-
tan die widersprüchliche Gleichzeitig-
keit der Öffnung und Schließung der
verschiedenen Migrantengruppen zu
erfassen versucht. Im vorliegenden Fall
geben eigentlich alle Eltern aus der
zweiten Generation von Migranten ih-
ren Kindern Namen aus ihrer Her-
kunftskultur – das unterscheide etwa
die Vietnamesen oder Polen nicht von
türkischen oder libanesischen Eltern.
Letztere jedoch tun es mit einer ganz
anderen Haltung: Dahinter stehe das
gesellschaftspolitische Signal eines Pro-
testes gegen eine empfundene Ausgren-
zung. Diese Erfahrungen seien zwar
schwächer als die der ersten Generati-
on von Migranten aus dem türkisch-
arabischen Raum, sie würden aber stär-
ker empfunden, weil sich diese selbst
als hochintegriert betrachten. „Gerade
diese Diskrepanz zwischen Selbst- und
Fremdwahrnehmung weckt ihre
Kampfbereitschaft“, so Gerhards und
Buchmayr. Während Migration etwas
Selbstverständliches geworden sei, fühl-
ten sich die Muslime auch der zweiten
Generation immer noch nicht aner-
kannt. Ihre Vergabe typisch muslimi-
scher Vornamen gerate so zur „Na-
menspolitik“, mit der man gegen die
„symbolische Exklusion“ aufbegehre
und protestiere, selbst wenn man damit
die ohnehin schon tief empfundene
Diskriminierung noch bis zur Stigmati-
sierung verstärke.
Natürlich räumen die Autoren der
Studie deren Schwächen ein. Sie kon-
zentriere sich allein auf einen Ver-
gleich von Generationen und Her-
kunftsländern, andere Faktoren, wel-
che die Namenspolitik beeinflussen
könnten, also Bildungsstand, Ge-
schlecht und Religion, blieben unbe-
rücksichtigt. Schwerwiegender ist aber
eine andere Frage, deren Beantwor-
tung allerdings nicht in der Macht die-
ser Studie liegt. Nämlich die nach Ursa-
che und Wirkung der empfundenen
Diskriminierungserfahrungen der mus-
limischen Migranten. Ihre Abgren-
zung, die sich eben auch in der Na-
menspolitik äußere, sei Resultat erleb-
ter Ausgrenzung, so die Befragten. Si-
cher sei nur, dass die Assimilierungsbe-
reitschaft der zweiten Generation im
Vergleich zu ihren Eltern abgenom-
men hat. Aber hat nicht auch die Dis-
kriminierungssensibilität unter den
Muslimen gleichzeitig zugenommen?
Und könnte die Ursache der gefühlten
Diskriminierung nicht wiederum in ei-
ner intentionalen Selbstabgrenzung
von der Mehrheitsgesellschaft liegen?
Das bliebe zu erforschen.

Jürgen Gerhards, Florian Buchmayr: Unterschiede
zwischender ersten und zweiten Generation von
Migrantinnen in der Wahrnehmung symbolischer
Grenzen und in den Strategien ihrer Grenzarbeit, in:
Berliner Journal für Soziologie (2018) 28: 367–395.

E


s ist bunt, meistens ziemlich
hässlich gestaltet, aber informa-
tiv, und es ruht wohl auch in
den Tiefen Ihres Fernsehgeräts: Ein
Knopfdruck auf der Fernbedienung er-
weckt es zum Leben – die Rede ist
vom Videotext beziehungsweise Tele-
text. Eine Technologie, die erstaunli-
cherweise bis heute überlebt hat. Viele
Fernsehsender machen ihren Teletext
sogar im Internet verfügbar, zum Bei-
spiel unter teletext.zdf.de oder ard-
text.de, und man fragt sich warum.
Vielleicht nur, weil es technisch mög-
lich ist, denn was vermutlich die we-
nigsten Nutzer wissen: Das Erstellen
von Teletextseiten ist recht mühsam.
Zwar gibt es inzwischen Editoren,
die Kopieren/Einfügen oder das auto-
matische Einlesen von datenbankgene-

