Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1

Stephan Blank


„Auf dem Weg ins digitale Zeitalter“


Stephan Blank ist Projektleiter im Kom-
petenzzentrum Digitales Handwerk und
Referatsleiter für Digitalisierung im Zen-
tralverband des Deutschen Handwerks.

Warum tun sich viele Handwerksbetrie-
be schwer mit Digitalisierung?
Kundenbedürfnisse und Konsumverhal-
ten verändern sich, neue Wettbewerber
aus anderen Branchen machen mit digi-
talen Produkten und Services den Hand-
werkern das Geschäft streitig, sodass
auch Handwerksbetriebe ihre Geschäfts-
modelle überdenken müssen. Das stellt
viele Kleinunternehmen vor neue He-
rausforderungen. Denn so ein fünf- bis
sieben-Mann-starker Betrieb hat keinen
Chief Digital Officer (CDO), der diese
Dinge für ihn regelt.

Macht ein CDO in so kleinen Betrieben
überhaupt Sinn?
Die Organisationsstrukturen von Hand-
werksbetrieben lassen sich nicht mit de-

nen von Konzernen vergleichen. Den-
noch müssen wir die Digitalisierung im
Handwerk erfolgreich gestalten und die
Betriebe auf ihrem Weg ins digitale Zeit-
alter unterstützen.

Wie helfen Sie den Betrieben?
Beispielsweise mit einem Digitalisie-
rungscheck, um erst Mal den Status quo
zu ermitteln. Das Kompetenzzentrum
Digitales Handwerk empfiehlt, nach die-
ser ersten Bestandsaufnahme die Digita-
lisierungsmaßnahmen zu identifizieren,
die für den eigenen Betrieb geeignet
und tatsächlich sinnvoll sind.

Was sind die größten Schwierigkeiten
der Beratungsstellen?
Im deutschen Handwerk gibt es unge-
fähr 116 Berufsbilder: vom Bäcker über
Tischler bis hin zum Dachdecker. Jeder
Beruf bringt seine individuellen He-
rausforderungen mit. Der Fleischer
braucht ganz andere digitale Tools als

der Maurer. Selbst die Be-
statter zählen zum Hand-
werk. Wir bauen vor allem
auf individuelle Beratung und Di-
gitalisierung mit Augenmaß, die schon
in verschiedenen Betrieben Wirkung
gezeigt hat.

Wo gibt es branchenübergreifend die
größten Probleme im Handwerk?
So vielseitig das Handwerk auch ist, so
heterogen sind auch die jeweiligen be-
trieblichen Anforderungen und Struktu-
ren in den einzelnen Gewerken. Der Di-
gitalisierungsgrad ist nicht in allen Ge-
werken gleich weit vorangeschritten. Sie
ist für das Handwerk eine Chance. Zur
Herausforderung wird sie insbesondere
bei der Umsetzung. Das liegt auch an
den im Handwerk vorherrschenden
kleinbetrieblichen Strukturen und an
fehlender Digitalkompetenz sowie feh-
lenden Ressourcen. Externe Unterstüt-
zung ist daher unerlässlich.

Sind digitaler aufgestellte
Betriebe ansprechender für
potenzielle Nachwuchskräfte?
Der handwerkliche Nachwuchs
nutzt digitale Tools ganz selbstverständ-
lich im Alltag und möchte auch im Be-
rufsleben nicht darauf verzichten. Kei-
ner von ihnen will analoge Stundenzet-
tel ausfüllen – da fängt es schon an. Des-
halb raten wir den Betrieben stets dazu,
sich digitaler aufzustellen, damit sich ge-
nug Bewerber für sie interessieren.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass diese
Maßnahmen ausreichen?
Digitalisierung ist ein iterativer Prozess
und das deutsche Handwerk ist auf ei-
nem guten Weg. Ein gutes Viertel der et-
wa eine Million Handwerksbetriebe in
Deutschland hat in den vergangenen
zwei Jahren Digitalisierungsmaßnahmen
umgesetzt.

Die Fragen stellte Fulya Cayir.


Der Handwerksberater empfiehlt individuelle Konzepte für jeden Betrieb.


