Süddeutsche Zeitung - 07.10.2019

(Michael S) #1

Meinung


Viele Ostdeutschewarten noch


immer auf die Anerkennung, die


ihnen gebührt 4


Panorama


Ein mehrfacherMord


in New York wirft ein Schlaglicht


auf die Obdachlosigkeit 10


Sport


Thomas Müllerin neuer


Rolle beim FC Bayern:


als Ersatzspieler 32


Das Politische Buch


Wo die netten Nazis ackern:


Andrea Röpke und Andreas Speit


über völkische Landnahme 15


Wissen


Blutplasma ist lebenswichtig,


aber in Europa fehlt


es an diesem Rohstoff 16


Medien, TV-/Radioprogramm 24,
Schule und Hochschule 14
Kino · Theater im Lokalteil
Rätsel 24
Traueranzeigen 22


Im Nordenund Osten scheint nach örtli-
chem Frühnebel die Sonne. An der Ostsee
vereinzelt Regenschauer. Im Westen und
Süden zunächst bewölkt, gebietsweise reg-
net es. Temperaturen neun bis 15, im Süd-
westen bis 17 Grad.  Seite 15 und Bayern

Lissabon –Bei der Parlamentswahl in Por-
tugal hat sich am Sonntagabend ein Sieg
der Sozialisten von Ministerpräsident An-
tónio Costa abgezeichnet. Nachwahlbefra-
gungen zufolge wurden sie klar stärkste
Kraft und können auf mehr Sitze im Parla-
ment hoffen, als vor vier Jahren. Gleich-
wohl dürfte es nicht für eine alleinige Re-
gierungsmehrheit reichen. Nur etwa die
Hälfte der Wahlberechtigten nahm an der
Abstimmung teil.reuters  Seite 9

Papst Franziskus hat am Sonntag mit Vertretern indigener Gruppen aus Amazonien eine Messe gefeiert. Sie war der Auftakt zur Ama-
zonas-Synode, bei derdie katholische Kirche ihr Verhältnis zu Natur und Ökologie klarer bestimmen will. Der Papst verurteilte die
von „zerstörerischen Interessen gelegten Feuer“, die in Amazonien wüteten. Er rief seine Kirche auf, sich zu verändern, sonst werde
sie „unter der Asche der Ängste und der Sorge erstickt“. FOTO: GIUSEPPE LAMI / SHUTTERSTOCK  Seiten 4 und 8

Paris –Der tödliche Angriff auf vier Polizis-
ten hat die französische Regierung in star-
ke Bedrängnis gebracht. Am Donnerstag
hatte ein Mitarbeiter der Pariser Polizei-
präfektur vier seiner Kollegen an ihrem Ar-
beitsplatz erstochen. Es dauerte anschlie-
ßend mehr als 24 Stunden, bis Ermittlun-
gen zu einem möglichen terroristischen
Hintergrund der Tat eingeleitet wurden.
Im Zentrum der Kritik steht Innenminis-
ter Christophe Castaner. Drei Stunden
nach der Tat sagte Castaner am Tatort, es
habe „nicht den geringsten Warnhinweis“
gegeben, der Täter habe „keinerlei Verhal-
tensauffälligkeiten“ gezeigt.
Am Samstagnachmittag sagte der zu-
ständige Chefermittler Jean-François Ri-
card jedoch, dass der Täter Mickaël H.
Kontakt zu Anhängern der salafistischen

Bewegung gehabt und Anzeichen einer
Radikalisierung gezeigt habe. Mickaël H.
war vor zehn Jahren zum Islam konver-
tiert. Der Tathergang, so Ricard, spreche
dafür, dass es sich um einen vorbereiteten
Angriff handele, Mickaël H. habe seinem
ersten Opfer die Kehle aufgeschnitten. Zu-
dem habe Mickaël H. kurz vor der Tat eine
SMS an seine Ehefrau geschickt, in der „All-
ahu Akbar“ gestanden habe. Kollegen von
Mickaël H. hätten 2015 ihre Vorgesetzten
verständigt, dass er Verständnis für den
Terroranschlag auf die Redaktion von
Charlie Hebdogeäußert habe.
Die Polizeipräfektur, in deren Räumen
die vier Polizisten und schließlich auch ihr
Mörder getötet wurden, zählt zu den am
besten gesicherten Orten Frankreichs. Der
Angriff hat nun eine Debatte darüber aus-

