Der Spiegel - 05.10.2019

(Steven Felgate) #1

10 DER SPIEGEL Nr. 41 / 5. 10. 2019


Meinung


Das deutsche Reinheits -
gebot stammt aus dem Jahr
1516 und besagt, dass »zu
keinem Bier mehr Stücke
als allein Gersten, Hopfen
und Wasser verwendet und
gebraucht werden sollen«. Das
neue deutsche Reinheitsgebot betrifft
die Debattenkultur und besagt, dass »zu
keiner Diskussion mehr Diskutanten
als allein Klimaschützer und Flüchtlings-
helfer gebraucht werden sollen«.
Vergangene Woche wurde Hans-
Georg Maaßen von der »Zeit« zu
einem Streitgespräch mit dem Liberalen
Gerhart Baum geladen. Maaßen erklär-
te seine Kritik an der Flüchtlingspolitik
der Kanzlerin. Baum hielt dagegen.
Man könnte meinen: So geht Diskurs.
In Teilen der Linken aber wurde die
»Zeit« für Maaßens Teilnahme geächtet,
als wäre sie der neue »Stürmer«.
Der Kabarettist Dieter Nuhr spotte-
te derweil in der ARD über die »Fri-
days for Future«-Proteste. Nuhr ist der
SUV unter den Kabarettisten. Er mach-
te sogar Witze über Greta Thunberg.
Es folgten wüste Beschimpfungen und
Forderungen, Nuhr vom Sender zu
nehmen. Die Rundfunkgebühr stand in
bester Alice-Weidel-Manier auch
gleich zur Debatte.

Ja, Maaßen war ein miserabler
Verfassungsschützer, weil er vor lauter
Islamistenphobie die Neonazis
vergaß. Und Nuhr raunt seine Gags so
gelangweilt dahin, dass ich einschlafe,
wenn ich ihn sehe. Weder sein Humor
noch seine Weltsicht sind mein Ding.
Aber auch Klimaskeptiker sollten mal
was zu lachen haben. Für Kapitalis-
musskeptiker hat das Fernsehen
bereits ausreichend Kabarettisten im
Angebot.
Noch befremdlicher als Maaßens
Heimatschutzmission und Nuhrs Die-
selnostalgie finde ich die Sehnsucht
mancher Linker nach Meinungshygie-
ne. Weder Maaßen noch Nuhr haben
Verfassungsfeindliches von sich gege-
ben. Es gab auch kein »Umvolkungs«-
Geraune wie von Teilen des AfD-
Milieus, das zu Recht geächtet gehört.
Wer auf Äußerungen und Witze, die
ihm nicht schmecken, mit Aggression
oder der Forderung nach Berufsverbo-
ten reagiert, erliegt einem ähnlichen
Reflex wie die wütenden Pegida-Männ-
chen. Er sollte sich dringend das
dicke Fell des Demokraten zulegen.
Es darf auch gern ein Biofell sein.

An dieser Stelle schreiben Markus Feldenkirchen
und Alexander Neubacher im Wechsel.

Markus FeldenkirchenDer gesunde Menschenverstand

Reinheitssehnsüchte


So gesehen

#HipHeiko


Die neue PR-Strategie des
Außenministeriums

An alle diplomatischen Vertretun-
gen / gilt ab sofort
Der Erfolg des jüngsten Tweets
mit einem Lichtbild des Bundes -
außenministers beim Genuss einer
Tasse Kaffee anlässlich des World
Coffee Days (»Eine Tasse Kaffee
kann vieles sein«) beweist das Ge -
wicht außenpolitischer Kommu -
nikation in den sozialen Medien. Zur
Verstetigung dieser Strategie
ergeht folgende Dienstanweisung:


  1. Um künftig Fotoshootings des
    BM auch kurzfristig zu gewährleis-
    ten, ist in jeder Auslandsvertretung
    folgendes Personal bereitzustellen:
    jeweils 2 Hairstylisten, Make-up-


Artists und Fotografen (24-Stunden-
Schichtdienst).


  1. Jede Botschaft hat folgende
    Outfits gebügelt und gereinigt in
    Größe XXS vorzuhalten: 1 Leder -
    jacke (schwarz), 1 dreiteiliger Anzug
    (grau, slim fit), 1 Jeanshose (stone-
    washed), 3 Hemden (weiß, creme,
    schwarz), dazu Schals und Hals -
    tücher in den Farben der Saison.

  2. An jede Botschaft werden
    25 lebensgroße Pappaufsteller »Hip
    Heiko« verschickt. Diese sind
    an zentralen Orten der jeweiligen
    Hauptstadt aufzustellen.

  3. In der jeweiligen Landessprache
    sind folgende Hinweise über die
    sozialen Medien auszuspielen: »Ach-
    tung! Wer ein Selfie mit dem Papp-
    aufsteller ›Hip Heiko‹ macht und
    es mit dem Hashtag #HipHeiko pos-
    tet, hat die Chance auf zwei Tickets
    für den nächsten Uno-Auftritt
    des beliebten deutschen Außen -
    ministers!«

  4. Das Fotomaterial geht zur Aus-
    wertung an das AA/Ministerbüro.

  5. Die Strategiesitzung »Deutsche
    Außenpolitik in Zeiten weltweiter
    Krisen« entfällt wegen Terminpro-
    blemen. Stefan Kuzmany

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