Süddeutsche Zeitung - 07.10.2019

(Michael S) #1
interview: michael bauchmüller
und benedikt müller

D


ie „neue RWE“ empfängt in einem
Viertel mit Dönerbuden und Spiel-
salons, hinter der Konzernzentrale
im Essener Norden ziehen Kräne den
„RWE-Campus“ hoch. Drinnen empfängt
ein gut gelaunter Rolf Martin Schmitz, 62.
Sein größtes Geschäft, der Milliardendeal
mit Eon, ist in trockenen Tüchern, gerade
hat Eon seine Ökostromsparte an RWE
übertragen. Der Umbau des größten CO2-
Emittenten Europas kann beginnen.


SZ: Herr Schmitz, die „neue RWE“, das
klingt nach einem Marketingtrick – für
ein Unternehmen, das immer noch aus
Braunkohle Strom macht.
Rolf Martin Schmitz: Das ist kein Marke-
tingtrick, sondern eine fundamentale Wen-
de. Was da entsteht, ist tatsächlich eine
„neue RWE“ – aus einem Unternehmen,
das manche vor drei Jahren noch als
Abwicklungsgesellschaft für Braunkohle
und Kernkraft sahen. Und auf dieses Neue
haben wir richtig Lust.
Damals hatten Sie Ökostrom, Vertrieb
und Netze in die Tochter Innogy ausge-
lagert.
Aber schon damals war uns klar, dass wir
die erneuerbaren Energien brauchen wer-
den, um den Stromerzeuger RWE in die
Zukunft zu führen. Das Geschäft mit Eon
war deshalb der Glücksfall schlechthin.


Die Erneuerbaren von Eon, zusammen mit
denen von Innogy, bringen uns auf Anhieb
eine kritische Masse und verändern RWE
von Grund auf. Das sind Teams, die inter-
national arbeiten. Mit erfahrenen Leuten,
die alle schon das Lehrgeld der Anfangs-
zeit dieses Geschäfts gezahlt haben und
von deren Kenntnissen wir jetzt enorm
profitieren ...
... und die nun in einem Konzern arbeiten,
der als schwer beweglicher Riese für kon-
ventionelle Energie gilt.
Das war einmal. RWE ist ein Unterneh-
men, das nun global aufgestellt ist. Wir
können nun überlegen, wo kann man im
Moment am besten Geschäft machen. Wo
sind die Bedingungen gut, wo weht der
Wind gut, wo verdient man gut. Und das ist
nicht in erster Linie Deutschland.
Sondern?
Im Moment Nordamerika. Dort gibt es
riesige Flächen, verbunden mit Steuervor-
teilen. Das ist attraktiv. In Europa machen
wir viel Windenergie auf hoher See und
auch zunehmend in Osteuropa. Nach Asien
werden wir uns vorsichtig vortasten.


RWE ist kommunal verankert. Sind die
Städte einverstanden, wenn Sie Energie-
wende in aller Welt betreiben, aber nicht
vor der eigenen Haustür?
Wir sind zunehmend eine Finanzanlage
für unsere kommunalen Aktionäre. Vor
der eigenen Haustür sind die Bedingungen
derzeit einfach nur selten gut genug. Der
Windausbau auf dem Land liegt mittler-
weile nahezu darnieder. Es gibt kaum noch
Genehmigungen. Sie finden kaum noch
Flecken, wo Sie keine Klagen haben, keine
Bürgerinitiativen.
Was müsste sich ändern?
Ich fürchte, dass man stärker in die Rechte
von Bürgern eingreifen müsste. Wenn
man, wie die Bundesregierung es vorhat,
wirklich bis 2030 einen Ökostromanteil
von 65 Prozent erreichen will und Klima-
schutz als hohes Ziel setzt, muss man
Genehmigungsverfahren vereinfachen,
letztlich auch das Verbandsklagerecht
beschneiden. Die Gesellschaft muss sich
überlegen, was sie will.
Was wäre die Alternative?
Man müsste mehr Energie importieren,
auch CO2-freie Brennstoffe. Das muss man
sowieso, aber dann eben mehr. Ich hoffe
aber, dass die jungen Leute, die jetzt für
„Fridays for Future“ auf die Straße gehen,
in zehn Jahren einverstanden sind, wenn
ein Windrad hinter ihrem Garten entsteht
oder eine Stromleitung. Da gibt es in der