gelöst, ob die aktuellen Kontrollmechanis-
men ausreichen. Premierminister Édou-
ard Philippe kündigte in einem Interview
mit demJournal du Dimanchean, dass es
zwei Aufklärungsmissionen geben werde,
eine in der Polizeipräfektur und eine in
den Abteilungen des Geheimdienstes, die
mit Terrorbekämpfung betraut sind. Bis
zum Ende des Monats solle so festgestellt
werden, ob die internen Warnsysteme für
mögliche Radikalisierungen einzelner
Mitarbeiter zu überarbeiten seien. Seinen
Innenminister nahm Premierminister Phi-
lippe in Schutz, er genieße sein „völliges
Vertrauen“ und habe „im Moment seiner
Äußerung gesagt, was er wusste“.
Abgeordnete der konservativen Republi-
kaner, der linken France Insoumise und
führende Politiker des rechtsradikalen Ras-

semblement National fordern den Rück-
tritt Castaners. Sie werfen dem Innenmi-
nister vor, er habe bewusst Informationen
zurückgehalten. Christian Cambon, der
für die Republikaner im Senat sitzt, sagte
am Sonntag, dass sich Castaner in der
kommenden Woche unter Ausschluss der
Öffentlichkeit vor Abgeordneten und Sena-
toren erklären werde. Es habe „offensicht-
lich eine gewisse Anzahl von Funktions-
störungen“ gegeben. Castaner selbst sagte
am Sonntag in einem Interview mit dem
Fernsehsender TF1, dass sich die Frage
nach seinem Rücktritt „nicht stelle“. In den
vergangenen Jahren sind in Frankreich
mehr als 250 Menschen bei islamistisch
motivierten Terrorangriffen getötet wor-
den. Polizisten sind häufig im Visier der At-
tentäter.nadia pantel Seiten 4 und 7

München– DieFluglinie Condor ist wegen
ihrer Preispolitik in die Kritik geraten. Die
Tochter des insolventen Reisekonzerns
Thomas Cook hatte einen Staatskredit
zum Überleben erhalten und bietet nun
Flüge zu sehr niedrigen Preisen an. „Eine
Wettbewerbsverzerrung mit Staatsknete
und eine Quersubventionierung von Billig-
tickets sind inakzeptabel“, sagt der Vize-
chef der FDP-Bundestagsfraktion, Micha-
el Theurer. sz  Wirtschaft

Washington –In der US-Regierung gibt es
offenbar einen zweiten Mitarbeiter, der
die Vorwürfe gegen Präsident Donald
Trump in der Ukraine-Affäre bestätigt.
Wie der Anwalt des Mitarbeiters am Sonn-
tag dem Sender ABC News sagte, verfüge
sein Klient über „Wissen aus erster Hand“.
Der Anwalt vertritt auch den CIA-Mitarbei-
ter, dessen interne Beschwerde die Ukrai-
ne-Affäre ins Rollen gebracht hatte. Der
Agent hatte Trump vorgeworfen, die Ukrai-
ne zu Ermittlungen gegen den früheren
Vizepräsidenten und heutigen demo-
kratischen Präsidentschaftsbewerber Joe
Biden zu drängen. Allerdings hatte der CIA-
Mitarbeiter eingeräumt, seine Informatio-
nen nur aus Gesprächen mit anderen Re-
gierungsvertretern erhalten zu haben.
Obwohl inzwischen veröffentlichte Doku-
mente, darunter das Protokoll eines Telefo-
nats des US-Präsidenten mit seinem ukrai-
nischen Kollege Wolodimir Selenskij, die
Vorwürfe stützen, hatte Trump behauptet,
alle Anschuldigungen beruhten auf Hören-
sagen. Wenn nun ein Whistleblower die
Vorwürfe auf der Grundlage von persönli-
chem, direktem Wissen bestätigt, ist die-
ses Argument nichtig.sz  Seite Drei

17 °/0°


München– Mit einer annähernd gleichen
Besucherzahl wie im vergangenen Jahr ist
am Sonntagabend das Oktoberfest zu En-
de gegangen. Nach Schätzungen der Stadt
besuchten 6,3 Millionen Menschen die
Wiesn, nach Angaben der Brauereien wur-
den in den 16 Tagen 7,3 Millionen Liter Bier
konsumiert, das ist geringfügig weniger
als im vergangenen Jahr. Auch die Schau-
steller und die Marktkaufleute zeigten
sich zufrieden. fjk  Lokales

