Süddeutsche Zeitung - 07.10.2019

(Michael S) #1

Erwin Hapke zog sich aus der Welt zurück,
um eineeigene zu erschaffen. Was er in sei-
nem Haus in einem Dorf bei Unna über
Jahrzehnte hinweg eigentlich tat, wusste
indessen niemand so genau. Es hat auch
niemanden recht interessiert.
Vor zwei Jahren ist Hapke gestorben.
Was seine Schwester und die übrige Fami-
lie daraufhin in Hapkes Haus entdeckten,
ist gleichermaßen faszinierend wie verstö-
rend. Erwin Hapke hat zumeist aus Papier,
mitunter auch aus Metall Dinge und Lebe-
wesen gefaltet. Wände, Decken und Böden
des geräumigen Hauses, das einmal die
Dorfschule war, sind bevölkert von tausen-
den zumeist kleinen Kunstwerken. Wobei
das Haus nicht bloß der Aufbewahrungs-
ort für dieses merkwürdige Lebenswerk
ist: Erwin Hapke hat es als ein Museum ge-
staltet, das Gebäude steckt den Raum und
damit die Dimensionen jener Welt ab, die
der Mann erschaffen hat.
Die Journalisten Christian Möller und
Thomas Köster sind auf dieses Leben und
diesen Nachlass aufmerksam geworden.
Was sie mit großer Neugier in ihrer fünf-
teiligen Radio- respektive Podcast-Serie
Der Weltenfaltervollbringen, ist eine Art
Archäologenarbeit. Obschon die Schwes-
ter, ein Neffe und diverse Bekannte das
eine und das andere zu berichten wissen,
gibt es kaum eine Gewissheit im Kosmos
des Erwin Hapke. Die Faktenlage ist dünn,
die vermeintlichen Gewährsleute erzählen
Geschichten ohne Gewähr. Vieles muss
Spekulation bleiben.
Entsprechend vorsichtig sind Möller
und Köster mit Festlegungen. Immer wie-
der räumen sie eigene Theorien beiseite,
weil sie erkennen müssen, dass nicht Tat-
sachen, sondern der Wunsch nach einer
stimmigen, saftigen Geschichte sie droht
leichtgläubig werden zu lassen.
Für ein abschließendes Bild gibt es
nicht genügend Gewissheiten.Der Welten-
falterführt dennoch tief hinein in eine
deutsche Familiengeschichte, die geprägt
ist von Kriegskindheiten, von emotionaler
Verschlossenheit und einem gesellschaft-
lichen Klima, das Abweichler schnell als
Spinner abstempelt.
Wobei es Erwin Hapke, der mit Anfang
40 eine Karriere als promovierter Biologe
aufgab, seiner Umwelt nicht leicht ge-
macht hat. Die steht nun recht hilflos vor ei-
nem Kunstwerk – als solches erkennen
auch Fachleute die Figurenflut an –, von
dem niemand weiß, ob und wie man es
erhalten, geschweige denn präsentieren
kann. Möller und Köster haben ihren Weg
gefunden. stefan fischer


Der Weltenfalter, WDR 3, fünf Folgen, Montag bis
Freitag, jeweils 19.04 Uhr. Als Podcast zum Down-
load: weltenfalter.wdr.de


Das Deutschlandradio hat die Zusammen-
arbeit mit einem freien Mitarbeiter been-
det, der Beiträge gefälscht hat. Wie die
Rundfunkanstalt auf Anfrage bestätigte,
hatte der Reporter die Redaktion und Hö-
rer darüber getäuscht, vor Ort zu sein. Er
verwendete offenbar O-Töne, die aus ande-
ren Medien stammten. Dem Deutschland-
radio zufolge hat der Reporter die Täu-
schungen in wesentlichen Punkten einge-
räumt. Nach einer Überprüfung durch
Deutschlandfunk und Deutschlandfunk
Kultur wurden insgesamt neun Stücke aus
den vergangene sechs Monaten offline ge-
nommen. Laut Deutschlandradio wurden
keine Geschichten erfunden. Dem Online-
MagazinÜbermedien, das zuerst darüber
berichtet hatte, sagte Deutschlandfunk-
Chefredakteurin Birgit Wentzien in Anspie-
lung auf den Betrugsskandal beimSpiegel:
„Der Fall ist kein zweiter Relotius.“ ebri