rierten Texten gestatten, doch häufig
handelt es sich bei der Gestaltung von
Teletextseiten tatsächlich noch um ech-
te Handarbeit. Auf der Internetseite
http://www.mattround.com/jellytext/ kön-
nen Sie sich davon selbst einmal ein
Bild machen.
Klicken Sie dort auf „tap“ und, so-
bald sich der folgende Screen aufge-
baut hat, rechts unten auf „New
Page“. Sie haben nun fünf Werkzeuge
zur Hand – Text, Farbe, Zeichnen,
Schriftart, Schriftgröße und Musik –
und dürfen sich austoben. Mit „Save/
Share“ können Sie Ihre Kunstwerke
abspeichern und per URL anderen
Menschen zugänglich machen. Falls
Sie das nur für Satire halten: Leider ist
es gar nicht so; nach diesem Schema
erstellen nach wie vor bedauernswerte
Redaktionsmitarbeiter Teletextseiten.
Nun unser Rätsel: Welche Teletext-
norm ist nach einer griechischen My-
thengestalt benannt? Senden Sie Ihren
Lösungsvorschlag bitte an netzraet-
[email protected]. Unter allen richtigen Ein-
sendungen verlosen wir einen Ebook-
Einkaufsgutschein im Wert von 25
Euro. Einsendeschluss ist der 9. Okto-
ber 2019, 21 Uhr. Das Lösungswort des
Rätsels der vergangenen Woche lau-
tet: „Archimedes“, gewonnen hat da-
mit Ralf Röttges aus Görlitz. Herzli-
chen Glückwunsch!

N


atürlich geht es ohne.Aber frei
nach Loriot, der ein Leben ohne
Mops für möglich aber sinnlos
hielt, will ichnicht auf Blumen verzich-
ten. Was andere als pure Verschwendung
empfinden, für dekadent, ökologisch un-
verantwortlich oder schlicht für Dekorati-
on halten, ist mir beinahe heilig.
Ich wüsste zwar nicht, ob ich irgend-
welchen Göttern ein Blumenopfer dar-
bringen würde, aber lieber übe ich mich
in einem Stil des Ikebana und behaupte,
symbolisch Himmel, Erde und Mensch-
heit in die Vase zu stellen, als schrecklich
blutrünstige Gedanken in die Tat umzu-
setzen. Statt Lämmern sollen doch lieber
Zweige, Blätter, Gräser oder Blütenran-
ken dran glauben müssen, und seit ich in
einem finnischen Museum gesehen
habe, wie aufwendig es ist, meine Lieb-
lingsvase zu formen, steht die selten leer.
Sie als Wolke zu beschreiben kommt
offenbar nur mir in den Sinn, alle ande-
ren Schilderungen erkennen in dem Glas-
gebilde eine Welle, was dem Namen des
Designers entsprechen würde. Durch
ihre Asymmetrie macht es die Aalto-Vase
mir jedenfalls leicht, Bouquets kunstvoll
zu arrangieren, wurde sie ursprünglich
doch für das „Savoy“ entworfen. Und
selbst wenn man darin nur ein paar Sten-
gel ins Wasser stellt, sieht es immer nach
mehr aus, wenn außerdem noch etwas
Grünzeug zur Hand ist. Im Frühling

kommen darin Tulpen oder Ranunkeln
hübsch zur Geltung, im Sommer duften-
de Rosen aus der Region. Für Amaryllis
ist es jetzt noch zu früh, deshalb geht es
gerade quer durchs Beet. Mal ergibt das
eine schrillbunte Mischung, mal leuch-
ten Gladiolen samt Eichenlaub, oder die
Hortensien entfalten ihre dunkle Herbst-
pracht. Zurzeit blühen Dahlien rot-weiß
für mich, was der Markt eben so zu bie-
ten hat, und das bedeutet: der Wochen-
markt in meinem Stadtteil. Während
man in Berlin dann an einem Stand „Vita-
mine für die Seele“ kaufen konnte, die in
einer Bankenstadt vielleicht noch wichti-
ger wären, geht man den Blumenhandel
in Frankfurt eher pragmatisch an.
Hier, auf grobem Kopfsteinpflaster,
verführen einen trotzdem immer mal wie-
der Anthurie, Anigozanthos, Calla, Mont-

