Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
LEBEN

112 FOCUS 40/2019

N

atürlich gab es auch da-
mals schon Leute, die Bon
Jovi peinlich fanden. We-
gen der Schlagerhaftig-
keit von Songs wie „With-
out Love“ vermutlich oder
dem bemühten Intro von
„Livin’ On A Prayer“. Für
mich aber war das Album „Slippery When
Wet“ ein musikalisches Erweckungserleb-
nis. Vorher hatte ich Barclay James Har-
vest gehört, das ist richtig peinlich. Ich
war 14, Mitglied der katholischen Jungen
Gemeinde, trug ein Holzkreuz um den
Hals, braune Birkenstocks – lange bevor
Öko-Pantoffeln von der Fashion-Szene
gefeiert wurden – und einen praktischen

love a bad name! Ich ließ mir die Haare
wachsen, färbte sie erst blau, dann henna-
rot, verliebte mich in einen Typ mit ähn-
licher Frisur wie Jon, wir hörten AC/DC
und Cream, knutschten beim Rolling-
Stones-Konzert in Hannover und kauften
uns identische Lederhosen mit seitlicher
Schnürung. So oder so ähnlich war das
damals, ich hatte dann doch noch eine
coole Jugend, und dafür werde ich Jon
immer dankbar sein. Auch wenn echte
Musikkritiker alle seine Welthits für Büro-
angestelltensound halten. Die Wahrheit ist
ja die: Heute bin ich eine Büroangestellte.
Und so stehe ich mit rund 2000 anderen
Bon-Jovi-Fans, vermutlich alle Büroange-
stellte, an einem dieser sehr heißen Spät-

Konzertkreuzfahrten sind eine smarte
Idee der Reedereien, Leute an Bord ihrer
Schiffe zu bekommen, die nie eine klas-
sische Kreuzfahrt zum Beispiel zu den
schönsten Häfen Europas buchen wür-
den – Venedig, Dubrovnik, Palma. Die
sich stattdessen versprechen, auf einem
Schiff, umringt von Gleichgesinnten,
ihrem Star viel näher zu kommen als bei
der „Crush“-Tour vor 19 Jahren im Esse-
ner Georg-Melches-Stadion nach stun-
denlangem Ausharren vor der Bühne.

I wanna lay you down in a bed of roses
Das Konzept ist also so einfach wie erfolg-
reich, es gibt Fahrten mit Kiss und Udo
Lindenberg, Fanta4 und der Kelly-Family

Kurzhaarschnitt, den meine frauenbeweg-
te Mutter für emanzipiert hielt. Und ich
war verliebt in Lars aus meiner Klasse, der
aber nicht in mich, denn er war blond und
schön. Und ich? Tja.
Dann also die Klassenfahrt 1986 in den
Harz. Der Busfahrer spielte „You Give Love
A Bad Name“ auf seinem Bord-Kassetten-
rekorder. In meiner Erinnerung änderte
sich in genau diesem Moment eigent-
lich alles. Ich so: Genau, Lars! You give

sommertage am Hafen von Barcelona und
checke ein auf die „Norwegian Pearl“ zu
meiner ersten Kreuzfahrt. Auch das hätte
ich ohne Jon nie gemacht. Wie die meisten
hier in der Schlange, Fans aus 53 Ländern.
„Runaway to Paradise“ heißt die Fahrt, vier
Tage Bon Jovi ohne Ende, rund 1200 Euro
kostet das günstigste Ticket, und ich habe
schon sehr lange nicht mehr so viele Bon-
Jovi-Shirts auf einmal gesehen. Meines
hatte ich leider irgendwann entsorgt.

(siehe Kasten nächste Seite). Wie es die
Reederei Norwegian Cruise Line (NCL)
nun aber geschafft hat, einen Weltstar-
Stadionrocker vom Format eines Jon Bon
Jovi auf diese kleine Pooldeck-Bühne zu
lotsen – keine Ahnung. Um es gleich vor-
wegzunehmen: Das Konzert am dritten
Abend ist großartig. Auch wenn man sich
natürlich fragen kann, ob es Sinn macht,
ziellos zwischen Barcelona und Mallorca
hin und her zu cruisen, nur weil der Star
dann doch nicht an Bord bleiben will,
sondern jeweils in Palma ein- und aus-
steigt. Kreuzfahrten machen ja ohnehin
wenig Sinn, aber Spaß.
Und der sieht an Bord so aus: Party!
Vormittags um halb zwölf bluesrockt
Hannah Wicklund mit ihren Steppin
Stones als erste Band auf dem Pool-
deck, und da sich sehr viele Gäste mit

Jon und seine Fans Eineinhalb Stunden lang spielten Bon Jovi und die
Kings of Suburbia alle großen Hits im Sonnenuntergang vor Palma

Jon und sein Sohn Seit 2017 keltert Jesse Bongiovi gemeinsam mit Winzer
Gérard Bertrand im Languedoc Rosé. Den findet Vater Jon natürlich gut

Herr Jovi ist ziemlich offensichtlich so gern mit


seinen Fans zusammen, wie diese mit ihm

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