Der Spiegel - 05.10.2019

(Steven Felgate) #1

mit einer Podiumsdiskussion zum Motto
»Das Buch ist tot«. Das Genre leidet,
kämpft, wird es auch bald auf der Buch-
messe tun, und vielleicht soll es als Ermu-
tigung verstanden werden, dass dieses Jahr
kein typischer Autor, sondern ein Fotograf
den renommierten Friedenspreis des Deut-
schen Buchhandels erhält, der 75-jährige
Brasilianer Sebastião Salgado.
Und wieder ist es ein besonderer Tri-
umph für Taschen, denn dort veröffent-
licht Salgado seit Jahren seine Bildbände.
In pathetischen Aufnahmen dokumentiert
er Schönheit und Elend. Seinen Band »Ge-
nesis« überreichte Marlene Taschen sogar
Papst Franziskus.
Der Verlag ist umtriebig, vor allem holt
er die Kundschaft dort ab, wo die Konkur-
renz nicht hinkommt. Bei großen Gefüh-
len, mit prominenten Sympathieträgern.
Der Dalai-Lama signiert die 998 Exem -
plare eines Bandes über gefährdete Wand-
malereien aus tibetischen Klöstern, der
Schauspieler und Buddhist Richard Gere
preist es öffentlich an. Zur Vorstellung von
»Rocky« (dem Buch) bringt ein strahlender
Sylvester Stallone seine Familie und seinen
Freund Arnold Schwarzenegger mit.
Niemand ließ und lässt Legenden noch
legendärer aussehen, Muhammad Ali, die
Rolling Stones. Für die Taschens ist es
vorteilhaft, als die Vertrauten der Stars
zu gelten, als der Verlag, dem sie ihre Ge-
schichten überlassen. Daran will auch
Marlene Taschen nichts ändern.
Die Polaroids von Linda McCartney
werden »als Einblick in das Leben einer
außergewöhnlichen Familie vor der Er-
findung von Instagram« beworben. Doch
was ist mit dem Leben heute, zu Zeiten
von Instagram? Taschen wirkt mehr denn
je retro, atmosphärisch, vielleicht ist das
aus Sicht des Hauses einfach die beste
Antwort auf die digitalisierte Gegenwart.


Der Verlag warschon immer ein Phä -
nomen, er traf und prägte den Zeitgeist
gleichermaßen. Benedikt Taschen hat mit
ihm eine der bekanntesten Büchermarken
der Welt geschaffen. Ob dahinter eine ech-
te Strategie steckt oder einfach nur der
rheinische Grundsatz, dass bis jetzt immer
noch alles gut gegangen ist? Marlene
Taschen jedenfalls findet, dass man viel
mehr aus dem machen könne, was ihr
Vater aufgebaut habe. »Das ist mein fester
Glaube.«
Beide haben ihre Heimat Köln hinter
sich gelassen, obwohl sich dort der Sitz
des Verlags befindet. Benedikt Taschen
lebt seit Langem in Los Angeles, seine
Tochter zog vor einiger Zeit von Mailand
nach London, wo sie auch studierte. Da-
mals jobbte sie für den Verlag, stieg dann
ganz ein und schließlich auf.
Ein Treffen mit ihr in einem der zwei
Londoner Geschäfte des Verlags. Der La-

den wirkt mehr wie eine Boutique für Bü-
cher, man kann von der Brook Street und
auch vom luxuriösen Hotel Claridge’s ein-
treten.
Von der Straße aus nicht zu übersehen
ist der aufgeblätterte Bildband im Riesen-
format, der vorm Schaufenster auf einem
eleganten Pult ausliegt. Er enthält Aufnah-
men von David Bailey, einem britischen
Altmeister der Promi-Fotografie. Er ver-
ewigte Modeschöpfer, Popstars, Künstler,
Politiker, auch die Queen.
Allein dieses Buch verrät viel über das
mittelständische Imperium aus Köln und
dessen Selbstverständnis.
»Großes Buch. Exklusiver Klub«, sagte
Bailey über die Edition, die auf 3000 teu-
re Exemplare begrenzt ist: 2500 Euro für
ein Buch, immerhin inklusive eines
Schrägpults. Weitere Arrangements wur-
den mit dem Nachdruck einer Bailey-Auf-
nahme angereichert. Vier Motive (eines
der junge Mick Jagger) standen zur Aus-
wahl, die teuersten für 12 500 Euro sind
vergriffen.
Dem SPIEGELsagte Benedikt Taschen
einmal, er habe Kunstbücher »aus der eli-
tären Ecke« geholt. Zur Buchmesse Mitte
Oktober erscheint Nummer 200 seiner
günstigen monografischen Reihe für
10 Euro das Exemplar und behandelt Ger-
hard Richters Leben und Schaffen.
Die Preise vieler Spezialausgaben wa-
ren aber sehr wohl elitär – sie sind es heute
mehr denn je. Gerade in Zeiten des Inter-
nets mit seinem Schnäppchencharakter

dürfe man nicht nur auf der günstigen
Schiene fahren, sagt Marlene Taschen,
»hätten wir das gemacht, wären wir nicht
da, wo wir heute sind«.
Da wäre aus diesem Jahr der Bild- und
Textband »MoonFire« über die Mond -
landung von 1969, der mit Mondgestein
geliefert wird. Limitiert auf zwölf En -
sembles, drei sind noch zu haben, für bis
zu 640 000 Euro. Ausverkauft ist bereits
eine andere Zusammenstellung: eine Mo-
nografie über Ai Weiwei, eingewickelt in
ein vom Künstler entworfenes Tuch aus
Seide, gebettet auf einem Marmortableau,
Preis 15 000 Euro. Auch aus dem McCart-
ney-Buch werden zwei Motive vergrößert
und für je 3500 Euro verkauft – als
Accessoire.
Ein Coup war einst die Herausgabe teu-
rer Großformate, Taschen nennt sie Sumo.
Eines der Schwergewichte ist die Mono-
grafie über den britischen Maler David
Hockney, die 2016 und damit nicht lange
vor seinem 80. Geburtstag erschien. Es
gab 9000 von ihm signierte Bücher inklu-
sive buntem Buchständer für je 2500 Euro.
Dazu weitere 1000 Ausführungen, bei de-
nen der Nachdruck eines seiner iPad-Bil-
der dabei war, sie kosteten bis zu 17 500
Euro. Rechnet man alles zusammen,
kommt man auf einen Verkaufswert von
über 38 Millionen Euro.
Wohl vor allem wegen Hockney stieg
der Umsatz des Verlags 2016 auf knapp
50 Millionen Euro. 2017 fiel er dann wie-
der auf knapp 40 Millionen, weil zwei an-
dere Prestige-Editionen verschoben wer-
den mussten. Unterm Strich stand in der
Bilanz ein Minus. Große Bücher, großes
Risiko. Das Geschäft mit den Editionen,
dem Zubehör scheint ein Ausweg zu sein,
aber einer mit Schlaglöchern.
Vieles wirkt wie eine Versuchsreihe.
Derzeit entsteht im Auftrag der Taschens

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TASCHEN VERLAG
Sammleredition »MoonFire«: Raus aus der elitären Ecke – und wieder hinein

Bücher, in Seide
gewickelt, auf
Marmor gebettet,
Preis 15 000 Euro.

DER SPIEGEL Nr. 41 / 5. 10. 2019
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