Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1

Jens Koenen Frankfurt


T


ui-Chef Friedrich Joussen
will nach dem Scheitern
des Rivalen Thomas
Cook nicht tatenlos zu-
schauen, wie der Markt
neu verteilt wird. Nach Informatio-
nen des Handelsblatts kann sich Jous-
sen vorstellen, der Airline-Tochter
Tuifly die notwendigen Mittel für den
Aufbau einer eigenen touristischen
Langstrecke zur Verfügung zu stellen.
Das geht aus einer internen Informa-
tion der Arbeitnehmervertreter im
Tuifly-Aufsichtsrat hervor, die dem
Handelsblatt vorliegt.
„Wir möchten Euch erfreut darü-
ber berichten, dass der Tui-Konzern
unserer Tuifly eine Expansion er-
möglichen und finanzieren möchte“,
heißt es in dem Schreiben. Und wei-
ter: „Dies beinhaltet auch einen um-
fangreichen Markteintritt im Lang-
streckenverkehr mit modernen Flug-
zeugen Boeing 787.“ Die Zusage ist
allerdings an eine wichtige Bedin-
gung geknüpft: Die Arbeitnehmer
müssen dem Management beim The-
ma Kosten Zugeständnisse machen.
„Uns als Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern der Tuifly muss ganz unmiss-
verständlich klar sein, dass der Mut-
terkonzern Tui im Gegenzug (...)
durch höhere Produktivität der Tui fly
Kostenentlastungen verlangt“, schrei-
ben die Arbeitnehmervertreter.
Ein Sprecher von Tuifly bestätigte
auf Anfrage, dass es entsprechende
Überlegungen gebe. In der Vergan-
genheit habe es immer wieder das
Angebot gegeben, weiteres Wachs-
tum bei entsprechender Kostenent-
lastung zu finanzieren. Bisher sei das
aber an der Umsetzung einer höhe-
ren Produktivität gescheitert. Zu wei-
teren Details wollte sich der Sprecher
nicht äußern.
Aus dem Unternehmensumfeld ist
aber zu hören, dass schon in der
kommenden Woche mit den Arbeit-
nehmervertretern erste Gespräche
über eine mögliche Expansion ge-
führt werden sollen. „Das Aus von
Thomas Cook sowie die Digitalisie-
rung sorgen für einen nie da gewese-
nen Marktumbruch, der ganz neue
Antworten erfordert, auch auf Mitar-
beiterseite“, sagt eine Führungskraft
des Unternehmens.

Attraktive Offerte
Man stehe der Offerte positiv gegen-
über, heißt es in Belegschaftskreisen.
Auch deshalb, weil es wohl nicht um
Dinge wie Entgeltkürzungen gehen
soll. Das Management hat vor allem
eine höhere Produktivität etwa des
fliegenden Personals im Sinn. „Die
Karotte war noch nie so nah und
frisch“, sagt ein Mitarbeiter von Tui -
fly. Die Aussicht, auf die Langstrecke
gehen zu können, ist gerade für Pilo-
ten attraktiv.
Der Langstreckenjet 787 ist im Tui-
Reich zwar bereits im Einsatz. Die 17
Flugzeuge sind allerdings bisher dem
britischen Ableger vorbehalten und
werden ausschließlich in Großbritan-
nien, den Niederlanden und Belgien
eingesetzt. Eine eigene Langstrecke
aus Deutschland heraus wäre für Tui
und Tuifly ein Novum.
Nach der Pleite von Thomas Cook
muss sich der Markt neu sortieren –
auch im Luftfahrtbereich. Die deut-
sche Thomas-Cook-Tochter Condor
fliegt zwar weiter. Sie braucht aber ei-
nen Investor. Bislang ist unklar, ob
und in welchem Umfang dieser auch
an der Langstrecke von Condor Inte-
resse haben wird.
Gleichzeitig fürchten Reiseveran-
stalter wie DER Touristik, FTI,
Schauinsland oder Alltours, künftig

mehr oder minder von einer Airline
abhängig zu sein, die die Preise dik-
tieren kann: Eurowings. Eine stärke-
re Tuifly wäre für die Reisebranche
eine attraktive Alternative. Entspre-
chend könnte Tuifly auf Unterstüt-
zung zahlreicher Urlaubsveranstalter
hoffen.
Vor allem, weil die Digitalisierung
und ein neues Konsumentenverhal-
ten den Markt massiv verändern. Fest
gebündelte Reisepakete sind immer
weniger gefragt. Die Reisenden wol-
len sich im Internet selbst ihre Pau-
schalreise zusammenstellen – aus ei-
ner Vielzahl von Optionen. Das erfor-
dert umfangreiche Partnerschaften
in der Reiseindustrie. Ein einzelner
Veranstalter kann gar nicht alle Ange-
bote selbst vorhalten.
Doch nicht nur strategisch spricht
vieles für eine Expansion auf die
Langstrecke. Mit dem Angebot
„Wachstum gegen niedrigere Kosten“
könnten die Topmanager von Tui
und Tuifly auch eine seit Jahren be-
lastende Situation bereinigen: die zu
teure Produktion bei Tuifly. In der
Vergangenheit gab es immer wieder
Versuche, das Thema anzugehen,
doch sie scheiterten.
Dieses Mal könnte der Vorstoß da-
gegen funktionieren. Auch die Arbeit-
nehmervertreter räumen in ihrem
Schreiben offen ein: „Wir dürfen an
dieser Stelle nicht die Augen davor
verschließen, dass unsere Tuifly seit
Jahren bei Marktpreisen defizitär ist.“
Und mit Verweis auf die jüngsten Air-
line-Insolvenzen heißt es: „Langfris-
tig prosperierende Tarifverträge sind
nur in einem prosperierenden Unter-
nehmen garantiert.“