bretien, Strelitzien und andere Exoten
zur Maßlosigkeit, es gibt aber auch den
zähen Gärtnerschreck für zu Hause und
blauen Enzian. Nebenbei lässt sich eini-
ges über Wetterprobleme, das Gesche-
hen auf den Auktionen und chinesische
Investoren erfahren. Oder welche Fakto-
ren sonst das Geschäft beeinflussen.
Irgendwann einmal will ich Großes
wagen und versuchen, was der japanische
Künstler Makoto Azuma meisterhaft be-
herrscht. Ganz gleich, ob er Models ei-
nen grünen Kopfschmuck verpasst und
sie mit Moosen, Farnen und Palmwedeln
über den Pariser Laufsteg schickt oder
eine Luxusküche zelebriert und seine
Bouquets in klaren Eisblöcken anstelle
von Vitrinen präsentiert, wie auch im-
mer das Frosten zarter Blüten schonend
gelingt: Seine floralen Arrangements
und „botanischen Skulpturen“ nehmen
keinerlei Rücksicht auf die Grenzen der
Botanik; alle Gattungen und Familien,
alle Farben, Formen und Strukturen wer-
den scheinbar wild kombiniert, ohne
dass sein Wirrwarr je geschmacklos
wirkt. Wenn die Blumen in meiner Glas-
wolke aufblühen und verwelken, sieht
das nie nach Plan aus, wie in den Videos,
mit denen Makoto Azuma die Schönheit
der Vergänglichkeit auf Instagram feiert.
Aber ichhoffe, es gibt eine kosmische
Ordnung, alles folgt einer natürlichen
Choreographie. In meinen Vasen.

GUTE ALTE


TEXTARBEIT
VON JOCHEN REINECKE

V


or zwei Jahren fiel Wissen-
schaftlern der Oxford Brookes
University etwas Merkwürdiges
auf. Die Experten für Naturschutz
hatten Daten von indonesischen Vogel-
märkten ausgewertet. In den Aufzeich-
nungen sahen sie, dass nach der Jahrtau-
sendwende plötzlich die Nachfrage nach
Eulen gestiegen war. Waren in den achtzi-
ger und neunziger Jahren noch so gut wie
gar keine Eulen angeboten worden, zähl-
ten die Forscher 2016 schon über 1800 der
Vögel auf den Märkten. Bei den meisten
handelte es sich um wilde Tiere, die in
den Wäldern des Landes gefangen wor-
den waren. Was war passiert? Die Wissen-
schaftler vermuten, dass die Harry-Pot-
ter-Romane und die dazugehörigen Fil-
me den Trend befeuert haben könnten.
Schließlich begleitete eine Eule namens
Hedwig den Helden der Bücher bei sei-
nen Abenteuern im Zauberinternat. Gut
möglich, dass das manchen auf die Idee
gebracht hat, sich solch einen Raubvogel
als Haustier zu halten.
Das Beispiel zeigt, wie komplex der
Markt für Wildtiere ist. Es gibt unzählige
Gründe, warum die Tiere gehandelt wer-
den. Schuppentiere etwa landen auf dem
Teller, und ihr Panzer wird für die Her-
stellung traditioneller Heilmittel in Chi-
na verwendet, ebenso wie Tigerknochen
oder das Horn von Nashörnern. Da viele
und gerade die begehrtesten Tiere ge-
schützt sind, spielt sich ein riesiger Teil
derartiger Handelsbewegungen in der Il-
legalität ab. Die Naturschutzorganisation
WWF schätzt, dass jährlich Wildtiere im
Wert von 20 Milliarden Dollar illegal die
Besitzer wechseln – zunehmend auch
über das Internet. Allein in einem Monat
im Jahr 2015 sollen Tausende Elfenbein-
produkte, 77 Nashorn-Hörner und zahl-
reiche bedrohte Vögel auf sozialen Me-
dien in China angeboten worden sein.
Das haben Stichproben der Artenschutz-
organisation „Traffic“ ergeben. Damals
beobachteten die Experten unter ande-
rem 14 Facebook-Gruppen mit insgesamt
über 67 000 Mitgliedern. Innerhalb von
nur 50 Stunden seien dort 200 lebende
Wildtiere angeboten worden, darunter
Orang-Utans und Malaienbären.
Beim Handel mit Wildtieren treffen
also Jahrtausende alte Vorstellungen über
die Heilkräfte von Tierprodukten auf
popkulturelle Trends. Im Verein mit der
Geschwindigkeit und der globalen Reich-
weite des Internets hat sich ein besonders
undurchsichtiger Markt entwickelt. Dar-
an wollen der Biologe David Edwards
von der University of Sheffield und seine
Kollegen etwas ändern. In der aktuellen
Ausgabe vonSciencehaben sie versucht
vorherzusagen, welche Tiere in Zukunft
auf den Märkten landen könnten.
Über eine solche Prognosemethode zu
verfügen wäre wichtig. Denn der Handel
mit Wildtieren gilt neben der Zerstörung
von Lebensräumen als eine der wichtigs-
ten Ursachen für den Verlust von Tierar-
ten. 2010 wurde etwa das letzte bekannte
Exemplar einer vietnamesischen Unterart
des Java-Nashorns tot im Nationalpark
Cát Tiên aufgefunden. Wilderer hatten
das Tier erschossen und sein Horn abge-
sägt. Oft sind selbst Experten überrascht,
wie schnell der Handel Tiere an den
Rand des Aussterbens bringen kann. Die
Weltnaturschutzunion IUCN führte den
Schildschnabel beispielsweise jahrelang
als „potenziell gefährdet“. Das ist eine ver-
gleichsweise niedrige Kategorie, die Art
war also relativ sicher. Doch der in Süd-
ostasien beheimatete, bis zu 1,2 Meter lan-
ge Vogel trägt ein imposantes rotes Horn
auf dem Schnabel. Vielen Händlern sei es
wertvoller als Elfenbein, berichtete die
BBC. „Innerhalb von drei Jahren wurden
Zehntausende dieser Tiere wegen ihres
Horns getötet“, sagt David Edwards. Der
Schildschnabel wanderte binnen kürzes-
ter Zeit in die Kategorie „vom Ausster-
ben bedroht“. „Das hat mich schockiert“,