Gesellschaft nämlich derzeit eine gewisse
Bigotterie: Alle wollen Energiewende, aber
nicht bei sich selbst.
Das klingt ziemlich mutlos: Sie wollen
RWE de-karbonisieren, aber für Deutsch-
land sehen Sie schwarz.
Ich sehe nicht schwarz, ich bin Realist.
Andere Länder haben viel mehr Platz. Den
brauchen wir, um im großen Stil Sonnen-
und Windenergie einzusammeln. Mein
Enkel spielt gerne mit dem Globus. Wenn
ich ihm Deutschland zeige und sage: Da
wohnen wir, dann staunt er. „So ein kleines
Fleckchen?“ Recht hat er. Und dann woh-
nen hier 80 Millionen Menschen.

Doch künftig sollen Autos mit Ökostrom
fahren, Wärmepumpen damit Häuser hei-
zen. Wo soll der Strom herkommen?
Elektroautos sind nicht das Problem. Die
würden den Stromverbrauch zwar um
etwa 20 Prozent steigern. Das lässt sich ma-
chen. Schwieriger wird es, wenn die Heiz-
wärme dazukommt, der Schwerlastver-
kehr, die Luftfahrt, Schiffe. Deutschland
wird nie völlig energieautark werden. Aber
das sind wir ja jetzt auch nicht. Mit Sonnen-
strom zum Beispiel lässt sich andernorts
leichter Wasserstoff erzeugen.

RWE ist der größte CO2-Emittent Euro-
pas. Wenn Ihr Enkel in ein paar Jahren
fragt: Opa, hast du genug getan für den
Schutz des Planeten – was antworten Sie?
Ich lenke ein Unternehmen, das aus einer
bestimmten Situation kommt und vor
einer immensen Transformation steht.
Mir reicht es, wenn man später sagt: Er
hat‘s gut gemacht.
Wer soll das sagen: Ihre Aktionäre? Ihre
Beschäftigten? Künftige Generationen?
Wir haben dieses Unternehmen auf den
Kopf gestellt. Wir kommen von 180 Millio-
nen Tonnen CO2 und wollen bis 2040 kli-
maneutral werden. Wir steigen spätestens
2038 aus der Kohle aus, je nach Entwick-
lung an den Märkten auch früher. Das
kann passieren, wenn die CO2-Preise sehr
hoch geworden sind, es genug Ersatz-
kapazitäten gibt oder die Alternativen so
viel billiger geworden sind.
Auch die Wissenschaft verlangt einen
schnelleren Ausstieg – wegen des Klima-
wandels.
Natürlich besorgt mich der Klimawandel.
Wenn wir aber durch den Umbau die wirt-
schaftliche Basis für die Transformation
verlieren, ist auch keinem geholfen. Greta
Thunberg hat das sehr konsequent ge-

macht, aber ihre Mittel sind nicht unsere.
Wir wollen zeigen, wie es sich umsetzen
lässt. Ich fühle mich mit mir im Reinen.
Sonst würde ich nicht aushalten, was alles
von außen auf mich einstürmt.
Was meinen Sie damit?
Die Demonstrationen etwa – das geht
nicht spurlos an mir vorbei. Natürlich fragt
man sich: Ist das alles richtig? Ich bin über-
zeugt: Der Weg, den wir gehen, ist richtig.
Richtig für die Gesellschaft, richtig für das
Unternehmen.

Vor einem Jahr hat die Polizei den Hamba-
cher Forst zu räumen versucht, wo Ihr
Unternehmen Braunkohle abbauen woll-
te. Das hat den Ruf von RWE beschädigt.
Haben Sie damals richtig gehandelt?
Mit solchen Fragen beschäftige ich mich
nicht. Die Vergangenheit kann man nicht
ändern. Ich schaue nach vorne. Meine Auf-
gabe ist, das Unternehmen in die Zukunft
zu führen.
Man kann aber Schlüsse daraus ziehen.
Deshalb machen wir, was wir jetzt machen.
Wir sind bereit, am Anfang die Hauptlast
des von der Kommission empfohlenen
Kohleausstiegs zu tragen. Wir prüfen jetzt,
ob wir den Wunsch umsetzen können, den