In Frankreich stellten XL Airways
und Aigle Azur ihren Betrieb ein, in
Slowenien musste Adria Airways In-
solvenz anmelden. Scott Hamilton
vom Fachportal „Leeham News“
spricht bereits von einem „europäi-
schen Blutbad“. Ursache sind die im-
mer noch existierenden Überkapazi-
täten. Zwar haben Airlines ihre Kapa-
zitäten in Deutschland in den
zurückliegenden Monaten etwas zu-
rückgefahren. Das zeigt der Global
Aviation Monitor des Deutschen Luft-
und Raumfahrtzentrums (DLR).
Doch an anderer Stelle tobt der Wett-
bewerb erbitterter denn je.
So wird etwa Wien zunehmend
zum „Schlachtfeld“ der Billiganbie-
ter. Dort kündigte Ryanair an, mit sei-
ner Tochter Lauda die Konkurrenz
im kommenden Sommer mit zahlrei-

chen neuen Jets und Dumpingprei-
sen aus dem Markt fliegen zu wollen.
„Airlines werden immer noch
durch die Jagd nach Marktanteilen ge-
trieben. Das führt zwangsläufig zu
Überkapazitäten“, sagt Philipp Goede-
king vom Beratungsunternehmen Avi-
nomics aus Frankfurt. Hinzu kommt
die Fragmentierung des Marktes. „In
den USA ist die Situation ganz anders.
Da haben die Airlines seit etwa 2012
massiv Kapazität angepasst und kon-
solidiert. Und das ist der Branche dort
sehr gut bekommen“, so Goedeking.
Tuifly bleibt allerdings nur wenig
Zeit, über eine eigene Langstrecke zu
entscheiden. Intern ist von einem
Zeitfenster bis maximal Jahresende
die Rede. Sollte Tuifly zum Beispiel
im Winter 2020/21 mit dem Langstre-
ckenbetrieb starten, müsste jetzt die
Anschaffung der entsprechenden
Flugzeuge eingeleitet werden. Gleich-
zeitig muss man potenziellen Part-
nern wie DER Touristik oder Schau-
insland bald signalisieren, dass Tuifly
als Airline-Partner künftig eine größe-
re Rolle spielen könnte.

Furcht vor Eurowings
Die Reiseveranstalter spielen bereits
eigene Ideen durch, um neben Euro-
wings einen zweiten Ferienfluganbie-
ter zu garantieren. So haben sich
DER Touristik und Schauinsland da-
zu bereit erklärt, im Fall der Fälle als
Investor bei Condor mit einzusteigen.
„Eine gesamthafte Übernahme von
Condor kann ich mir nicht vorstellen.
Eine anteilige Beteiligung würde ich
aber nicht grundsätzlich ausschlie-
ßen“, so Ingo Burmester, der für Zen-
traleuropa zuständige Topmanager
von DER Touristik.
Auf Arbeitnehmerseite weiß man
um den Zeitdruck und wirbt kräftig
für die Offerte des Managements.
„Wir sind mittlerweile zu der Über-
zeugung gelangt, dass alle Beteiligten
auch im Tui-Konzernmanagement
aus den Fehlern der Vergangenheit
(...) gelernt haben und unserer Tuifly
ehrlich und vertrauensvoll eine wirk-
liche Chance auf Wachstum und Wei-
terentwicklung geben wollen“, heißt
es am Ende des Schreibens der Ar-
beitnehmervertreter im Aufsichtsrat
von Tuifly: „Für diesen Deal brau-
chen wir Euren Willen und Mut,
neue Wege zu gehen.“

Luftfahrt


Tuifly prüft


die Langstrecke


Die Tui-Airline expandiert unter der Bedingung,


dass ihre eigenen Mitarbeiter produktiver werden.


Tuiuiffly-Jet it im m
LanL deaanflnflug:ug:
Diedeeutsutscheche
Tui-Airlilinenekönkönntete
balb d ad auf ufderderLaLang-ng-
strstreckecke se startartenten..

Unsplash

Tuifly muss aufholen
Starts an deutschen Flughäfen

Lufthansa*


Eurowings


Ryanair


Easyjet


Condor


Sun Express


Tuifly


Austrian Airlines


Fluggesellschaft
30 237

13 947


5 237


5 207


2 632


1 858


1 833


1 744


Starts im
September 2019
-0,

0,


-1,


-4,


-3,


19,


6,


12,


% % % % % % % %


Veränderung
zum Sept. 2018

HANDELSBLATT • *Kernmarke Quelle: Global Aviation Monitor/DLR

Tuifly ist seit


Jahrenbei


Marktpreisen


defizitär.


Arbeitnehmerbrief
Tuifly

Unternehmen & Märkte
MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192

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