Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
WIRTSCHAFT

58 FOCUS 39/2019

D

er Vater ist der Macher.
Hemdsärmelig, direkt, risi-
kofreudig. Der Sohn ist der
Stratege. Besonnen, über-
legt, zurückhaltend. Trotz
dieser Unterschiede spürt
man sofort: Die beiden
sind ein Team. Sie schät-
zen sich, vertrauen einander. Und teilen
eine Leidenschaft: Oldtimer. Karl Ulrich
Herrmann, 73, hat seine Leidenschaft
zum Beruf gemacht, gründete 2001 in
Stuttgart die Retro Classics, die heute
größte Messe für Fahrkultur in Europa.
Sein Sohn Andreas Herrmann, 52, war
zu diesem Zeitpunkt noch bei Merce-
des-Benz in leitender Position tätig, stieg
erst im Oktober 2018 in die Firma ein
und wurde gleichberechtigter Geschäfts-
führer. Der Generationenwechsel war
vollzogen.

Herr Herrmann, Sie kamen erst spät ins
väterliche Unternehmen. Kein Interesse?
Andreas Herrmann: Doch. Aber ich woll-
te zunächst bei Mercedes-Benz bleiben,
um noch mehr Konzernerfahrung zu sam-
meln. Vor drei Jahren vereinbarten mein
Vater und ich dann eine zweijährige Über-
gangszeit, die 2018 hätte beginnen sollen.
Daraus wurde nichts, da meine Mutter,
die im Unternehmen wichtige Funktionen
innehatte, 2018 völlig unerwartet starb.
Karl Ulrich Herrmann: Der plötzliche Herz-
tod meiner Frau ist für die ganze Familie
ein furchtbarer Verlust. Ich bin meinem
Sohn sehr dankbar, dass er kurz danach
ins Unternehmen kam, um mich zu unter-
stützen. Wichtig ist mir bei unserer Zusam-
menarbeit, dass ich mich nicht vor meinen
Sohn stelle, sondern hinter ihn. So, wie
meine Frau das bei mir immer getan hat.
Andreas Herrmann: Unsere Aufgabenbe-
reiche sind klar getrennt: Ich kümmere
mich um die neuen Themen wie die Neo
Classics oder um die Kooperation mit der
Mille Miglia.
Karl Ulrich Herrmann: Ich lasse dir freie
Hand, aber ich will vor einer Entschei-
dung schon wissen, warum sie getroffen
werden soll. Trotzdem vertraue ich And-
reas vorbehaltlos, der das macht, was mir
nicht so gut liegt. Mein Sohn kümmert sich
um das Organisatorische, das Vertragswe-
sen oder den öffentlichen Dienst, weil die
Stadt Stuttgart und das Land Baden-Würt-
temberg als Gesellschafter bei der Retro
Messen GmbH beteiligt sind. Die Büro-
kratie heute ist grauenhaft. Ich brauche
sie überhaupt nicht. Ich bin noch vom
alten Schlag. Bei mir gilt nach wie vor der
Handschlag, weil er Vertrauen bildet. Bei
den Jungen gibt es das nicht mehr.

Andreas Herrmann: Ich schätze den Hand-
schlag auch, dennoch gelten heute andere
Regeln. Der State of the Art hat mich in der
Zeit bei Mercedes-Benz geprägt. Also dass
das, was besprochen wurde, auch sauber
auf dem Papier geregelt ist.
Karl Ulrich Herrmann: Für mich sind Ver-
tragswerke ganz schlimm. Ich habe oft den
Eindruck, dass alles, was die Menschen
zu Papier bringen, nicht nur keinen Wert
hat – es wird einem später auch noch vor-
gehalten. Oder der Anwalt kommt. In der
neuen Vertragswelt fühle ich mich einfach
nicht wohl. Das gebe ich zu.
Andreas Herrmann: Mir ist es lieber, eine
Vereinbarung niederzuschreiben.
Karl Ulrich Herrmann: Mag sein. Aber bei
meinen Kunden, die ich seit 20 Jahren
habe, gilt der Handschlag eben noch. Wir
arbeiten zum Beispiel schon sehr lange mit
dem Königshaus von Katar zusammen,
kuratieren gerade für die Familie in Doha