Forst stehen zu lassen, und ob die Geneh-
migungsbehörden damit einverstanden
wären. Dies hätte allerdings gigantische
Konsequenzen.
Als da wären?
Das erfordert eine ganz andere Rekultivie-
rung. Wir müssten etwa eine Milliarde
Kubikmeter Erdreich transportieren, um
die steilen Böschungen des heutigen Tage-
baus zu stabilisieren, das entspricht Millio-
nen von Lkw-Ladungen. Für den Zusatz-
aufwand gegenüber der heute geplanten
Rekultivierung wollen wir entschädigt wer-
den. Ich gehe davon aus, dass das machbar
ist, aber es muss bezahlt werden. Darüber
verhandeln wir mit dem Bund.
Wie kommen die Verhandlungen voran?
Die Gespräche laufen jetzt an. Dazu kann
ich noch nichts sagen. Ich habe mich nur
gewundert, dass die Strukturhilfen für die
Regionen so schnell kamen, aber sich
lange niemand um diejenigen gekümmert
hat, die den Kohleausstieg zu tragen ha-
ben, nämlich unsere Mitarbeiter.

Auf die Gespräche schauen auch Men-
schen in einigen Dörfern beim Tagebau
Garzweiler. Sie hoffen, dass ihre Häuser
stehen bleiben.
Das wird nicht passieren. Wenn der Tage-
bau Hambach umgeplant wird, damit der
Wald stehen bleibt, brauchen wir den Tage-
bau Garzweiler erst recht komplett. Die Al-
ternative wäre, ad hoc komplett auszustei-
gen. Doch das hat weder die Kohlekommis-
sion so empfohlen, noch könnte das der
Industriestandort Deutschland vertragen.
Haben Sie Mitleid mit Menschen, die Haus
und Hof wegen der Braunkohle verlieren?
Es ist natürlich schwer, seine Heimat zu
verlassen. Aber die Menschen können sich
seit 20 Jahren darauf einstellen. Und die
Umsiedlungen sind schon weit vorange-
schritten. Es entstehen neue Orte, die nicht
weniger lebenswert sind als die alten. Übri-
gens: Wenn wir 80, 90 Prozent erneuerba-
re Energien wollen, wird es auch Eingriffe
in Eigentumsrechte geben müssen, damit
neue Leitungen entstehen können. Jede
Energieart hat ihre Härten.
Und dazwischen stehen Sie mit einer „neu-
en“, grüneren RWE, die immer noch viel
Geld mit der Braunkohle macht. Wie
halten Sie den Spagat aus?
Die Kohle ist wirtschaftlich nicht mehr so
entscheidend für den Konzern. Da sind die
erneuerbaren Energien mittlerweile viel
wichtiger. Aber wir stehen zu unserer
Verantwortung, sowohl für den Rückbau
der Kernkraftwerke als auch für die Rekul-
tivierung der Tagebaue. Und natürlich zu
allererst für unsere Mitarbeiter.
Fühlen sich die Kohleleute denn noch gut
aufgehoben bei der „neuen“ RWE, und die
Ökostromer bei der alten?
Es gibt nicht eine RWE. Es gibt verschiede-
ne Kulturen: in den Kraftwerken, im Tage-
bau, beim Handel, bei den Erneuerbaren.
Entscheidend ist, dass jeder fair und re-
spektvoll mit dem anderen umgeht. Man
kann das Neue nur ehrlich beginnen, wenn
man auch das Alte respektvoll behandelt.
Das tun wir.
Sie sind 62, Ihr Vertrag läuft noch zwei
Jahre. Haben Sie Angst, dass ein Nachfol-
ger anders mit den Kraftwerkern umgeht
als der Ingenieur Schmitz, der Kraftwer-
ke von innen kennt?
Die Sorge habe ich nicht. Man braucht kei-
ne technische Ausbildung, um ordentlich
mit Menschen umzugehen. Die Menschen
fühlen über das Herz und über den Bauch.
Sie sehen, ob jemand sein Wort hält. Dar-
um geht es.
In der Öffentlichkeit gelten Sie dennoch
zuweilen als „Dinosaurier“. Trifft Sie das?
Ich habe zwei Enkel. Die mögen Dinos und
den Opa. Wenn meine Frau mich Dino
nennt, dann ist das einfach nur nett. Und
der Ferrari Dino ist auch ein schönes Auto.
Da gibt es viele positive Verbindungen.
Wenn Leute mich so sehen wollen, sollen
sie mich so sehen. Ich lasse Taten spre-
chen.

