Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
ÖSTERREICH

FOCUS 39/2019 27


seinem Bundesland mit der FPÖ koaliert
und erst letzte Woche dem ungarischen
Gottseibeiuns Viktor Orban seine Auf-
wartung gemacht hat.
Zweitens: ÖVP + FPÖ, die Mitte-rechts-
Risiko-Koalition. Auch die FPÖ besteht
aus zwei Firmen. Während sich der Par-
teivorsitzende Norbert Hofer mit seiner
Heinz-Rühmann-Tapsigkeit als Bieder-
keit auf Beinen präsentiert und im Wahl-
kampfvideo servil für eine Neuauflage
der türkis-blauen Koalition wirbt, versorgt
sein Stellvertreter Herbert Kickl, der als
Innenminister Asylbewerber „konzen-
triert an einem Ort halten“ wollte und
stolz auf solche Sprüche ist, die Hard-
core-Rechten mit Bösartigkeiten am
laufenden Band. Für Kurz jedenfalls ist
der ehemalige Innenminister, neben
der unbestreitbaren Nähe zahlreicher
FPÖ-Funktionäre zu den rechtsextremen
Identitären, das größte Hindernis einer
neuen türkis-blauen Koalition.
Drittens: ÖVP + Grüne + Neos, das
Jamaika der Alpen. Die Grünen haben,


auch wenn sie zwei Wochen vor der
Wahl von Korruptionsvorwürfen um ein
umstrittenes Immobilienprojekt eingeholt
werden, gute Chancen, zweistellig ins
Parlament einzuziehen. Sie liegen zwar
in fast allen Positionen weit (Klimaschutz)
bis sehr weit (Migration) von Kurz ent-
fernt, bieten sich dennoch als Koalitions-
partner an. Das „Tiroler Modell“, dort
regiert die Volkspartei schon in der zwei-
ten Legislaturperiode mit den Grünen,
wäre eine Alternative zur Fortsetzung
von Türkis-Blau. Parteichef Werner Kog-
ler, dessen Mimik so volksnah zerknittert
ist wie seine Hemden, sagt: „Wenn wir
die Chance haben, Türkis-Blau zu ver-
hindern, ist es unsere Pflicht, in Gesprä-
che zur Regierungsbildung einzutreten.“
Dazu braucht es die Neos als Dritte im
Bunde. Die sind Fleisch vom Fleisch
des ÖVP-Wirtschaftsflügels: ordoliberal
und bürgerrechtlich. Spitzenkandidatin
Beate Meinl-Reisinger war selbst bis 2012
ÖVP-Mitglied. Türkis, Grün, Pink – das
wäre dann Alpenjamaika in der psyche-

delischsten Farbkombination, seit es Koa-
litionen gibt.
Paradox: Alle kämpfen gegen Kurz.
Aber alle wollen mit ihm koalieren. Und
mit keinem passt es so ganz.

Wer hat türkise Fingernägel?
Die Rieder Messe samt Volksfest und
Tierschau ist seit gut 150 Jahren das
gesellschaftliche Highlight im
Innviertel, dem Landstrich mit
den saftigen Wiesen und den
mächtigen Vierkantbauernhöfen.
Der Samstag beginnt auch in
Ried mit heftigem Regen. Das Auf-
wachen fällt schwer. Melancholie
tropft von den verlassenen Schau-
geschäften, dem Riesenrad, dem
Kinderkarussell und den Schieß-
buden. Eine Volksmusikkapelle,
der Musikverein Zell an der Pram,
versucht, dem ganzen Schwung
zu verleihen, während knapp
3000 schirmbewehrte ÖVP-Freun-
de vom Parkplatz ins große Festzelt
ziehen.
Drinnen startet die Show mit verbaler
Aufwärmgymnastik von Peter L. Eppin-
ger, einem ehemaligen Radiostar, „Dan-
cing Star“-Finalisten und Moderator des
exzentrischen Wiener Life-Balls. Seit sie
sich vor Jahren bei einer Preisverleihung
kennengelernt haben, sieht er sich als
enger Freund von Kurz („Wenn ich um
23 Uhr einen Anruf kriege, weiß ich, das
kann nur der Sebastian sein“), von des-
sen „Höflichkeit und Aufmerksamkeit“ er
nach wie vor begeistert sei. Schon seit der
Wahlkampagne des Jahres 2017 ist Peter
L. Eppinger „Sprecher der Bewegung
Kurz“. „Ich bin der Peter – und du bist
der Trom-peter“, moderiert er die über-
raschend lässige Brassband an, die die
Versammelten noch vor den Auftritten der
Redner ans rhythmische Klatschen gewöh-
nen soll. „Wer hat denn hier alles türkise
Fingernägel?“, fragt er dann in die Runde.
Die Kamera zoomt drauf. „Wer hat türkise
Schnürsenkel?“ Eine Manuela, türkiser
Rock, türkise Bluse, türkise Strickwes-
te, hat 70 türkise Freundschaftsbänder
geknüpft und mitgebracht. Türkise Regen-
schirme, Fähnchen, Strickpullover – alles
Türkise wird sofort fotografiert, gepostet,
gefilmt, auf die Großleinwand übertragen.
Um sich zwischendurch mal zu ent-
türkisen, scrollt der Reporter den News-
feed am Handy: SPÖ fordert Rechts-
anspruch auf 4-Tage-Woche – FPÖ will
Prostitutionsverbot für Flüchtlinge –

(^1) Kreuzritter 3000 Ehren-
amtliche kämpfen dafür,
dass die Österreicher
ihr Kreuz bei Kurz machen.
(^2) Rührend Manuela
hat 70 türkise Freund-
schaftsbänder geflochten.
(^3) Blühend Wen würden
diese Blumen wählen?
(^4) Stärkend Brezen und
Apfelsaft für Journalisten
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