Die Welt - 07.10.2019

(nextflipdebug5) #1
W

er ihm das wohl ein-
geflüstert hat? Pas-
senderweise parallel
zu den beiden letz-
ten Zyklen des
„Ring“-Malheurs des belgischen Regis-
seurs Guy Cassiers (keine Angst: sein
dritter Berliner Tetralogie-Anlauf star-
tet schon bald) probte Daniel Baren-
boim für eine ungewöhnliche Premiere
am Tag der Deutschen Einheit an der
vormals Deutschen Staatsoper Berlin
eine deutsche Spieloper!

VON MANUEL BRUG

Und auch noch eine der schönsten
Exemplare dieses musikalischen Gen-
res: die am 9. März 1849 an eben diesem
Haus uraufgeführten „Lustigen Weiber
von Windsor“ von Otto Nicolai. Mit
lauter deutschen Sängern: René Pape,
Michael Volle, Mandy Fredrich, Michae-
la Schuster, Anna Prohaska. Wilhelm
Schwingerhammer. Nur der Slowake
Pavol Breslik ist ein bestens naturali-
sierter Import.
Deutscher geht es nicht, denn es sitzt
sogar ein solcher in Gestalt von David
Bösch hinter dem Regiepult. Das wird
man doch mal sagen dürfen! Aber halt –
ausgerechnet Daniel Barenboim wird si-
cher nicht zum Vorreiter eines AfD-
konformen, nationalistisch überzucker-
ten Spielplans werden. Aber er hat, nach
bald dreißig Jahren als Generalmusikdi-

rektor der Berliner Staatsoper, inzwi-
schen wohl begriffen, dass er als inter-
national agierender Musiker auch Ver-
antwortung für ein nationales Erbe hat.
Früher hat er solches, in Form einer
Berliner Dramaturgie, die ihm sein da-
maliger Intendant Georg Quander ent-
worfen hatte, durchaus zugelassen. Da
dirigierte er selbst Ferrucio Busonis
hier uraufgeführte „Brautwahl“ und Al-
ban Bergs „Wozzeck“. Man spielte sei-
nerzeit an der Staatsoper Unter den
Linden Car Heinrich Grauns „Cleopatra
e Cesare“, Giacomo Meyerbeers „Ro-
bert le diable“ und Darius Milhauds
„Christophe Colomb“. Sehr teutonisch
war das übrigens nicht. Nur zu Gaspare
Spontinis, wie man früher sagt: „vater-
ländischen“ Stoffen à la „Agnes von Ho-
henstaufen“ oder Ruggero Leoncavallos
Hohenzollern-Hommage „Der Roland
von Berlin“ hatte man nicht mehr die
Traute oder Puste.
Der Generalmusikdirektor an einem
ersten deutschen Haus steht also für
„Die lustigen Weiber“ am Pult, jenem
charmanten Spätling einer deutschen
Spieloper, bevor Richard Wagners noch
viel deutschere Mythenmonster die
Spielpläne hierzulande dominierten.
Das wäre vor Jahren nicht der Rede
wert gewesen. Hans Knappertsbusch,
Ferdinand Leitner, Wolfgang Sawal-
lisch, sie alle liebten dieses reizende
Stück. Carlos Kleiber dirigierte die Ou-
vertüre im Wiener Neujahrskonzert
nicht nur als Hommage an Otto Nicolai

als Gründer der Philharmoniker. Heute
hält sie höchstens Christian Thiele-
mann hoch, der für seine Tätigkeit gern
auf die altmodische Berufsbezeichnung
„Kapellmeister“ zurückgreift.
Warum eigentlich? Was ist da pas-
siert? Den Italienern als Erfindern der
Oper gehen ihre Serias und Buffas bis
zum letzten Belcanto-Kringel beson-
ders nahe. Die Amerikaner bemühen
sich in ihrer Musiktheaterpampa mit
nicht wenigen, oft auf US-Stoffen basie-
renden Uraufführungen um ein eigen-
ständiges Repertoire; ebenso die Spa-
nier, wo man in Madrid diese Spielzeit
auch die Barockperle „Achilles in Sky-
ros“ von Francesco Corselli ausgräbt. In
jahrhundertelang opernlosen Britan-
nien pflegt man hingebungsvoll die
Benjamin-Britten-Hinterlassenschaft
bis hin zu dessen operettigen Anfängen.
Archäologisch versiert gibt man sich
ebenfalls in Frankreich, wo seit bald
vierzig Jahren landesübergreifend die
sehr speziellen, aber funkelnden Schät-
ze der absolutistisch französischen Hof-
oper des Barocks von der inzwischen
dritten Generation von Spezialensem-
bles und Dirigenten gehoben werden.
Gerade hat die Opéra de Paris als tonan-
gebendes wie trendsetzendes Musik-
theater im Rahmen ihres 350. Jubiläums
in einem Doppelschlag die Saison pro-
nonciert national eröffnet: die an der
Seine spielende „La Traviata“ erfuhr
durch Simon Stone eine bildüberreizte,
twittersatte Radikalaktualisierung für
die Generation Instagram; und im Ra-
meau-Divertissement „Les indes galan-
tes“ verschmolzen begeisternd Barock
und Banlieue zum Amalgam der heuti-
gen, entschieden multikulturell gepräg-
ten Hauptstadt – mit durchaus kriti-
schen Spitzen.
Und dieser Tage begeht mit der in Ve-
nedig angesiedelten Stiftung Palazetto
Bru Zane ein besonders verdienstvolles
Institut sein Zehnjähriges. Die von der
vermögenden Madame Bru finanzierte
Initiative macht sich so klug wie thea-
terpraktisch für das kaum mehr beach-
tete französische Musikschaffen des
19.Jahrhunderts stark. Man erstellt Par-
tituren, veranstaltet Festivals, initiiert
Inszenierungen. Denn war Paris nicht
die Opernhauptstadt des 19. Jahrhun-
derts? Plötzlich sind eine Vielzahl die-
ser reizvoll raffinierten Werke wieder
europaweit präsent – von der Grand
Opéra bis zu den talmiglänzend-eroti-
sierenden Bijoux aus dem einst gern be-
suchten Operetten-Souterrain.
Wo aber ist die deutsche Madam Bru?
Liz Mohn macht sich für Sängernach-
wuchs in Gütersloh und das inzwischen
bertelsmanneigene Ricordi-Archiv in
Mailand stark. Carmen Würth gab ihren
Namen einer von ihrem Mann bezahl-
ten Konzerthalle in Künzelsau. Deut-
sche Kleinstaaterei eben, auch kultur-
politisch. So wie die Flaggschiffe der
einzigartig weltkulturerbewürdigen
deutschen Musiktheaterflotte mit ihren
über achtzig Häusern einen großen Teil
des landestypischen Repertoires den

