Der Spiegel - 05.10.2019

(Steven Felgate) #1

Vieles deutet daraufhin, dass sich der Konflikt zwischen Demons-
tranten und Regierung in den kommenden Wochen weiter ver-
schärfen wird. Am 1. Oktober, Chinas Nationalfeiertag, hat Hong-
kongs Polizei rund 1400 Patronen Tränengas verschossen.
Das waren, in nur 24 Stunden, fast halb so viele wie in den drei
Monaten des Protests zuvor. 269 Demonstranten wurden festge-
nommen, 117 verwundet. Zum ersten Mal wurde ein Protestieren-
der von der Kugel aus einer Polizeipistole getroffen. Auch 30 Be -
amte wurden verletzt. Die Ausschreitungen am 70. Jahrestag
der Gründung der Volksrepublik China haben die Befürchtungen
übertroffen. Der harte Kern der Protestbewegung ist nach dem
massiven Polizeieinsatz aber nicht eingeschüchtert, sondern erst
recht entschlossen. Am 2. und 3. Oktober brannten erneut Barri-
kaden, U-Bahn-Stationen und Geschäfte wurden verwüstet.


Die Sicherheitskräfte sind zusehends verbittert. Zwei Polizei-
vereinigungen fordern, eine Notstandsverordnung aus der briti-
schen Kolonialzeit in Kraft zu setzen, die Ausgangssperren, Pres-
sezensur und Hausdurchsuchungen erlauben würde. Als erste
Maßnahme soll nun ein Vermummungsverbot verhängt werden.
Auch für Chinas Führung hat sich die Lage verändert. Bislang
hatte Peking seine Militärpräsenz in und um Hongkong erhöht,
eine direkte Intervention aber vermieden. Ein Grund dafür dürf-
te die 70-Jahr-Feier gewesen sein, die nicht von Bildern chinesi-
scher Truppen in Hongkong getrübt werden sollte. Dieser Grund
zur Zurückhaltung ist nun weggefallen.
Ein Eingriff Pekings, den Hongkongs Verfassung für schwere
Krisen vorsieht, ist damit nicht sicher. Doch er ist wahrscheinli-
cher geworden.Bernhard Zand

Analyse

Die erste Kugel


Steht nach den Ausschreitungen zur 70-Jahr-Feier eine chinesische Intervention in Hongkong bevor?

70


Ausland


»Afghanistan wird nie wieder ein Ort sein, in dem Frauen in Käfige gesperrt werden.«‣S. 82

DER SPIEGEL Nr. 41 / 5. 10. 2019

Wegen schlechter wirtschaftlicher Versorgung und politischem Stillstand sind in Bagdad Tausende Menschen auf die


Straße gegangen. Bei Gefechten mit der Polizei kamen mehrere Demonstranten ums Leben, Hunderte


wurden verletzt. Die Regierung verhängte eine Ausgangssperre. Laut Transparency International steht der Irak


an zwölfter Stelle der korruptesten Länder. Viele Orte sind nach dem Kampf gegen den IS noch immer zerstört.


AHMAD AL-RUBAYE / AFP
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