Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
DEUTSCHLAND

FOCUS 40/2019 31


Parkettsicher beim Walzer
auf dem Presseball
Gauck mit Lebensgefährtin
Daniela Schadt, einer
ehemaligen Journalistin

Weltmeister!
Mit Kanzlerin Angela Merkel
sah Gauck das WM-Finale
in Rio gegen Argentinien.
Deutschland siegte 1 : 0

Bootsfahrt mit der Queen
Tausende winkten Gauck
und Elizabeth II begeistert zu,
als sie beim Besuch der
Königin auf der Spree fuhren

Arm in Arm mit
Barack Obama
Der Staatsbesuch
des populären
US-Präsidenten
im Schloss
Bellevue war ein
protokollarischer
Höhepunkt in
Gaucks Amtszeit

Verzicht
Am 6. Juni 2016 gab
Gauck bekannt, dass er mit
Rücksicht auf sein Alter
keine zweite Amtszeit als
Bundespräsident anstrebe

2014

2015

2013

2013

Sagen wir es so: Ich habe beim Lesen
und Schreiben gemerkt, dass unsere Vor-
stellung von Toleranz oft etwas eng ist.
Warum?
Toleranz bedeutet nicht nur, etwas wohl-
wollend zu akzeptieren, etwas zustim-
mend zu respektieren oder gar zu mögen.
Nein, echte Toleranz ist eine Zumutung.
Das müssen Sie erklären.
Wir können gar nicht alles akzeptieren,
was uns in der offenen Gesellschaft an unter-
schiedlichen Menschen, Themen, Auffas-
sungen und Programmen begegnet. Aber
nicht alles, was wir nicht akzeptieren, ist
deshalb gleich verfassungsfeindlich. Man-
ches ist nur unmodern, manches vielleicht
ausgesprochen reaktionär, aber deshalb
noch lange keine Straftat oder moralisch so
verwerflich, dass es aus dem Diskurs ver-
bannt werden muss. Und deshalb braucht
man eine gewisse Distanz zum eigenen,
prägenden Milieu, um zu erkennen, dass
nicht jeder mit einer anderen Meinung
gleich ein Antidemokrat ist. Also weniger
ausgrenzen, mehr streiten. Deswegen plä-
diere ich für eine kämpferische Toleranz.


Hat die Toleranz abgenommen und das
reaktionäre Denken zugenommen?
Ich weiß nicht, ob es zugenommen hat
oder ob eine immer schon vorhandene
reaktionäre oder nationalpopulistische
Haltung in Teilen der Bevölkerung nach
der Ankunft der Flüchtlinge nur sichtbarer
geworden ist. Es gibt wissenschaftliche
Untersuchungen, wonach in Europa rund
33 Prozent und in den USA 44 Prozent
der Menschen eine verfestigt konservative
Grundeinstellung haben.
Der veröffentlichte Mainstream geht
aber eher in eine liberale Richtung.
Auch linksliberale Meinungsführer
müssen lernen zu tolerieren, dass Teile un-
serer Gesellschaft anders ticken, anders
denken, anders sprechen, auch wenn dies
bei liberalen Eliten Kopfschütteln, Ratlosig-
keit und Ablehnung hervorruft. Altmodische,
konservative oder gar reaktionäre Men-
schen sind nun einmal ein nicht zu überse-
hender Teil unserer Gesellschaft. Das wird
vermutlich so bleiben. Und das erfordert
echte Toleranz. Es gilt: Gelegentlich sagen
auch die „Falschen“ etwas Richtiges.

Haben Sie Ihre eigene Position
überdacht, gar verändert?
Ich komme ja nicht aus dem konservati-
ven Milieu, sondern wurde früher eher von
linksprotestantischen Gedanken geprägt.
Ich habe mich dann aber in Richtung eines
politischen Liberalismus bewegt und bin
heute ein im weitesten Sinne liberaler
Mensch und Vertreter der offenen Gesell-
schaft. Was mir aber bedrohlich erscheint,
ist, dass viele in diesen linksliberalen
Kreisen sehr pauschal alles ablehnen und
sogar als Gefahr für die Demokratie ver-
urteilen, was rechts von der politischen
Mitte oder rechts von der Union ist.
Die sogenannte Nazi-Keule ...
Es ist jedenfalls eine bedrohliche Ent-
wicklung, wenn wir Menschen, die aus
Gefühlen der Entheimatung oder Ver-
unsicherung heraus zu Protestwählern
werden, gleichstellen mit jenen, die wirk-
lich nationalsozialistisch oder menschen-
feindlich agieren und entsprechende
Ziele verfolgen.
Aber wo liegt die Trennlinie? Macht es sich
die Politik nicht ein bisschen zu einfach,
wenn immer gesagt wird, man müsse zwar
die AfD ablehnen, dürfe aber deren Wähler
nicht beschimpfen? Die AfD-Wähler wissen
doch genau, was und wen sie wählen!
Sie können sich denken, dass ich die
AfD weder verteidigen noch verharm-
losen will, sondern aus tiefer Überzeu-
gung ablehne. Dennoch führt uns die

„Vom Internet ist das schlechte Benehmen in


den alltäglichen Umgang eingesickert“


2016
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