Die Welt - 07.10.2019

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ickaël Harpon, der At-
tentäter von Paris, war
nicht der schwerhörige
Beamte, der wegen sei-
ner Behinderung keine
Aufstiegschancen sah, deshalb frus-
triert war und am Ende ausgerastet ist.
Das Bild eines solchen Psychopathen
hatte Frankreichs Innenminister, hatte
der Polizeipräfekt und auch die Regie-
rungssprecherin gezeichnet, ohne Ter-
rorismus gänzlich auszuschließen. Alle
seriösen Medien in Frankreich haben
sich in den ersten Stunden nach dem
Attentat auf die offiziellen Informatio-
nen verlassen und vorschnelle Schlüsse,
ohne Belege, vermieden.

VON MARTINA MEISTER
AUS PARIS

Erst nach und nach bestätigten sich
Vermutungen, dann Gerüchte, die in
den sozialen Medien bereits kursierten:
Harpon, 45, war ein radikalisierter Isla-
mist. Er war nicht erst vor Monaten
zum Islam konvertiert, sondern vor
mehr als zehn Jahren. Er hat vorsätzlich
gehandelt, und er wollte ganz offen-
sichtlich einen sogenannten Märtyrer-
tod sterben. Kurz vor der Tat, zwischen
11.21 Uhr und 11.50 Uhr, hat er mit seiner
aus Marokko stammenden Frau, die
ebenfalls schwerhörig ist, insgesamt 33
Kurznachrichten ausgetauscht.
Alle waren religiös gefärbt, wenn er
auch die Tat nicht explizit ankündigte.
Die letzte Nachricht lautete: „Folge un-
serem geliebten Propheten Mohammed
und meditiere über den Koran.“ Am
Sonntag befand sich Ilham E., die Ehe-
frau des Täters, noch in Untersuchungs-
haft. Sicher ist inzwischen, dass Harpon
mit radikalisierten Salafisten in Verbin-
dung stand und Nachrichten über Tele-
gram ausgetauscht hat.
Der Pariser Anti-Terror-Staatsanwalt
Jean-François Ricard hat diese Details
erst am Samstagnachmittag auf einer
Pressekonferenz veröffentlicht, wieder-
um 24 Stunden nachdem die Ermittlun-
gen am Freitagabend den Anti-Terror-
Spezialisten übergeben wurden, also
zwei Tage nach der Tat. Er hat außer-
dem die Information widerlegt, dass der
Täter mit einem Keramikmesser das
sensible Polizeihauptquartier auf der
Pariser Île de la Cité betreten hat. Har-

sensible Polizeihauptquartier auf der
Pariser Île de la Cité betreten hat. Har-

sensible Polizeihauptquartier auf der

pon hatte zwei Messer mit Metallklinge
bei sich, das eine, ein Küchenmesser,
mit 33 Zentimeter langer Klinge, das an-
dere ein Austernmesser mit breiter, kur-
zer Klinge. Beide hatte er während sei-
ner Mittagspause in der nahe gelegenen
Rue Saint-Jacques um 12.24 Uhr erwor-
ben. Trotz Metalldetektoren und Routi-
nenkontrolle konnte er ganz offensicht-
lich das Gebäude mit beiden Waffen be-
treten, ein weiteres Versagen innerhalb
der Polizeipräfektur, das aufgeklärt
werden muss.
Seinen Blutrausch wird er in nur sie-
ben Minuten erledigen: Um 12.53 Uhr
schnitt er einem Kollegen, mit dem er
sich das Büro teilte, die Kehle durch.
Drei weiteren stach er wie „besessen“ in
den Brustkorb, eine fünfte Person, eine

Frau, verletzte er schwer, eine sechste
leicht. Punkt 13 Uhr – nach mehrfacher
Aufforderung, das Messer wegzuwerfen