Der Nutzer „Hongkong, Freiheit“, will
27 Fotosmit dir teilen. Annehmen? Ein
Klick – und die Dateien landen im Foto-
ordner des eigenen Handys. Dutzende
Menschen kriegen in der gleichen Sekun-
de das Protestmaterial auf ihre Handys ge-
sendet. Sie nehmen an einem Marsch
durch die Hongkonger Innenstadt teil. Ei-
ner der Demonstranten hat die Bilder ge-
schickt. Nur weiß man nicht, wer.
Versendet wurde das Material per Air-
drop, einer Apple-Technologie zum draht-
losen Übertragen von Daten. Seit im Juni
in der Sonderverwaltungszone gegen den
wachsenden Einfluss Chinas demons-
triert wird, hat sich die Funktion des US-
Herstellers zum ersten Mal zu einem
zentralen Kommunikationsmittel zwi-
schen Aktivisten entwickelt. Eigentlich
ist die Technologie dafür gedacht, unkom-
pliziert große Datenpakete zwischen
Apple-Geräten zu versenden. Die Übertra-
gung funktioniert über Wlan und Blue-

tooth. Eine Netzverbindung ist nicht not-
wendig. Ein Vorteil, weil das Netz bei Mas-
senveranstaltungen häufig zusammen-
bricht. Jedes Dokument kann zudem be-
liebig oft und kostenfrei geteilt werden.
Die Technologie verbraucht kein Datenvo-
lumen. Der Empfänger muss dafür weder
eine App herunterladen noch Ahnung von
Verschlüsselungstechnologie haben. Sen-
der und Empfänger müssen sich auch
nicht kennen, sondern lediglich in der Nä-
he voneinander sein. In der südchinesi-
schen Megametropole ist das eher die Re-
gel als die Ausnahme. Im Bus, der U-Bahn
oder in den Straßen zwischen den engen
Häuserschluchten erreichen Aktivisten
meist Dutzende Apple-Geräte gleichzei-
tig. Wer in Hongkong in diesen Tagen auf

dem Laufenden gehalten werden will,
muss auf dem Weg zur Arbeit oder beim
Einkaufen nur Airdrop aktivieren. Gesen-
det werden Marschrouten, Zeitpläne für
Protestwochenenden oder ein U-Bahn-
Plan mit alternativen Strecken, wenn be-
stimmte Stationen kurzfristig geschlos-
sen werden. Auch bei den Protesten selbst
wird die Technologie genutzt: Soll eine
Schweigeminute stattfinden, kündigen
Teilnehmer diese kurz vorher per Bild-
nachricht an. Wenn die Polizei anrückt,
warnen sich die Demonstranten über die
drahtlose Verbindung.
Entscheidend bei der Technologie ist,
dass bei der Übermittlung keine Daten
des Senders gespeichert werden. Es wird
nur der Name des Sendegeräts angezeigt.

Dieser kann beliebig geändert werden. Zu-
letzt hat die Hongkonger Polizei mehrere
Betreiber von Chatforen festgenommen.
Diese sind häufig über ihre Internetver-
bindung und ihre Telefonnummer identi-
fizierbar. Bei Airdrop ist das anders. Da
einige Arbeitgeber ihren Mitarbeitern die
Teilnahme an Protestmärschen verbie-
ten, ist das Verteilen der digitalen Flug-
blätter auch ein Weg, sich ohne Gefahr zu
engagieren.
Apple hat bisher nicht auf die kreative
Nutzung seiner Technologie reagiert. Das
Unternehmen hat mehrfach dem Druck
der Behörden in China nachgegeben und
Funktionen für chinesische Nutzer ent-
fernt. Seit Kurzem fehlt auf der Tastatur
für Emojis, den kleinen Bildchen fürs
Chatten, bei Hongkonger Geräten von
Apple die Taiwan-Flagge. In Festlandchi-
na ist die Flagge des Nachbarstaats, auf
den Peking immer noch Anspruch erhebt,
seit Langem gelöscht. lea deuber

von kristiana ludwig
und karoline meta beisel

Berlin/Brüssel– Voreinem Treffen der
EU-Innenminister an diesem Dienstag in
Luxemburg reißt die Kritik an Bundes-
innenminister Horst Seehofer (CSU) in den
eigenen Reihen nicht ab. Am Wochenende
war Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus
(CDU) auf Distanz zu Seehofers Angebot
gegangen, jeden vierten Menschen, der im
Mittelmeer zwischen Nordafrika, Malta
und Italien gerettet wird, nach Deutsch-
land zu bringen. Man werde sich diese Initi-
ative „sehr genau anschauen“, sagte Brink-
haus. Auch CDU-Fraktionsvize Carsten Lin-
nemann sagte: „Ein Großteil der Fraktion
ist skeptisch gegenüber dem Vorschlag des
Innenministers.“ Man habe Sorge vor „neu-
en Anreizeffekten“ für Schlepper.

