Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1

Deshalb wollte Thormählen seine


Firma gegen Cyberangriffe wappnen.


Da unter anderem Siemens und


Volkswagen zu Thormählens Groß-


kunden gehören, schloss er eine Ver-


sicherung gegen Cyberkriminalität


ab: „Mit diesen Kunden vereinbaren


wir einzelvertraglich umfassende Da-


tenschutzklauseln. Kommt es zu ei-


nem Cyberangriff auf unsere IT, be-


nötigen wir eigene Experten, um ge-


gen die Rechtsabteilungen der


großen Dax-Konzerne zu argumentie-


ren“, sagt Thormählen.


Im Zuge seiner Recherche kam er


auf das Kompetenzzentrum Digitales


Handwerk und auf die sogenannte


Cyber-Checkliste, die etwa 200 Fra-


gen beinhaltet, darunter Erstmaß-


nahmen bei einem Hackerangriff, Da-


tensicherung und Mitarbeiterschu-


lungen. „Der Mitarbeiter ist eine


nicht zu unterschätzende Gefahren-


quelle. Er muss nur auf einen Link


klicken, der ihn per Mail erreicht hat


und schon ist das Tor für den Virus


geöffnet“, warnt Thormählen.


Potenzielle Cyberangriffe befürch-


tet der 20 Jahre jüngere Eike Curdt


nicht. Sein primäres Ziel: verschiede-


ne Arbeitsprozesse in seinem Tischle-


reibetrieb zu verschlanken. Er suchte


einen Digitalberater, der ihn bei sei-


nen Vorhaben unterstützt und auch


seine Mitarbeiter einbindet. „Da ich


nicht hundertprozentig wusste, was


mich erwartet, war es gut, dass ich


externe Hilfe hatte“, sagt Curdt.


Curdt wollte die Buchhaltung digi-


talisieren, damit er seinem Steuerbe-


rater nicht monatlich einen Papier-


stapel übergeben muss. Seine Ange-


stellten sollten wissen, wie ihre


Arbeitswoche geplant ist, ohne dafür


zwischen unzähligen Zetteln nach


Aufträgen zu suchen. Ihm war wich-


tig, dass die Kommunikation transpa-


renter wird, ohne dass das Team


stundenlang über alle Schritte spre-


chen muss. Künftig sollen die einzel-


nen Arbeitsschritte gebündelt in eine


Software integriert werden.


Im Zuge der „go-digital“-Initiative


hat Curdt eine App über Tablets oder


Smartphones in den Arbeitsalltag der


Mitarbeiter integriert. Es gibt zwar


noch Aufträge in Papierform, aber


die Zettel sind mit Scancodes verse-
hen. Diese Codes kann Curdts Mann-
schaft einscannen – so speichert die
Software wertvolle Informationen,
wie Arbeitszeit, Kostenstelle und den
konkreten Auftrag ab.
Curdt weiß nun per Mausklick, wo
sich welcher Mitarbeiter aufhält und
woran er arbeitet. Letztlich kann er
viel besser planen und Aufträge an-
nehmen. „Führt man sich vor Augen,
dass wir den Wechselprozess erst im
Juni eingeführt haben, sind wir ver-
gleichsweise schon sehr weit“, sagt
er. In erster Linie beträfe diese Neue-
rung die Monteure, die viel außer-
halb der Tischlerei arbeiten. Aber
auch in der Produktionshalle können
sich die Mitarbeiter über Terminals
ins System eintragen und sich ihren
Kostenstellen zuordnen.
Thormählen beschäftigt ebenfalls
Monteure, die außerhalb der Büros
arbeiten. Er hat probeweise eine klei-
ne Gruppe von ihnen mit Tablets aus-
gestattet, mit denen sie ihre Stunden
elektronisch auflisten können. Frü-

