Der Spiegel - 05.10.2019

(Steven Felgate) #1
Graus Gruppe ist ein Symptom für eine
Stimmung unter Bürgern, unter Wählern.
Sie zeigt, wie polarisiert die Gesellschaft
in der Klimafrage ist.
Wir sind Greta? Nein, sind wir nicht,
nicht alle jedenfalls. Während viele Eltern
ihren Kindern Entschuldigungen schrei-
ben, weil die am Freitag demonstrieren ge-
hen, während sich Lehrer, Künstler, Wis-
senschaftler deren Protest anschließen,
empfindet ein anderer Teil der Gesell-
schaft diesen Protest als Übergriff.
Aus den Stimmen, die sich in den Kom-
mentarspalten von »Fridays for Hubraum«
und anderen »klimaskeptischen« Online -
foren äußern, spricht Wut über eine Jugend,
die ihrer Elterngeneration vorwirft, wie die-

16 DER SPIEGEL Nr. 41 / 5. 10. 2019

Deutschland

Hubraum for Future


UmweltEin neuer Riss geht durch die Gesellschaft – den Klimaaktivisten stehen jene
gegenüber, die neue Vorschriften fürchten, die weiterleben

wollen wie bisher und die ihr Auto lieben. Die Politik nimmt sie ernst. Zu ernst?


Klimapäckchen
Umfrage zum Klimapaket der Bundesregierung

an 100 fehlende Prozent: keine Angabe
Quelle: Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer;
1325 Befragte vom 24. bis 26. September

nicht weit genug zu weit

Parteianhänger von...

Wird das Klimapaket für eine starke Reduktion
beim CO 2 -Ausstoß sorgen?

Deutschland
53 %

GRÜNE

gesamt

78
2

LINKE

64
8

AfD

28
48

SPD

61
3

FDP

46
16

CDU/CSU
11

39

13

an 100 fehlende Prozent: »gerade richtig«, keine Angabe

Nein
84 %

Ja
7

Die beschlossenen Maßnahmen gehen...

E


r nennt sich selbst »Schrauber«
und »Techniker«, und er muss
noch dazulernen als Influencer,
sein Auftritt war nicht besonders
gut. Das Bild wackelte, der Ton war mise-
rabel, aber mehr als 150 000 Menschen
schauten sich seine mehr als einstündige
Abrechnung mit der aktuellen Klimapoli-
tik an.
Abrechnung nicht etwa deswegen, weil
er die CO²-Bepreisung halbherzig und
mutlos fand. Sondern weil es überhaupt
eine CO²-Bepreisung geben soll.
Christopher Grau, genannt Chris, im Vi-
deo zu sehen als junger Mann mit hoher
Stirn und schwarzem Hoodie, bastelt
hauptberuflich an Autos herum, vorwie-
gend der Marke Ford. Er programmiert
Motorensoftware, optimiert Abgaskrüm-
mer und Zylinder. Seine Viermannfirma
Beast Factory war bislang bestenfalls in
der Tuningszene ein Begriff, bei anderen
Leuten eher nicht. Seit Ende September
ist das anders.
Da schrieb er einen kurzen Facebook-
Eintrag, genervt von all den Klimademos.
Er fantasierte darin über eine Love-Parade
for Future, ein Witz sei das gewesen, eine
flapsige Idee. Doch bei seinen Freunden
aus der Autoszene kam das gut an, es gab
unzählige zustimmende Kommentare. Ein
Freund eröffnete daraufhin die Gruppe
»Fridays for Hubraum« und machte Grau
zum Administrator. Man wolle, hieß es in
der Selbstbeschreibung, »dem überhand-
nehmenden Klimawahn mit Spaß entge-
gentreten«. Und man behauptete: »Wir
sind mehr.«
»Da habe ich wohl einen Nerv mit ge-
troffen«, sagt Grau am Telefon. So ist es
offensichtlich: Bis zum Redaktionsschluss
des SPIEGELam Donnerstagabend hatte
die geschlossene Facebook-Gruppe mehr
als 540 000 Mitglieder.
Es wirkt, als hätte Grau quasi aus Verse-
hen eine Sammlungsbewegung für besorg-
te Autofahrer ins Rollen gebracht. Und es
bedurfte nicht mehr als eines Slogans, um
den Widerstand im Netz zu bündeln.
Widerstand? Wogegen eigentlich?
Gegen »Bevormundung«, »Anmaßung«,
»Tugendterror«. Es sind große Worte, mit
denen ein Teil dieser Gesellschaft auf die
großen Worte Greta Thunbergs und ihrer
Alliierten reagiert.


se sich fortbewegt, was sie kauft, wie sie
produziert, was sie isst, was sie genießt.
Und den Stimmen dieser Kritiker ist
schwer zu entkommen. Man begegnet ih-
nen im Netz, in den klassischen Medien,
man begegnet ihnen auf der Straße. An
SUVs in Hamburg und München werden
Zettel gefunden, auf denen steht »Ihr Auto
ist zu groß« oder »Klimawandel juckt mich
nicht«. Oder, etwas ausführlicher: »Schon
mal darüber nachgedacht, Verantwortung
zu übernehmen? Oder braucht das Ego so
eine Protzkarre?«
Wie bitte? Da gibt es Leute, die die
schiere Existenz eines solchen Autos als
Aggression definieren? Aggression ist,
wenn man solche Zettel ans Auto klebt, so
zumindest sehen es diejenigen, die sich
darüber im Netz beschweren.
Es geht nicht mehr nur um Details. Für
viele geht es gefühlt längst ums Ganze, um
die Frage: Wie darf ich leben? Wie soll ich
leben? Und wer darf darüber bestimmen?
Es geht um die Angst vor tiefen staatlichen
Eingriffen in den eigenen Alltag. Das Auto,
das für viele immer noch für Freiheit steht,
ist etwas Besonderes, gerade in Deutsch-
land – nicht nur ein schlichter Gebrauchs-
gegenstand. Um Ölheizungen zu retten,
würden sich wohl kaum Massen auf Face-
book organisieren.
Hier aber tun sie es – als Antwort auf
»Fridays for Future«. Wenn auch nicht als
exakte Antwort: »Fridays for Hubraum«
ist eine Facebook-Gruppe, kein Massen-
protest auf der Straße. Sich einer solchen
Gruppe anzuschließen kostet nur ein paar
Klicks. Auch wenn man die Mitgliederzahl
ernst nimmt, 540 000 Personen, ist das al-
lenfalls ein gutes Drittel von den 1,4 Mil-
lionen, die für »Fridays for Future« allein
am 20. September auf die Straße gingen.
Aber die Hubraumer sind erwachsen,
anders als viele der Freitagsdemonstran-
ten, und sie dürfen wählen. Deshalb wer-
den sie ernst genommen.
Die meisten Parteien beschäftigt die
Kontroverse um den Klimaschutz auf un-
angenehme Art. In Berlin, speziell in den
Parteien der Großen Koalition, kursiert
die Angst vor jener Sorte Bürger in Wut,
wie man sie aus Frankreich kennt: den
Gelbwesten. Eine geplante höhere Kraft-
stoffsteuer löste deren Empörung einst aus.
Unter die Aufständischen, die mit kleinem
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