CDU-Innenpolitiker Thorsten Frei, der
ebenfalls dem Fraktionsvorstand ange-
hört, fürchtet, eine solche Ankündigung
könnte „auf Schlepperbanden wie eine
Einladung wirken“. Zwar habe Seehofer
klargestellt, dass Deutschland jederzeit
von dieser Zusage zurücktreten könne.
Man habe als Unionsfraktion aber „klar die
Erwartung“, dass er „davon auch Gebrauch
macht, wenn die Zahlen ansteigen“.
Neben Deutschland haben sich bislang
Frankreich, Italien und Malta einem Plan
angeschlossen, laut dem gerettete Asylbe-
werber innerhalb von vier Wochen verteilt
werden sollen. Sollte ihre Zahl substanziell
ansteigen, könne der Mechanismus aber
wieder ausgesetzt werden, steht in dem
Papier. Am Dienstag sollen weitere Staaten
zum Mitmachen bewegt werden. Politiker
von Grünen, Linken und SPD hatten diese

Übergangslösung gelobt. Aus Unionskrei-
sen heißt es, nicht nur Seehofers Pläne,
sondern sein Politikstil habe für Unmut
gesorgt: Die „Kehrtwende“ in der Migra-
tionspolitik habe viele in der Fraktion
überrascht und irritiert. Seehofer warnte
unterdessen in derBild am Sonntag, wenn
Deutschland den Staaten an der EU-Außen-
grenze nicht helfe, „werden wir eine Flücht-
lingswelle wie 2015 erleben – vielleicht so-
gar noch eine größere als vor vier Jahren“.
EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Av-
ramopoulos verteidigte Seehofer gegen
Kritik: Deutschland habe die Diskussion
vorangetrieben, sagte er der Funke-Medi-
engruppe. Doch auch unter den EU-Mit-
gliedstaaten gibt es weiterhin Skepsis we-
gen der Übergangslösung. Griechenland,
Zypern und Bulgarien haben für das Innen-
ministertreffen eine eigene Erklärung an-

gekündigt, in der sie auch für die östliche
Mittelmeerroute mehr Unterstützung for-
dern. Der EU-Grenzschutzagentur Fron-
tex zufolge kamen zwischen Januar und
Ende August 38 000 Menschen auf diesem
Weg in die EU, deutlich mehr als über
Italien oder Malta. EU-Diplomaten weisen
zwar darauf hin, dass Malta unter großem
Druck stehe. Doch für Länder, die bereits
mehr Asylanträge pro Jahr und Einwohner
zu bearbeiten hätten als Italien, sei es
schwierig, einen Mechanismus zu unter-
stützen, der vor allem Rom zugutekomme.
Dass aber überhaupt wieder eine Dis-
kussion über die seit Jahren festgefahrene
EU-Migrationspolitik in Gang kommt,
wird in Brüssel positiv gewertet: „Das
Wichtigste ist jetzt, dass die Boote künftig
schneller geleert werden können“, sagt ein
EU-Diplomat.  Seite 4

HEUTE


Die SZ gibt es als App
für Tablet und Smart-
phone: sz.de/zeitungsapp


NACHTS

FOTO: REUTERS

Luftpost


Demonstranten inHongkong tauschen sich über Airdrop aus


Sieg für Sozialisten


bei der Wahl in Portugal


Union geht auf Distanz zu Seehofer


Innenminister steht wegen des Vorschlags in der Kritik, jeden vierten im Mittelmeer geretteten


Flüchtling nach Deutschland zu holen. Mehrere CDU-Politiker sehen darin einen Anreiz für Schlepper


Für die Schöpfung


Pariser Regierung wegen Messerattacke unter Druck


Nach der Bluttatin der Polizeipräfektur soll der Innenminister erklären, wie er islamistischen Terror künftig verhindern will