von benedikt frank

E


in Konferenzraum des Bayerischen
Rundfunks in Freimann füllt sich
frühmorgens. Auf einer Leinwand
tauchen nach und nach Gesichter auf, zuge-
schaltet aus Franken, Schwaben, Ober- und
Niederbayern und dem Funkhaus. Der
Sportredakteur meldet sich von Zuhause,
am Tag zuvor wurde bis spät gearbeitet.
Sein Thema gestern wie heute: Gibt es ein
Leben nach Uli Hoeneß? Pressekonferenz
um 12 Uhr, Stream auf Facebook, dieRund-
schaubedienen, der Hörfunk ist unter-
wegs, Digital wird andauernd aktualisiert.
„Wir versuchen heute, alle glücklich zu ma-
chen“, schließt der Redakteur. Schnell geht
es reihum weiter. Zur Diskussion um die
Steuer auf Billigflüge könnte man nicht nur
Reporter zur CSU-Zentrale schicken, son-
dern auch zum Memminger Flughafen,
wirft einer ein. Andere Redaktionen sind in-
teressiert, immer wieder fällt ein Satz:
„Sagt einfach Bescheid, was ihr braucht.“
Nach 25 Minuten ist man fertig.
Vielleicht möchte man sich beim Treffen
der Redaktion Bayern aktuell an diesem
Morgen besonders routiniert geben, weil
ein fremder Reporter am Tisch sitzt. Es ha-
be lange gedauert, bis es so rund läuft, heißt
es hinterher. „Trimedialität“ lautet das
Stichwort, unter dem sich der BR seit 2012
reformiert. Die Idee dahinter ist, dass nicht
mehr jede Redaktion, jedes Regionalstudio,
das Fernsehen und die Radiosender jeweils
für sich arbeiten. Eigentlich eine Selbstver-
ständlichkeit, wechselt das Publikum am

Smartphone längst ständig zwischen Social
Media, Video, Zeitungs- und Podcastapp.
Was für die Nutzer so einfach ist, ist für den
BR ein Triathlon in den Disziplinen Neuor-
ganisation der redaktionellen Arbeit, Neu-
bau eines Mediencampus und Budgetkür-
zung. Zehn Jahre hat man sich selbst Zeit ge-
geben, es bleiben noch drei. Die Zielgerade
ist in Sicht.

Intendant Ulrich Wilhelm sieht den BR
dabei als Vorreiter. Am Anfang habe die Re-
form für viele noch wie eine „exotische
Idee“ gewirkt. „Mittlerweile gehört themen-
übergreifendes, trimediales Arbeiten in vie-
len Medienhäusern zum Standard“, teilt
Wilhelm auf Anfrage mit.
Zum Gespräch in Freimann schickt der
BR Roland Scheble. Er ist als Leiter Strate-
gie und Innovationsmanagement mit der
Umsetzung der Reform beauftragt und
bringt eine umfangreiche Präsentation mit,
die er offenbar in den letzten Jahren schon
oft halten musste. Auf dem Weg von der Re-
daktionskonferenz zur Präsentation ver-
läuft man sich in Gängen, die Fotos aus ana-
logen Rundschauzeiten zieren, bis einen
der Leiter Bayern aktuell, Stephan Kirch-
ner, wiederfindet. Eine gewisse Orientie-
rungslosigkeit ist normal, denn noch wird
in Freimann überall gebaut. Man sei im
Zeit- und Kostenplan, bis 2022 will man fer-

tig sein. „Das wird kein Berliner Flughafen“,
sagt Scheble. Teile des Hörfunks, der jetzt
noch im Rundfunkhaus im Münchner Zen-
trum sitzt, sollen dann einziehen. Am Diens-
tag feiert man Richtfest.
Der Titel der Präsentation lautet „War-
um wir uns verändern müssen.“ Dass der
BR Veränderung nötig hat, bestreiten auch
die meisten Mitarbeiter nicht. Nur die Um-
setzung kann kaum alle glücklich machen.
Wie radikal der Wandel ist, zeigt der Ver-
gleich mit der Zeit davor. Sich wie in der
Konferenz an diesem Morgen zusammenzu-
setzen, wäre vor zehn Jahren im BR undenk-
bar gewesen, und selbst bis vor drei Jahren
kannten sich mitunter Redakteure unter-
schiedlicher Sender trotz gleichem Fachge-
biet nicht. „Es gab Kolleginnen und Kolle-
gen, die 25 Jahre im Hörfunk gearbeitet ha-

