Die Welt - 07.10.2019

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07.10.19 Montag, 7. Oktober 2019DWBE-HP


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DWBE-HP

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16 GESELLSCHAFT DIE WELT MONTAG,7.OKTOBER


N

ezahat ist in einer Kalk-
steinhöhle geboren. „Ich
habe dort auch meine Kin-
der bekommen und groß-
gezogen“, sagt die 70-jäh-
rige Kurdin stolz. Die Höhle gehört zu
Hasankeyf, einer antiken Stadt direkt
am Steilufer des Flusses Tigris im Süd-
osten der Türkei, nahe der irakischen
und der syrischen Grenze. Seit etwa
12.000 Jahren leben ununterbrochen
Menschen vor der märchenhaften Ku-
lisse dieser Schlucht. Nezahat hat das
Leben in der Höhle geliebt. „Es war
schön kühl. Wir brauchten nichts – kei-
nen Kühlschrank und keine Klimaanla-
ge.“ Seit mehr als 20 Jahren gibt es ihre
und die Höhlen der Nachbarn aber
nicht mehr. „Wir mussten umsiedeln
und sind in den Ort Hasankeyf in ein
Haus gezogen. Der türkische Staat hat
die Höhlen zuschütten lassen, andere
wurden gesprengt“, erklärt Nezahats
Enkel Osman.

VON MARION SENDKER
AUS HASANKEYF

Die Regierung begründete die Ent-
scheidung mit der Sicherheit der Men-
schen, die Höhlen seien einsturzgefähr-
det. Osman hält das für einen vorge-
schobenen Grund: „Die wollten uns
raushaben, damit sie hier ihr Stau-
dammprojekt durchziehen können“,
sagt er. Nun, mehrere Jahrzehnte nach
den ersten Plänen und gut 25 Jahre nach
dem Bau des ersten von mehreren Stau-
dämmen ist es so weit: Bis zum 8. Okto-
ber müssen die Bewohner Hasankeyfs
verschwinden. Dann will die Regierung
den Ort zum Sperrgebiet machen: Alle
Straßen und die Brücke über den Tigris,
die einst Teil der Seidenstraße gewesen
sein soll, werden geschlossen. „Wir
schätzen, dass Hasankeyf spätestens im
Winter unter Wasser steht“, sagt der Vi-
zegouverneur der Provinz, Haluk Koç.
Gut drei Kilometer von Hasankeyf
entfernt hat der Staat auf ehemaligen
Baumwollfeldern für die Familien ein
neues Hasankeyf gebaut. Grau in grau
reihen sich mehr als siebenhundert
gleich aussehende Häuser in ebenfalls
grauer Steinwüste aneinander. Die Häu-
ser sind laut Regierungsangaben be-
zugsfertig, auch wenn es kein sauberes
Wasser gibt und der Strom oft ausfällt.
„Als wir kamen, gab es Wasserschäden
und Schimmel“, beschwert sich Sabri,
einer der Anwohner. Seine Frau müsse
jeden Tag Trinkwasser aus Alt-Hasan-
keyf holen, weil das Wasser in der neuen
Siedlung zu kalkig und zum Teil mit Öl

keyf holen, weil das Wasser in der neuen
Siedlung zu kalkig und zum Teil mit Öl

keyf holen, weil das Wasser in der neuen

verseucht sei. Koç weiß, dass die meis-
ten Bewohner des Dorfes nicht umsie-
deln wollen. „Wir zwingen niemanden –