Rolf Martin Schmitz, 62, ist seit drei Jahren Vor-
standschef von RWE. Der Ingenieur hat sein Berufs-
leben inder Energiebranche verbracht. 2018 han-
delte der Rheinländer einen milliardenschweren
Tausch mit Eon aus: Demnach steigt RWE zum dritt-
größten Ökostromerzeuger Europas auf, Eon kon-
zentriert sich auf Netze und Vertrieb. Seine Freizeit
verbringt er mit Musik, Karneval und Oldtimern.

„Es gibt eine Bigotterie:
Alle wollen Energiewende,
aber nicht bei sich selbst.“

B


undeswirtschaftsminister Peter Alt-
maiers Idee, die Industriepolitik
strategischer auszurichten, ist be-
grüßenswert. Denn vom Staat gesetzte
Rahmenbedingungen bestimmen bereits
heute die Richtung der Industrieent-
wicklung in Deutschland. Beispielsweise
bevorzugt der Energiemarkt große energie-
intensive Unternehmen, während kleinere
Unternehmen wie zum Beispiel Datenzen-
tren benachteiligt werden. Bisher folgt die
deutsche Industriepolitik keiner klaren
zukunftsgerichteten Strategie, sondern ist
von den Interessen der hergebrachten Fir-
men getrieben. Die von Altmaier angesto-
ßene Diskussion um eine explizite Indus-
triestrategie kann also sehr nützlich sein,
um die Wirtschaft mit begrenzten staatli-
chen Mitteln auf einen zukunftsfähigen
Kurs zu bringen.
Allerdings laufen die bisherigen Vor-
schläge auf die gleiche falsche Strategie
hinaus, die industriepolitischen Maßnah-
men in der Vergangenheit zugrunde lag. Es
gilt leider das Motto: „Kämpfen um jeden
deutschen Industriearbeitsplatz“. Die von
Altmaier vorgebrachten Ideen orientieren
sich zu sehr an den Unternehmen von heu-
te und vernachlässigen die Branchen von
morgen.
Stattdessen braucht Deutschland aber
eine Industriepolitik, die auf regionalen
Kompetenzen aufbauend Stärken in Berei-
chen entwickelt, die wahrscheinlich eine
zentrale Rolle in den Wertschöpfungsket-


ten der Zukunft spielen werden. So wären
mehrere Regionen in Deutschland prädes-
tiniert dafür, einen neuen Champion für
das Management großer dezentraler Ener-
giesysteme hervorzubringen. Aber um in
diesem Bereich ein global wettbewerbsfä-
higes Ökosystem von Firmen zu entwi-
ckeln, ist es notwendig, spezifische staatli-
che Investitionen in Bildung, Forschung,
Infrastruktur und auch Verwaltung in ein
oder zwei erfolgversprechenden Regionen
zu bündeln. Die richtige Alternative zur
strukturerhaltenden Industriepolitik ist
daher eine auf regionalen Stärken auf-
bauende Modernisierungsstrategie. Diese
sollte drei Schritte beinhalten:
Erstens: Die Politik muss jene Sektoren
identifizieren, die ein zukünftiges Wachs-
tum der Wertschöpfung versprechen.
Hierzu hat das Altmaier-Papier auch schon
einige Ideen geäußert, wie beispielsweise
künstliche Intelligenz und Batterien. Eine
auf objektiven Kriterien basierende Be-
wertung der Zukunftschancen einzelner
Sektoren würde nicht nur eine möglichst
objektive Diskussion erlauben. Eine gut

nachvollziehbare Bewertung würde es In-
dustriepolitikern in den nächsten Jahren
auch erlauben, von den unvermeidlichen
methodischen Fehlern der ersten Generati-
on zu lernen.

Zweitens muss dann für jede deutsche
Region geprüft werden, für welche dieser
Sektoren dort Entwicklungspotenzial be-
steht. Das ist wichtig, denn für viele Sekto-
ren gibt es in Deutschland einfach keine
günstigen Bedingungen. In arbeitsintensi-
ver Massenfertigung wie der Solarzellpro-
duktion, energieintensiven Prozessen wie
dem Aluminiumschmelzen oder histo-
risch unterentwickelten Sektoren wie der
Unterhaltungselektronik ist es für deut-
sche Firmen sehr schwer, ohne dauerhafte
Subventionen einen Wettbewerbsvorteil
zu erreichen. Es ergibt also keinen Sinn,
öffentliche Mittel in die Verbesserung der

