Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1

Geldpolitik


Ex-Notenbanker


kritisieren EZB


Mehrere frühere Top-Notenbanker warnen vor der lockeren


Geldpolitik – darunter Ex-Bundesbank-Präsident Schlesinger.


D


ie lockere Geldpolitik sorgt
nicht nur im EZB-Rat für
kontroverse Debatten, son-

dern auch bei ehemaligen Führungs-


kräften der Notenbank. In einem Me-


morandum kritisieren mehrere ehe-


malige Top-Notenbanker den Kurs


der EZB. „Als frühere Notenbanker


und europäische Bürger sehen wir


die anhaltende Krisenpolitik der EZB


mit wachsender Sorge“, heißt es in


einem Text, den unter anderem die


früheren EZB-Chefvolkswirte Jürgen


Stark und Otmar Issing, der frühere


Bundesbankchef Helmut Schlesinger


und Ex-Gouverneure der österrei-


chischen und niederländischen No-


tenbank unterschrieben haben. Die


beiden früheren Chefs der französi-


schen Notenbank, Christian Noyer
und Jacques de Larosière, haben das
Papier nicht unterzeichnet, teilen
laut Memorandum aber die Haltung.
„Die Punkte, die wir vorgebracht
haben, bereiten uns schon seit Län-
gerem Sorgen. Auslöser waren die
Entscheidungen im September“, sagt
Otmar Issing. Die EZB hatte dort eine
weitere Zinssenkung und die Neuauf-
lage ihres Anleihekaufprogramms be-
schlossen. Außerdem legte sie sich
stärker fest, die Zinsen noch länger
auf sehr niedrigem Niveau zu belas-
sen oder weiter zu senken.
Die ehemaligen Notenbanker zwei-
feln an der Wirksamkeit der Be-
schlüsse: „Es gibt breiten Konsens,
dass weitere Wertpapierkäufe durch

die EZB nach Jahren der quantitati-
ven Lockerung kaum positive Wir-
kungen auf das Wachstum haben“,
schreiben sie. Die geldpolitische Lo-
gik sei schwer verständlich. Hingegen
halten sie den Verdacht für zuneh-
mend begründet, „dass hinter der
Maßnahme die Absicht steht, hoch-
verschuldete Regierungen vor einem
Zinsanstieg zu schützen“. Aus ökono-
mischer Sicht habe „die EZB die

Grenze zur Finanzierung von Staats-
ausgaben schon überschritten“.
Auch die Zinssenkung halten die
ehemaligen Notenbanker für falsch.
Die EZB hatte beschlossen den Einla-
genzins für Banken, die überschüssi-
ge Liquidität bei ihr halten, von mi-
nus 0,4 auf minus 0,5 Prozent zu sen-
ken. Die Autoren argumentieren,
dass inzwischen die negativen Effek-
te der sehr niedrigen Zinsen die posi-
tiven Effekte überwiegen.
Kritik üben sie auch an der Festle-
gung der EZB auf niedrige Zinsen. In
ihrem Ausblick signalisiert die EZB,
dass sie die Zinsen erst erhöhen will,
wenn sich die Inflation im Euro-
Raum deutlich Richtung nahe zwei
Prozent entwickelt. Dadurch werde
ein Ausstieg aus der lockeren Geldpo-
litik „erheblich behindert“.
Zudem warnen die Autoren vor ei-
ner Neudefinition des Inflationsziels
der EZB. Laut Mandat ist die Noten-
bank zur Preisstabilität verpflichtet.
Die EZB sieht dies bei einer Inflation
von „unter, aber nahe zwei Prozent“
erfüllt. Die Autoren fürchten, dass
die EZB künftig Inflationsraten von
über zwei Prozent länger zulassen
könnte, weil die Inflation zuvor da-
runter gelegen hatte. Jan Mallien

EZB-Zentrale: Mitte
September hat die
Notenbank eine
weitere Lockerung
der Geldpolitik
beschlossen.

Marc-Steffen Unger

Kryptowährung


Paypal steigt bei


Libra aus


Der Zahlungsdienstleister


reagiert auf die Kritik an


Facebooks Kryptoprojekt.


