Süddeutsche Zeitung - 07.10.2019

(Michael S) #1

München– Offen,plastisch, fließend. Die-
se drei Schlagworte gibt es am Eingang zur
Ausstellung „Art Muc Digital.lab“ zu lesen.
Gemeint ist damit aber nicht die digitale
Kunst, die es noch bis zum 13. Oktober im
dritten Obergeschoss in der Infanteriestra-
ße 14 zu sehen gibt. Sondern die Wohnun-
gen, die der Eigentümer, der Projektent-
wickler Bauwerk und das Amsterdamer Ar-
chitekturbüro UNStudio dort planen. Unge-
wöhnlich, innovativ sollen sie werden, an-
gelehnt an internationale Wohnformen,
wie man sie aus Holland, aber bisher nicht
aus München kennt. Dafür werden die Ver-


kaufspreise, wie man hört, doch ziemlich
münchnerisch sein.
Trotzdem: Auch für die Kunst passen
die Schlagworte ganz gut. Denn fließend
ist auch hier so Einiges. Manches greift
auch plastisch in den Raum ein. Und offen
ist Kunst ja sowieso immer für Interpretati-
onen. Dass das vor dem Abriss stehende Ge-
bäude, das bis 2018 noch die Zukunfts-
werkstatt der Design-Fakultät der Hoch-
schule München beherbergt hat, aktuell ge-
öffnet ist, hat mit „The Hub – Schwabing“
zu tun. Das heißt mit Raiko Schwalbe von
der ArtMuc und Andreas Brestrich (Ex-Pu-

erto Giesing), die als Gewinner eines Ideen-
wettbewerbs aktuell das Haus als Zwi-
schennutzer mit ihrem Programm bespie-
len dürfen, zu dem neben einem Indoor-
spielplatz, Biergarten oder E-Sport-Pro-
jekt nun auch das „Digital.lab“ gehört.
Dieses wurde von Raiko Schwalbe und
der Münchner Medienkünstlerin Betty Mü
kuratiert. Insgesamt 15 künstlerische Posi-
tionen sind zu sehen, die sich mit digitalen,
realen, irrealen, inneren und äußeren Bild-
welten beschäftigen. Das Extrem davon,
den digitalen Overflow bekommt man
gleich zu Beginn von Lou JP Mußgnug mit
„Trocken/The Overwhelm Ball“ serviert:
Eine Röhre aus Plexiglas, in der rundum
Bildschirme hängen und in die man sich
hineinquetschen muss. Dort wird man
dann mit Bildern und Tönen aus der Welt
der Technik umflutet, ist ihnen wie auch
immer mehr im Alltag passiv ausgesetzt.
Eine ähnliche Wirkung erzielt „Zero Visco-
sity“ von Mario Klingemann. Denn auch
hier prasseln von einer breiten Videolein-
wand Bilder auf einen ein.

Das Faszinierende und Erschreckende
daran: Die Bilder von Menschen, Tieren,
Gegenständen, die fließend ineinander
übergehen, werden von BigGAN erzeugt, ei-
nem Google-Algorithmus, der mithilfe
künstlicher Intelligenz Fake-Bilder produ-
ziert. Manche sehen hyperrealistisch, ande-
re grotesk verzerrt aus. Sie zeigen die Mög-
lichkeiten und (noch) bestehenden Gren-

zen der künstlichen Intelligenz auf, aber
auch die Grenzen unseres Wissens und der
Wahrnehmung. Denn woher diese Bilder
stammen, wie und mit welcher Absicht sie
entstehen, das weiß man als Betrachter in
der Regel nicht. Genauso ist es heute auch
bei vielen anderen digitalen Bildern.
Bilderflut, die dritte: „Dignity of Na-
ture“ von Betty Mü und Yul Zeser. Auf
sechs Leinwänden in zwei Räumen fließen
oder kippen hier idyllische Naturbilder in
Bilder der Zerstörung, von Kriegen und Ka-
tastrophen über. Das sorgt für den einen
oder anderen Schockmoment, wirkt aber

