Süddeutsche Zeitung - 07.10.2019

(Michael S) #1

Erste Reihe oder letzte Bank?
Irgendwo im Mittelfeld. Wichtiger war für
mich immer, neben wem ich sitze.


Influencer oder Follower?
Early Adopter.


Mein Hobby in der Pause?
Das Tor zu besetzen, um Fußball zu spie-
len.


Meine größte Stunde?
Ich habe die Schule gehasst. Eine Stern-
stunde war, als ich während des Abiturs an
der Hochschule für Schauspielkunst Ernst
Busch angenommen wurde. Dann wurde
alles anders.


Das würde ich gern hätte ich fast verges-
sen:
Grundschullehrer, die Kinder geschlagen
oder an den Haaren über den Turnhallen-
boden geschleift haben.


Ein Denkmal gebührt ...?
Greta Thunberg.


Lernen ist ...?
...nur produktiv, wenn es durch Interesse
motiviert ist.


Noten sind ...?
...Erpressungsmethode der Leistungs-
gesellschaft.


Schule müsste ...?
...angstfrei sein.


Entschuldigen muss ich mich bei ...
...meinem Klassenkameraden aus der
Grundschule Marc S., weil ich auf seine
Kosten Witze gemacht habe.


Entschuldigen muss sich bei mir ...
...mein Lehrer für Deutsch und Darstellen-
des Spielen, für den Psychoterror, den er
betrieben hat und mit dem er uns die Ober-
stufe zur Hölle gemacht hat.


Zur Schule hat jeder was zu sagen. War ja jeder da.
Deshalb gibt es einmal die Woche „Alte Schule“.


Lars Eidinger, geboren 1976, besuchte
die Gustav-Heinemann-Oberschule in
Berlin-Marienfelde – und dort die
Theater-AG. Nach dem Abitur ging er
auf die Schauspielschule Ernst Busch
und ist seither am Theater sowie in
Film und Fernsehen erfolgreich, etwa im
„Tatort“ („Borowski und der stille
Gast“) oder in der Serie „Babylon
Berlin“. Ab Herbst ist er in der ZDF-
Koproduktion „West of Liberty“ in der
Rolle eines untergetauchten Whistle-
blowers zu sehen.FOTO: AXEL HEIMKEN / DPA

von fabian busch

D


er Weg in den Ozean führt über eine
schmale Wendeltreppe. Oben ange-
kommen finden sich die Besucher
in einem runden Raum wieder, umgeben
von einem Wasserbecken. Überall stehen
Bildschirme und Messinstrumente, verlau-
fen Rohre und Kabel. Die Gäste nehmen
auf zwei alten Sofas Platz, und Bernd Jäh-
ne lässt die Turbinen anwerfen. Der Wind
schaukelt das Wasser zu unregelmäßigen
Wellen auf. Wissenschaftler des Instituts
für Umweltphysik der Universität Heidel-
berg erforschen hier Austauschprozesse
zwischen Atmosphäre und Ozeanoberflä-
che. Normalbürger bekommen das „Aeolo-
tron“ in der Regel nicht zu sehen, jetzt aber
kann Professor Jähne es vorführen. „Das
ist öffentlich geförderte Forschung, da ist
man Rechenschaft schuldig.“
„Nacht der Forschung“ heißt das For-
mat, bei dem 15 wissenschaftliche und kul-
turelle Einrichtungen in Heidelberg und
Mannheim einen Abend lang ihre Türen
öffnen. Die Nacht findet einmal im Jahr
gleichzeitig an mehr als 300 Orten in ganz
Europa statt und wird von der EU-Kommis-
sion gefördert. Bei Kindern und Jugendli-
chen soll sie Interesse an Wissenschaft
wecken, vor allem aber Forscher und Öf-
fentlichkeit ins Gespräch bringen. „Wir
können nicht mehr getrennt voneinander
diskutieren und Entscheidungen treffen“,
sagt der Mannheimer Oberbürgermeister
Peter Kurz, Forschung müsse in der Mitte
der Gesellschaft stattfinden. Die Grund-
idee hinter dem Format ist nicht neu. Aber
sie war vielleicht noch nie so nötig wie heut-
zutage, wo wissenschaftliche Forschung
immer stärker unter Druck gerät. Weil Poli-
tiker Entwicklungen wie den Klimawandel
anzweifeln – oder weil Bürger schlicht
Angst haben vor immer neuen Möglichkei-
ten in Gentechnik oder Robotik.