spezifischen Rahmenbedingungen für ge-
nau diese Sektoren zu investieren.
Vielmehr sollte eine moderne Industrie-
politik versuchen, die Rahmenbedingun-
gen für alle Firmen insbesondere in den
Sektoren zu verbessern, in denen Deutsch-
land relativ leicht einen Wettbewerbsvor-
teil erreichen kann und wir zukünftiges
Wachstum erwarten. Doch wie findet man
solche Sektoren? Länder, die sich in be-
stimmten Sektoren spezialisieren, sind
häufig auch in bestimmten anderen Sekto-
ren sehr erfolgreich. Länder, die Elektro-
nikkomponenten exportieren, exportieren
zum Beispiel häufig auch Solarpaneele.
Solche Verwandtschaften von Sektoren
kann man nutzen, um potenzielle Stärken
Deutschlands zu identifizieren.
Das geht sogar auf regionaler Ebene. Ba-
sierend auf Patentdaten haben wir in einer
Studie regionale Spezialisierungsprofile er-
mittelt. Beispielsweise wurde in Hamburg
ein überdurchschnittlich hoher Anteil von
Patenten für Windtechnologie angemel-
det. Für verschiedene Zukunftssektoren –
in unserem Fall 14 verschiedene Klima-

schutztechnologien – haben wir unter-
sucht, welche Gemeinsamkeiten die Spezi-
alisierungsprofile von europäischen Regio-
nen haben, die in einem dieser Sektoren be-
sonders erfolgreich sind. Basierend darauf
konnten wir deutsche Regionen identifizie-
ren, die ähnliche Stärken und Schwächen
aufweisen wie andere europäische Regio-
nen, die bereits in einem der untersuchten
Zukunftssektoren erfolgreich sind. Eine
starke Ähnlichkeit zu erfolgreichen Regio-
nen nehmen wir als Signal für regionales
Potenzial in dieser Technologie. So sehen
wir Potenzial für die Produktion von Wind-
turbinen in Mecklenburg-Vorpommern,
Solarthermieanlagen in Sachsen-Anhalt
und Wärmedämmungsbaustoffen in Thü-
ringen. Der beschriebene Ansatz soll nicht
primär dazu genutzt werden, um bestehen-
de Spezialisierungen zu verstärken, son-
dern um regionales Entwicklungspotenzi-
al aufzuzeigen in wachstumsstarken, der
gegenwärtigen Spezialisierung verwand-
ten Sektoren.
Drittens schließt sich die Frage an, wie
das identifizierte regionale Potenzial
realisiert werden kann. Dabei ist wichtig,
dass die staatlichen Interventionen nicht
andere erfolgversprechende Sektoren be-
hindern oder dauerhaft unterstützungs-
abhängige Strukturen etablieren. Daher
sollte die Entwicklung regional erfolgver-
sprechender Zukunftssektoren vor allem
durch die gezieltere Bereitstellung von
öffentlichen Gütern gefördert werden.

Universitäten können unterstützt werden,
um in entsprechende Forschungs- und
Ausbildungskapazitäten zu investieren.
Verkehrs- und Telekommunikationsinfra-
struktur kann mit Hinblick auf die aus-
gewählten Sektoren priorisiert werden. So
wird der Energiemanagementsektor in
den Regionen Freiburg und Karlsruhe bei-
spielsweise eher von modernen Datenauto-
bahnen profitieren, während der Wind-
energiebranche in Mecklenburg-Vorpom-
mern eher mit schwerlastfähigen Verkehrs-
wegen und Stromnetzanbindungen gehol-
fen ist. Die konkreten Bedürfnisse müssen
aber regional ermittelt werden.
Eine solche Modernisierungsstrategie
wäre von den Interessen der gegenwärtig
starken Akteure getrieben, würde eine
fruchtbare faktenbasierte Diskussion er-
möglichen und kann beständig weiterent-
wickelt werden, wenn neue Informationen
über Technologien und wirtschaftliche
Zusammenhänge dies ermöglichen.