Auch andere Libra-


Unterstützer zweifeln.


Jakob Blume, Astrid Dörner


Frankfurt, New York


R


ückschlag für Mark Zucker-
berg: Der Facebook-Chef ver-
liert einen prominenten Un-

terstützer seines Kryptowährungs-


projektes Libra. Der Zahlungsdienst-


leister Paypal bestätigte, sich aus


dem Kreis der Projektpartner zurück-


ziehen zu wollen. Zu den Gründen


äußerte sich Paypal jedoch nicht. Zu-


vor hatten US-Medien über Beden-


ken angesichts der massiven Kritik an


Libra berichtet.


Facebook will mit Libra ein Zah-


lungssystem für das Internetzeitalter


schaffen. Über die Währung und ihre


Reserven soll eine unabhängige Stif-


tung in der Schweiz wachen, die


auch die weitere Entwicklung des


Projekts koordinieren soll. Das Libra-


System würde also nicht von den


Zentralbanken kontrolliert, sondern


von den Partnern des Projekts. Die


„Libra Association“ mit Sitz in Genf


hatte das Unternehmen bereits vor


Monaten gegründet.


Paypal betonte, Libra trotz des


Ausstiegs weiter unterstützend ge-


genüberzustehen. Facebook bleibe


ein geschätzter strategischer Partner,


mit dem Paypal weiterhin in ver-


schiedenen Bereichen zusammenar-


beite. Facebook hatte bei der Vorstel-


lung von Libra im Sommer gut zwei


Dutzend namhafte Partner präsen-


tiert. Erste offizielle Mitglieder sollen


in den kommenden Wochen genannt


werden, erklärte der zuständige


Face book-Manager David Marcus.


Man sei dabei, „ruhig und selbstbe-


wusst“ die „berechtigten Bedenken“


gegenüber Libra anzugehen.


US-Medien zufolge überdenken je-
doch auch Visa, Mastercard und
Stripe wegen des starken politischen
Widerstands ihre Beteiligung an Li-
bra. Vergangene Woche trafen sich
die Libra-Mitglieder in Washington.
An dem Treffen haben laut US-Me-
dien vor allem Lobbyisten und Pres-
sesprecher der Mitgliedsunterneh-
men teilgenommen. Paypal sei bei
diesem Termin schon nicht mehr da-
bei gewesen, hieß es. Für den 14. Ok-
tober ist eine Mitgliedersitzung in
Genf geplant, bei der das Direktori-
um der Stiftung ernannt werden soll.
Zuckerberg hatte sich erst Ende
September mit Senatoren in Wa-
shington getroffen. Bei den Treffen,
die hinter verschlossenen Türen
stattfanden, soll Zuckerberg auch
versichert haben, Libra nur zu star-
ten, wenn die US-Aufseher grünes
Licht geben. Notenbanken, Aufseher
und Politiker haben starke Vorbehal-
te gegen Cyberdevisen wie Libra. Im
Juli forderte die Gruppe der sieben
führenden Industriestaaten (G7),
dass Digitalwährungen den höchsten
Aufsichtsstandards genügen müssen
und die Stabilität des Finanzsystems
nicht gefährden dürfen.
Facebook hatte jüngst Einwände
von Aufsehern zurückgewiesen, wo-
nach Libra in die Hoheit von Noten-
banken eingreifen könnte. Bei der Di-
gitalwährung werde kein neues Geld
ausgegeben, was Staaten vorbehalten
bleibe, betonte Topmanager Marcus.
Libra soll nach bisherigen Plänen
eins zu eins mit einem Korb stabiler
Währungen und Staatsanleihen abge-
sichert werden. Wenn jemand Libra
mit einer klassischen Währung kauft,
soll das Geld direkt in diesen Fonds
gehen. Libra würde dann als System
für schnelle internationale Überwei-
sungen fungieren. Politiker und Re-
gulierer befürchten, dass der Fonds
angesichts der enormen Nutzerzah-
len von Facebook Verwerfungen auf
den Geldmärkten auslösen könnte.

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Finanzen & Börsen
MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192


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