Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
44 FOCUS 40/2019

R


ekordbeschäfti-
gung, steigende
Einkommen und
hohe Lebensquali-
tät – Deutschland
geht es trotz Rezessions-
tendenzen unbestritten gut.
Aber ist wirklich alles gut?
Die Immobilien- und Bau-
wirtschaft sieht noch erheb-
lichen Handlungsbedarf: Die
Verfahren in der Verwaltung
dauern zu lange, die Vor-
schriften sind zu komplex,
und es werden immer mehr.
Die Politik ist zu mutlos ge-
worden und hat das Ziel
einer einfachen, bürger-
nahen Verwaltung aus den
Augen verloren. Um es klar
zu sagen: Es geht hier nicht
um populistische Staatskri-
tik, sondern darum, gemein-
sam an besseren Rahmen-
bedingungen zu arbeiten.
Wir brauchen mehr Wohn-
raum in Deutschland, ins-
besondere in den größeren
Städten. Normalerweise
müsste nun alles getan wer-
den, um den Neubau oder
den Erwerb von Wohn-
raum für breite Schichten
der Bevölkerung zu fördern.
Dazu gehört zum Beispiel
die Bereitstellung von Bau-
land, die Nachverdichtung
in Großstädten mit knappem
Flächenangebot oder auch
die Senkung der Grund-
erwerbsteuer. Das Gegen-
teil ist jedoch der Fall: In
den letzten Jahren ist die
Grunderwerbsteuer in vielen
Bundesländern stark erhöht
worden. So weisen fünf Bun-
desländer einen Spitzensatz
von 6,5 Prozent aus – nur

Bayern und Sachsen halten
den Satz seit 1998 konstant
bei 3,5 Prozent.
Das Gebot der Stunde
wäre eigentlich, Marktkräfte
zu mobilisieren. Leider ist das
Gegenteil der Fall. Besonders
deutlich wird das bei der
Verschärfung des Mietrechts.
Die Mietpreisbremse und
der in Berlin vom
Senat diskutierte
Mietendeckel füh-
ren dazu, dass nicht
mehr investiert
wird. So bleibt der
gewünschte Effekt,
den Wohnungs-
markt zu entlasten,
aus. Die Ursache
für die hohen Prei-
se und Mieten liegt
in der Knappheit
von Wohnraum, die
Preisentwicklung
folgt schlicht dem
Markt. Erst mit

einer Ausdehnung des Ange-
bots wird dieser Preisanstieg
verlangsamt. Wir müssen
also mehr Wohnraum schaf-
fen und nicht den knappen
Wohnraum weiter regle-
mentieren. Darüber hinaus
sollten wir darüber nach-
denken, bedürftige Gruppen
der Bevölkerung mit einem
Wohngeld zu unterstützen
und den Erwerb des Eigen-
heims ganz von der Grund-
erwerbsteuer zu befreien. Es
gibt keine bessere Sozial-
politik in der Wohnungswirt-
schaft, als den Erwerb von
Eigentum zu fördern, nicht
zuletzt zur Absicherung und
Entlastung im Alter.
Außerdem sind wir in
Deutschland einfach zu
langsam. Besonders deut-
lich wird das bei der Infra-
struktur. Dazu ein konkretes
Beispiel aus Ostfriesland.
Im Jahr 2015 wurde die
Friesenbrücke über die
Ems bei Leer von einem
Frachter gerammt. Seitdem
ist sie gesperrt. Sie ist eine
wichtige Verkehrs-
ader zwischen den
Niederlanden und
Deutschland und
müsste so schnell
wie möglich repa-
riert werden. Das
dauert allerdings
bis zum Jahr 2024.
Genauso hinken
wir beim Ausbau
von Digital- und
Verkehrsinfrastruk-
tur hinterher. Wir
reden zu viel über
Probleme, anstatt
einfach zu handeln!

Deutschland erstickt in
Verordnungen und Vorschrif-
ten. 1990 hatten wir 5000
Bauvorschriften, heute sind
es 20 000. Brauchen wir die
wirklich alle? In den Nieder-
landen hat man einfach mal
großzügig unnötige Regelun-
gen gestrichen. Das schafft
mehr Übersichtlichkeit und
Effizienz. Das Beispiel der
aktuell diskutierten Neufas-
sung der Grundsteuer zeigt
leider, dass wir das Gegenteil
tun: Im Rahmen der Werter-
mittlung von Immobilien wird
ein einfaches und bewähr-
tes Flächenmodell durch ein
komplexes Wertermittlungs-
modell ersetzt. Dabei hätte
einfach das Flächenmodell
entsprechend den vom Bun-
desverfassungsgericht formu-
lierten Bedingungen ange-
passt werden können.
Ob Unternehmen oder
Einzelpersonen im Privat-
bereich: Vorschriften und
gesetzliche Rahmenbe-
dingungen werden immer
komplexer, und die Bearbei-
tungszeiten von Anträgen
durch die Verwaltung dauern
immer länger. Hier bräuchte
es heute einmal mehr den
Mut, den Gerhard Schröder
in der Sozialpolitik mit seiner
Agenda 2010 bewiesen hat.
Alle gesellschaftlichen Kräfte
müssen wieder ins Gespräch
miteinander kommen.
Dann schaffen wir mit ver-
einten Kräften, Gestaltungs-
willen und Engagement
auch die Räume für die gan-
ze Bevölkerung, die wir zum
Wohnen, Arbeiten und Leben
brauchen. n

Jan Röttgers ist Geschäftsführer
ECE Development und Consulting
sowie Leiter der AG Planungs- und
Baubeschleunigung beim ZIA

Trotz Rezessionstendenzen geht es unserem Land noch gut. Das kann sich schnell ändern.


Wir brauchen Mut für einen Neuanfang: weniger Vorschriften, mehr Markt


Deutschland erstickt in Vorschriften!


Von Jan Röttgers
Zentraler Immobilien Ausschuss e. V. (ZIA)

MEINUNG

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Wir reden
zu viel
über

Probleme,
anstatt
einfach zu

handeln!


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