Provinzbeibooten überlassen. Als vor-
geblich gefälliges Abonnentenfutter.
Wenn überhaupt. Denn auch dort
schwindet die Bereitschaft, sich um die-
ses durchaus nahrhafte Kuchenstück zu
kümmern.
In München (2021 gibt es einen neu-
en) oder Hamburg gilt inzwischen
selbst Carl Maria von Webers „Frei-
schütz“ als Wagnis. Meist erscheint er
nur noch schwer entstellt, kaum mehr
erkennbar modernisiert oder zumin-
dest seiner gesprochenen Dialoge am-
putiert. Wer aber hat keine Angst vor
dem Deutschen Wald? Ähnlich kränkelt
selbst Mozarts „Entführung aus dem
Serail“ als Singspielurmutter der Gat-
tung, zudem politisch ganz und gar un-
korrekt. So scheint es, als ob etwa Fried-
rich von Flotows „Martha“, in ihrer ita-
lienischen Übersetzung bis zur Caruso-
Ära der deutsche Exportopernschlager
schlechthin, endgültig entschwunden
ist. Trotz der dankenswerterweise im-
mer noch am Münchner Gärtnerplatz
bewahrten Musterinszenierung Loriots
und einem ehrenwerten Frankfurter
Wiederbelebungsversuch.
Viel zu selten sieht man den gar nicht
braven Albert Lortzing, egal ob „Zar und
Zimmermann“, „Wildschütz“ oder „Un-
dine“, die es auch in der E.T.A. Hoff-
mann-Variante gäbe. Warum rettet ein
Feridun Zaimoglu nicht mit einem neu-
en, rotzig-frechen Text ein librettover-
unglücktes musikalisches Wunderwerk
wie Webers „Euyranthe“? Nichtdeut-
sche Dirigenten kennen diese Stücke
meist gar nicht, die Intendanten ignorie-
ren sie, und die internationalen Ensem-
bles tun sich mit den Texten schwer.
Sie ist uns ferngerückt, unheimlich
geworden. Wie ein Monstrum aus prä-
historischer Zeit wird die deutsche
Oper der Romantik an unseren Thea-
tern lustlos gepäppelt. Ein Seil ist ge-
spannt um dieses Ding aus der Zeit vor
Richard Wagner, sorgt für Abstand und
Respekt. Man liebt sie vielleicht heim-
lich, aber man kann nicht wirklich mit
ihr umgehen. Sie ist sperrig, altmodisch,
schwierig. Manche Stücke gelten als un-
spielbar, die fasst man erst gar nicht an,
die von Schubert und Schumann bei-
spielsweise. Oder man missachtet sie,
tut sie als albern ab. Nicolai und Lort-
zing können ein gar nicht lustiges Stro-
phenlied davon singen. So ist vor allem
die Spieloper fast tot.
Ob diese sehr besondere Berliner
Premiere wohlmöglich eine Wende ein-
leitet? Jedenfalls sah es sich als trashi-
ges Spandau Chainsaw Massacre ver-
gnüglich an, klang nur etwas wagner-
schwer. Denn es muss nicht immer Ver-
dis „Falstaff“ sein. Die „lustigen Weiber
von Windsor“, die denselben Stoff ge-
stalten, haben auch ihre unbestreitba-
ren, sogar identitätsstiftenden Vorzüge.
Denn die britischen Vorortspießer, in
deren Milieu man nun in Berlin die
Handlung angesiedelt ha, um sie end-
lich mal zur Kenntlichkeit zu entstellen:
Sie waren eigentlich gar nicht so furcht-
bar deutsch.

EHRT EURE


DEUTSCHEN


MEISTER!


Die Spieloper ist in Verruf geraten: Als Antwort


auf die starke italienische Konkurrenz gedacht,


steht sie heute unter Nationalismusverdacht.


Der „Freischütz“ gilt als Wagnis, auch


„Die lustigen Weiber von Windsor“ wurden


lange kaum gespielt. Erleben wir nun die


Wiederentdeckung eines unterschätzten Genres?


UUUnd dann spielen sie auch noch in England: Szenenbild aus Loriots legendärer „Martha“-Inszenierung am Gärtnerplatz-Theaternd dann spielen sie auch noch in England: Szenenbild aus Loriots legendärer „Martha“-Inszenierung am Gärtnerplatz-Theater
in München (Bild oben) sowie aus Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“, die jetzt an der Berliner Staatsoper zu sehen sind
(mit Mandy Friedrich als Frau Fluth, l., und Michaela Schuster als Frau Reich)

CHRISTIAN POGO ZACH; MONIKA RITTERSHAUS/ STAATSOPER BERLIN

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07.10.19 Montag, 7. Oktober 2019DWBE-HP


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