Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1
Bert Fröndhoff, Katharina Kort
Düsseldorf, New York

I


m offiziellen Kalender des Gerichts in
St. Louis/Missouri ist der Prozess noch fest
terminiert: Kommende Woche Dienstag
will Richter Michael Kellan Mullen um acht
Uhr morgens die nächste Runde in der auf-
sehenerregenden Prozesswelle um den Unkraut-
vernichter Roundup eröffnen, der den umstritte-
nen chemischen Wirkstoff Glyphosat enthält.
Dem Bayer-Konzern wollten die Klägeranwälte
den nächsten Schlag versetzen. Drei Prozesse ha-
ben sie in erster Instanz gewonnen, dreimal wurde
Bayer als Besitzer von Monsanto zu Schadenser-
satzzahlungen bis zu 80 Millionen Dollar verurteilt.
Monatelang hatte die New Yorker Kanzlei Weitz Lu-
xenberg mit ihrem Mandanten den für den 15. Ok-
tober avisierten Prozess vorbereitet.
Doch dazu wird es nicht kommen. Denn das Ver-
fahren wird in das kommende Jahr verschoben,
wie der Chefverhandler zwischen Bayer und den
Klägeranwälten, Kenneth Feinberg, dem Handels-
blatt bestätigte. „Nach Vereinbarung beider Seiten
wird der Prozess auf ein Datum Anfang 2020 ver-
tagt werden“, stellte Feinberg in einem Statement
per E-Mail klar. Das Gericht wird dem folgen.
Die Verschiebung ist ein weiterer Beleg dafür,
dass Bayer und die Anwälte der Kläger auf einen
baldigen außergerichtlichen Vergleich zusteuern.
Zwei Prozesse sind zuvor von den Gerichten be-
reits in den Januar 2020 geschoben worden. Damit
soll beiden Seiten Raum und Zeit für eine Einigung
gegeben werden. Ein weiteres Gefecht vor Gericht
hätte die Gespräche nur belastet.
Feinberg ist der gerichtlich bestellte, unabhängi-
ge Mediator, der die Chancen eines außergerichtli-
chen Vergleichs ausloten soll und die Verhandlun-
gen zwischen den Parteien führt. Der 73-jährige Ju-
rist ist Experte: Mit einem Fonds für US-Soldaten,
die in Vietnam durch Agent Orange erkrankten,
wurde er berühmt. Später handelte er Entschädi-
gungen für die Opfer der Umweltkatastrophe
durch die Bohrinsel Deepwater Horizon und der
Terrorangriffe vom 11. September 2001 in den USA
aus. Auch bei Volkswagen wurde er gerufen, um im
Dieselskandal die Entschädigung festzulegen.
Zum Stand der Gespräche im Fall Glyphosat will
sich Feinberg nicht äußern. „Die globalen Ver-
gleichsverhandlungen laufen weiter“, schrieb er. In
Kreisen der beteiligten Parteien hieß es, ein Ter-
min für eine Einigung stehe nicht fest, es könnte je-
doch schon Ende Oktober Neuigkeiten geben.