Georg Zachmannist
Senior Fellow bei der
Brüssler Denkfabrik
Bruegel. Dort arbeitet er
vornehmlich zu energie-,
klima- und industriepoliti-
schen Themen. Daneben
berät er für Berlin Econo-
mics osteuropäische
Länder.FOTO: OH

Renate Künast, 63,grüne Bundestags-
abgeordnete, will ein Ende des Verwirr-
spiels bei Lebensmitteln. Die ernäh-
rungspolitische Sprecherin der Partei
und ehemalige Verbraucherschutzminis-
terin fordert für die Kennzeichnung
regionaler Ware endlich genaue Vor-
schriften. „Im Handel werden viele Le-
bensmittel als regional beworben, die
meiner Meinung nach nicht regional
sind“, sagte Künast(FOTO: DPA)derWelt am
Sonntag. Sie schlägt daher Folgendes
vor: „Der Mindestanteil regionaler Zuta-
ten muss bei 70 Prozent festgelegt wer-
den, und es muss eine Höchstkilometer-
anzahl gelten, die ein Produkt zurückge-
legt haben darf.“ Der Kunde müsse zu-
dem erkennen können, welche Region
konkret gemeint sei. Das Ernährungsmi-
nisterium sei noch weit davon entfernt,
diese Transparenz
sicherzustellen. „Die
Bundesregierung
weiß nicht mal, wie
hoch der Anteil an
regionalen Lebens-
mitteln in den 144
Kantinen des Bun-
des ist“, kritisierte
Künast. dpa/sz

Richard Sackler, 74, stammt aus einer
der reichsten Unternehmerdynastien
der USA, inzwischen aber auch der verru-
fensten. Die Eigentümerfamilie des im
Zentrum der Opioid-Krise stehenden
Pharmakonzerns Purdue Pharma soll an
dem Unternehmen kräftig verdient ha-
ben. Nach Erkenntnissen von US-Bun-
desstaaten wurden an die Sacklers(FOTO:
OH)zwischen zwölf und 13 Milliarden
Dollar ausgeschüttet, wie aus jetzt veröf-
fentlichten Unterlagen hervorgeht. Ex-
perten schätzten die Summe bisher auf
vier Milliarden Dollar. In den USA sind
nach Behördenangaben zwischen 1999
und 2017 fast 400000 Menschen an den
Folgen von Opioid-Missbrauch gestor-
ben. Das Unternehmen, das im Septem-
ber Gläubigerschutz beantragte, sieht
sich mit mehr als 2000 Klagen von Städ-
ten, Bezirken und
Staaten konfron-
tiert. Sie werfen dem
Unternehmen vor,
die Opioid-Krise
befeuert zu haben.
Purdue und die Fami-
lie Sackler weisen
die Vorwürfe stets
zurück. reuters

Julian Reichelt, 39, Journalist und Chef-
redakteur derBild-Zeitung, will groß ins
Fernsehgeschäft einsteigen. „Wir wollen
das Land, die Welt, die Politik und den
Alltag der Menschen so zeigen, wie es
die Leute erleben, und nicht so steril und
weichgespült wie teilweise bei den Öf-
fentlich-Rechtlichen“, sagte Reichelt
(FOTO: DPA)demSpiegel. 50 Millionen Deut-
sche würden jeden Tag fernsehen, das
sei immer noch „der größte Massen-
medienmarkt in Deutschland“. Da gebe
es Reichweite und Erlöse, dieBildbisher
„unangetastet gelassen“ habe. Geplant
sei die Optik und die Anmutung des
Youtube-Zeitalters. Wie Springer die
Expansion des Boulevardtitels finanzie-
ren will, blieb offen. Das Unternehmen
hat gerade ein hartes Sparprogramm
von 50 Millionen Euro angekündigt,
unter anderem sol-
len die Redaktionen
vonBildundBild am
Sonntagzusammen-
gelegt werden. Der
US-Finanzinvestor
KKR hatte mehr als
40 Prozent der Sprin-
ger-Anteile übernom-
men. cbu

18 HF2 (^) WIRTSCHAFT Montag,7. Oktober 2019, Nr. 231 DEFGH
Schaut in die Region!
Die deutsche Industriepolitik folgt keiner klaren Strategie, sondern ist von
Unternehmensinteressen getrieben. Das ist der falsche Weg.Von Georg Zachmann
FOTO: INA FASSBENDER/AFP
Wichtig ist, jene Sektoren
zu identifizieren,
die zukunftsfähig sind
FORUM
„Natürlich besorgt mich
der Klimawandel“
RWE-Chef Rolf Martin Schmitz über den lahmenden Ökostromausbau
in Deutschland, die Zukunft des Braunkohle-Tagebaus und seinen Wunsch
an die Bewegung „Fridays for Future“
Kräftig regional
Kräftigverdient
Kräftig angekündigt
PERSONALIEN
MONTAGSINTERVIEWMIT ROLF MARTIN SCHMITZ

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