Süddeutsche Zeitung - 07.10.2019

(Michael S) #1

Kopenhagen– Die Atomgespräche zwi-
schen Nordkorea und den Vereinigten Staa-
ten am Samstag in Stockholm wurden
schon nach wenigen Stunden abgebro-
chen. Hinterher legten beide Seiten den
Verlauf der Verhandlungen erstaunlich
konträr aus. Der nordkoreanische Chefun-
terhändler Kim Myung-gil beschuldigte
am Samstagabend die USA, Erwartungen
geschürt zu haben, aber „mit leeren Hän-
den“ gekommen zu sein. Er sprach von ei-
ner „riesigen Enttäuschung“.
Die amerikanische Delegation sprach
hingegen von „guten Diskussionen“. Das
US-Außenministerium erklärte, man be-
trachte die Gespräche nicht als geschei-
tert. Die US-Unterhändler hätten „kreative
Ideen“ mit nach Stockholm gebracht. Die
Einschätzung der nordkoreanischen Seite
entspreche „weder dem Verlauf noch dem
Geist der achteinhalbstündigen Diskussio-
nen“. Über Details der angeblich neuen
„kreativen Ideen“ schwieg sich das Ministe-
rium allerdings aus. Die US-Delegation er-
klärte ihre Bereitschaft, die Gespräche in
zwei Wochen fortzuführen. Die nordkorea-
nische Seite äußerte sich bislang nicht zu
möglichen weiteren Treffen.
Die Verhandlungen in der schwedi-
schen Hauptstadt waren die ersten seit
acht Monaten. Es handelte sich um Gesprä-
che auf der Arbeitsebene, die beiden politi-
schen Führer Kim Jong-un und Donald
Trump, die sich zuletzt im Juni kurz an der
innerkoreanischen Grenze getroffen hat-
ten, waren nicht zugegen. Kim und Trump
hatten zuvor zwei Gipfeltreffen abgehal-
ten, beim ersten Gipfel im Juni 2018 in Sin-
gapur war es zu einer vagen Erklärung
über eine Denuklearisierung der koreani-
schen Halbinsel gekommen. Bislang aber
gibt es kaum konkrete Resultate, ein zwei-
ter Gipfel in Hanoi im Februar diesen Jah-
res endete ebenfalls ergebnislos.


Nordkorea bestätigte zudem am vergan-
genen Donnerstag den Test einer neuen
Art von ballistischer Rakete. Es war der elf-
te Raketentest des Regimes in diesem Jahr,
Experten legten ihn nach den vorherigen
Tests von Kurzstreckenraketen als Eskala-
tion aus: Die neue Rakete, die Atomwaffen
tragen kann, scheint auch darauf ausge-
legt zu sein, von U-Booten aus zu starten.
Das würde den Radius für nordkoreani-
sche Nuklearangriffe weit ausdehnen.
US-Präsident Donald Trump hatte die
jüngsten Raketentests im Vorfeld der
Stockholmer Gespräche ignoriert. Trump
erstaunt Experten immer wieder mit sei-
nen optimistischen Einschätzungen seiner
„exzellenten Beziehung“ zu Nordkoreas
Diktator Kim Jong-un, von dem er biswei-
len „wunderschöne Briefe“ erhalte. Einen
Deal über das Atomprogramm Nordkoreas
erhofft sich Trump offenbar auch deshalb,
weil er glaubt, damit innenpolitisch punk-
ten zu können. Zuletzt attackierte John Bol-
ton den Ansatz Trumps als naives Wunsch-
denken: Die Nordkoreaner würden freiwil-
lig nie genug aufgeben, als dass Verhand-
lungen sinnvoll wären, sagte der ehemali-
ge Sicherheitsberater des Präsidenten ver-
gangene Woche in Washington. Nordkorea
wünscht sich ein Ende der Wirtschafts-
sanktionen, die USA beharren jedoch bis-
lang darauf, das totalitär regierte Land
müsse zuerst beweisen, dass es ihm mit ei-
nem Stopp der Atomwaffenproduktion
ernst sei.
Einen Tag nach dem Abbruch der Ge-
spräche mit den USA tauschte Nordkoreas
Machthaber Kim Jong-un herzliche Noten
mit Chinas Parteichef Xi Jinping aus. Nord-
korea und China verbinde eine „unbesieg-
bare und unsterbliche Freundschaft auf
dem Weg zur Verwirklichung des Sozialis-
mus“, hieß es in einer Botschaft Kims an Xi
anlässlich des 70. Jahrestags der Aufnah-
me diplomatischer Beziehungen zwischen
beiden Staaten. kai strittmatter


