Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
ÖSTERREICH

FOCUS 39/2019 29


Ist diese „österreichische Identität“
an Abstammung gebunden?
Nein, überhaupt nicht. Es ist eine Grund-
einstellung. Ein Konzept des Zusammen-
lebens, das uns ausmacht. Wenn Sie quer
durch Österreich unterwegs sind, werden
Sie merken, dass es einen guten Grund
gibt, warum viele Menschen, zum Beispiel
aus Deutschland, gerne zu uns kommen,
um hier Urlaub zu machen. Das ist nicht
nur die schöne Landschaft. Das ist auch
das Leben von Tradition, das Denken
über Generationszeiträume hinweg, der
ordentliche Umgang mit der Natur und
unserem Lebensraum. Das Hochhalten
unserer Wurzeln.
In der CDU entwickelt sich nach
den Wahlerfolgen der AfD, deren
Vorbild ja die FPÖ ist, eine Debatte um
den Umgang mit dieser Partei.
Einbinden oder ausgrenzen – wie
würden Sie entscheiden?
Ich glaube, dass die FPÖ und die AfD
nicht eins zu eins vergleichbar sind. Das
wird in Deutschland nicht immer so ver-
standen. Die FPÖ regiert in Österreich in
mehreren Bundesländern, Städten und
Gemeinden – teilweise mit uns, teilwei-
se mit der Sozialdemokratie. Es ist ein
Fehler, sie mit der AfD gleichzusetzen.
Sie treten für einen deutlichen Abbau
der EU-Bürokratie und die Schaffung
einer gemeinsamen Außengrenz-
truppe ein. Empfinden Sie Ursula von
der Leyen als konstruktivere Partnerin,
als es Jean-Claude Juncker war?
Ich habe den Prozess, wie die Spitzen-
posten in der EU vergeben wurden, stark
kritisiert, bin aber mit dem Ergebnis, dass
Ursula von der Leyen Kommissionspräsi-
dentin geworden ist, höchst zufrieden. Ich
kenne und schätze sie seit vielen Jahren.
Wie haben Sie den Umgang mit
Manfred Weber erlebt?
Als letztklassig. Wir hatten einen Spit-
zenkandidaten und einen sehr eindeuti-
gen Ausgang dieser Wahl. Dass danach
versucht wurde, einen Sozialdemokraten,
nämlich Frans Timmermans, der klarer
Verlierer dieser Wahl war, zum Kommis-
sionspräsidenten zu machen, das habe
ich als höchst undemokratisch empfun-
den. Es braucht dringend einen neuen
EU-Vertrag mit Stärkung der Subsidiari-
tät, eine Klärung der Frage, wohin sich
die Europäische Union entwickeln soll,
sonst wird die EU immer mehr an Ver-
trauen in der Bevölkerung verlieren. Ich
werde weiterhin versuchen, meinen Bei-
trag auf europäischer Ebene zu leisten. n

Kampf gegen die illegale Migration zu-
sammengearbeitet. Beim Versuch, wie-
der Ordnung nach Österreich zu bringen.
Auch beim Ziel, dass Menschen, die zu uns
kommen, einen Beitrag leisten müssen und
sich an unsere Regeln und Gesetze halten
müssen. Aber Rassismus ist uns fremd.
Wie muss sich diese FPÖ verändern,
damit Sie ihr eine weitere Chance als
Koalitionspartner geben?

wir die Steuerlast senken wollen. Natür-
lich war auch die Migration ein großes
Thema. Jetzt ist es nicht viel anders. Ich
habe in meiner Rede dafür geworben, dass
wir unseren Weg in all diesen Punkten
fortsetzen, aber uns auch Herausforderun-
gen stellen – der Reform der Pflege, dem
Kampf gegen den Klimawandel. Es ist
nicht einzusehen, warum wir massenhaft
billiges Fleisch aus Südamerika einführen,

Die Volkspartei schließt keine andere
Partei aus, das haben wir noch nie getan.
Unser Ziel ist es, aus den Wahlen so ge-
stärkt hervorzugehen, dass keine Mehr-
heit gegen uns möglich ist. Klar ist, dass
wir gegen alle Formen von Extremismus
entschieden vorgehen müssen. Dazu zählt
für uns auch ein Verbot der Identitären
über eine Änderung des Vereinsrechts.
Das ist eine Koalitionsbedingung für uns.
Die Wahl von 2017 haben Sie mit dem
Flüchtlingsthema gewonnen, 2019 ist viel
von Klimaschutz die Rede. Sie sind gegen
das Mercosur-Abkommen. Eine Akzent-
verschiebung, die zumindest Offenheit für
eine Koalition mit Grünen erahnen lässt?
Viele Medien haben beim letzten Wahl-
kampf so getan, als würde es nur um Mig-
ration gehen. Das war nicht richtig. Wir
haben für das Ende der Schuldenpolitik
geworben. Wir haben versprochen, dass


wo wir selbst so qualitativ hochwertige
Lebensmittel regional produzieren. Wir
sind für Klimazölle auf europäischer Basis.
Wir wollen Österreich bis 2045 CO 2 -neut-
ral machen. Wir sind seit Jahrzehnten die
Partei der ökosozialen Marktwirtschaft.
Ein Buzzword Ihrer Kampagne ist
die „österreichische Identität“, die
es zu bewahren gelte. Was zeichnet
diese Identität aus?
Wir sind ein Land, in dem die Menschen
einen unglaublichen Beitrag dafür leisten,
dass Österreich so lebenswert ist. Es gibt
kaum ein Land auf der Welt, in dem so
viele Menschen ehrenamtlich engagiert
sind und unbezahlt ihren Beitrag für die
Gesellschaft leisten. Wir sind ein Land
mit Bräuchen und Traditionen, die uns
ausmachen. Und wir sind ein Land, das
christlich-jüdisch und durch die Aufklä-
rung geprägt ist. Das gilt es zu bewahren.

FOCUS-Autor Walter Mayer im Gespräch mit dem ehemaligen und höchstwahrscheinlich
künftigen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, 33, in dessen Wahlkampfbus
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