Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
LEBEN

Foto: Maurice Kohl für FOCUS-Magazin

108 FOCUS 39/2019

D


er Mann hat eine beruhi-
gende Aura. Weiche Stimme,
gutmütiges Lächeln, freund-
liches Zwinkern mit braunen
Augen. Peter Bosz strahlt
jene Souveränität aus, mit
der er Bayer 04 Leverkusen
seit Amtsantritt im Januar aus abgeschla-
gener Tabellenposition noch in die Cham-
pions League geführt hat. Eine kleine
Überraschung ist das schon: Nach einer
deftigen Niederlagenserie bei seinem frü-
heren Arbeitgeber Borussia Dortmund
war der 55-jährige Niederländer nach nur
sechs Monaten entlassen worden.

Herr Bosz, warum ist niederländischer
Fußball so begehrt in aller Welt?
Wir sind ein sehr kleines Land mit nur
17 Millionen Einwohnern, haben aber
trotzdem im Fußball große sportliche
Erfolge erzielt. Wir machen offenbar

irgendetwas gar nicht so schlecht. Johan
Cruyffs Maxime lautete immer: „Ich spie-
le Fußball für die Fans.“
Bedeutet Cruyffs Grundsatz, dass auch
Sie lieber 7 : 6 als 1 : 0 gewinnen?
Nicht unbedingt. Als Trainer gewinne
ich natürlich am liebsten zu null. Ein 2 : 0
ist das perfekte Ergebnis. Ich liebe aber
Offensivfußball, auch wenn das bedeutet,
dass man ein höheres Risiko eingeht, ein
Tor zu kassieren. Bekommen wir ein Tor
rein, heißt es ja immer: „Na klar, das ist
wegen dieses Offensivfußballs von Bosz.“
Bei Borussia Dortmund, Ihrer ersten
Bundesliga-Station, begannen Sie
2017 mit einer furiosen Siegesserie,
dann folgte eine Niederlage
auf die andere. Haftet seither
ein falsches Image an Ihnen?
Ich habe keine Ahnung, wie mein
Image in Deutschland ist (lacht).
Alles rennt nach vorn, hinten ist
alles offen, und wenn es nicht läuft,
hat Peter Bosz keinen Plan B ...

Das erste Gegentor, das wir bei Borus-
sia Dortmund bekommen haben, war im
sechsten Spiel. Da haben wir 6 : 1 gewon-
nen gegen Gladbach. Nicht so schlecht ...
Haben Sie einen Plan B?
Ich habe A, B, C, D.
Sind Sie kritikfähig?
Absolut. Ich lege die Messlatte immer
hoch. Das fängt bei mir selbst an. Ich bin
nie zufrieden. Ich habe schon viele Trainer
erlebt, die nach einem Spiel bei der Analy-
se nicht die ganze Wahrheit gesagt haben.
Stimmt es, dass Sie als Kind die
deutsche Sprache beim „Sportschau“-
Schauen erlernt haben?
Ja. Ich bin in Ostholland aufgewachsen,
und wir konnten zwei deutsche Fernseh-
kanäle empfangen. Mit fünf Jahren habe
ich oft die „Sportschau“ und das „Aktuelle
Sportstudio“ gesehen. Die Kommentato-
ren redeten sehr emotional, und die Sta-
dien waren voll. Ich war total begeistert.

Hatten Sie ein Lieblingsteam?
Ich nicht, aber meine Oma. Sie war
Schalke-04-Fan. Als ich das als Dortmun-
der Trainer damals erzählt habe, fanden
die BVB-Fans das natürlich nicht klasse.
Wie klasse ist Kai Havertz?
Er ist gerade 20 Jahre alt, spielt aber
schon seine vierte Bundesliga-Saison.
Als Fußballspieler ist er sehr erwachsen
und hat eine reife Spielanlage. Ich will
ihm dabei helfen, dass er eines Tages der
beste Spieler der Bundesliga ist. Kai ist
einzigartig, aber eine Sonderbehandlung
bekommt er von mir trotzdem nicht.
Nennen Sie mal die zwei wichtigsten
Grundsätze Ihrer Menschenführung.
Ich verlange von jedem Spieler Ehrlich-
keit den Mitspielern und auch mir gegen-
über und dass die Absprachen, die wir
treffen, absolut und maximal eingehalten
werden. Das heißt aber nicht, dass ich
zwischen den Spielern keine Unterschie-

de mache. Ich habe drei Kinder. Alle
haben dieselbe Mutter, bekamen diesel-
be Liebe und dieselben Bedingungen, und
doch sind alle drei total unterschiedlich.
Das ist bei meinen Spielern nicht anders.
Bayer hat in Dortmund 0 : 4 und in der Cham-
pions League 1:2 gegen Lokomotive Moskau
verloren. Wie weit sind Sie noch von Spitzen-
teams wie Dortmund und München entfernt?
Auf dem Papier ein gutes Stück. Wir
sind ein Verein, der aus finanziellen Grün-
den leider immer mal wieder die besten
Spieler an nationale oder internationale
Top-Clubs abgeben muss.
Rudi Völler sagt, er will kein Aus-
bildungsverein sein.
Wir sind kein reiner Ausbildungsverein.
Aber das größere Geld winkt woanders.
Bayers Sportgeschäftsführer möchte
auch baldmöglichst Pokalsieger werden.
Ich weiß. Dazu bekennt er sich ganz offen,
und das ist gut. Ich möchte auch gerne die
Champions League gewinnen. Aber man
muss trotz aller Ambitionen realistisch

Er liebt den Hurra-Fußball, doch in Dortmund ging das schief: Seit Januar ist Peter Bosz
nun Trainer von Bayer 04 und bringt eine neue Spielkultur nach Leverkusen.

Ein Gespräch über niederländischen Fußball, deutsche Herzlichkeit und Plan B, C oder D


Sind Sie kritikfähig, Herr Bosz?


INTERVIEW VON AXEL WOLFSGRUBER

Volles Haar Bosz im Panini-Album der EM 1992,
bei der er immerhin das Halbfinale erreichte.
Insgesamt absolvierte er acht Länderspiele
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