von christiane schlötzer

Athen– Von Alexandroupolis, ganz im
Nordosten Griechenlands, ist es nicht weit
bis zur türkischen Grenze. Die Stadt hat we-
niger als 60 000 Einwohner und war auf
den Karten touristischer Quartiermacher
bislang ein weißer Fleck. Aber sie hat einen
Hafen mit einem 500 Meter langen Contai-
nerpier. Dieser Hafen spielt nun eine zen-
trale Rolle in der neuen Militärkooperation
zwischen Griechenland und den USA.
Die Vereinbarung wurde am Samstag in
Athen bei einem Besuch von US-Außenmi-
nister Mike Pompeo unterzeichnet. Der
pries Griechenland als „Stabilitätsfaktor“
in einer von Krisen erschütterten Region,
in der auch die USA strategische Interes-
sen hätten. Pompeo nannte das östliche
Mittelmeer und den Balkan. Griechen-
lands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis
sprach von einem „neuen Kapitel“ in den
gegenseitigen Beziehungen.

Eigentlich hatte sich das Verhältnis zwi-
schen Washington und Athen schon zu Zei-
ten der Linksregierung von Alexis Tsipras
deutlich verbessert – parallel zur Ver-
schlechterung der amerikanisch-türki-
schen Beziehungen. Tsipras hatte sich da-
für vom linken griechischen Antiamerika-
nismus verabschiedet. Auch das Prespa-
Abkommen, für das Pompeo jetzt Athen
noch einmal lobte, hatte Tsipras durchge-
setzt. Es beendete den Jahrzehnte alten Na-
mensstreit mit dem Nachbarn und Nato-
Anwärter Nordmazedonien. Mitsotakis’
konservative Partei hatte „Prespa“ teils ve-
hement bekämpft. Seit die Konservativen
aber im Juli die Wahlen gewonnen haben,
ist ihre Kritik daran verstummt.
Pompeo bestritt einen Zusammenhang
zwischen dem neuen Militärabkommen
der beiden Nato-Länder und den Spannun-
gen mit dem Nato-Mitglied Türkei. „Wir ha-
ben diese Vereinbarung geschlossen, weil
sie im besten Interesse von Griechenland
und den USA ist“, sagt er bei einem Auftritt
im Athener Niarchos-Kulturzentrum. Ne-
ben dem Hafen von Alexandroupolis dür-
fen die USA künftig auch zwei Flughäfen in
Mittelgriechenland bei Larissa nutzen. Der
schon existierende Marine- und Luftwaf-

fenstützpunkt am Golf von Souda auf Kre-
ta wird ausgebaut. Auch an enger wirt-
schaftlicher Zusammenarbeit sei Washing-
ton interessiert, sagte Pompeo. Die Regie-
rung von Mitsotakis hat ein betont investi-
tionsfreundliches Klima versprochen, sie
will viele Staatsbetriebe privatisieren.
Auch der Hafen von Alexandroupolis
stand ganz oben auf der Privatisierungslis-
te. Diese Pläne dürften wegen der Militär-
kooperation „auf Eis gelegt werden“, ver-
mutet die ZeitungKathimerini, zumal der
Hafen auch für die Energieinteressen der
USA große Bedeutung habe. Er liegt nah
zur Trans-Adria-Erdgaspipline (TAP), die
von2020 an – im Anschluss an die Trans-
anatolische Pipeline (Tanap) von Aserbai-

dschan durch die Türkei – Gas über Grie-
chenland und Albanien nach Italien brin-
gen und die Abhängigkeit Europas von rus-
sischem Gas verringern soll. Zudem ist in
Alexandroupolis der Bau einer Anlage zur
Produktion von Flüssiggas geplant, zum
Export auf den Balkan. Auch hier treffen
sich griechische und amerikanische Inter-
essen.
Pompeo nannte den Balkan „eine Regi-
on von strategischem Wettbewerb“. Athen
sollte auch hier, „schlechtem russischen
Einfluss“ Einhalt gebieten. Pompeo warn-
te ebenso vor chinesischen Investitionen
in Infrastrukturprojekte in Europa. Grie-
chenland hat allerdings bereits Piräus, sei-
nen größten Container- und Passagierha-

fen, mit einer Langzeitkonzession an den
chinesischen Konzern Cosco vergeben. Pi-
räus gilt als europäischer Ausgangspunkt
der von Peking geplanten „Neuen Seiden-
straße“. Danach gefragt, sagte Pompeo: Pe-
king locke „mit billigem Geld“, hinterlasse
aber häufig halb fertige Projekte: „Wir wol-
len nicht, dass sie das Eigentum der Grie-
chen stehlen.“
Der griechische Außenminister Nikos
Dendias nannte das Abkommen auch eine
Sicherheitsgarantie für Athen. Er verwies
auf die umstrittenen Gasbohrungen der
Türkei vor Zypern. Pompeo sagte, illegale
Bohrungen seien nicht akzeptabel. Südlich
von Zypern werden große Erdgasvorkom-
men vermutet. Energiekonzerne bohren