doch ein bisschen plakativ. Spannender
sind da die „Schattenspiele“ von Verena Ba-
cher und Aubrey Fabay. Hier tauchen
Schatten, rätselhafte Silhouetten in digita-
len Szenerien auf. Das lässt etwa im Falle ei-
nes Schatten-Hasen an eine Märchenwelt,
aber auch an die Schattenwelt aus Platons
Höhlengleichnis denken. Direkt davor
sieht man auch den eigenen Schatten proji-
ziert. Ein Bild für unsere Schattenexistenz
als Homo Digitalis? Eine kitschige Szene-
rie mit Herbstlaub, Fenster und Bänkchen
hat Michael Acapulco aufgebaut. Der Clou
und ein netter, extraterrestrischer Überra-
schungseffekt: Auf das Fenster wird live
aus der Raumstation ISS die Erde proji-
ziert. Das Kollektiv Dreschwerk ist eigent-
lich im Vjing-Bereich tätig, und im Club
könnte man sich ihre große Licht- und Ton-
installation auch gut vorstellen, die mit ih-
ren Dreiecks-Projektionen sonst eher im
Dekorativen haften bleibt. Ähnliches gilt
für die Arbeit „Elements“ von Philipp
Frank, die eigentlich nur Installationen do-
kumentiert, die dieser an der Isar realisiert
hat. Bei Indivisualist alias Raphael Kulig,
der am Gärtnerplatztheater die Videoabtei-
lung leitet, wird es nostalgisch. Unter dem
Titel „Side2Side“ hat er den Videospielklas-
siker „Pong“ von 1972 neu aufbereitet, so
dass man diesen statt mit Joystick nun mit
Körperbewegungen spielen kann.
Das ist ein unterhaltsames Gimmick,
zeigt aber in direkt auch auf, wie sich die di-
gitale Welt seit ihren naiv und geradezu
niedlich wirkenden Anfängen inzwischen
weiterentwickelt hat. jürgen moises

Digital.lab, Do. bis So., 13 bis 19 Uhr, The Hub –
Schwabing, Infanteriestr. 14, bis 13. Oktober

München– MarissJansons, seit 2003
Chefdirigent des Chors und des Sympho-
nieorchesters des Bayerischen Rund-
funks, wird mit dem Opus Klassik für sein
Lebenswerk geehrt. Der 76-jährige Lette
wird die Auszeichnung am 13. Oktober im
Konzerthaus Berlin entgegennehmen. Jan-
sons sei seit Jahrzehnten ein Garant für un-
vergessliche Konzerterlebnisse, heißt es in
der Jurybegründung. Neben Jansons wer-
den mehr als 40 weitere Musiker gewür-
digt, darunter der Pianist Lang Lang, die
Mezzosopranistin Joyce DiDonato und der
Tenor Jonas Kaufmann. Der Opus Klassik
wird seit 2018 in der Nachfolge des Echo
Klassik vom Verein zur Förderung der Klas-
sischen Musik verliehen. llg

von sabine leucht

V


erwackelte Filmbilder eines männli-
chen Unterkörpers. Koffer in der
Hand, unrunde Schritte. Geldschei-
ne wechseln den Besitzer und verschwin-
den in Türschlitzen, auf denen untereinan-
der „Vater“, „Mutter“ und „Schwester“
steht. Die patriarchale Hierarchie ist intakt
im Hause Samsa. Der Vater, der gleich den
Ekel auf seinen Sohn ausspucken wird, ran-
giert an oberster Stelle. Das ist vielleicht
auch der Grund, warum Gregors Name an
der Tür fehlt, die er alleine unterhält. Gre-
gor wird geduldet; muss sich sein Existenz-
recht Tag für Tag erkaufen. Da ist seine
plötzliche Verwandlung in „ein ungeheu-
res Ungeziefer“ nicht von Nutzen.
Jan Friedrichs Inszenierung von Franz
Kafkas „Die Verwandlung“ wird vom Fleck
weg überdeutlich. Der 27-jährige Regis-
seur, der vom Puppenspiel kommt und mit
der Schauburg-Inszenierung von Wede-
kinds „Frühlings Erwachen“ zum Berliner
Festival „Augenblick mal!“ eingeladen
war, hat seine Handschrift gefunden: Er
möbliert dezidierte Kunstwelten mit pup-
penhaften Geschöpfen, Live-Videobildern
und einiger Drastik. Darum leuchtet er
auch hier wieder grell aus, was bei Kafka
zwischen den Zeilen rumort. Dafür hat er
dessen penibel verdichtete Erzählung von
1912 mit eigenen Texten und solchen von
Henrik Ibsen und Virginia Woolf durch-