ben, aber noch nie am Fernsehstandort in
Freimann waren“, berichtet Roland Sche-
ble. Man sprach ehrfürchtig von Regional-
fürsten, die fern von München über ihr eige-
nes Reich herrschten, entsprechend be-
müht waren die Redaktionschefs, ihre
Kleinstaaten zusammenzuhalten. „Die Fra-
ge für uns als Führungskräfte ist, was unser
Wert hier ist“, sagt Stephan Kirchner heute:
„Bemessen wir uns nach Etatgröße und wie
viele Menschen wir haben? Oder am publi-
zistischen Erfolg?“
Ein Drittel der Führungspositionen ha-
be man bereits abgebaut, rechnet Roland
Scheble vor. Im Juli 2020 soll Hörfunkdirek-
tor Martin Wagner in den Ruhestand ge-
hen, ohne dass sein Posten nachbesetzt
wird. Der heutige Fernsehdirektor Rein-
hard Scolik soll dann die neue trimediale
Programmdirektion Kultur leiten, zu der
auch die Radiosender Bayern 2 und BR-
Klassik wandern. Bayern1, Bayern 3 und
der Jugendsender Puls werden dann der
Programmdirektion Information zugeord-
net werden, die 2014 für den Übergang neu
geschaffen wurde.
Was mit Redaktionsleitern geschieht,
die nun nichts mehr zu leiten haben? Wer
im entsprechenden Alter war und nicht mit-
machen wollte, ging früher in Rente. Ande-
re arbeiten heute als normale Redakteure,
beziehen aber weiter ihr höheres Leiterge-
halt. Und dann sind da noch unterschiedli-
che Gehälter und Honorare für TV und Ra-
dio, der Tarifvertrag hinkt den neue Aufga-
ben hinterher, es gibt Streit, wie der Hono-
rartopf zu verteilen ist. „Kahlschlag beim

BR“ titelte darum das Mitgliedermagazin
des Bayerischen Journalistenverbands


  1. „Wenn ein Chef vom Dienst, der vom
    Hörfunk kommt, weniger verdient als einer
    vom Fernsehen, dann brauchen wir mit ei-
    ner gemeinsamen Bayernredaktion gar
    nicht erst anzufangen“, sagt Stephan Kirch-
    ner, der die Verhandlungen mit den Gewerk-
    schaften begleitet. Angefangen hat man bei
    Bayern aktuell trotzdem schon bevor eine
    fairere Regelung gefunden ist. Mitte Sep-
    tember wurde der BR wie auch andere ARD-
    Sender bestreikt.