bereits im Auftrag der Regierung der grie-
chisch geprägten Republik Zypern. Die Tür-
kei verweist auf die fehlende Zustimmung
der türkischen Zyprer und begründet da-
mit die Entsendung eigener Bohrschiffe in
die Gewässer um Zypern. Pompeo, offen-
bar bemüht, diesen Konflikt rhetorisch
nicht weiter anzuheizen, riet allen Beteilig-
ten zur Suche nach einem Kompromiss.
Bei einer Demonstration der kommunis-
tischen Gewerkschaft Pame gegen den
Pompeo-Besuch in Athen wurde eine US-
Fahne verbrannt, Farbbeutel flogen auf ei-
ne Statue von Ex-Präsident Harry S. Tru-
man. Die Polizei ging gegen einzelne Ge-
walttäter vor, über dem Zentrum der Stadt
hing für Stunden eine Tränengaswolke.

Rom –Diesmal erstrahlte der Petersdom
nicht nur in den Farben der Gardistenuni-
formen und der Gewänder von Bischöfen
und Kardinälen, die schon allein sehr bunt
sind. In den hinteren Reihen fielen auch
Kopfschmuck in ungewohnten Farbvariati-
onen auf, Gesichtsbemalungen, Batikklei-
der: Tupfer aus einer fernen Welt, die nun
für drei Wochen im Zentrum der Aufmerk-
samkeit stehen soll. So jedenfalls wäre es
dem Papst lieb, der am Sonntag mit seiner
Messe eine dreiwöchige Sondersynode er-
öffnete. Sie trägt den etwas umständlichen
Titel „Amazonien: neue Wege für die Kir-
che und eine gesamtheitliche Ökologie“.

Die Teilnehmer sollen über Wege bera-
ten, wie einerseits der Regenwald, die „grü-
ne Lunge des Planeten“, vor der Zerstörung
gerettet werden kann und andererseits die
politischen wie die spirituellen Rechte indi-
gener Völker in den zugehörigen neun Län-
der besser geschützt werden können. Ihre
Erkenntnisse fließen dann in ein Schluss-
dokument, das dem Papst unterbreitet
wird. Es hat keine Bindewirkung. Franzis-

kus sprach nun vom „Feuer Gottes“, das er-
neuere und zusammenbringe, während
das „Feuer der Menschen“ nur verbrenne.
Er erinnerte dabei an die Brandrodungen
im August, sie würden „zerstörerischen In-
teressen“ dienen: „Gott bewahre uns vor
der Gier neuer Kolonialismen!“
Die Kirche sei nicht im Status Quo gefan-
gen, sagte der Papst, sie dürfe nicht zag-
haft sein: „Sie ist immer unterwegs.“ Die
Worte hörten sich wie ein Aufruf zu Refor-
men an. Sie galten auch seinen internen
Kritikern, zu denen einige hohe Würdenträ-
ger gehören. Sie werfen dem Papst vor, er
benutze diese Synode dafür, die Rolle der
Frau neu zu justieren und das Zölibat auf-
zuweichen. Tatsächlich ist vorgesehen,
dass in den kommenden Wochen auch dar-
über gesprochen wird, ob in entlegenen Ge-
bieten Amazoniens, wo die Kirche Perso-
nalnöte plagen, in Zukunft auch „Viri pro-
bati“ zu Priestern geweiht werden können:
Gemeint sind betagte, angesehene Famili-
enväter mit ausgewiesenem Glauben. Für
Franziskus’ Rivalen ist allein das Ansinnen
häretisch, sie drohen mit einem Schisma.
Am Samstag hat der Papst dreizehn
neue Kardinäle ernannt, die das Gewicht
der Opposition weiter eindämmen dürf-
ten. Zehn von ihnen sind noch nicht 80 Jah-
re alt und wären damit beim nächsten Kon-

klave wahlberechtigt, so denn bald eine
Papstwahl fällig würde. Mit diesem neuerli-
chen Konsistorium hat Franziskus nun 67
stimmberechtigte „Prinzen der Kirche“ be-
stimmt, wie die Purpurträger auch ge-
nannt werden – bei insgesamt 128. Die
„Bergoglianer“ sind im Wahlgremium nun