erinnert sich Edwards. „Denn es passier-
te praktisch über Nacht.“
SeineScience-Studie bietet gleich zu Be-
ginn eine Überraschung. Für ihre Analy-
se mussten die Forscher nämlich zunächst
eine Bestandsaufnahme machen. Dabei
beschränkten sie sich fürs Erste auf Land-
wirbeltiere, klammerten also etwa Fische
aus, und durchforsteten zunächst die Da-
tenbanken der IUCN und des Washing-
toner Artenschutzübereinkommens. Dar-
in fanden sie genau 5579 Wildtierarten,
die gerade gehandelt werden – eine Zahl,
die viele Experten wundern dürfte, denn
sie legt etwa 40 bis 60 Prozent über den
bisherigen Schätzungen. Dabei gibt es
zwischen einzelnen Tiergruppen deutli-
che Unterschiede. So wird etwa eine von
zehn Amphibienarten irgendwo auf der
Welt gehandelt. Bei den Reptilien ist es
jede achte Art, bei Vögeln und Säugetie-
ren jeweils jede vierte.
Die Wissenschaftler schautenn sich die-
se Tiere als Nächstes auf Stammbäumen
an, welche die Verwandtschaftsverhältnis-
se von über 31 000 Arten abbildeten. Da-
bei erkannten sie, dass die Tatsache, ob
eine Tierart vom Handel betroffen ist,
nicht zufällig auf diesen Stammbäumen
verteilt ist. Vielmehr gibt es Äste, also
Gruppen eng verwandter Arten, auf de-
nen sich überdurchschnittlich viele Arten
befinden, die auf den Märkten angeboten
werden. „Das sagt uns, dass diese Grup-
pen Eigenschaften haben müssen, die sie
für die Händler interessant machen“, er-

