Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
KLIMA

Fotos: dpa, EPA-EFE/Shutterstock, REUTERS, action press, Dominik Asbach/Marcel Maffei, beide für FOCUS-Magazin


FOCUS 39/2019 33

G

reta Thunberg war gera­
de sechs Jahre alt, als
Christoph Schmidt sei­
ne Ideen entwickelte, die
heute Angela Merkels
Plan gegen die Klima­
erwärmung sind. Damals,
2009, besuchte Thunberg
die erste Klasse. Freitags ging man überall
noch brav zur Schule.
In dieser Zeit subventionierte Deutsch­
land mit Milliarden den Ausbau erneuer­
barer Energien. Solaranlagen und Wind­
räder boomten. Wer konnte, montierte
sich eine Solarzelle aufs Dach. Doch der
CO 2 ­Ausstoß sank nicht wie erhofft: Die
Deutschen zahlten irre Summen für den
Klimaschutz, ohne das Klima wirklich
zu schützen.
Schmidt, 57, war 2009 in den „Sach­
verständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“
berufen worden und damit einer der
wichtigsten Ökonomen des Landes.
Die Energiewende sei „ökonomisch
höchst ineffizient“, befand er da­
mals. Deutschland brauche
eine CO 2 ­Steuer oder einen
Emissionshandel, um end­
lich weniger Kohlen­
dioxid auszustoßen.
Doch niemand hörte auf
Schmidt. Zehn Jahre
lang.
Jetzt reißen sich alle
um den Wirtschaftsfor­
scher und seine Ideen.
Schmidt ist Merkels Kli­
ma­ Vordenker. In diesem
Herbst soll nun Gesetz wer­
den, woran der Ökonom lan­
ge geforscht und gerechnet
hat. Die Regierung will Koh­
lendioxid künftig einen Preis
geben. „Der CO 2 ­Preis wäre
das zentrale Signal für Wirt­
schaft und Verbraucher, an
dem sich alle anderen Maß­
nahmen orientieren müs­
sen“, sagt Schmidt. Mittler­
weile ist er der Vorsitzende
der fünf Wirtschaftsweisen.
CO 2 ­Emissionen müssen
teurer werden, damit sich Technologien
durchsetzen, die weniger oder gar kein
Kohlendioxid erzeugen. Die Energiever­
sorger nehmen ihre Kohlekraftwerke vom
Netz, und die Autobauer entwickeln kli­
maneutrale Antriebe. Nicht weil die Bun­
desregierung es ihnen per Gesetz vor­

schreibt, sondern weil es
unternehmerisch Sinn
ergibt. Das ist sein Plan.
Schmidts Konzept ist
die konkrete Antwort
auf die Warnung der
Kanzlerin, es dürfe beim
Klimaschutz künftig kein
„Pillepalle“ mehr geben.
Damit meint sie den größten
Umbau der deutschen Ener­
gie ­, Wärme­ und Verkehrs­
wirtschaft, den es je gab. Bis
2030 muss Deutschland sei­
ne Emissionen um 55 Prozent
unter den Wert von 1990 sen­
ken. Bislang wurden 32 Pro­
zent erreicht. Außerdem will
die Bundesrepublik bis 2050
klimaneutral werden, also so
gut wie keine Emissionen
mehr ausstoßen. Kein Pille­
palle eben.
Schmidt könnte nun tri­
umphieren und sagen, er habe es schon
immer gewusst. Wer den Arbeits­
ökonomen dieser Tage in sei­
nem Büro im Leibniz­Institut
für Wirtschaftsforschung
in Essen besucht, erlebt
aber einen nachdenkli­
chen Mann. „Die Poli­
tik vermittelt leider den
Eindruck, der CO 2 ­Preis
wäre nur ein weiteres
Instrument neben vielen
anderen“, sagt Schmidt. Er
hält das für falsch. Aus sei­
ner Sicht sollte der CO 2 ­Preis
„das entscheidende Koordi­
nationssignal“ setzen. Dann
wäre beispielsweise eine
Anhebung der Flugticketab­
gabe unnötig, weil Fliegen
wegen des höheren CO 2 ­Prei ­
ses auf Kerosin ohnehin teu­
rer wird.
Schmidt befürchtet, dass
sich die vielen zusätzlichen
Instrumente, die das Klima­
kabinett am Freitag beschlos­
sen hat, „als überflüssig oder
sogar schädlich herausstel­
len“. Wer weiß heute schon, welche Tech­
nologie sich bei Autos wirklich durchsetzt?
Werden alle Fahrzeuge per Batterie betrie­
ben? Sind synthetische Kraftstoffe viel­
leicht doch klimaschonender?
Schmidt gibt offen zu, dass er es nicht
weiß. Und ist sicher, dass es Abgeord­

neten, Ministerialbeam­
ten und der Kanzlerin
genauso geht.
Die Politik sollte ei­
nen CO 2 ­Preis festle­
gen, den Rest regelt
der Markt – diese Idee
mögen die Aktivisten von
„Fridays for Future“ zwar
gar nicht. In der Wissenschaft
hat er sich aber durchgesetzt


  • nicht nur bei Schmidt und
    seinem Team. Der wissen­
    schaftliche Beirat des Bun­
    deswirtschaftsministeriums
    und die Nationale Wissen­
    schaftsakademie Leopoldina
    sehen das ebenso.
    Ottmar Edenhofer ist einer
    der engsten Verbündeten
    von Schmidt. Jeden Mor­
    gen steigt er einen Hügel
    hinauf, um in sein Büro im
    Potsdam­Institut für Klima­
    folgenforschung zu gelangen. Der Nie­
    derbayer betrachtet die Dinge gern von
    einem erhöhten Standpunkt aus. Erst von
    oben wird manchmal klar, was wichtig
    ist – und was nicht. Den CO 2 ­Preis findet
    er wichtig. Und richtig.
    Hier oben standen früher eine Tele­
    grafenstation und weltweit einzigartige
    Observatorien. Heute ist daraus ein Wis­
    senschaftscampus mit vielen klassizis­
    tischen Gebäuden geworden. In einem
    besonders schönen Häuschen befindet
    sich das Institut.


Die Politik muss für 30 Jahre planen
Der 58­Jährige ist einer der renommier­
testen Klimaökonomen der Welt. Seine
Arbeit ist von höchster Dringlichkeit, sie
beginnt dort, wo jene der Meteorologen
und Physiker aufhört. Edenhofer sucht
nach Wegen in eine kohlenstoffarme
Welt. Das führt zwangsläufig dazu, dass
er einflussreiche Politiker trifft, die seine
Gedanken und Anregungen aufnehmen.
Und seine wichtigste Botschaft ist viel­
leicht die: Streitet euch nicht über die Ins­
trumente. Ob nun eine CO 2 ­Steuer oder
Zertifikate, das ist nicht so wichtig. Ent­
scheidend ist, dass die Politik sich lang­
fristig bindet und nicht alle paar Jahre
eine neue Klimapolitik beschließt. „Und
ob sie mutig genug ist, um den Menschen
zu sagen: Ja, es kostet Geld.“
Edenhofer sitzt an einem runden Be­
sprechungstisch. Die Atmosphäre ist
aufgeheizt, fast stündlich kommen

„Wichtig ist,
dass die Nut-

zung fossiler
Energieträger

wie Kohle und
Öl teurer wird“
Christoph Schmidt,
Leibniz-Institut für
Wirtschaftsforschung

„Wir verstehen


die Politiker
nicht, und

die Politiker
verstehen uns

nicht“
Ottmar Edenhofer,
Potsdam-Institut für
Klimafolgenforschung
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