setzt und die Schauspieler in grelle Kostü-
me gesteckt. Darin sehen die Samsas ein
bisschen so aus wie die Simpsons, wenn
man sie mit den grässlicheren Geschöpfen
des Knetanimations-Papstes Nick Park
kreuzt. Und dann haben diese bunten
Monster auch noch eine Überdosis psycho-
analytisches Wahrheitsserum geschluckt.
So packt der alte Samsa, den David Benito
Garcia mit viel Lust an der Häme spielt, die
ganze narzisstische Kränkung auf den
Tisch, die ihm das inkontinente und egois-
tische Mängelwesen zugefügt hat, das sei-
ne Frau in ein Muttertier verwandelte –
was man freilich bei der von Anne Bon-
temps zur Schau getragenen Selbstsucht
kaum nachvollziehen kann.
Allerdings haben die Schauspieler unter
voluminösen Knetperücken und tennis-
ballgroßen Kunstaugen auch wenig indivi-
duellen Spielraum. Gregors Schwester (He-
lene Schmitt) trägt zudem noch eine mons-
tröse Außenzahnspange, ein Sprech-Han-
dicap sondersgleichen. Doch um Sprache
geht es hier ohnehin allenfalls nebenbei.
Friedrichs „Verwandlung“ ist hypernervös-
nervig, laut, steht inhaltlich wie bewe-
gungstechnisch unter Druck und schlägt
allerlei Deutungen vor, die Kafkas Käferwe-
sen dechiffrierbar machen könnten: Psy-
chosomatische Beschwerden à la „Krank-
heit als Weg“, der Burnout des überforder-
ten Alleinversorgers, eine unter den Tep-
pich gekehrte Erbkrankheit, ein Ödipus-

komplex, ein Selbstmord auf Raten und
die Ahnung, dass der zum Heulen selbstlo-
se Sohn auf Hikikomori macht, um die le-
bensuntüchtig gewordenen Eltern nebst
Schwester zu reanimieren, stehen nach-
und nebeneinander im Raum.

So wie auch die Frage, was es bedeutet,
ein Mensch zu sein. Das ist zu viel für einen
Gregor. Daher gibt es hier drei. Simone Os-
wald spielt unter anderem ein fulminantes
Solo; und Janosch Fries und dem vielver-
sprechenden Schauburg-Neuling Michael
Schröder gelingt es immer wieder, das auf-
gekratzte Psycho-Grusical, dessen Ener-
gie sich in symbolträchtigen Songs von Ter-
ry Jacks bis Queen entlädt, herunterzudim-
men. Wenn es leiser wird, die Gregors auf
Rollbrettern durch den Raum gleiten oder
ihre Masken ablegen, hat das Geheimnis,
haben endlich die Zwischentöne eine Chan-
ce, die die Fantasie anspringen lassen.
Die liegt an dem gut zweieinhalbstündi-
gen Abend, der den Schmerz grell ausbuch-
stabiert, die Scham auserklärt und die Bos-
heit ausstellt, die in Kafkas Text so wehtut,
leider allzu oft im Tiefschlaf. Man kann
das so machen, zumal als junger Regis-
seur, der vielleicht noch ganz gut weiß, wie