das größte Oldtimer-Museum der Welt,
das 2022 bei der Fußball-WM fertig sein
soll. Da gibt es keinen Vertrag.
Sind Sie nie auf die Nase gefallen?
Karl Ulrich Herrmann: Eher nicht. Enttäu-
schungen gab es natürlich immer wieder.
Hat Ihr Sohn Sie je enttäuscht?
Karl Ulrich Herrmann: Nein. Wir sind ein
Team. Trotzdem sind wir nicht immer einer
Meinung. Dann besprechen wir das in
Ruhe. Darauf lege ich größten Wert. Des-
halb nehme ich mich bei Dingen, in denen
ich anders denke, zurück. Einsehen kön-
nen, dass der andere etwas anders macht,
bedeutet ja nicht, dass er es schlechter
macht. Es zählt nur das Ergebnis. Wir spre-
chen über unsere Differenzen, und ich
sage, was ich denke.
Andreas Herrmann: Damit können viele
Menschen nicht umgehen. Die Unter-
schiede zwischen uns beiden würde ich
so beschreiben: Mein Vater verfolgt sei-
ne Ziele konsequenter und setzt sie dann

gern auch mal mit Nachdruck durch. Ich
versuche, mich in die Menschen hinein-
zudenken und zu verstehen, warum sie
so handeln, wie sie handeln. Daraus ent-
nehme ich, was der andere will, wie er
reagieren könnte.
Karl Ulrich Herrmann: Mein Sohn ist reser-
vierter, überlegter, besonnener. Ich bin viel
spontaner, impulsiver und gehe direkt auf
die Menschen zu, wobei ich dadurch ganz
klar das Risiko eingehe, mehr Fehler zu
machen. Ich bin der Meinung: Man muss
nur einmal mehr aufstehen, als man hin-
fällt. Hinzu kommt, dass Andreas durch
25 Jahre Konzernarbeit eine ganz andere
Prägung hat. Ich war immer selbstständig,
immer hemdsärmelig unterwegs, habe
immer sofort entscheiden müssen und
gesagt: Jawohl, so machen wir das, oder:
Nein, so machen wir das nicht. Fertig, aus.
Andreas Herrmann: Ich würde sagen, dass
ich überlegter bin. Man trifft Menschen oft
zweimal im Leben. Deshalb muss man auf-
passen, wie man auf sie zugeht. Ansonsten
kann es passieren, dass einem eine falsche
Entscheidung, eine falsche Wortwahl eines
Tages auf die Füße fällt.
Herr Herrmann, die Firma ist Ihr
Baby. Gehören Sie zu den Gründern,
die gut loslassen können?
Karl Ulrich Herrmann: Ich kann gut loslas-
sen, wenn ich sehe, dass es professionell
funktioniert. Aber bei dem großen Netz-
werk, das ich mir im Laufe von 30 Jahren
aufgebaut habe, ist das nicht so einfach.
Manche Kunden erwarten einfach von mir,
dass ich mich melde. Das Loslassen wird
also noch eine gewisse Zeit dauern, auch
weil ich das Reinreden manchmal für rich-
tig halte. Ich finde es auch nicht schädlich,
eine gewisse Autorität zu haben.
Stört Sie das?
Andreas Herrmann: Bis jetzt nicht, weil wir
auf einer Wellenlänge sind, gleich ticken.
Abgesehen davon, habe ich in meinem
Leben schon genug berufliche Entschei-
dungen allein treffen müssen und finde es
angenehm, dass wir uns in Ruhe austau-
schen und meistens einer Meinung sind.
Karl Ulrich Herrmann: Weil ich keiner bin,
der mit der Faust auf den Tisch haut und
sagt: Das machen wir so und nicht anders,
obwohl ich genau weiß, dass Andreas
Recht hat.
Ist es vorstellbar, dass Sie bis an Ihr
Lebensende im Unternehmen bleiben?
Karl Ulrich Herrmann: Der Tag, an dem ich
ganz aus dem operativen Geschäft raus-
gehe, wird kommen. Aber eine präsidiale
Aktivität übe ich gern so lange aus, wie es
geht. Denn ich glaube, dass Aufgaben etwas
sind, das uns Ältere am Leben erhält.
Allein schon wegen des erquickenden

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Ich bin vom alten


Schlag. Bei mir


gilt der Handschlag


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Karl Ulrich Herrmann
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