Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1

Foto: Eva Feilkas für FOCUS-Gesundheit


FOCUS-GESUNDHEIT 19

Herr Hass, bei Ihnen können an
Krebs erkrankte Frauen gemein­
sam mit ihren Kindern zur Reha
kommen. Warum hielten Sie ein
solches Angebot für notwendig?
Die Paracelsus-Klinik ist spezialisiert
auf Brustkrebs. Unsere Patientinnen
sind häufig unter 40 Jahre, haben
noch kleine Kinder. Hinter ihnen
liegt eine monatelange Therapie, sie
mussten viel Zeit im Krankenhaus
verbringen. Als Onkologe höre ich
von den Patientinnen häufig den
Satz: Eine Reha wäre schon gut,
aber ich kann meine Familie nicht
schon wieder drei oder vier Wochen
allein lassen.
Was bietet das Programm
„Mama hat Krebs“ an?
Dass Mutter und Kind zusammen
sind. Die Frauen sind bei uns, die
Kinder in der benachbarten Prinzre-
gent-Luitpold-Klinik, eine etablierte
Reha-Einrichtung für Kinder. Die
Familie soll mal durchatmen kön-
nen. Denn der Druck, unter dem eine
Familie mit einer krebskranken Mut-
ter steht, ist enorm. Vor allem wenn
die Kinder ebenfalls gesundheitliche
Probleme haben.
Ist das Programm ausschließlich
für derart doppelt belastete
Familien gedacht?
Ja. Wir wollen bewusst keine Kinder-
betreuung wie bei einer Eltern-Kind-
Kur anbieten. Denn wir können mehr
und arbeiten ganzheitlich. Zum einen
behandeln wir die körperlichen Ne-
benwirkungen von Chemo und Be-
strahlungen. Das können Nerven-

schäden sein oder Lymphödeme.
Zum anderen bieten wir umfangrei-
che Unterstützung, damit die Famili-
en wieder Perspektiven für sich ent-
wickeln, in die Normalität und erfolg-
reich in die Arbeit zurückfinden. Bei
den Kindern stehen deren Probleme
im Mittelpunkt. In Schulungen lernen
sie und die Eltern, besser mit den
Anforderungen der oft chronischen
Erkrankungen umzugehen.
Welche gesundheitlichen Proble­
me haben die Kinder meist?
Häufig leiden sie an Asthma, Diabe-
tes, Übergewicht oder ADHS. Unser
Angebot verfolgt auch einen präven-
tiven Aspekt. Erkrankt ein Elternteil
schwer, entwickelt ein Drittel der
Kinder Anpassungsstörungen, ver-
hält sich auffällig oder schläft
schlecht. Das möchten wir abfedern.
Wenn Mutter und Kinder in
Therapien stecken, wo bleibt
dann die Zeit füreinander?

Die Behandlungspläne sind immer
sehr individuell gestrickt. Die Zeit
füreinander ist ein therapiewichti-
ger, fester Bestandteil. Mutter und
Kind nehmen zum Beispiel gemein-
sam an einem Kunstprojekt teil oder
praktizieren Entspannungsübungen.
Oft ist es schon toll, einfach mal wie-
der gemeinsam ein Eis essen zu ge-
hen. So etwas war monatelang gar
nicht vorstellbar. Die Familien sollen
möglichst viele gemeinsame positive
Erlebnisse aufsaugen können.
Scheidegg liegt in einer male­
rischen Landschaft. Binden Sie
diese Ressource ein?
Selbstverständlich. Schließlich ist
die Natur selbst schon heilsam. Wir
beziehen Aktivitäten draußen kon-
sequent ein. Gemeinsam durch ei-
nen Wald laufen, das ist etwas Be-
sonderes. Studien aus Japan zeigen
im Übrigen, dass nach ein paar
Stunden die Konzentration der
Stresshormone sinkt und die der
Immunzellen steigt.
Und Heilklima haben Sie auch ...
Und wir sind eine der sonnenreichs-
ten Regionen Deutschlands. Das All-
gäu ist wirklich reich gesegnet. Eine
onkologische Reha ist ein Gesamt-
paket. Frage ich die Patienten am
Ende ihres Aufenthalts, was ihnen
am meisten gebracht hat, dann divi-
diert kaum jemand die Maßnahmen
auseinander. Dass das Klima in einer
Bergregion förderlich für die Ge-
sundheit insgesamt ist, wird nie-
mand mehr ernsthaft bestreiten. 
SUSANNE WITTLICH

Holger Hass, 48, Chefarzt der
Paracelsus-Klinik Scheidegg

»Die Natur


fördert die


Heilung«

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