Fulya Cayir Hamburg, Oldenburg


B


ekommen wir jetzt alle
iPads?“, scherzten die
Mitarbeiter unsicher, als
ihr Chef Reyno Thor-
mählen ihnen die Digita-
lisierungsoffensive in seinem Betrieb
für Blitzschutz und Elektrotechnik in
der Oldenburger Zentrale verkünde-
te. Tablets hat es für die meisten Mit-
arbeiter zwar nicht gegeben, aber sie
mussten einen sogenannten
„E-Check IT“ absolvieren. Das Kom-
petenzzentrum Digitales Handwerk
hat die Blitzschutzfirma als ersten
Handwerksbetrieb ausgezeichnet,
weil er sich gegen Hacker gewappnet
hat und eine ausgezeichnete Cybersi-
cherheit gewährt. Für Thormählen
war das der erste Schritt in Richtung
Digitalisierung, aber nicht der letzte.
Etwa 170 Kilometer weiter nordöst-
lich, in Hamburg-Bergedorf, sitzt der
Tischlereibetrieb Willy Curdt. Eike
Curdt ist seit 2012 Co-Geschäftsführer
des Familienunternehmens in dritter
Generation. Der große, schlaksige
Mann hat seitdem versucht, seine Fir-
ma zu digitalisieren – jedoch ohne
konkreten Plan. Schließlich hat er im
Rahmen der „go-digital“-Initiative
des Bundeswirtschaftsministeriums
einen externen Digitalberater enga-
giert. Seit Juni arbeiten seine 25 An-
gestellten mit einer komplett neuen

Software. Die Papierberge verschwin-
den nach und nach.
Was diese beiden handwerklichen
Unternehmen eint, ist vor allem die
Einstellung ihrer Mitarbeiter, die den
Begriff Digitalisierung gefürchtet ha-
ben. Oft schwebte der Gedanke mit,
Maschinen würden die Arbeitskraft
Mensch ersetzen. Vielen war die Vor-
stellung zuwider, ihren gewohnten
Arbeitsalltag zu verändern. Andere
haben nicht verstanden, warum ein
Firmenkonzept, das jahrzehntelang
auf analoge Prozesse gemünzt war,
plötzlich durch digitalisierte Abläufe
Optimierung erfahren sollte.
Weder Reyno Thormählen noch
Eike Curdt sind Ausnahmefälle im
deutschen Handwerk. Über 90 Pro-
zent der 3,7 Millionen Unternehmen
in Deutschland sind Solo- und Klein-
unternehmen, sagt Digitalberater
Uwe Matern aus Hamburg. Alle diese
Firmen beschäftigt derzeit branchen-
unabhängig ein Thema: die Digitali-
sierung. Meist sind die Geschäftsfüh-
rer mit den Fragen und Problemen
überfordert und brauchen externe
Unterstützung.
Matern ist auf kleine und mittel-
ständische Unternehmen speziali-
siert und für das Förderprojekt „go-
digital“ zertifiziert. „Es geht nicht nur
um Optimierung, sondern auch um

Transparenz bei den verschiedenen
Arbeitsschritten“, sagt er. „Eine ein-
zelne Person schafft es nicht, den
Workflow des gesamten Unterneh-
mens aufzubrechen – das gilt vor al-
lem für kleine und mittelständische
Unternehmen“, ist auch der Digital-
berater Philipp Wachter von Wachter
Digital Partners aus Köln überzeugt.
Thormählen ließ sich nicht von
den Ängsten seiner Mitarbeiter anste-

cken. Er konzentrierte sich auf ein
ganz konkretes Thema: Cybersicher-
heit. Bei einem Unternehmertreffen
bekam er mit, wie Hacker eine be-
nachbarte Firma gehackt hatten. Wo-
chenlange Umsatzverluste waren die
Folge. „Das hat meine Alarmglocken
aktiviert. Offenbar werden nicht nur
die Großen, wie Daimler oder Airbus,
Ziele von Hackern“, erinnert sich der
55-jährige Unternehmer.

E-Handwerk


Schluss mit der


Zettelwirtschaft


Die Digitalisierung setzt Handwerksbetriebe


unter Druck. Viele wissen nicht, in welchen


Bereichen Digitalisierung überhaupt sinnvoll


ist. Da hilft externe Unterstützung.


Tatort Werkstatt: Auch Handwerker fürchten inzwischen Hackerattacken.


E+/Getty Images

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PROZENT


der 3,7 Millionen
Unternehmen in
Deutschland sind
Kleinunternehmen,
die häufig mit der
Digitalisierung über-
fordert sind.

Quelle:
Digitalberatung
Uwe Matern

Fabian Zapatka

Der deutsche Mittelstand
MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192

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