also erstmals in der Mehrheit. Von den Kar-
dinälen, die Franziskus’ Vorvorgänger Jo-
hannes Paul II. berief, sind bald nur noch
elf wahlberechtigt. Aus den Reihen jener,
die Benedikt XVI. ernannte, sind es 43.
Wie bei jedem Papst, der eine Weile re-
giert hat, heißt es nun auch bei Franziskus,

er sorge mit seiner Personalpolitik für eine
Fortsetzung seines Vermächtnisses. Und
natürlich ist diese Sicht unter seinen Kriti-
kern besonders verbreitet. Unbestreitbar
ist, dass der Argentinier die Zusammenset-
zung des Kardinalskollegium in den ver-
gangenen Jahren stark geprägt hat. Es ist
nun weniger eurozentrisch, dafür universa-
listischer, auch asiatischer und afrikani-
scher. Dazu ist die Zahl jener Kardinäle ge-
wachsen, die aus der Missionsarbeit kom-
men und Bergoglios Bekenntnis spiegeln,
an die „Peripherie“ gehen zu wollen, die
geografische wie die existenzielle.
In Italien, das jetzt mit 23 Kardinälen
fünf Wahlmänner weniger stellt als beim
Konklave von 2013, wird die Ernennung
des Erzbischofs von Bologna wie ein poli-
tisch relevantes Ereignis begangen: Der Rö-
mer Matteo Maria Zuppi, 63 Jahre alt, war
im Dienst der katholischen Laiengemein-
schaft Sant’Egidio groß geworden und hat
sich jahrzehntelang für Arme und Migran-
ten in den römischen Vorstädten einge-
setzt. In jüngerer Vergangenheit geriet Zup-
pi oft mit der italienischen Rechten anein-
ander, zumal mit der Lega von Matteo Sal-
vini. Er gilt nun als Idealtypus des bergog-
lianischen Kardinals – und als möglicher
Anwärter auf die Nachfolge.
oliver meiler  Seite 4

8 HF2 (^) POLITIK Montag,7. Oktober 2019, Nr. 231 DEFGH
US-Außenminister Pompeo lobt
die Regierung für eine Politik, die
deren linke Vorgänger anstießen
Außenposten an der Ägäis
Washingtonund Athen wollen künftig enger zusammenarbeiten. Ein neue Übereinkunft erlaubt es den USA, weitere Stützpunkte
in Griechenland zu nutzen und sich so dem Einfluss anderer Mächte auf die Region entgegenzustellen. Doch das kommt nicht überall gut an
Neue Wege für die Kirche will Papst Franziskus bei der Amazonien-Synode in Rom
beschreiten. FOTO: ANDREW MEDICHINI/DPA
„Gott bewahre uns vor der Gier neuer Kolonialismen!“
Wortgewaltig eröffnet der Papst die Amazonien-Synode. Einige Themen dort missfallen Franziskus-Kritikern in der Kurie ebenso wie dessen Personalpolitik
Trump erstaunt Experten immer
wieder mit seiner optimistischen
Haltung gegenüber Kim Jong Un
Die Konservativen im Vatikan
warnen vor
einer Aufweichung des Zölibats
In Griechenlands Hauptstadt Athen protestierten linke Demonstranten gegen den Besuch von US-Außenminister Mike Pompeo. FOTO: LOUISAGOULIAMAKI/AFP
Zwei Länder,
zwei Meinungen
Nordkorea und die USA bewerten
Atomgespräche höchst konträr
Ein Angebot der Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Str. 8, 81677 München.
Die Süddeutsche Zeitung begleitet die Konzertsaison des Münchener Kammerorchesters mit einer Gesprächs reihe
über Wärme und Kälte, Überhitzung und Unterkühlung in Politik und Gesellschaft. Im Auftaktgespräch diskutieren
der frühere CSU-Vorsitzende und Finanzminister Theo Waigel und der Chefdirigent des MKO Clemens Schuldt mit
SZ Außenpolitik-Chef Stefan Kornelius 30 Jahre nach dem Mauerfall über geopolitische Turbulenzen und die neue
globale (Un-)Ordnung.
Termin: 17. Oktober 2019 | 18.30 Uhr | Prinzregententheater
Der Eintritt ist kostenlos. Die Eintrittskarten für das anschließende Konzert sind erhältlich über das
Münchener Kammerorchester, Abonnement- und Kartenservice, [email protected] oder Tel. 089.46 13 64 30.
Eine Welt im Umbruch
Die Wärme-Saison 2019/
© Sammy Hart
Stefan Kornelius
© Marco Borggreve
Theo Waigel Clemens Schuldt

Free download pdf