Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
AUSLAND

FOCUS 40/2019 47


Gegnerin II
Gina Miller, 54


Der britische Premier erleidet eine schwere juristische
Brexit für Johnson? Niederlage. Doch viele Landsleute stört das kaum

WAS IST PASSIERT?
Boris Johnson, seit zwei Monaten britischer
Premierminister, hatte das Parlament
Anfang September in den Zwangsurlaub
geschickt. Damit wollte er verhindern, dass
seine Pläne für einen EU-Austritt Groß-
britanniens (Brexit) zum 31. Oktober noch
durchkreuzt werden. Die Königin stimmte zu.
Doch viele Abgeordnete und Wähler empfan-
gen Johnsons Vorgehen als einen Putsch, bei
dem der neue Regierungschef das Parlament
einfach ausschaltet. Die Geschäftsfrau Gina
Miller und viele weitere Briten klagten vor
dem Obersten Gerichtshof gegen die
Zwangspause – und erhielten diese Woche
Recht. Die Richter urteilten einstimmig,
Johnson habe das Gesetz gebrochen. Die
Suspendierung ist ungültig. Als „Sieg der
Demokratie“ feiert die Opposition das Urteil


  • und fordert Johnsons Rücktritt.


WIE GEFÄHRLICH WIRD ES FÜR JOHNSON?
Der Premier zeigt sich trotz der juristischen
Blamage kampfbereit. Er hat die Opposition
sogar aufgefordert, ein Misstrauensvotum
gegen ihn zu stellen. Sollte es Neuwahlen
vor dem 31. Oktober – dem Tag des Brexits –
geben, hat Johnson bislang gute Chancen,
als Premierminister wiedergewählt zu
werden. Seine konservative Partei kommt
in Umfragen aktuell auf 27 Prozent der
Stimmen und wäre stärkste Kraft. Labour
(24 Prozent), Liberale (22) und die Brexit-
Partei (16) liegen dahinter.

Seine Gegner spielen deshalb auf Zeit.
Labour-Chef Jeremy Corbyn, die schotti-
schen Nationalisten der SNP, die Liberalen
und andere Oppositionsparteien haben
einen Pakt geschlossen: Sie wollen Johnson
dazu zwingen, eine weitere Verlängerung der
Brexit-Frist in Brüssel zu beantragen – und
anschließend Neuwahlen durchsetzen. Ihr
Kalkül: Johnson wäre dann so geschwächt,
dass er verlieren würde. Der Premier hatte bis-
her stets erklärt, er werde eher
„tot in einem Graben liegen“, als
bei den EU-Staatschefs um eine
Brexit-Verschiebung zu betteln.

WAS WIRD IN LONDON
GEREDET?
Die Hauptstädter sind, wie das
ganze Land, gespalten. Die Hälfte
der Briten hält das Urteil gegen
Johnson für die richtige Ent-
scheidung, die andere Hälfte
nicht. Beobachter glauben, dass
Johnson von dem politischen
Chaos am Ende womöglich sogar
profitiert – weil er als einer der
wenigen für einen kompromiss-
losen und raschen Brexit steht.

WAS SAGT JOHNSON?
Der Premier will Neuwahlen so
schnell wie möglich, um wieder
handlungsfähig zu sein. Seinen
Kritikern wirft er vor, sich gegen

den Volkswillen zu stellen: „Alles, was Sie
interessiert, ist das zwanghafte Verlangen,
das Ergebnis des (Brexit-)Referendums
außer Kraft zu setzen.“ Nicht er, sondern das
Parlament sei an dem Chaos schuld.

WIE GEHT’ S JETZT WEITER?
Johnson will einen neuen Deal mit der EU.
Doch die bleibt ihrer Linie treu. Aus Brüssel
heißt es: Das ausgehandelte Abkommen wird
nicht angetastet. Knackpunkt
bleibt die Grenze zwischen der
EU-Republik Irland und dem briti-
schen Nordirland – dort sollen
Waren weiter frei verkehren. Der
bei den Brexiteers verhasste
„undemokratische Backstop“, das
Instrument, das eine offene
Grenze garantiert, müsse weg,
fordert Johnson. Gleichzeitig hat
er in Brüssel keine Alternativen
vorgelegt. Und selbst wenn die EU
den Vertrag ändern würde, wäre
es nicht sicher, ob das Abkom-
men eine Mehrheit im Parlament
bekommt. Ober-Brexiteer Farage
lästert: Johnson sei nur noch ein
Interims-Premier mit „quasi null
Chancen“, am 31. Oktober den
Brexit zu vollziehen: „Die EU weiß
doch gar nicht mehr, mit wem sie
verhandeln soll.“ n

REINHARD KECK

»
Sie haben
bis zum Ende
der Sitzung
heute Zeit,
um einen
Misstrauens-
antrag zu
stellen

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Boris Johnson,
Premierminister
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