Marketingmaschine läuft


Es wäre eine Überraschung, wenn die streitenden
Parteien im Verfahren um die mögliche Krebswir-
kung des Monsanto-Mittels Glyphosat bereits dann
einen detailliert ausgefertigten Vergleich samt
Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe vorle-
gen könnten. Experten erwarten dies frühestens
Anfang nächsten Jahres. Doch schon die grundsätz-
liche Aussicht auf Einigung wäre ein wichtiges Sig-
nal, auf das viele Bayer-Anteilseigner warten.
Investoren würden es begrüßen, wenn Bayer
sich des Rechtskomplexes Glyphosat mit einem
Vergleich entledigen könnte. Denn die Verfahren
lasten wie Blei auf der Aktie. Analysten sehen ein
Kurspotenzial von bis zu 30 Prozent, wenn der
Konzern die Causa zu annehmbaren Bedingungen
aus der Welt schafft. Derzeit schlummert die Aktie
bei 62 Euro. Unter annehmbar fällt selbst ein Ver-
gleich, der Bayer umgerechnet zwischen fünf und
zehn Milliarden Euro kosten würde. Bayer will sich
nicht zu den aktuellen Gesprächen über einen Ver-
gleich äußern. Der Konzern hat aber immer zugesi-
chert, diese konstruktiv anzugehen.
Für die Klägeranwälte geht es derzeit vor allem
um eines: Sie wollen möglichst viele weitere Klagen
einwerben, um das Drohpotenzial gegenüber Bay-
er zu erhöhen und die Vergleichssumme zu erhö-
hen. Laut Branchenkreisen haben die Kanzleien
seit Beginn der Mediation ihre Marketingausgaben
noch einmal kräftig erhöht.
Wer in diesen Tagen in den USA den Fernseher
anschaltet, hat gute Chancen, auf einen Spot von
Anwaltskanzleien zu stoßen, die mutmaßliche Op-

fer des Unkrautmittels Roundup suchen. Da läuft
ein Hobbygärtner in Shorts und T-Shirt durchs
Bild, der das Gift unbekümmert vor seinem Haus
sprüht. Oder es liegt ein bleicher Mann im Kran-
kenhausbett. „Haben auch Sie Roundup benutzt
und leiden heute an einem Non-Hodgkin-Lym-
phom?“, fragt eine Stimme im Hintergrund. „Dann
könnten Sie Anspruch auf erheblichen Schadenser-
satz haben. Rufen Sie jetzt an!“
Im Hintergrund leuchten die roten Zahlen „
Millionen“, eine Summe, die Gerichte einzelnen
Klägern bislang zugesprochen haben. Während der
Werbepausen bei den letzten Baseball-Spielen der
Saison liefern sich gleich mehrere Anwaltskanzlei-
en einen Wettbewerb um Mandanten.
„1-800-CALL-KEN“ oder andere Nummern stehen
rund um die Uhr bereit, um die Daten der mögli-
chen Kläger aufzunehmen.
Auch Bayer ist nicht untätig. Wer auf Google „TV
ads for roundup law suits“ sucht, bekommt an
zweiter Position eine Anzeige von Bayer mit dem

Titel: „US News – EPA: Glyphosate – Does not cause
cancer“. Doch die Kampagnen der Bayer-Gegner
haben eine durchschlagendere Wirkung. Die bisher
gegen Bayer in erster Instanz verhängten Schadens-
ersatzzahlungen haben nach Einschätzung von Ex-
perten Tausende neue Kläger angelockt. Der Fall
ist für jeden attraktiv, der an Lymphdrüsenkrebs
erkrankt ist und jemals Roundup eingesetzt hat.
In den Kreisen heißt es, dass die Zahl der an-
hängigen Klagen gegen Bayer/Monsanto mitt-
lerweile bei deutlich mehr als 20 000 liegt.
Der Leverkusener Konzern hatte zuletzt –
Stand 11. Juli 2019 – von 18 400 Klagen be-
richtet. Das Interesse der Klägeranwälte
ist klar: Sie wollen die Zahl möglichst
hochtreiben, weil dies den Druck ver-
stärkt – und weil so die absehbare Ver-
gleichssumme steigt. Die Kanzleien erhalten
bis zu 30 Prozent dieser Summe als Honorar.
Bei einer Einigung auf zehn Milliarden Dollar
wären dies also drei Milliarden Dollar.

Endspiel um

Glyphosat

Der nächste US-Prozess um die Gesundheitsgefahren


des Unkrautvernichters wird vertagt. Die Zeichen


zwischen Bayer und den Klägern stehen auf Einigung.


Gewächshäuser von
Monsanto: Der Un-
krautvernichter der
Bayer-Tochter sorgt
für viele Klagen.

Werner Baumann:
Der Bayer-Chef
hofft auf einen
Vergleich.

Bayer AG

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MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192


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