Als der trimediale Prozess begann, ver-
breitete sich schnell die Vorstellung von ei-
ner neuen Art von Journalist, der nicht nur
auf Fernsehen, Radio oder Internet speziali-
siert ist, sondern alles beherrscht, am bes-
ten auch noch gleich gut. Zum Beweis, dass
diese journalistische eierlegende Woll-
milchsau nie erschaffen werden sollte,
drückt Roland Scheble einem eine Broschü-
re aus dem Jahr 2014 mit Leitsätzen für tri-
mediales Arbeiten in die Hand. Was aller-
dings nicht bedeutet, dass man die Multita-
lente nicht trotzdem gerne hätte. Scheble
besteht zwar darauf, dass niemand gezwun-
gen werde, alle Medien zu bedienen. Doch
scheint Zwang wohl auch kaum nötig, wenn
Freie und Nachwuchs um begrenzte Aufträ-
ge konkurrieren müssen.
Trotzdem ist es keine Frage, dass in der
Produktion auch weiterhin Spezialisten un-
abdingbar sind. Die Vorteile der Reform sol-
len sich an anderer Stelle zeigen. „Als 2011
die Villa des Bayern-Spielers Breno brann-
te, haben fünf oder sechs BR-Redaktionen
einzeln beim FC Bayern angerufen“, sagt
Scheble: „Das würde heute nicht mehr pas-
sieren.“ Es passiert nicht mehr, weil es eine
zentrale Planung wie bei Bayern aktuell
gibt. Doch auch die wurde nicht ohne
Schmerzen geboren. „Wenn Sie als Fernseh-
CvD in die Situation geworfen werden, auf
einmal auch Hörfunk machen zu müssen,
erleben Sie eine Kernschmelze ihrer persön-
lichen Kompetenz“, fasst Stephan Kirchner
die Situation zusammen. Für Abkühlung
soll Zeit bei der Umstellung sorgen – und
der Treffpunkt Trimedialität, die nächste
Station der Führung in Freimann. In einem
großen, hellen Gruppenraum sind Produk-
tionssituationen mit Legosteinen nachge-
baut. Im Nebenraum stehen auf rollbaren
Tischen montiert Geräte für die Fernseh-,
Hörfunk- und Onlineproduktion. Ein schon
fast therapeutisches Begegnungsangebot
für Redakteure mit ihnen fremden Medien.
Das ursprüngliche Vorhaben, bei der Zu-
sammenlegung von Redaktionen frei wer-
dende Dienste für Recherche zu nutzen,
wird heute oft nicht umgesetzt. Denn der
BR muss sparen. Der Rundfunkbeitrag –
und damit das Budget – ist in zehn Jahren
trotz Inflation nicht gestiegen. „Mir ist be-
wusst, dass wir unseren Beschäftigten da-
bei viel abverlangen. Knappe Mittel ändern
aber nichts an den Erwartungen des Publi-
kums und veränderten digitalen Nutzungs-
gewohnheiten“, sagt Intendant Ulrich Wil-
helm dazu. Trotz Sparzwang bemüht der
BR sich, neue digitale Formate zu entwi-
ckeln, zwangsläufig, weil jüngere Men-
schen das Bayerische Fernsehen sonst
kaum noch wahrnehmen würden. Doch da-
für wandern Etats vom Fernsehen ab. Um
die News-WG auf Instagram zu finanzie-
ren, hat man etwa die Moderation bei der
Nachtausgabe derRundschaugestrichen.
Noch kann der BR darauf verweisen, dass
stolze zwei Drittel der Bayern sein Pro-
gramm gut finden.
Schließlich erreicht man mittags den ei-
gentlichen Redaktionsraum von Bayern ak-
tuell. An einer Schreibtischinsel überträgt
eine Redakteurin gerade Markus Blumes
O-Töne, die Kollegen lieferten, in eine On-
linemeldung. Hinter einer Glasscheibe pro-
duziert man Einsprecher. Von den Proble-
men lassen sich die Planungsverantwortli-
chen im Gespräch nichts anmerken: Die Ab-
läufe seien jetzt besser als zuvor. Es wirkt
so, als sage man das nicht nur, weil die
Chefs zuhören. Als trimediale Prestigere-
daktion des BR soll Bayern aktuell von Kür-
zungen bisher weniger betroffen sein.

Täuschungsfall


Deutschlandradio
trennt sich von Reporter

Der Mann und


das Museum


Radioserie über einen Künstler,
den niemand erkannte

Für die News-WG auf Instagram
strich man die Moderation der
„Rundschau“-Nachtausgabe

Alle unter einem Dach


Der BR reformiert sich: Radio, Fernsehen und Internet wachsen zusammen, ein Umbau soll dabei


helfen. Wie kann das gehen, wenn man gleichzeitig sparen muss? Ein Redaktionsbesuch


Man sprach ehrfürchtig von
Regionalfürsten, die fern von
München herrschten

(^24) MEDIEN Montag, 7. Oktober 2019, Nr. 231 DEFGH
2022 sollen die Umbauarbeiten des Bayerischen Rundfunks im Münchner Norden fertig sein, so soll das Ergebnis aussehen. VISUALISIERUNG: FRITSCH+TSCHAIDSE ARCHITEKTEN
„Das wird kein Berliner Flughafen“: die
Baustelle in Freimann. FOTO: BR
Lösungen vom Wochenende
SZ-RÄTSEL
4
95
276
12 6
62 35
6
1
86
64
5
1
7
9
Sudokumittelschwer
4 9 1
5 3
5 6
5
1 4 5 8 2
7 3 9 4
1 2
6 1 9
2 3 7 8
Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmalvorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
© 2010 Syndicated Puzzles Inc. 7.10.2019
Schwedenrätsel
5896 23174
4375 1 8926
1269 7 4853
3682594 1 7
21 53476 98
97 48612 35
8427 9 5361
7931 8 6542
6514 32789
Str8ts: So geht’s
56 78 12
89 1 324
7983265
67 54 312
25678493
132 67 54
243 5687
16425738
543 687
4
6
1
8
9
Str8tsleicht

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