das wird das Wasser schon machen“,
sagt er und lacht.
Etwa 40 Kilometer flussabwärts von
Hasankeyf hat die staatliche Wasserbe-
hörde DSI beim Ort Ilisu einen fast zwei
Kilometer breiten und 135 Meter hohen
Staudamm in den Tigris gesetzt. Er ist
Teil einer Kette aus 22 Dämmen im Ver-
lauf des Tigris und Euphrat. Mit 19 Was-
serkraftwerken gehören sie zum Süd-
ost-Anatolien-Projekt, kurz GAP. Von
dem Megavorhaben erhofft sich die
Türkei Energiesicherheit, Wirtschafts-
wachstum und mehr Macht in der Regi-
on durch die Kontrolle des Wassers. Als
Erstes wurde dafür im Jahr 1992 der
Atatürk-Damm in Şanliurfa am Euphrat
errichtet und ertränkte die für ihre his-
torischen Mosaiken bekannte Stadt
Zeugma. Seit Ende Juli sind nun auch
die Schleusen in Ilisu am Tigris zu.
Je nachdem, wie viel Regen im
Herbst fällt, soll bald ein Stausee ent-
stehen: etwa 10,4 Milliarden Kubikme-
ter Wasser auf einer Fläche so groß wie
München. Ein Kraftwerk mit einer
Leistung von 1200 Megawatt soll hier
ein bis drei Prozent des türkischen
Strombedarfs produzieren. Die gut 200
Dörfer am Flusslauf fallen dem Projekt
zum Opfer, darunter auch Hasankeyf
mitsamt seiner einzigartigen Geschich-
te. Noch heute stehen dort mittelalter-
liche Moscheen in Nachbarschaft zu
den ältesten Kirchen der Christenheit.
In Höhlen wie in der von Nezahat fan-
den Archäologen Zeichnungen aus der
Neusteinzeit, als die Menschen gerade
anfingen, sesshaft zu werden. Es gibt
Berichte, wonach Marco Polo auf dem
Weg nach China in Hasankeyf den Tig-
ris überquert haben soll. Heute leben
vor allem Kurden und Araber friedlich
miteinander in der antiken Stadt, die
mittlerweile zu einem Dorf mit etwa
2000 Einwohnern geworden ist.
Die Pläne für das Staudammprojekt
reichen zurück bis in die 70er-Jahre. Of-
fiziell sollte das Vorhaben den Men-
schen in dem von der Politik vernach-
lässigten Südosten der Türkei zugute-
kommen. Hinter der vermeintlichen
Wohltat steckt jedoch politisches Kal-
kül. „Die anderen Staaten der Region
haben Öl, wir haben Wasser“, sagte der
damalige Staatspräsident Turgut Özal
und offenbarte, dass es bei dem Vorha-
ben auch darum geht, Druck auf die
Nachbarn auszuüben. Syrien und der
Irak sind dringend auf das Wasser aus
der Türkei angewiesen. Seit Jahrzehn-
ten tobt in der Region ein Kampf um die
beiden Flüsse, die mal mehr, mal weni-
ger zur politischen Verhandlungsmasse
gehören. Zwar gibt es seit Ende der
40er-Jahre verschiedene Abkommen,
die eine Wasserversorgung der von Dür-

re und Trockenzeiten geplagten Regio-
nen Syriens und des Irak sicherstellen
sollen. Die Türkei garantierte zum Bei-
spiel einen Durchfluss von 500 Kubik-
meter Wasser pro Sekunde. Doch fak-
tisch kommt immer weniger jenseits
der Grenze an.
Für die Türkei ist der Fall klar: Sie al-
lein hat die Souveränität über alles, was
das Staatsgebiet hergibt. Und weil das
Land – anders als Syrien und der Irak –
kaum über Erdgas und Öl verfügt, be-

Land – anders als Syrien und der Irak –
kaum über Erdgas und Öl verfügt, be-

Land – anders als Syrien und der Irak –

trachtet die Türkei ihr Wasser sozusa-
gen als eine von Gott gegebene Aus-
gleichsgerechtigkeit. „Wir haben das
Recht, mit unserem Wasser zu tun oder
zu lassen, was uns beliebt“, stellte Sü-
leyman Demirel fest, Präsident der Tür-
kei von 1993 bis 2000. Mit internationa-
lem Recht ist das nicht unbedingt ver-
einbar. In einer Umwelt-Erklärung der
Vereinten Nationen von 1972 heißt es,
dass jedes Land nur in solcher Weise
über die eigenen Ressourcen verfügen
darf, dass den angrenzenden Staaten
kein Schaden entsteht. Aber: Die Erklä-
rung ist nicht rechtlich bindend. Viel
Handlungsspielraum bleibt Gegnern
des Staudammprojekts damit nicht.
„Wir kämpfen schon seit mehr als drei
Jahrzehnten“, sagt Murat Tekin aus Ha-
sankeyf. Er war noch ein Kind, als er da-
von hörte, dass seine Heimat in einen
Stausee verwandelt werden soll.
Seitdem haben sich mehrere Protest-
gruppen gebildet. Ihre Aktionen wurden
zum Teil brutal von der türkischen Re-
gierung niedergeschlagen, Demonstran-
ten verhaftet. Sogar an den Papst in Rom
haben sich die verzweifelten Bewohner
Hasankeyfs gewendet. Ohne Erfolg.
Wasser ist Macht – und die setzt Ankara
nicht nur als Druckmittel gegen den Irak
und Syrien ein, sondern auch als Waffe,
um die syrischen und türkischen Kurden
in der Gegend zu vertreiben und die kur-
dische Miliz PKK zu bekämpfen.
Mittlerweile haben nach Angaben der
Regionalregierung etwa 200 von 700 Fa-
milien Hasankeyf verlassen. Osman,
Fremdenführer und einziger Verdiener
in der fünfköpfigen Familie wird seine
Arbeit verlieren, wenn Hasankeyf geflu-
tet ist. „Ich werde dann versuchen, ir-
gendwo anders einen Job als Saisonar-
beiter zu bekommen, das haben alle hier
vor.“ Auch Murat Tekin ist gegangen.
„Hasankeyf erfüllt neun von zehn Krite-
rien, um Unesco-Weltkulturerbe zu
sein“, sagt er verärgert. Solange die Re-
gierung aber keinen Antrag bei der
Unesco stellt, nützt das der Kulturstätte
wenig. Der Aktivist versucht es mit ei-
nem finanziellen Argument: „Der Ilisu-
Damm, inklusive der Entschädigungs-
zahlungen, kostet die Türkei rund zehn
Milliarden US-Dollar. Das Geld kriegen