Gewinnzahlen vom Wochenende
Lotto(05.10.): 8,17, 27, 36, 47, 49
Superzahl: 5
Toto:2, 0, 0, 2, 0, 1, 1, 0, 0, 2, 2, 0, 1
Auswahlwette:2, 3, 8, 28, 41, 43
Zusatzspiel: 5
Spiel 77: 1561266
Super 6:5 9 0 3 0 9 (Ohne Gewähr)
 Weitere Gewinnzahlen:
Wirtschaft, Seite 20

Kritik an Billigtickets


der Fluglinie Condor


(SZ) Manchmal gerät man von einem Mo-
ment auf den anderen in eine Zeitschleife
hinein und wird in eine Ära zurückge-
schleudert, in der zum Beispiel die Kugel-
stoßer noch wahrhaftige Könige waren.
Leichtathletik-WM in Doha gerade, im Ka-
lender steht zwar 2019, aber leistungsmä-
ßig und weitentechnisch könnte es glatt
wieder 1988 sein, als schwer atmende Ber-
ge namens Timmermann und Günthör an-
traten und man sich fragte: In welchen Zau-
bertrank sind diese Obelixe denn gefallen?
Die Frage nach dem Zaubertrank ist die
Kernfrage des Spitzensports geblieben,
aber schon 1988 wurden diesbezügliche
Zweifel von den TV-Reportern im Stadion
niedergebrüllt. Und noch heute gilt: Im Mo-
ment des Ereignisses zählt nur das Ereig-
nis. Die Rechnung kommt dann später.
Während in Doha die Achtziger auferste-
hen, erinnert sich die Welt jenseits der Sta-
dien zur Zeit gern an 1969, das alte Sehn-
suchtsjahr. „Those were the best days of
my life, oh yeah / back in the summer of
’69“ sang einmal Bryan Adams, und tat-
sächlich ist man irgendwie permanent mit
Jubiläen beschäftigt, die beweisen, dass
1969 etwas komplett anderes war als, sa-
gen wir, 1967 oder 1976. 1969 war die Mond-
landung. 1969 kam Monty Python’s Flying
Circus zum ersten Mal im Fernsehen, 1969
zeigte der ORF das Neujahrskonzert der
Wiener Philharmoniker zum ersten Mal in
Farbe. Etwas wurde anders, etwas brach
auf, in Amerika kam die „Sesamstraße“ im
Kinderprogramm, dort lebte das Monster
Oskar in einer Mülltonne. In Deutschland
wurde Willy Brandt Bundeskanzler. Beide



  • Monster wie Kanzler – waren antiautori-
    täre Helden einer besseren Zeit, in der die
    Menschheit zueinanderfinden sollte.
    Eine schöne, aber vor allem romanti-
    sche Idee, denn bereits beim Happening in
    Woodstock 1969 fand nur ein Teil der
    Menschheit zueinander, der andere steck-
    te im Verkehrschaos um das Festgelände
    fest. DieBeatleswaren auch nicht da, was
    allerdings nichts mit den Staus zu tun hat-
    te. Die Frage, was aus Woodstock gewor-
    den wäre, hätten die Beatles dort gespielt,
    ist musikgeschichtlich interessant, im
    Nachhinein aber schwer zu beantworten.
    Tatsächlich brachten die Beatles 1969 aber
    ihr schon von Abschiedsstimmung durch-
    wehtes Album „Abbey Road“ raus, „Here
    Comes the Sun“ ist drauf und „Come Toge-
    ther“, die Platte war gleich Nummer eins
    der sogenannten Charts in England und
    blieb da viele Wochen. Da passt es hervorra-
    gend, dass eine „Abbey Road“-Sonderaus-
    gabe zum 50-jährigen Jubiläum es soeben
    erneut an die Spitze der Hitlisten geschafft
    hat. Letzte sentimentale Kurve einer Zeit-
    schleife: „Abbey Road“ ist 2019 wieder
    Number one. Zu sehr verklären sollte man
    1969 dennoch nicht. Als es heraufdämmer-
    te, stand – in Deutschland – noch Heintje
    auf Platz eins. Zum Soundtrack des wildbe-
    wegten Jahres 1969 gehört also auch:
    „Aber heidschi bumbeidschi bumbum.“


DAS WETTER



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A, B, F, GR, I, L, NL, P, SLO: € 3,70;
ES (Kanaren): € 3,80; dkr. 29; £ 3,50; kn 30; SFr. 4,

Überhitzt: Was die WM in Katar den Athleten abverlangte Thema des Tages


Zweiter Zeuge


gegen Trump


Weiterer Mitarbeiter der Regierung
belastet offenbar den Präsidenten

4 190655 803005

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