Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
POLITIK

Fotos: Jens Oellermann/Benjamin Zibner für HBM, Markus C. Hurek für FOCUS-Magazin

54 FOCUS 40/2019

N

ichts reflektiert den Zeit-
geist mehr als die Mode.
Vielleicht legen gerade
deshalb immer mehr Men-
schen Wert darauf, dass
Hemden und Hosen nicht
nur gut aussehen, sondern
auch fair und umweltscho-
nend hergestellt werden. Welche Macht
die Verbraucher dabei haben und welche
Lösungen wirklich gegen Ausbeutung und
Umweltzerstörung helfen, darüber spra-
chen Vertreter aus Politik, Wirtschaft und
Modeindustrie beim FOCUS Inner Circle
im Berliner Gropius Bau. Einig waren sich
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU),
Designer Michael Michalsky, Model Bar-
bara Meier und Tchibo-Managerin Nanda
Bergstein vor allem in einem: Nachhaltig-
keit muss nicht teuer sein.

Meine Damen, meine Herren,
zu Beginn eine Frage an Sie
alle: Wissen Sie, woher der
Anzug oder das Kleid stammt,
das Sie heute tragen?
Müller: Selbstverständlich,
von Hugo Boss aus Metzin-
gen. Darunter trage ich Tri-
gema-Unterwäsche, die in
Deutschland produziert wurde.
Beide machen beim Grünen
Knopf mit.
Bergstein: Ich trage heute die
gleiche Marke wie der Minis-
ter, der Overall kommt aus
Bulgarien. Und nachhaltige
Unterwäsche von Tchibo.
Meier: Mein Kleid ist von
Stella McCartney, die als eine der weni-
gen High-Fashion-Designer sehr viel Wert
auf nachhaltige Materialien legt.
Michalsky: Ich trage natürlich Michalsky.
Mein Anzug wurde hier in Berlin produ-
ziert. Über meinen Schlüpfer rede ich nicht
so gerne wie die anderen.
Ich frage deshalb, weil wir heute Abend
über Nachhaltigkeit sprechen. Man könnte
sagen, es ist mittlerweile ein Modewort
geworden. Was bedeutet der Begriff für Sie?
Bergstein: Dass Wirtschaften nicht zulas-
ten von Mensch und Natur gehen darf.
Und dass wir alles dafür tun, um der
nächsten Generation eine lebenswerte
Welt zu hinterlassen.
Herr Minister, in diesem Monat haben
Sie den Grünen Knopf vorgestellt.
Das ist ein staatliches Siegel für nach-
haltig produzierte Textilien. Was wollen
Sie damit bewirken?

Müller: Der Grüne Knopf gibt dem Ver-
braucher Klarheit. Er kann sofort erken-
nen, ob es sich um ein Textilprodukt han-
delt, das unter hohen sozialen und öko-
logischen Standards hergestellt wurde.
Dies wird von unabhängigen Prüfstellen
wie dem TÜV kontrolliert.
Wie kam es zu der Idee?
Müller: Der Auslöser war das dramatische
Unglück in Rana Plaza im Jahr 2013. Beim
Einsturz einer Textilfabrik sind damals
mehr als 1100 Menschen in Bangladesch
gestorben, die meisten von ihnen waren
Frauen. Ich habe erst vor zwei Wochen eine
Überlebende hier in Berlin getroffen. Das
war ein Schockerlebnis, das uns die katas-
trophalen Arbeitsbedingungen in den Ent-
wicklungsländern vor Augen geführt hat.
Sie haben auf Ihren Reisen Fabriken in aller
Welt besucht, in denen Frauen
und Kinder unsere Kleidung
herstellen. Welche Zustände
haben Sie dort gesehen?
Müller: Ich stand in Bang-
ladesch in einer Halle, in der
1000 Frauen an Nähmaschi-
nen sitzen. Sie tun das 14 Stun-
den am Tag, sechs Tage die
Woche, für einen Stundenlohn
von 20 bis 40 Cent. Da wurde
mir klar: Das kann nicht die
Produktion unserer Kleidung
im 21. Jahrhundert sein. Wir
können und dürfen das schon
aus humanitären Gründen
nicht akzeptieren.
Wie würden Sie diese
Arbeitsverhältnisse in
einem Wort bezeichnen?
Müller: Das ist Lohnsklaverei.
Kann ich mir als Kunde ein gutes
Gewissen verschaffen, indem ich Klamotten
nur aus bestimmten Ländern kaufe?
Bergstein: Es ist tatsächlich nicht ent-
scheidend, in welchem Land ein Produkt
gefertigt wird. Sie können eine ordentliche
Fabrik in Asien haben und eine schlechte
in Europa. Das „Made in“-Schildchen sagt
nicht viel aus.
Frau Bergstein, Sie wollten früher
Botschafterin werden und haben nach
Ihrem Studium bei einer NGO in Indien
gearbeitet. Was haben Sie dort gelernt?
Bergstein: Ich habe in Südindien bei
einem Entwicklungsprojekt für minder-
jährige Mädchen gearbeitet. Mit der Zeit
habe ich gemerkt, dass unsere Arbeit oft
an der Lebensrealität dieser Mädchen vor-
beiging. Mir hat das gezeigt, dass man die
Menschen in den Mittelpunkt stellen

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Wir dürfen


Lohn-


sklaverei


im 21. Jahr-


hundert


nicht


akzeptieren


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Gerd Müller (CSU),
Entwicklungsminister

FOCUS Director Strategy Sebastian Doedens
begrüßt die Gäste des Inner Circle

Sieger beim FOCUS-Gewinnspiel: Petra Klär
und Elmar Langenbacher

Sara Sperling (Greentech Festival)
im Gespräch

Filmproduzent
Wolf Bauer (l.)
mit Kult-Gastro-
nom Heinz „Coo-
kie“ Gindullis

Mario Ohoven,
Präsident des
Bundesverbands
mittelständi-
sche Wirtschaft
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