man ein Publikum 15 plus mit Interpretati-
onshilfen versorgt und ihm zeigt, dass The-
ater mehr zu bieten hat als Textexegese.
Als älterer Zuschauer darf man aber auch
ein wenig trauern und sich zurücksehnen
etwa nach Beat Fähs „Verwandlung“ am
gleichen Ort. Und doch: Wenn sich am En-
de das Dach von Robert Kraatz’ mehr und
mehr auseinanderstrebendem Bühnen-
haus auf drei fast erwartungsfrohe Gre-
gors senkt, geht man mit allerhand Diskus-
sionsstoff nach Hause.
Diese erste von sieben Premieren der
dritten Schauburg-Spielzeit Andrea Grone-
meyers darf und will streitbar sein. Unter
dem doppeldeutigen Motto „Macht!“ geht
sie weiter etwa mit Juli Zehs „Corpus Delic-
ti“ (in der Regie von Ulrike Günther, die
hier zuletzt Kristo Sagors „Ich lieb dich!“ in-
szenierte, das 2019 den Mülheimer Kinder-
StückePreis gewann). Am 8. November in-
szeniert Theo Fransz das mit dem deut-
schen Kindertheaterpreis ausgezeichnete
Stück „An der Arche um acht“ für Kinder
ab sechs. Und den Schlusspunkt der Spiel-
zeit markieren die jungen Bühnenallroun-
der Stephanie van Batum und Florian
Schaumberger. Eigene Entdeckungen wie
Friedrich, Kindertheaterroutiniers wie
Fransz, dazu Nachwuchs aus der Otto-Fal-
ckenberg-Schule und Spartenübergreifen-
des von Ariel Doron (Figurentheater) und
Erik Kaiel (Tanz): Das Programm ist run-
der als es sein Auftakt ahnen lässt.

München– Esklingt eher beiläufig, als
der immer noch irre jungenhaft singende
Frontmann Bernard Sumner ankündigt,
man werde nun einen Song spielen, „den
wir alsJoy Divisiongeschrieben und als
New Ordervollendet haben.“ Und doch
steckt in diesem nüchternen Fakt jene Tra-
gödie der Band aus Manchester, die vor
knapp 40 Jahren erst dazu führte, dass die-
se sich umbenannte und formierte, um
sich bald auch musikalisch neu auszurich-
ten: der Tod ihres Sängers Ian Curtis, der
sich im Mai 1980 im Alter von 23 Jahren
das Leben nahm. „Ceremony“ heißt der
Song, der sich auf dem New-Order-Debüt
„Movement“ findet und mit seiner charak-
teristisch süß verdengelten Bass-Melodie
und seinen sägenden Gitarren zum Schöns-
ten zählt, was der nachtschwarze Post-
Punk jemals hervorgebracht hat. Wie auf
Knopfdruck erhebt sich das beglückte Pu-
blikum in der ausverkauften Philharmo-
nie, um fortan lieber stehend ein Konzert
zu feiern, mit dem New Order auch ihre Ge-
nese vom Post-Punk zum tanzbar elektrifi-
zierten New-Wave-Act abbilden, der sich
stilistisch diverse Türen offen hält.
Sie können heute ebenso eine Dance-
Rock- wie eine Elektro-Pop-Band sein;
sind in den frühen Disco-Jahren („Tutti
Frutti“) ebenso zuhause wie im körperli-
chen Proto-Techno von „Fine Time“, das
Ende der Achtziger als Acid-House-Num-
mer auf Ibiza entstand. Am besten sind
New Order aber immer dann, wenn sie die
artifiziellen Texturen ihrer Eighties-Groß-
taten („Bizarre Love Triangle“, „True
Faith“) fein austariert zwischen Konservie-
rung und Neuinterpretation ins 21. Jahr-
hundert übersetzen. Dass sie dabei ausge-
rechnet ihren größten Hit „Blue Monday“
verhunzen, indem Sumner erst seine Stim-
me per Vocoder unhörbar macht und dann
arg unpräzise mit in die Tasten von Key-
boarderin Gillian Gilbert greift, stört ange-
sichts einer reinen Joy-Division-Zugabe
mit Songs wie dem erhaben strahlenden
„Atmosphere“ und dem unzerstörbaren
„Love Will Tear Us Apart“ wirklich nieman-
den mehr. martin pfnür