Im Vergleich mit anderen Ländern ste-
he die deutsche Gesellschaft der Wissen-
schaft durchaus positiv gegenüber, sagt
Eva Haas. Sie ist am Heidelberger Standort
des Europäischen Laboratoriums für Mole-
kularbiologie (EMBL) für Bildungsarbeit
zuständig und koordiniert die „Nacht der
Forschung“. „Wir merken aber mehr und
mehr, dass es Wissenschaftsfeindlichkeit
gibt.“ Das gelte nicht unbedingt für die Be-
sucher an diesem Abend. „Von Wissen-
schaftlern hören wir aber immer wieder:
Wir haben das Bedürfnis, noch besser zu
kommunizieren, was wir machen.“
Im weitesten Sinne um den Klimawan-
del geht es auch im Institut für Umweltphy-
sik. Im Aeolotron erforschen Physiker, wie
Wind und Wellen mit Klimagasen in Ver-
bindung stehen. Unter den Besuchern sind
einige Studierende. Sie nicken wissend, als
Bernd Jähne seine für Laien recht kompli-
zierte Forschung erklärt. Kritische Fragen
von Menschen, die den Klimawandel an-
zweifeln, habe er hier noch nicht gehört,
sagt Jähne. „Die würden wahrscheinlich
gar nicht erst kommen.“
Julika Griem, die Vizepräsidentin der
Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG), begrüßt es grundsätzlich, wenn Wis-
senschaftler ihre Türen öffnen. Diese For-
mate hätten sich bewährt. „Ob es damit
aber gelingt, auch wissenschaftsferne Men-
schen anzusprechen, lässt sich bezwei-
feln“, meint Griem. „Meist werden solche
Angebote vor allem von jenen genutzt, die
ohnehin einen Bezug zur Wissenschaft ha-
ben.“ Den Anspruch, wirklich alle Bevölke-
rungsschichten zu erreichen, hält sie aber
auch für illusorisch. „Menschen, die Wis-
senschaftsfeindlichkeit mit perfiden Me-
thoden verbreiten, sind nur schwer zum
Umdenken zu bewegen. Ich glaube, dass
bei kindlicher und schulischer Bildung
mehr zu erreichen ist.“

Immerhin: Europaweit besuchen der
EU-Kommission zufolge rund 1,5 Millio-
nen Menschen die „Nacht der Forschung“,
in Heidelberg und Mannheim gehen die Or-
ganisatoren von mehr als 7000 Besuchern
aus. Besonders voll ist es im Deutschen
Krebsforschungszentrum (DKFZ). Dort
können die Gäste Mikroskope ausprobie-
ren oder an einem Fotosimulator feststel-
len, wie sie nach jahrelangem Kettenrau-
chen aussehen würden. Sie sei gespannt,
wie das DKFZ Wissen an Kinder und Ju-
gendliche vermittle, erzählt eine Besuche-
rin, die selbst Chemielehrerin ist. Auch
Menschen, die in erster Linie Betroffene
sind, informieren sich. Ihr Mann sei krebs-
krank, sagt eine Frau. Mit ihm und dem ge-
meinsamen Sohn ist sie ins DKFZ gekom-
men. Nun verfolgen die Eltern, wie der Jun-
ge an einem Stand seine DNA aus den Zel-
len der Mundschleimhaut extrahiert.
Auch umstrittene Themen kommen zur
Sprache. Am Stand des Vereins Pro-Test
wollen zwei Forscherinnen mit den Gästen
über wissenschaftliche Tierversuche re-
den. Die seien nicht schön, sagt die Biolo-
gin Julia Heinze. „Aber wir sind davon über-
zeugt, dass sie nötig sind – für die Grundla-
genforschung und um Menschen zu hel-
fen.“ Die Besucher wollen wissen, wie La-
bortiere gehalten werden oder wie es sich
anfühlt, Versuche mit ihnen zu machen.
Für so ein emotionales Thema geht es er-
staunlich sachlich zu. „Es fällt leichter, dar-
über zu reden, wenn man sich als Person

hinstellt – und nicht nur ein gesichtsloser
Forscher im weißen Kittel ist“, sagt Heinze.
Offensichtlich gibt es Gesprächsbedarf
zwischen Wissenschaft und Bürgern. Für
viele Forscher steige der Druck, sich zu er-
klären, sagt DFG-Vizepräsidentin Griem.
Früher mögen sich manche noch in den
sprichwörtlichen Elfenbeinturm zurückge-
zogen haben. Heute sei das kaum noch
möglich. „Die jüngere Forschergeneration
ist viel offener: Die reden sehr gerne über
das, was sie machen“, sagt Agnes Szmolen-
szky vom EMBL. Ihre Kollegin Eva Haas ist
überzeugt: „Wenn man mit Wissenschaft-
lern ins Gespräch kommt, merkt man in
der Regel schnell: Die denken sehr viel dar-
über nach, was sie machen und welche Fol-
gen ihre Forschung haben kann.“