her gaben die Monteure ihre Zettel
im Büro ab, die die Mitarbeiter in der
Buchhaltung händisch abtippten.
Aber auch andere Bereiche hat die
Firma digitalisiert, wie etwa das Ab-
rechnungssystem.
Der Ingenieur hat eine Software für
Aufträge und ihre Bearbeitung inte-
griert, die mit der Buchhaltung elek-
tronisch kommunizieren kann. „Vor-
her gab es Insellösungen und wenn
Zettel verloren gingen oder die Mitar-
beiter aus verschiedenen Abteilungen
nicht kommuniziert haben, gab es
Probleme“, erklärt Thormählen. Mitt-
lerweile stünden alle Programme mit-
einander in Verbindung. „Die Digitali-
sierung der Zettelwirtschaft haben
wir vor drei Jahren angestoßen. Theo-
retisch müssten wir nichts mehr aus-
drucken“, sagt der 55-Jährige, „aber
ganz ehrlich: Manchmal tun wir es
immer noch.“ Wichtig sei, „dass die
älteren Mitarbeiter jüngere Kollegen
als Ansprechpartner haben“.
Ähnliche Erfahrungen hat auch
Curdt gemacht. „Vor dem Start des

Förderprogramms wussten meine
Mitarbeiter nicht einmal, wie sie eine
E-Mail archivieren“, erzählt der Mitt-
dreißiger. Wäre Curdt nicht in die Ge-
schäftsführung aufgestiegen, so ist er
überzeugt: Sein Vater wäre von selbst
nie auf das Förderprojekt „go-digital“
gestoßen. „Der Unternehmenssinn in
Deutschland ist stark veraltet“, findet
Curdt, „es gibt kaum Leute, die be-
stehende Betriebe übernehmen kön-
nen.“ Die meisten Inhaber seien 50
bis sogar vielleicht 70 Jahre alt.
Digitalberater Matern sieht die Sa-
che anders: „Das ist keine Altersfra-
ge, sondern des Management-Stils.
Wer nur einen Führungsstil kennt,
der auf Bewahren fokussiert ist, der
erkennt innovative Digitalisierungs-
prozesse nicht“, sagt er. Die Heraus-
forderung sei, sich einem neuen und
agilen Führungsstil zu öffnen.
Thormählen und Curdt versichern,
dass sie keine Arbeitsplätze streichen
wollen. „Ich will nur den Tageswahn-
sinn an Papierbergen minimieren“,
erklärt Curdt.

Kompetenzzentrum Digitales
Handwerk Das Förderprojekt der
Bundesregierung wurde im Jahr


2016 initiiert. Mittlerweile gibt es im
Rahmen dieser Initiative bundes-
weit 25 Kompetenzzentren, die


kleine und mittelständische
Betriebe bei der Digitalisierung kos-


tenfrei unterstützen. Das Kompe-
tenzzentrum Digitales Handwerk ist
an sieben Standorten vertreten und


konzentriert sich speziell auf die
Digitalisierung von Handwerksbe-
trieben. Sie arbeiten eng mit Hand-


werkskammern und -verbänden vor
Ort zusammen.


Go Digital Dieses Förderprogramm
des Bundesministeriums für Wirt-


schaft und Energie richtet sich an
kleine und mittlere Unternehmen
der gewerblichen Wirtschaft und an


das Handwerk. Zu den Leistungen
gehören auch Beratungsleistungen.
Darüber hinaus finanziert das För-


derprogramm technologische und
gesellschaftliche Entwicklungen im
Onlinehandel, die Digitalisierung


des Geschäftsalltags und die Cyber-
sicherheit, die bei der digitalen Ver-
netzung der Betriebe weiter in den


Fokus rücken. Der Förderumfang
beträgt maximal 30 Tage über einen


Zeitraum von sechs Monaten.


Förderprogramme


Vorher gab es


Insellösungen


und wenn


Zettel


verloren


gingen, gab


es Probleme.


Reyno Thormählen
Unternehmer

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Der deutsche Mittelstand
MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192


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