München– Der Zuschauer flaniert durch
die Gewächshäuser des Botanischen Gar-
tens und sieht exotische Pflanzen. Und Mu-
siker und Künstler, zuweilen mit einem
weißen Kittel bekleidet und mit Stirnlam-
pe, die Klänge erzeugen. Hört eine Sänge-
rin, die den Zuschauern später Blätter an ih-
re Kleidung näht, folgt einer Künstlerin,
die eine Topfpflanze auf einem Rollbrett
hinter sich herzieht und mit ihr spricht:
„Ja, ist das gruselig bei den großen Pflan-
zen? Komm, wir gehen weiter!“. Das kann
nur Performancekunst sein.
Ruth Geiersberger, die in München
schon lange als Koryphäe dieser Kunst-
form gilt und ihre Projekte „Verrichtun-
gen“ nennt, beschäftigt sich in ihrer neu-
esten Arbeit „Mit Pflanzen“. Wie kommuni-
zieren Pflanzen, was kann der Mensch von
ihnen lernen? Kunst und Wissenschaft sol-
len sich treffen, deshalb werden die Besu-
cher, nachdem sie durch die Gewächshäu-
ser spaziert sind und Gesang und Klang ge-
lauscht haben, dazu aufgefordert, „für ei-
nen Vortrag von Professor Volkmann und
diversen Klangergüssen“ den Künstlern in
den nächsten Raum zu folgen. Ein Ge-
wächshaus wurde bestuhlt und eine Büh-
ne aufgebaut, ob der Beschaffenheit des
Raumes ist aber je nach Platzwahl nicht all-
zu viel von der Bühne zu sehen. Aber es
geht ja auch primär ums Hören. Und es gibt
viel zu hören. Der spannende Vortrag des
emeritierten Professors Dieter Volkmann
wird immer wieder von Geiersberger und
ihren Mitverrichtern mit Fragen und Tö-
nen unterbrochen. Woher denn das Zitter-
gras seinen Namen hat, zum Beispiel.


Danach verliert sich der Abend ein we-
nig: Es wird gesungen und Gedichte wer-
den rezitiert, Klänge abgespielt und musi-
kalisch improvisiert. Ruth Geiersberger er-
schafft in ihrer Performance schöne und
anrührende Momente, etwa wenn sie eine
Pflanze darstellt, die mit kleinen Schmatz-
geräuschen ihre Nährstoffe zu finden
sucht. Die ausgebildete Schauspielerin
und Sängerin hat eine facettenreiche Stim-
me, die sie gezielt einzusetzen weiß: mal
fiept und flattert sie, mal rezitiert sie sanft
und schlägt dann kräftig aus. Dazwischen
lange Klangergüsse mit Pausen, dann wie-
der etwas Gesang, dann eruptive Klänge.
Es ist kalt geworden im Gewächshaus, und
die Performance zieht sich scheinbar end-
los, was auch an der repetitiven Vortrags-
art liegt. Einige Zuschauer verlassen das
Gewächshaus. Haben Pflanzen eigentlich
einen Geduldsfaden? anna weiss