  • erschießt ihn ein junger Polizist im
    Hof der Präfektur. Letzterer hatte gera-
    de erst seine einjährige Ausbildung hin-
    ter sich und war seit sechs Tagen im
    Dienst. Er ist in einem an Fehlern und
    Versagen reichen Drama vielleicht der
    einzige Held, weil er alle Regeln beach-
    tet und mit klarem Kopf gehandelt hat.
    Für die Fehleinschätzung der Behör-
    den und den misslungenen Hergang der
    Aufklärung kann es viele Gründe geben.
    Die nahe liegenden sind Versagen, In-
    kompetenz oder womöglich der Ver-
    such, Ersteres bewusst zu vertuschen.
    Es wird dauern, bis klar ist, wer die Ver-
    antwortung dafür trägt. Wichtiger ist
    jetzt eine andere Frage: War Harpon ein
    Einzeltäter oder der ausführende Soldat
    einer islamistischen Terrorgruppe, auf
    deren Befehl hin er zugeschlagen hat?
    War er womöglich sogar ein Spitzel, der
    für den Geheimdienst der Terrororgani-
    sation IS, Amniyat, gearbeitet hat und


sensible Informationen des Anti-Ter-
ror-Kampfs weitergeben hat? „Die Ak-
ten der Polizeipräfektur sind für den IS
extrem wertvolle Ziele“, sagt der Anti-
Terror-Experte und ehemalige Geheim-
dienstler Alain Rodier in einem Inter-
view im „Journal du Dimanche“.
Unter den 150.000 französischen Po-
lizeibeamten, sagt Rodier, habe es 29
aktenkundige Fälle von Radikalisierung
gegeben, „eine Zahl, die meines Erach-
tens unterschätzt wird“, so der Exper-
te. Das Attentat gegen die Journalisten
von „Charlie Hebdo“ gutzuheißen, wie
es Harpon im Sommer 2015 vor Kolle-
gen getan habe, sei allerdings kein
„schwaches Signal“. Erst die Auswer-
tung des Computers des Täters wird
darüber Aufschluss gegeben. Weil er
selbst Informatiker war, beherrschte er
offensichtlich alle Techniken der Ver-
schlüsselung.
Das Attentat vom Polizeihauptquar-
tier könnte sich zum politischen Skan-
dal in Frankreich ausweiten. Innenmi-
nister Castaner gilt wegen diverser

Skandale seit Längerem als das schwa-
che Glied der Regierung. Doch trotz
vielfacher Rücktrittsforderungen von
Oppositionspolitikern und heftiger An-
griffe von Rechts- wie Linkspopulisten
sieht Castaner keine Schuld bei sich
oder in seinem Ministerium. Während
eines Fernsehinterviews am Sonntag-
mittag beim Privatsender TF1 gestand
Castaner „offensichtliche Schwachstel-
len“ ein, aber versicherte, dass sich „die
Frage des Rücktritts“ nicht stellte. Auf
die Nachfrage, warum er wenige Stun-
den nach der Messerattacke beteuert
habe, dass es keinerlei Hinweise auf ei-
ne mögliche Radikalisierung des Täters
gab, antwortete Castaner knapp: „Weil
es keinen Hinweis in seiner Angestell-
tenakte gab.“ Im Gegenteil. Harpon ha-
be „gute Beurteilungen“ gehabt.
Erst nachdem in der französischen
Presse Hinweise auf seine Radikalisie-
rung veröffentlicht wurden, habe er um
„Erklärungen“ aus der Präfektur gebe-
ten. Erst da habe er erfahren, dass sich
Harpon 2015 vor Kollegen über das At-

tentat bei „Charlie Hebdo“ gefreut ha-
be. Nach einem Austausch mit einem
verantwortlichen Beamten hätten die
Kollegen damals allerdings entschieden,
keine Warnmeldung zu machen und die
„Sache innerhalb ihrer Abteilung zu re-
geln“. Fälschlicherweise war berichtet
worden, dass Harpon sein Verhalten ge-
genüber Frauen verändert habe. „In den
vergangenen Wochen hat er Frauen
noch mit einem Wangenkuss begrüßt“,
so Castaner.
„Das Sieb wird sehr viel feiner wer-
den“, versprach zuvor Premierminister
Édouard Philippe und kündigte zwei

den“, versprach zuvor Premierminister
Édouard Philippe und kündigte zwei

den“, versprach zuvor Premierminister

Untersuchungskommissionen an. Die
eine wird untersuchen, in welcher Form
der Geheimdienst der Polizei, für den
der Täter arbeitete, Radikalisierungen
von Mitarbeitern zu detektieren ver-
sucht. Der Bericht soll Ende des Monats
vorliegen. Eine zweite Kommission wird
alle Geheimdienste prüfen, die im Anti-
Terror-Kampf aktiv sind – ob geringste
Warnhinweise ernst genommen und
Konsequenzen daraus gezogen wurden.