Um Technik, ihre Chancen und Risiken
geht es auch in Eppelheim nahe Heidel-
berg. Experten für Elektromobilität der
Dualen Hochschule Baden-Württemberg
klären über die Brennstoffzelle auf. Dokto-
rand Wilhelm Wiebe erläutert, wie sich
damit Wasser, Strom und Wärme erzeugen
lassen. Mit dem Strom ließe sich etwa der
Elektromotor eines Autos antreiben – Wie-
be zeigt den Wasserstofftank, der dafür
verbaut wird. Der sehe aus wie eine Flieger-

bombe, räumt er ein. Doch die Explosions-
gefahr sei nicht größer als bei einem Ben-
zintank. Wiebe ist von der Technologie
überzeugt: Sie sei sauberer als die Produk-
tion von Elektrobatterien. Die Besucher
sind interessiert, stellen Fragen zu Tank-
dauer und Reichweite. „Warum kann man
die Fahrzeuge nicht auf die Straße brin-
gen?“, will eine Frau wissen. Weil es in
Deutschland derzeit nur 50 öffentlich zu-
gängliche Tankstellen gebe, erklärt Wiebe.
Offenbar hakt es also bei Politik und Indus-
trie – Wissenschaft und Bürger scheinen
sich hier schon einig zu sein.
Vielleicht können beide Seiten sogar
noch enger zusammenarbeiten? Dafür
wirbt jedenfalls Max Wetterauer im Foyer
der Pädagogischen Hochschule Heidel-
berg. Citizen Science, „Bürgerwissen-
schaft“, heißt sein Thema: „Normalbür-
ger“ nehmen dabei an Forschungsprojek-
ten teil, etwa indem sie Daten liefern.
Wetterauer erklärt das am Beispiel der „Ap-
felblütenaktion“. Die Teilnehmer beobach-
ten, wann Apfelbäume in ihrer Umgebung
zu blühen beginnen, und liefern die Daten
an die Geografen der Pädagogischen Hoch-
schule. „Wenn Leute aktiv mitmachen,
fällt ihnen vielleicht erst auf, dass die Apfel-
blüte immer früher beginnt.“ Wetterauer
hofft, dass sich Forschung mit diesem An-
satz der breiten Bevölkerung näherbrin-
gen lässt – und Vorbehalte abbaut. „Man
ist so eins zu eins dabei, wenn wissen-
schaftliche Hypothesen entstehen.“

Die Abiturprüfungen sind in Deutschland
immer einpotenzielles Aufregerthema,
sind sie doch nicht weniger als eine jährli-
che Inventur des nationalen Bildungswohl-
stands respektive -notstands. Das liegt
daran, dass sie beides auf einmal abbilden:
Anspruch und Wirklichkeit des deutschen
Schulsystems. Die Aufgaben beantworten
erstens die Frage, was die Gymnasiasten
zu leisten imstande sind – worüber sich
trefflich debattieren lässt, wie die allgemei-
ne Aufwallung um das Mathe-Abitur die-
sen Sommer einmal mehr gezeigt hat. Sie
geben aber auch Aufschluss darüber, was
der Staat von den Absolventen seiner
höchsten Schulform eigentlich erwartet –
und was nicht. Eine amtliche Konkretisie-
rung dessen also, was hohe Schulbildung
in Deutschland heißt. Und darüber lässt
sich sogar noch trefflicher streiten.
In Nordrhein-Westfalen erwartet der
Staat vom Jahr 2021 an nicht mehr, dass
die Abiturienten den „Faust I“ von Johann
Wolfgang von Goethe gelesen haben, der
vielen als das bedeutendste Werk der deut-
schen Literaturgeschichte gilt und den auf-
grund seiner vielen geflügelten Worte („Da
steh ich nun, ich armer Tor!“) selbst jene zu
kennen glauben, die ihn nie gelesen haben.
In zwei Jahren, so würde man das im Fuß-
ball sagen, wird der „Faust“ aus dem Ka-
non der Pflichtlektüren in NRW hinausro-
tiert und in der Kategorie Drama durch
einen anderen Klassiker ersetzt: Gotthold
Ephraim Lessings „Nathan der Weise“.