wir nicht wieder rein.“ Aber das zieht bei
der Regierung nicht – die Nachbarn in
der Hand zu haben und die PKK vertrei-
ben zu können ist für sie ein unbezahlba-
rer Triumph. Mehr als einen Aufschub
konnten die vielen nationalen und inter-
nationalen Proteste nicht bewirken.
Selbst als europäische Banken, da-
runter auch deutsche, in den 2000er-
Jahren ihre Finanzierung des Projekts
verweigerten, ließ sich die Türkei nicht
abbringen. Der erste Spatenstich für
den Ilisu-Damm war 2006. Dreizehn
Jahre später verlassen immer mehr
Menschen Hasankeyf und ziehen in die
neu gebaute Siedlung. Etwas außerhalb
steht das Zeynel-Bey-Mausoleum aus
dem 15. Jahrhundert, es wirkt dort ir-
gendwie deplatziert. „Wir haben die
wichtigsten kulturellen Monumente
umgesetzt“, sagt Koç. „Wir bauen sogar
die historische Brücke nach, die nach
Hasankeyf führt.“
Andere kulturelle Kostbarkeiten wür-
den in einem Museum ausgestellt, das
Touristen aus aller Welt anlocken soll.
Als Herzstück der Siedlung ist ein Ein-
kaufszentrum mit gut 140 Geschäften
geplant. In spätestens fünf Jahren soll
Hasankeyf Touristen-Hotspot sein. Da-
für werden gerade Luxushotels gebaut.
Die befinden sich zum Teil dort, wo die
Kurdin Nezahat und ihre Familie gebo-
ren wurden: bei den uralten Höhlen am
Tigrisufer. „Auf dem Stausee werden
wir Bootstouren, Wasserski und Tauch-
gänge anbieten“, erzählt Koç. Umwelt-
schützer wundern sich, was die Touris-
ten da sehen sollen. Denn Hasankeyf ist
in Kalkstein gehauen, aber der löst sich
im Wasser auf.
Außerdem schätzen sie, dass der
Staudamm das regionale Klima negativ
verändern wird. Das beunruhigt auch
den Aktivisten Tekin. Er zündet sich ei-
ne Zigarette an und sagt: „Die Luft-
feuchtigkeit wird steigen, Hasankeyf
wird zum Malaria-Gebiet.“ Die Behör-
den halten das für ein Gerücht. „Durch
den Stausee wird es hier ein paar Grad
kälter werden, und das ist bei mehr als
40 Grad im Sommer sehr angenehm“,
sagt Koç, der vor einem Jahr vom Innen-
minister zum Vizegouverneur ernannt
wurde. Ob er stolz ist, ein für die Türkei
so wichtiges Projekt zu verwalten? „An-
kara hat das entschieden, ich habe da
nichts zu sagen.“ Leise fügt er hinzu
„Keşke, keşke“, in etwa „Ach, wäre
doch...“ Am Ende ist der Vizegouver-
neur machtlos gegen Ankara. Diese
Ohnmacht wird auch dem Aktivisten Te-
kin immer klarer. Er drückt seine Ziga-
rette aus, überlegt kurz und zitiert ein
bekanntes türkisches Sprichwort: Su
akar yatağını bulur – Das Wasser fließt
und wird sein Bett finden.

AFP

/ILYAS AKENGIN

Ankara

Hasankeyf

TÜRKEI

IRAK

Schwarzes GEORGIEN
Meer

SYRIEN

Euphrat

Tigris

Ilisu-Staudamm

��� km

NAHER NAHER NAHER NAHER NAHER NAHER NAHER NAHER NAHER
OSTENOSTENOSTENOSTENOSTENOSTENOSTENOSTENOSTENOSTEN

MARION SENDKER

In der Türkei wird eine der ältesten Siedlungen


der Menschheit geflutet, um einen riesigen


Staudamm zu bauen. Tausende Menschen


wurden umgesiedelt. Aber Ankara geht es


um weit mehr als um Energiegewinnung


WWWo 12.000 Jahreo 12.000 Jahre


Geschichte


VERSINKEN


AFP

/BULENT KILIC

Die Bürger von Hasankeyf werden in neue Betonhäuser drei Kilometer entfernt
umgesiedelt. Noch gibt es kein sauberes Wasser dort und nicht immer Strom

GETTY IMAGES

/ BURAK KARA

Ein Café am Tigris-Ufer von Hasankeyf. Demnächst soll das Wasser bis zur Mauer im Hintergrund reichen

Osman (r.) ist Fremdenführer. Wenn das historische Juwel Hasankeyf versinkt, wird er arbeitslos Das 650 Jahre alte Artuklu-Badehaus wird auf einer mobilen Plattform versetzt, bevor das Wasser Hasankeyf überflutet

MARION SENDKER
Nezahat (M.) mit zwei Nachbarinnen vor ihrem Haus in Hasankeyf. Wie Tausende andere wird sie umgesiedelt

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