NNNach dem Attentat: Schwerbewaffnete Kräfte sichern die Polizeizentrale in Parisach dem Attentat: Schwerbewaffnete Kräfte sichern die Polizeizentrale in Paris

AP

/MICHEL EULER

Mit Wangenkuss und guten Noten


Wer war der Attentäter von Paris? Tötete der radikale Islamist auf Befehl – und warum war er


bei der Polizei nicht aufgefallen? Das Drama könnte sich zum politischen Skandal ausweiten


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07.10.19 Montag, 7. Oktober 2019DWBE-HP


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DIE WELT MONTAG,7.OKTOBER2019* POLITIK 7


Ihre Chemie bringt Umwelt und Mobilität zusammen.


2001


Erster Arbeitstag: Die Brennstoff-
zelle bewährt sich im Alltagstest
in einem Kleintransporter. In ihr
wird mit Wasserstoff der Strom
für die Fahrt produziert.

2001


2013


Der Kohlenstoff, aus dem die
Leichtbauträume sind: Serienfähige
Fahrgastzellen aus carbonfaser-
verstärkten Kunststoffen verringern
das Fahrzeuggewicht. So helfen
E-Mobile beim Energiesparen.

2014


Grüne Welle: Erstmals wird ein
Auto mit Brennstoffzelle in Groß-
serie hergestellt. Die Zelle erzeugt
abgasfrei Strom für den Antrieb.

2019


Runde Sache: E-Roller sind in
Deutschland erlaubt. Reifen
aus Urethanen – speziellen
Kunststoffen – verringern den
Rollwiderstand und senken
den Stromverbrauch.den Stromverbrauch.

2025


Schneller wieder auf der Straße:
Ziel ist es, dass die Lithium-
Ionen-Batterie eines elektrischen
Mittelklassewagens dank hoch-
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materialien in bereits
15 Minuten wieder geladen ist.

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GRÜNE

CO 2 -Ausstoß soll


deutlich teurer werden


Die Grünen wollen Maßnahmen zum
Klimaschutz in Deutschland durch-
setzen, die weit über die Pläne der
großen Koalition hinausgehen. Der
Verbrauch fossiler Brennstoffe im Ver-
kehr und beim Heizen soll über einen
hohen Preis auf den CO 2 -Ausstoß deut-
lich teurer werden – im Gegenzug
sollen die Bürger mit einem „Ener-
giegeld“ von 100 Euro im Monat ent-
lastet werden: Dies sieht der Leitantrag
des Parteivorstands für den Parteitag
im November vor. Die Kernpunkte: Der
Ausstoß von CO 2 im Bereich Verkehr
und Wärme soll umgehend mit einem
Preis von 40 Euro pro Tonne belegt
werden, der bis 2021 auf 60 Euro und
danach noch höher ansteigen soll. Der
Einbau von Ölheizungen soll sofort
verboten werden, Autos mit Verbren-
nungsmotoren sollen langsam von den
Straßen verschwinden und ab 2030
nicht mehr zugelassen werden.

HONGKONG

Soldaten drohen den


Demonstranten


In Hongkong hat das chinesische Mili-
tär erstmals seit Beginn der Massen-
demonstrationen Warnungen direkt an
die Protestierenden gerichtet. Über der
Kaserne der Volksbefreiungsarmee in
Kowloon wurde eine gelbe Flagge ge-
hisst, auf der Demonstranten in Groß-
buchstaben vor einer Festnahme ge-
warnt wurden. Einige Hundert De-
monstranten warfen mit Laserpointern
Lichtpunkte an die Wände. In der eins-
tigen britischen Kronkolonie wider-
setzten sich am Sonntag Zehntausende
dem Vermummungsverbot.

TÜRKEI

Truppen an die syrische


Grenze verlegt


Nach der Ankündigung einer baldigen
militärischen Offensive in Nordsyrien
hat die Türkei an der Grenze Truppen
bewegt. Die staatliche Nachrichten-
agentur Anadolu berichtete von neun
Transportern mit Militärfahrzeugen
sowie einem Bus mit Soldaten. Prä-
sident Recep Tayyip Erdogan hatte
zuvor angekündigt, die Türkei stehe
kurz vor einem Militäreinsatz in Sy-
rien, der „sowohl aus der Luft als auch
mit Bodentruppen“ ausgefochten wer-
de. Ziel einer Offensive wären kur-
dische Milizen östlich des Flusses Eu-
phrat, die an der türkisch-syrischen
Grenze Gebiete kontrollieren.

KOMPAKT


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