Für Heinz-Peter Meidinger, Präsident
des Deutschen Lehrerverbandes, ist dieser
Wechsel eine Art Kulturfrevel. „Ich bin
fassungslos“, sagte er der Rheinischen
Post. Schule habe auch die Aufgabe, kultu-
relle Identität zu vermitteln, da gehöre der
„Faust“ unbedingt dazu. Das Werk, so Mei-
dinger, behandle zeitlose Fragen und rege
junge Menschen dazu an, sich mit Themen
zu beschäftigen, „die jeden angehen“.
Im Düsseldorfer Schulministerium
kann man die Aufregung nicht verstehen.
Um „die ganze Breite der Fächer“ zu be-
rücksichtigen, gebe es eben einen steten
Wechsel. Aktuell sei bei Dramen der
„Faust“ Pflicht, der 2017 Schillers „Kabale
und Liebe“ ablöste und 2021 dem „Na-
than“ weichen wird. Auch in der Kategorie
Erzählungen wird gewechselt, bis 2021 fin-
det sich dort etwa Kleists „Die Marquise
von O...“, von 2022 an Robert Seethalers
„Der Trafikant“. Und natürlich stehe es je-
dem Lehrer frei, den „Faust“ im Unterricht
zu behandeln. Der Deutsch-Lehrplan in
NRW nennt keine Titel, die Schüler lesen
müssen. Einen abgeschlossenen Kanon
festzulegen, sieht das Ministerium „fach-
lich als nicht zielführend“ an. Der „Faust“
ist da, ebenso wie in den meisten anderen
Bundesländern, keine Ausnahme.
In Bayern, wo auch Lehrerverbandsprä-
sident Meidinger herkommt und ein Gym-
nasium leitet, ist genau das anders. Das Bil-
dungsministerium in München schreibt
gar keinen Titel für die Abiturprüfung vor
und verzichtet auch in den vorhergehen-
den Jahrgängen auf Pflichtlektüren. Nur
ein Werk ist davon ausgenommen: „Faust“
muss sein, und zwar in der elften Klasse.
Seine „besondere Eignung“ zeige sich etwa
darin, „dass das Werk in sich mehrere lite-
rarische Strömungen vereinigt“, heißt es
aus dem Ministerium. Auch inhaltlich sei
das Drama „von besonderem Wert“, da
„grundlegende menschliche Fragen auch
aus philosophischer und theologischer
Sicht reflektiert“ würden.
In Bayern, um noch einmal zum Fußball
zurückzukehren, gilt für den „Faust“, was
der FC-Bayern-Trainer Louis van Gaal einst
über den Spieler Thomas Müller sagte:
„Müller spielt immer.“ In Nordrhein-West-
falen dagegen ist vom Rotationsprinzip nie-
mand ausgenommen. Und selbst Goethe
sitzt mal auf der Bank.paul munzinger

ALTE SCHULE
Macht auf die Türen

Die„Nacht der Forschung“ soll Wissenschaftler und Bürger ins Gespräch bringen – ein Austausch, der


nötiger wäre denn je. Doch lassen sich so auch die erreichen, die wissenschaftliche Fakten anzweifeln?


„Wir merken mehr
und mehr, dass es
Wissenschaftsfeindlichkeit gibt.“

Jugend


ohne „Faust“


In NRW fällt Goethes Werk
2021 aus dem Abitur-Kanon

Lars


Eidinger


Hat die Schule gehasst. Bis er
auf die Schauspielschule kam

In Düsseldorf kann man die
Aufregung nicht verstehen, es
werde eben durchgewechselt

Blaumachen in derScience Lounge, Cremes herstellen oder selbstgebaute Mikroskope testen: Eindrücke von der diesjähri-
gen „Nacht der Forschung“ in Mannheim und Heidelberg. FOTOS: EMBL, FRED ENGELBRECHT, PHILLIP BODINE / DAI

„Citizen Science“ ist wohl die
unmittelbarste Form, sich aktiv
an Forschung zu beteiligen

(^14) SCHULE UND HOCHSCHULE Montag, 7. Oktober 2019, Nr. 231 DEFGH
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