klärt Edwards. Bei den Vögeln waren es
etwa die Papageien, unter denen sich vie-
le gehandelte Arten fanden. „Sie klingen
zwar nicht besonders schön, gelten aber
als freundlich, weshalb es etwa in Indien
einen großen Wunsch gibt, sie in Käfige
zu stecken“, sagt Edwards. Bei den Säuge-
tieren wiederum enthält die Familie der
gewöhnlichen Makis eine Vielzahl an ge-
handelten Arten.
Dann begannen die Forscher mit ihrer
Prognose. Der Gedanke war, dass Händ-
ler beispielsweise auf ähnliche Arten aus-
weichen, wenn das Angebot für ein be-
stimmtes Tier knapp wird. Diese Ähnlich-
keiten spiegeln sich in den Verwandt-
schaftsverhältnissen der Tiere wider. So-
mit konnten die Forscher in ihren Daten
weitere 3196 Arten identifizieren, die
zwar heute noch nicht gehandelt werden,
sich aber in Zukunft auf Märkten finden
könnten, weil sie eng mit bereits gehan-
delten Arten verwandt sind. Darunter
sind etwa verschiedene Arten der Gat-
tung der Schillertangaren, in Mittel- und
Südamerika verbreitete Singvögel mit ei-
nem bunten Federkleid. Bei den Säugetie-
ren wiederum könnten bald Fledermäuse
aus der Gattung der Hufeisennasen ins
Visier der Händler geraten.
Die Studie gibt jedoch keinen Auf-
schluss darüber, welche konkreten Eigen-
schaften es sind, die gerade für diese Ar-
ten das Risiko erhöhen, gehandelt zu wer-
den. Edwards sagt aber, dass er sich mit
Kollegen dieser Frage gerade in einer an-

deren Arbeit widme, die jedoch noch
nicht veröffentlicht sei. Hätte sich also so
etwas wie der Harry-Potter-Effekt beim
Handel mit Eulen oder das Verschwin-
den des Schildschnabels vorhersagen las-
sen? „Wenn plötzlich Tiere aus einem bis-
her nicht beachteten Teil des Stamm-
baums gehandelt werden, dann könnten
wir das wahrscheinlich nicht vorhersa-
gen“, räumt Edwards ein. Es gehe viel-
mehr darum, das Augenmerk anderer For-
scher und Tierschützer auf bestimmte Ar-
ten zu lenken, die in Zukunft Probleme
bekommen könnten.
Das könnte sich zum Beispiel bei Fäl-
len wie dem der Schuppentiere als hilf-
reich erweisen. Durch massive Jagd und
Handel sind die Zahlen der asiatischen
Schuppentier-Arten stark zurückgegan-
gen. Eine Folge davon war, dass plötz-
lich die afrikanischen Verwandten dieser
Tiere viel stärker als zuvor gehandelt
wurden. Die Preise für Schuppentiere
auf den Märkten im zentralafrikani-
schen Gabun sind daraufhin innerhalb
von 15 Jahren um 211 Prozent gestiegen.
Solche Preissprünge sind es letztendlich,
die auf Verschiebungen im Handel mit
Wildtieren hindeuten und Naturschüt-
zer auf den Plan rufen. Allerdings passie-
ren die erst, wenn die Tiere bereits ge-
jagt und gehandelt werden. Das Wissen
aus der Studie könnte dabei helfen, sol-
che Entwicklungen bei verwandten Ar-
ten früher zu erkennen und die Tiere
schneller zu schützen.

Unbequeme Einsichten aus dem Studium der
Vornamen-Vorlieben in manchen Migrantengruppen

Von Gerald Wagner


Der Handel mit Wildtieren bringt viele Arten an den Rand


der Ausrottung. Forscher haben nun berechnet, welche Tiere


zukünftig auf dem Markt landen könnten.Von Piotr Heller


AB IN DIE BOTANIK INS NETZ GEGANGEN


SOZIALE SYSTEME


IM GESPRÄCH


Wen erwischt es


als Nächstes?


Illustration Charlotte Wagner

Leyla, allein


schon aus Protest


Bedrohlich: Ausgestopfter Puma in der Asservatenkammer beim Zoll am Frankfurter Flughafen Foto Jonas Wresch

VITAMINE FÜR


DIE SEELE
VON SONJA KASTILAN
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