Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
POLITIK

Fotos:


Steffen Roth für FOCUS-Magazin, dpa, Planet Labs Inc via AP


3636 FOCUS 39/2019

Z


wanzig Drohnen und zwölf
Raketen könnten Auslöser
für einen neuen Krieg in
Nahost sein. So viele Flug-
körper drangen laut US-Ge-
heimdiensten vergangenes
Wochenende in den Luftraum von Sau-
di-Arabien ein und attackierten zwei
Ölraffinerien. US-Präsident Donald
Trump macht den Iran für die Angrif-
fe verantwortlich und droht mit Ver-
geltung. Auch der neue saudische
Botschafter in Deutschland, Faisal bin
Farhan al-Saud, 45, hält im Gespräch
mit FOCUS einen Krieg für möglich.

Exzellenz, wir sprechen mit Ihnen
kurz vor Ihrem Abflug nach Riad. Wie
ernst ist die Lage nach den Anschlägen
auf die Raffinerien in Ihrem Land?
Dieser Angriff war nicht nur ein An-
griff auf unser Land. Es war ein Angriff
auf die ganze Welt. Die Angreifer woll-
ten, dass die Energieversorgung der
Welt zusammenbricht. Aber sie haben
ihr Ziel nicht erreicht.
Die USA machen den Iran
verantwortlich. Sie auch?
Wir haben Anhaltspunkte, dass der
Angriff nicht aus dem Jemen kam. Die
Ermittlungen dauern aber noch an.
Werden Sie zurückschlagen?
Kommt es zum Krieg mit Iran?
Wenn unsere Sicherheit gefährdet
ist, müssen wir das tun. Das saudische
Königreich will jede weitere Eskalation
vermeiden. Aber das hängt von denen
ab, die diese Aggression zu verantwor-

ten haben. Wir müssen auch unsere
nationalen Interessen verteidigen.
Würde eine Entschuldigung eine
militärische Reaktion verhindern?
Der erste Schritt zu einem wirklichen
Dialog wäre, die Fakten zuzugeben. Es
ist klar, dass die Iraner bei dem Angriff
eine Rolle gespielt haben, egal, von
welchem Territorium er ausging. Es
wäre also ein erster Schritt von Iran, sei-
ne Verantwortung anzuerkennen und
zu sagen, dass sich solche Angriffe oder
Aktionen nicht wiederholen werden.
Dann können wir reden.
Warum gibt es diese große Rivalität
zwischen Iran und Saudi-Arabien?
Es herrscht keine Rivalität zwischen
uns, wir haben Meinungsunterschiede.
Rivalität würde bedeuten, dass wir mit-
einander wetteifern. Aber das saudi-
sche Königreich will die
Staaten in der Region
nicht dominieren.
Am Ende ist es ein Kampf
um Dominanz in der Re-
gion: Saudi-Arabien und
Iran führen einen Stell-
vertreterkrieg im Jemen.
Jemen ist kein Stellver-
treter. Wir haben inter-
veniert, auf der Basis von
UN-Resolutionen, um
die legitime Regierung
von Jemen zu unterstüt-
zen. Es gibt Konfrontati-
on, aber dabei ist Iran der Aggressor. Wir
verteidigen uns nur selbst oder helfen
anderen, sich zu verteidigen.

Geht es nicht auch um den großen Konflikt
zwischen Schiiten und Sunniten?
Es ist mehr eine geopolitische als eine
religiöse Auseinandersetzung. Religion
wird als Deckmantel benutzt, besonders
von den Iranern. Zurzeit gewähren sie
Al-Qaida-Mitgliedern Unterschlupf –
nicht weil sie diese ideologisch mögen,
sondern weil sie sie als nützliches Werk-
zeug ansehen. Meinen Freunden im
Auswärtigen Amt habe ich auf deren
Frage geantwortet: Sagt den Huthis im
Jemen, sie sollen im besten Interesse
des Jemen handeln statt im Interesse
des Iran. Wenn sie das tun, kämen wir
schnell zu einem Friedensarrangement.
Welche Auswirkungen haben die
Anschläge auf die saudische Wirtschaft?
Die Wirtschaft kann dem widerstehen.
Wir können eine Menge absorbieren,
haben viele Lager überall in der Welt.
Wir können die Lücke füllen.
Sie sind seit fünf Monaten Botschafter
in Berlin. Sie haben eine deutsche Mutter,
sind in Frankfurt geboren. Was gefällt
Ihnen an Deutschland besonders gut?
Ich habe Deutschland zu verschiede-
nen Zeiten kennengelernt. Als kleiner
Junge fand ich den Spielplatz in der
Nähe unseres Hauses im hessischen
Heusenstamm und den Wald davor sehr
beeindruckend. Heute bewundere ich,
wie die Deutschen ihre Heimat und
regionale Zugehörigkeit schätzen. Als
ich in den ersten Wochen mit Bundes-
tagsabgeordneten auf Deutsch sprach,
sagte plötzlich einer zu mir: „Du bist ja
Hesse.“ Das hat mir imponiert.
Die Deutschen sind auch sehr stolz auf
ihre Meinungs- und Pressefreiheit.
Ich weiß, dass die freie Presse eine
wichtige Funktion in einer Gesellschaft
hat. Dabei ähnelt die Rolle der Presse hier
in Deutschland der in Saudi-Arabien.
Exzellenz, Saudi-Arabien zählt zu den
zehn Ländern mit der
geringsten Pressefreiheit.
Man könnte auch sagen: Es
gibt dort keine freie Presse!
Auch bei uns hat die
Presse eine wichtige Funk-
tion, wenn auch die Tradi-
tion noch nicht so alt ist
wie in Deutschland.
Vor genau einem Jahr
wurde der regimekritische
saudische Journalist
Jamal Khashoggi von
saudischen Agenten
umgebracht. Wie können
Sie da von Pressefreiheit sprechen?
Der Tod Khashoggis hat Saudi-Ara-
bien und die ganze Welt geschockt.

Nach dem Anschlag auf die Ölfelder Saudi-


Arabiens droht der Konflikt zwischen Amerika


und dem Iran zu eskalieren. Hier erklärt der sau-


dische Botschafter Faisal bin Farhan al-Saud,


warum er einen Krieg für möglich hält – und wie


man diesen noch verhindern kann


Hölle über der Wüste


In Flammen Der Brand in
der Raffinerie Abkaik war noch
im 60 Kilometer entfernten
Dhahran zu sehen
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