München– Der eine mag den Geruch sei-
ner Frau, die andere den nach Benzin. Im
Weltraum gibt es sie beide nicht. Denn das
All, heißt es zu Beginn von „No Smell in Ou-
ter Space“, „riecht wohl hauptsächlich ver-
brannt“. Damit ist das Titelthema auch
schon abgehandelt, denn Sandra Chatter-
jee und Amahl Khouri haben sich fürs erste
auf die Spur der Wohlgerüche in der irdi-
schen Welt gemacht. Und die führt zum Bei-
spiel nach Ägypten. Chatterjee selbst er-
zählt im HochX von indischem Sandel-
holz, das sie in einem sudanesischen La-
den in Kairo gefunden hat und nun aus ei-
ner Hello-Kitty-Tüte kramt.
Berichte über Methoden zur Gewin-
nung von Krokodilmoschus oder zum
„Räucherzeug“ der Frauen in Oman sind
lehrreich, wie bei diesem umfassend gebil-
deten Team nicht anders zu erwarten, wer-
den jedoch in allzu steifem Ton vorge-
bracht. Zuvor haben die vier Tänzer (drei
Frauen, ein Mann) zu den Lieblings- und
Hass-Gerüchen der Zuschauer improvi-
siert und die Stufen der Verwandlung vom
Rohstoff zum Parfüm zu vertanzen ver-
sucht. Beides ist als Idee interessant, die
Übersetzung der „intelligenten, komple-
xen Botschaft“ von Düften in Bewegung
vermittelt sich aber nur punktuell.
So hat der Abend über weite Strecken
Workshop-Charakter, scheint mehr für die
Teilnehmer selbst gemacht, obwohl Chat-
terjee, Jaskaran Singh Anand, Suzette Sag-
isi und Duduzile Voigts reichlich Charme
und tänzerisches Können einsetzen, um
die vierte Wand zu öffnen. Sie reichen Duft-
proben herum und unterhalten mit einem
Potpourri aus Bewegungssprachen vom
klassischen indischen bis zum internatio-
nal zeitgenössischen Tanz. Die fabelhafte
Sagisi hat außer Tanz auch Philosophie stu-
diert und hadert mit Kants hanebüchener
Auffassung vom Geruch schwarzer Men-
schen. Und Voigts kann auf einer langen
Zugfahrt in Indien „gesellschaftliche Klas-
sen riechen“. Die Frage, ob ein duftfreier
Raum damit auch hierarchiefrei wäre,
wird nicht gestellt. Dafür brennt am Ende
das gesamte Team einen Duftcocktail ge-
gen Rassismus ab, in dem für den christ-
lich geprägten Mitriecher der betäubende
Weihrauch dominiert. sabine leucht

Direkt und live aus der Raumstation ISS wird ein Bild der Erde auf ein Fenster, das
noch aus einer anderen Zeit stammt, projiziert. FOTOS: DIGITAL.LAB


Umflutet von Bildern und Tönen


DasZwischennutzungsprojekt „The Hub“ in Schwabing richtet sich mit einer Ausstellung an den Homo Digitalis


Mariss Jansons


erhält Opus Klassik


Die Simpsons auf Abwegen


Der junge Regisseur Jan Friedrich inszeniert „Die Verwandlung“ nach einer Erzählung


von Franz Kafka an der Schauburg in einer Kunstwelt mit puppenhaften Geschöpfen


Eine seltene Pflanze: die Münchner Per-
formance-Künstlerin Ruth Geiersberger
bei der Arbeit. FOTO: HELGE CLASSEN


Die erste von sieben Premieren
in dieser Spielzeit darf
und will streitbar sein

Süß verdengelt


Die New-Wave-Legenden
„New Order“ in der Philharmonie

Das Wesen


der Topfpflanze


Ruth Geiersbergers neueste
„Verrichtung“ im Gewächshaus

Zum Mitriechen


„No Smell in Outer Space“
im Theater HochX

Die Anklänge ans Puppenspiel sind unverkennbar: Janosch Fries (hinten) und Anne Bontemps in „Die Verwandlung“ an der Schauburg. FOTO: CORDULA TREML

Kleine Schmatzgeräusche bei


der Suche nach Nährstoffen


Aufgezeigt werden auch
die noch bestehenden Grenzen
der künstlichen Intellegenz

„Schattenspiele“ zeigen Verena Bacher
und Aubrey Fabay im The Hub.

KURZKRITIK


R16 (^) KULTUR Montag, 7. Oktober 2019, Nr. 231 DEFGH

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